Verletztenversammlung am 12.10.2010

Wer Demonstranten verletzt, muss bestraft werden

Versammlung der Verletzten
Ort: Forum 3, Gymnasiumstr. 21, S-Bahn: Stadtmitte
Datum: Dienstag, 12.10.2010
Zeit: 18 Uhr

Die große Zahl an Verletzten durch die Polizeiaktion am 30.9. schreit nach Konsequenzen. Viele Geschädigte und Zeugen haben schon Strafanzeigen gestellt. Das ist erstmal eine absolut angemessene Reaktion. Dennoch müssen wir im Folgenden auch auf einige Probleme dabei aufmerksam machen. Wir aber gleichzeitig versuchen, Lösungsvorschläge zu machen.

  1. Einleitung
  2. Grundsätzlich ist jede Person, die von einer Straftat erfährt, berechtigt Strafanzeige zu erstatten. Also auch Menschen, die eine Straftat „nur“ beobachtet oder auf andere Weise davon erfahren haben (z.B. YouTube, Erzählung etc.). Am wirkungsvollsten sind in der Praxis aber Strafanzeigen der Geschädigten und danach der direkten Augenzeugen.

    Neben der Strafanzeige gibt es noch den Strafantrag, mit dem nicht nur eine Straftat angezeigt, sondern die Bestrafung des Täters gefordert. Strafantrag kann immer nur der Geschädigte stellen. Bei Minderjährigen sind auch die Erziehungsberechtigten als Vertreter des Geschädigten antragsberechtigt.

    Im Zusammenhang mit Polizeigewalt bei Demonstrationen hat es sich aber leider eingebürgert, daß die angezeigten Polizisten mit einer Gegenanzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte reagieren. Noch bedauerlicher und empörender ist, dass diese Auseinandersetzungen häufig ähnlich verlaufen: Die Strafanzeige gegen den Polizisten wird relativ schnell eingestellt und der Verletzte wird wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht gestellt. Im positiven Falle wird das Strafverfahren gegen den Verletzten vom Gericht eingestellt, häufig aber gegen Zahlung eines Bußgeldes. So wird am Ende also der Verletzte doppelt bestraft und der Polizist ist fein raus.

  3. Strafanzeigen
    1. Strafanzeige gegen wen?
    2. Ein weiteres Problem bei Strafanzeigen gegen die Polizei ist oft, dass wir vom Täter keinen Namen haben. Bilder helfen da nur manchmal, den nicht nur in natura, sondern auch auf Bildern sehen Polizisten irgendwie alle gleich aus. Die Bereitschaft von Polizei und Staatsanwaltschaft, den Täter zu finden, ist häufig sehr unterentwickelt. So werden die allermeisten Strafanzeigen gegen prügelnde Polizisten schon nach kurzer Zeit mit der Begründung eingestellt, der betreffende Polizist sei nicht zu identifizieren.
      Man braucht also schon sehr gute Beweismittel, um einen Polizisten als Täter so zu überführen, dass auch die Staatsanwaltschaft nicht um weitere Ermittlungen umhin kommt. Eine solche Anzeige aber kann nach unserer Erfahrung ein Einzelner allein aufgrund seines eigenen Wissens nicht vorlegen. Dazu ist es notwendig, sich mit anderen zusammenzutun. Die Rechtshilfe sammelt derzeit alle Berichte, Protokolle und Zeugenaussagen und kann Euch helfen. Nehmt es in Anspruch!

      Wegen der Polizeiaktion am 30.9. wurde auch schon einige Strafanzeigen gegen den Polizeipräsidenten, Herrn Stumpf oder gar gegen Innenminister Rech und Ministerpräsident Mappus gestellt. Das ist richtig und konsequent, denn insbesondere Rech und Mappus müssen wir als die eigentlichen Verantwortlichen für diese Gewaltorgie sehen.
      Nur leider leider ist Rech auch der Disziplinarvorgesetzte der Staatsanwaltschaft, die es sich natürlich ungern mit dem Chef verscherzt. Also werden, so ist zu befürchten, auch diese Anzeigen recht schnell abgeschmettert.
      Trotzdem: Strafanzeigen gegen die „Auftraggeber“ der Gewaltorgie sind in jedem Fall sinnvoll, weil sie Ross und Reiter klar benennen und damit den politischen Druck aufrechterhalten.

    3. Strafanzeigen und Strafantrag durch Geschädigte
    4. Strafanzeigen durch Verletzte sind, wie oben schon beschrieben, nicht ohne Risiko. Deshalb empfehlen wir, vor der Abgabe einer Strafanzeige in jedem Fall Kontakt zu der Rechtshilfe oder einem Anwalt aufzunehmen. Die Rechtshilfe kann Eure Daten dann auch mit Gedächtnisprotokollen und Zeugenaussagen anderer abgleichen und (notfalls gemeinsam mit einem Anwalt) die Beweislage klären und einschätzen.

      Bei sehr klarer Beweislage (mehrere Zeugenaussagen, Fotos, Videos) kann das Risiko einer Gegenanzeige der Polizei so minimiert werden, dass eine Anzeigenerstattung sinnvoll werden kann. Das bedarf aber, wie gesagt, einer genauen Prüfung. In dem Fall wäre dann auch daran zu denken, auch einen Strafantrag zu stellen. Gut und präzise formulierte Strafanträge haben auch ein wenig mehr Aussicht auf Erfolg.

      Wer für „seinen„ Vorfall keine Zeugen hat, sollte auf keinen Fall einfach mal so eine Strafanzeige oder einen Strafantrag stellen. Setzt Euch aber auf jeden Fall mit der Rechtshilfe in Verbindung, denn auch wir sind natürlich der Überzeugung, dass Polizeigewalt nicht ohne Konsequenzen bleiben darf.

      Ganz wichtig ist in jedem Fall, dass ihr bei einem Arzt wart und das Attest gut aufhebt. Denn dieses ist immer noch der beste Beweis für Eure Verletzung.

    5. Strafanzeigen durch Zeugen
    6. Strafanzeigen durch Zeugen sind in der Regel unproblematisch. Allerdings kam es auch bei Strafanzeigen von Zeugen schon vor, das der Verletzte eine Anzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bekommen. Insofern wäre es auch hier sinnvoll, sich vorher mit der Rechtshilfe in Verbindung zu setzen.

      Strafantrag können Zeugen nicht stellen. Das kann nur derVerletzte.

    7. Öffentliche, gesammelte Übergabe von Strafanzeigen
    8. Wie gesagt: Auch wir sind der Überzeugung, dass die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden müssen. Es geht nicht an, dass die Polizei friedliche Demonstranten mal so eben mit einer Gewaltorgie überzieht und nichts passiert.

      Gleichzeitig wäre es fatal, wenn Einzelne sich jetzt alleine in die Auseinandersetzung mit der Polizei begibt und darin möglicherweise den Kürzeren zieht. Für Euch als Verletzte wäre das schädlich, weil Euch mehr schadet als nutzt. Da kommt dann auch wenig an öffentlich vermittelem Druck bei rum.

      Deshalb wollen wir auf der Versammlung der Verletzten vorschlagen, eine gemeinsame, große Strafanzeige zu fabrizieren, in der wir das gesamte Vorgehen der Polizei darstellen und angreifen, aber auch die „Einzeltaten“ ausgeführt werden. Die Vorschlag wird dann auch beinhalten, die Strafanzeige in einer Demonstration vom Tatort, also dem Park, zur Staatsanwaltschaft zu tragen, um sie dort gemeinsam unter den Augen der Presse abzugeben.

  4. Schadensersatz und Schmerzensgeld
  5. Wer unrechtmäßig verletzt wurde, hat grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Dieses einzufordern macht nach derzeitiger Einschätzung aber erst Sinn, wenn die Unrechtmäßigkeit der Polizeimaßnahme und der einzelnen Gewalttat gerichtlich festgestellt ist. Auf jeden Fall ist es dafür aber wichtig alle Atteste, Rechnungen etc. gut aufzubewahren.

  6. gemeinsame Feststellungsklage gegen den Polizeieinsatz
  7. Eine weitere Möglichkeit, die Unrechtmäßigkeit und Ungeheuerlichkeit des Polizeieinsatzes zu thematisieren, wäre eine Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht. Klageberechtigt ist grundsätzlich jeder, der von der unrechtmäßigen Maßnahme betroffen. Das trifft auf die Verletzten auf jeden Fall zu. Deshalb werden wir Euch auf dem Verletztentreffen vorschlagen, auch diesen Weg zu gehen und diesen Weg gemeinsam zu gehen. Wie das vonstatten gehen kann, werden wir Euch auch bei der Versammlung der Verletzten erklären.

  8. Versammlung der Verletzten
  9. Bitte kommt alle zur Versammlung der Verletzten!

    Ort: Forum 3, Gymnasiumstr. 21, S-Bahn: Stadtmitte
    Zeit: 18 Uhr

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12 Antworten zu Verletztenversammlung am 12.10.2010

  1. Und nicht vergessen die Kampagne von Amnesty International gegen Polizeigewalt in Deutschland zu unterstützen:

    http://www.amnestypolizei.de/

    • Fritz sagt:

      Wir stellen unser Foto und Filmmaterial Amnesty zur Verfügung. Eine direkte Zusammenarbeit ist aufgrund der Neutralität von ai nicht möglich.

  2. Das Bündniss für Versammlungsfreiheit hat hat einen Flyer zum blutigen Donnerstag herausgebracht.

    Hier der Wortlaut:
    Wenn Widerstand zur Straftat wird…

    Der Protest gegen Stuttgart 21 und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit

    Am Donnerstag, den 30. September ereignete sich in Stuttgart etwas, das viele Menschen nicht für möglich gehalten hätten:

    In einem brutalen Polizeieinsatz wurden hunderte friedlich protestierende „Stuttgart 21“ GegnerInnen, darunter Alte, Jugendliche, Behinderte und Mütter mit Kindern mit Wasserwerfern, Reizgas und Knüppeln zum Teil schwer verletzt. Der in zahlreichen Fotos und Videos dokumentierte Polizeieinsatz wurde mit dem angeblichen Begehen einer Straftat begründet.

    Das Bündnis „Jugendoffensive gegen Stuttgart 21“ hatte nachweislich Wochen vorher eine Schülerdemonstration und Kundgebung im Schlossgarten angemeldet. Der Einsatz der Polizei zu diesem Zeitpunkt war illegal.

    Das Brokdorf Urteil
    Versammlungen „enthalten ein Stück ursprünglich – ungebändigter unmittelbarer Demokratie“, urteilte das Bundesverfassungsgericht zu Sitzblockaden. Diese sind verfassungsrechtlich als eine Versammlung nach Art. 8 des Grundgesetzes anzusehen und nicht in jedem Fall als Nötigung.

    Polizeieinsatz wegen Ordnungswidrigkeiten?
    Ministerpräsident Mappus stellt sich uneingeschränkt hinter das brutale Vorgehen der Polizei. Den für den Einsatz verantwortlichen und massiv in die Kritik geratenen Innenminister Heribert Rech nimmt er öffentlich in Schutz und kriminalisiert die Demonstranten.
    Die Regierung Mappus zeigt sich trotz breiter Kritik selbst aus den Reihen von Befürwortern von „Stuttgart 21“ uneinsichtig: „Entschuldigen muss man sich, wenn man Fehler begangen hat.“

    Unser Bündnis macht dagegen die Landesregierung verantwortlich für die eklatanten Verstöße gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und fordert:

    Treten Sie zurück Herr Rech!
    Treten Sie zurück Herr Mappus!

    Statt immer weiterer Einschränkung ist ein fortschrittliches Versammlungsrecht nötig!

    Wir brauchen ein Versammlungsrecht, das spürbare Proteste ermöglicht und denen, gegen die protestiert wird, die Forderungen deutlich macht. Vor einem solchen demokratischen Recht haben nur diejenigen Angst, gegen die sich der Protest richtet.

    Seit Jahren finden Einschränkungen des Versammlungsrechts statt:
    • Die Anfang der 80er Jahre in Zusammenhang mit den Protesten gegen die Atomraketenstationierung vom späteren Bundespräsidenten Roman Herzog eingeführte „Wegtragegebühr“.
    • Die gewaltsame Räumung friedlicher Sitzblockaden wie die vor der Kirche St. Eberhard im Zusammenhang mit den Protesten gegen das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr am 30. Juli 2010 in Stuttgart.
    • Faktisches Demoverbot in der Königsstraße.
    • Schikanöse Auflagen, wie Breite von Transparenten, Beschallung von Plätzen, Bezahlung von Absperrmaßnahmen durch die Veranstalter.
    • Die willkürliche Ablehnung von Demoanmeldern.
    • Das Filmen von Demonstrationen.

    Statt dessen fordern wir:

    • Abschaffung der „Wegtragegebühr“!
    • Einstellung der Verfahren gegen Protestierende!
    • Keine Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit durch Polizei- und Stadtverordnungen.
    • Übernahme aller Kosten, die den Protestierenden durch juristische Verfahren, Verdienstausfälle, medizinische Behandlung usw. entstanden sind.
    • Das Recht für alle, jederzeit und ohne Anmeldung an demokratischen und antifaschistischen Protesten teilnehmen zu können und diese auch organisieren zu dürfen.
    • Schluss mit den Repressionen gegen die SchülerInnen und Lehrer und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die an den Protesten am 30. September teilgenommen haben.

  3. Ursula Caesar sagt:

    Ich wurde am 30.09.2010 leicht verletzt (Pfefferspray bei der
    Besetzung des Polizeifahrzeuges, Einkesselung auf der Wiese mit
    Tränengas oder Reizgasattacke), kann aber heute nicht kommen.
    Wäre es möglich, eine Art Protokoll der Veletztenversammlun
    hier einzustellen?
    Gruss, Ursula Caesar

  4. Matthias sagt:

    Gibt es da nicht einen Paragrafen im GG oder der Verfassung unseres ach so demokratischen Landes, der die Neutralität von Organen wie der Staatsanwaltschaft zu garantieren hat?

    Oder hat das nur „Klopapiercharakter“?

    Zitat:
    „Nur leider leider ist Rech auch der Disziplinarvorgesetzte der Staatsanwaltschaft, die es sich natürlich ungern mit dem Chef verscherzt. Also werden, so ist zu befürchten, auch diese Anzeigen recht schnell abgeschmettert.“

    Persönliches Fazit:
    Obwohl von unser aller Steuergeldern finanziert, dürfen Polizeiapparat & Staatsanwaltschaft als knüppelharte Werkzeuge gegen das eigene Volk mißbraucht werden. Und das auch noch legal!

    Das erinnert mich sehr stark an ein totalitäres Regime.
    Ich hoffte immer, das würde sich niemals mehr wiederholen!

    Ich selbst wurde zwar nicht verletzt, doch was ich mit ansehen mußte, hat mir gereicht!

    • Uwe sagt:

      Nicht nur dass Rech der Disziplinarvorgesetzte ist, die Staatsanwaltschaften sind ja auch tagtäglich auf die Zuarbeit der Polizei angewiesen, mit denen will es sich ein Staatsanwalt natürlich auch nicht verscherzen. Ach ja, genau: Ermitteln tut natürlich die Polizei, auch wenn es um die eigenen Kollegen geht. Korpsgeist lässt grüßen…

  5. Dominik sagt:

    Heute um 19 Uhr findet in Esslingen eine Veranstaltung zu Gewalt gegen Polizisten statt, bei dem auch der Einsatz im Schloßgarten zur Sprache kommen soll.

    http://cdu-ak-polizei-nw.de/index.php?ka=1&ska=3&action=direkt&date=20101012

    Bitte an Esslinger weiterleiten, vielleicht ist jemand so spontan. Oder mit einigen Verletzten nach der Veranstaltung im Forum3 hingehen. Deren Sitzung dauert bestimmt länger.

  6. Dr. Petra Bräutigam sagt:

    Hallo Leute,

    nach meinen Informationen ist eine Fortsetzungsfestestellungesklage der Verletzten (am besten dokumentiert durch Filmaufnahmen) beim Verwaltungsgericht am erfolgreichsten. Denn da kann die Unrechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes vom 30. September gerichtlich festgestellt werden einschließlich der damit verbundenen Schadensersatzansprüche und der administrativen Folgen. Das Ganze kostet auch nicht viel für die Klagenden (336 € Gerichtskosten für 5000 € Schadenseratz). Bei Rückfragen könnt ihr euch gerne an mich wenden.

  7. Hallo Frau Bräutigam,

    auf der Verletztenversammlung hatte ich auch eine Vollmacht unterzeichnet, für eine Fortsetzungsfeststellungsklage zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes. Da die Frist am 30.10. ausläuft, mache ich mir ein wenig Sorgen, ob denn alles auf dem Weg ist. Wissen Sie Details?

    LG
    Dr. Haferbeck
    17.10.10

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