Rede von Karl-Dieter Bodack bei der 168. Montagsdemo

Rede von Prof. Dipl.-Ing. Karl-Dieter Bodack, Bahnexperte, bei der 168. Montagsdemo am 15.4.2013

Liebe Stuttgarter, liebe Landsleute!

Was bewegt uns? Fragen über Fragen! Wie kann es sein, dass gewählte Politiker, dass erfahrene Fachleute, dass Vorstände und Aufsichtsräte ignorieren, was Sie, was wir alles wissen?

Wo liegen die Ursachen dafür, dass hunderte Millionen Euro allein für Planungen ausgegeben, dass 7, 8 oder 9 Milliarden für einen Bahnhof budgetiert werden? 7000 Millionen! Dafür könnten im ganzen weiten Land 1000 Bahnhöfe zu je 7 Millionen gebaut werden! Oder 1000 Schulen!

Diese Milliarden führen vorhersehbar zu nichts -- außer zu Zerstörungen im Herzen dieser Stadt! Scheitert der Tunnelbau nur an 100 Metern der 59 notwendigen Kilometer, treibt das Grundwasser den Bahnhofstrog nur einen Meter nach oben, sackt die Landesbank oder der Rest-Bonatzbau in die Baugrube, so können die Bahnanlagen insgesamt nie in Betrieb gehen. Selbst wenn sie in zwei Jahrzehnten mit weiteren Milliarden fertig werden würden, müsste der Kopfbahnhof erhalten bleiben, da die neuen Anlagen nicht das leisten, was die jetzigen schaffen. Da gibt es eindeutige Gesetze, die die Bahnflächen vor Grundstücksspekulationen schützen!

Was real und wirklich ist und wird, was allein sicher erscheint, das sind die Zerstörungen, Abriss und Abholzung, die Stadtverschandelung durch blaue Pipelines, ein Bauinferno mit tausenden Lastwagenfuhren quer durch die Stadt, Lärm, Staub, Straßensperrungen, U-Bahn-Unterbrüchen … Unsägliches Leid kommt über diese Stadt und ihre Bürger. Dazu kommen Hohn und Spott über weitere Verzögerungen und Verteuerungen, wenn allerorten Scheitern und Versagen offenkundig werden, wenn schließlich der Kopfbahnhof erhalten bleiben muss.

Dann stellt sich heraus, dass die Büros, so sie denn wirklich notwendig werden, auch quer über die Gleise gebaut werden können, dass ein paar Tausend Wohnungen auf den sowieso frei werdenden Flächen Platz finden, dass Züge schon jetzt direkt über die vorhandene Gäubahn aus dem ganzen Land via Kopfbahnhof und Vaihingen in den Flughafen fahren könnten: Wer vernebelt den Fachleuten ihre Köpfe so, dass sie diese einfachen Lösungen nicht erkennen? Wer verschießt Augen und Ohren der Entscheidungsträger, dass sie die Realitäten ignorieren, dass sie keine rationalen Argumente verstehen!

Warum wird allein Stuttgart von diesem Unheil getroffen? Alle anderen Städte haben ja derartige Projekte abgelehnt! Fragen über Fragen! Stuttgarter Rätselwelten! Schwäbische Sozialkultur – eine terra incognita? Fundus für Forschungsprojekte der Fakultäten der Psychologie und Soziologie!

Ich denke, ein erster Schlüssel zum Verstehen steckt in den Botschaften, die dieses Land aussendet: „Wir können alles…!“ posaunt es da in deutsche Landen, „Das Beste oder nichts“ steht über der Stuttgarter Autowelt – Das Beste kommt aus Stuttgart, die Münchener und andere Vehikel sind das „Nichts“! Was sonst keiner schafft – wir schaffen es! Dieser Überheblichkeit stellt sich nun die in Millionen Jahren gewordene Erdnatur entgegen, zusammen mit den unterirdischen Wasserströmen wird sie die Ingenieure in Grenzen weisen.

Weiter sollten wir bei den Ingenieuren nachfragen, warum niemand außer Frei Otto die Kraft und den Mut hatte, zu sagen, was nicht gehen kann. 50 Züge in der Stunde können nicht auf 8 Gleisen halten, zwischen U- und S-Bahn muss der Tiefbahnhof in eine verbotene Schieflage gebaut werden, die Enge der Tiefbaustelle erzwingt zu schmale Bahnsteige und Treppen: Todesfallen, wenn´s da brennt; die notwendigen Steigungen über die Fildern sind ökologisch unverantwortlich! Gewiss: Schwierige Aufgaben verschaffen gute Honorare, je länger geplant und umgeplant wird, desto leichter fließen da Honorare und … je mehr Steuermittel da verfließen, desto stärker wächst die Unumkehrbarkeit des Ganzen!

Da wuchs offensichtlich der Egoismus über den Gemeinsinn – dies wird ja von den Bundesbürgern gern den Schwaben angelastet – hier tritt er tatsächlich zu Tage mitsamt Rechthaberei, der Schwäche, keinen Fehlweg, keinen Irrtum einzugestehen, egal wie virulent er erscheint. Im Polittheater wuchs daraus dann wirkliche Machtsucht: Nicht zuletzt, weil Sie hier auf-stehen und da-stehen, Sie, die Sie doch gar kein Amt, keine Legitimation, vielleicht noch nicht einmal das Recht haben, derart Kritik zu üben. Da sollen Sie lernen: Werden Sie erst einmal Kanzler, Minister, Regierungsrat, bevor sie sich derartige Besserwisserei anmaßen! Oder Staatsanwalt oder Richter: Dann sehen Sie, dass der Rechtsstaat gefährdet ist, wenn sich jemand ungenehmigt auf eine Straße setzt und dass Rechtsverstöße in höheren Ämtern, von Vorständen und Aufsichtsräten doch wohl nicht ernsthaft geahndet werden müssen.

Wenn wir uns nach dem Sinn all des Leides, das über diese Stadt und deren Bürger kommt, fragen, dann finden wir in diesen Hinblicken einen ersten Sinn: Unsere demokratische, unsere Gemeinschaftskultur ist ernsthaft erkrankt, sie hat Krebsgeschwüre, die man mit Arroganz und Überheblichkeit diagnostizieren kann. Sie ist zudem infiziert mit Egoismus und Habsucht, geschürt durch Millionenboni auch der staatlichen Banker. In Stuttgart steht nun eine Art Chemotherapie an: sie verschlingt wertvolles Steuergeld, entstellt die Stadt, sie schmerzt die Bürger … und verspricht doch Diagnose des Leidens durch Selbsterkenntnis und Heilung durch Wandlung, Reinigung und Erneuerung: Stuttgart 21 wird unsere politische Kultur von Grund auf erneuern.

Denn: Bei allen immensen Schäden, zeigt dieser babylonische Turmbau in die Erdschichten und Wassermassen doch auch schon Gutes: Sie alle haben eine neue Kultur des Miteinander initiiert, millionenfache Bereitschaften, für die Stadt und das Gemeinwesen Opfer zu bringen! Sie alle folgen keinem Guru, Führer oder Vordenker: Sie stehen hier, weil Sie sich selbst dazu entschlossen haben! Das ist unsere Stärke, die uns selbst aufrichtet und uns miteinander verbindet.

Jeder von Ihnen pflegt eigene Überzeugungen, folgt seinen persönlichen Idealen – trotzdem finden Sie zusammen, sprechen miteinander, tun Gemeinsames, helfen die Initiatoren, die den Rahmen all der gemeinsamen Aktivitäten schaffen. Auch hier schaffen Menschen – nicht für ihr eigenes Häusle – sondern für eine gute, ja bessere Gemeinschaft. Ich danke den Initiatoren, die allein und mutvoll begonnen hatten, danke den Organisatoren, webmastern und den 1000 Tage durchhaltenden Mahnwächterinnen und Mahnwächtern! Die Entscheider und Machthaber, die Profiteure der Steuerflüsse werden Ihnen all Ihre Opfer, all Ihren Einsatz nie und nimmer danken, auch nicht die Beamten und Polizisten, die unter Ihrer Gesinnung und Ihrem Tun leiden. Danken werden es Ihnen unsere Kinder und Enkelkinder. Und das ist – sage ich als Großvater – mehr wert als alle Achtung und Anerkennung, die wir derzeit hier entbehren!

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2 Antworten zu Rede von Karl-Dieter Bodack bei der 168. Montagsdemo

  1. Fred Heine sagt:

    „Unsägliches Leid kommt über diese Stadt und ihre Bürger.“ … Prof. Bodack spricht es aus! Endlich stehen wir Stuttgarter in einer Reihe mit den Opfern des Bürgerkriegs in Syrien. Endlich auf Augenhöhe mit all den Menschen auf der Welt, die in den Gefangenenlagern in Nordkorea, im Irak und in den afrikanischen Krisengebieten unsägliches Leid erfahren. Die Frauen in Indien werden vergewaltigt … und wir haben einen Bahnhof, der uns mit diesem Elend durch eine unsichtbare Brücke verbindet!

    Tut mir leid, aber da kann ich nur noch zynisch werden!

  2. Petra Herrmann sagt:

    Ja hier sind die wichtigsten Punkte beleuchtet. Das Projekt- um es als Schwabe auszudrücken…so unnötig wie ein Kropf. Wir fühlen uns in keinem demokratischen Staat. Wenn wir OBEN BLEIBER nicht Recht hätten wäre die Bürgerbewegung schon lange verstummt. Die armen Stuttgarter..der Lärm, die schlechte Luft, Verkehrschaos, Geschäfte die leer bleiben, kein schöner Anblick das Ganze, Häuser mit Rissen, Geld das Anderswo fehlt…….Für mich wäre es ein Grosses Wunder wenn das kein Pleiteprojekt gibt. Die Zeit von Höher, Schneller und Weiter stösst an Grenzen…der Preis ist sozusagen heiss.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt..S 21 gehört schon jetzt zu Plrite, Pech und Pannen.
    Ich grüss Euch Alle aus Deutschlands grösster und langanhaltendster Bürgerbewegung.

    LG an Alle Mitgestalter

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