Rede von Martin Poguntke bei der 178. Montagsdemo

Rede von Martin Poguntke, TheologInnen gegen Stuttgart 21, auf der 178. Montagsdemo am 1.7.2013

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!

Mein Name ist Martin Poguntke. Ich bin Pfarrer und aktiv bei den „TheologInnen gegen S21“. Am Samstag vor einer Woche hatte ich endgültig genug. Was die Grünen im Landtag im Blick auf Stuttgart 21 bieten – bzw. nicht bieten – hat mir da endgültig gereicht. Ich bin aus dieser Partei ausgetreten.

Was haben sie uns vor der Landtagswahl alles erzählt: Wie sie kämpfen werden gegen S21, wenn sie an der Regierung sind. Und was ist passiert? Das Gegenteil!

Ich brauche hier nicht zu wiederholen, was ich in meinem Offenen Brief geschrieben hatte. Aber es lässt sich so zusammenfassen: Die Grünen haben sich selbst die Fesseln angelegt, die sie uns nun bedauernd als Gründe vorzeigen, warum sie nichts mehr tun können. Das ist entweder Wählerbetrug oder Politikunfähigkeit.

Die Grünen können doch nicht allen Ernstes jetzt auf einmal anfangen zu behaupten, S21 sei gar kein Rückbau, es sei gar nicht sicher, ob die Leistung des Kellerbahnhofs weniger oder nicht doch mehr sei.

Die Grünen können doch nicht allen Ernstes behaupten, beim Volksentscheid habe die Mehrheit entschieden, dass sie von höheren Kosten als den angegebenen 4,5 Milliarden ausgeht und dem zustimmt.

Die Grünen können doch nicht allen Ernstes behaupten, beim Volksentscheid sei entschieden worden, dass Stuttgart 21 auf Teufel komm raus gebaut werden soll – ganz egal, welche technischen, finanziellen oder Sicherheitsprobleme noch auftreten.

Die Grünen können doch nicht allen Ernstes behaupten, sie hätten nicht(!) mehr die Pflicht – im Interesse der Bürger – auf jeden kritischen Punkt des Projekts mit allen grünen Zeigefingern zu zeigen.

Natürlich gehört es zum Politikbetrieb, dass man auch dem Gegner gegenüber Kompromisse machen muss. Aber dann darf ich nicht danach die Positionen des politischen Gegners auch noch selbst vertreten. Das ist unanständig. Das ist politisches Harakiri.

Natürlich stehen die Grünen in der Landesregierung unter unheimlichem Druck durch Lobbyisten, Medien, politische Gegner. Natürlich ist deshalb klar, dass sie nicht einfach alles, was sie mal wollten, auch durchsetzen können. Aber sie gehen mit diesem Druck viel zu opportunistisch um, sind konfliktscheu, lassen sich von der SPD erpressen, statt Politik zu machen. Und Politik machen heißt, selbst Druck aufbauen, selbst Kampagnen fahren, selbst den Gegner in Schwierigkeiten bringen – auch den Koalitionspartner. Das fordern wir von den Grünen.

Und wenn ihnen der Druck der S21-Befürworter zu groß ist, dann werden wir sie unseren(!) Gegendruck spüren lassen. Und wenn sie keine Ideen mehr haben, was sie noch machen könnten, dann helfen wir(!) ihnen mal etwas beim Nachdenken: Zunächst: Stuttgart 21 muss im Bundestagswahlkampf ein bedeutendes Thema der Grünen sein. Dabei reicht es nicht, wenn die Stuttgarter(!) Grünen das tun. Die Hauptkräfte pro S21 wirken auf Bundesebene. Deshalb muss S21 auch bundesweit Thema sein. Das zu organisieren erwarte ich von den Grünen. Aber Stuttgart 21 darf nicht nur „Thema“ sein im Wahlkampf! Da haben wir schon viel zu viele bloße Worte von den Grünen gehört. Nein, ich will schon vor der Wahl konkrete Taten sehen. Alles andere ist für mich billiges Wahlkampfgetöse.

Was für Taten? Da erwarte ich zu allererst, dass die Landesregierung durch eine Feststellungsklage klären lässt, ob das Land zur Finanzierung von Mehrkosten verpflichtet werden kann oder nicht. Denn solange das nicht geklärt ist, kann die Bahn noch Jahre lang weiterbauen und Fakten schaffen. Und irgendwann wird es für keine Regierung der Welt mehr politisch durchsetzbar sein, den Weiterbau nicht auch weiter zu finanzieren. Wer es ernst meint mit dem Kostendeckel, der muss eine Feststellungsklage einreichen.

Es reicht aber nicht, dass die Landesregierung eine solche Klage lediglich prüft. Das kann lange gehen und wird nach der Wahl vergessen sein. Diese Klage muss vor der Bundestagswahl eingereicht sein, sonst sehen wir nach der Wahl nichts mehr davon. Wir wollen Taten sehen – und zwar bereits vor der Wahl! Das ist das Eine.

Das Zweite ist: Am 31. August steht die nächste Ratenzahlung des Landes an die Bahn an. Die darf nicht bezahlt werden. Eine Landesregierung begeht Untreue zum Schaden der Steuerzahler, wenn sie weiteres Geld in ein solch ungeklärtes Projekt pumpt, von dem ausgesprochen fraglich ist, ob es jemals zu Ende gebaut werden kann. Außerdem ist auch vertraglich geregelt, dass die Raten des Landes erst gezahlt werden, wenn bestimmte Baufortschritte erreicht sind. Da ist die Bahn aber meilenweit im Rückstand. Es ist ja noch fast nichts gebaut.

Und schließlich ein Drittes: Das Verkehrsministerium muss endlich die Kritik von Wikireal am Stresstest überprüfen. Die Gründe, die man bei der Landesregierung angibt, warum man das nicht könne, sind vorgeschoben. Sie können, wenn sie wollen. Und das fordern wir von den Grünen!

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, lasst uns diese Forderungen lautstark erheben. Wer, wenn nicht wir, sollte das tun? Wer, wenn nicht diese erfolgreiche Bewegung gegen Stuttgart 21?!

Ist Ihnen das eigentlich bewusst, wie(!) erfolgreich wir bislang waren? Wer hätte denn z.B. noch im Sommer 2010 wirklich geglaubt, dass es uns gelingt, Stuttgart 21 auch nur über die Grenzen Stuttgarts hinaus bekannt zu machen? Aber unsere zähe und hochkompetente Aufklärungsarbeit war und ist es, die dazu geführt hat, dass inzwischen S21 europaweit bekannt ist als DAS Beispiel für verfehlte Politik und verfehlte Planung.

Das haben wir nicht auf einen Rutsch geschafft. Sondern mit vielen kleinen Schritten. Und bei jedem Schritt haben wir uns gefragt, ob er sich denn lohne. Und wenn ich nun die Summe betrachte der letzten drei oder vier Jahre, dann kann ich nur sagen: Machen wir weiter mit diesen vielen kleinen Schritten. Keine einzelne Aktion wird S21 beenden. Kein einzelner Weg wird der entscheidende sein, weshalb man die andern alle lassen sollte. Sondern die Vielfalt macht uns stark.

Ich bin aus den Grünen ausgetreten. Was für ein kleiner Schritt. Aber er hat Wirkung. Es bewegt sich etwas: Der Stuttgarter Kreisverband meldete sich vergangenen Montag auf einmal zu Wort, dass Stuttgart 21 natürlich Thema auch im Wahlkampf sein müsse. Grüne Politiker signalisieren, dass sie meinen Austritts-Brief als Unterstützung für ihre Arbeit gegen S21 empfinden. Grüne Funktionsträger äußern die Hoffnung, dass sich dadurch an der Grünen Basis endlich etwas bewegt, dass sie die Landespartei unter Druck setzt. Scheinbar unbedeutende Aktionen machen den Grünen Druck. Und den brauchen sie auch.

Also:

  • Schreiben wir massenhaft Briefe an Grüne in Land und Bund, an Regierung und Medien!
  • Fordern wir zunächst diese drei Dinge: Feststellungsklage, Stopp der Zahlungen, Wikireal-Überprüfung!
  • Organisieren wir unter Grünen Noch-Mitgliedern einen Protest, den die Oberstrategen nicht übergehen können.
  • Machen wir phantasievolle Aktionen dazu!
  • Und vergessen wir die SPD nicht!

Gerade die Zeiten vor einer Wahl sind hervorragend geeignet, Politiker unter Druck zu setzen. Wir sind viel stärker als wir glauben.

Jawohl: Die Mächtigen in Wirtschaft und Politik heißen Mächtige, weil sie Macht haben. Aber sie haben nicht alle Macht; sonst müssten sie Allmächtige heißen. Und Allmächtige sind sie nicht – als Pfarrer weiß ich das.

Deshalb: Nur weil wir nicht allmächtig sind, brauchen wir nicht zu glauben, wir seien gar nicht mächtig. Wir haben Macht, und die haben wir genutzt, und die werden wir nutzen und einsetzen in den nächsten Wochen und Monaten.

In diesem Sinne: Oben bleiben!

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2 Antworten zu Rede von Martin Poguntke bei der 178. Montagsdemo

  1. Uwe sagt:

    Seine Begründung für seinen Austritt war substantiell besser.

  2. Ed Riley sagt:

    STUTTGART/BERLIN dpa | Stuttgart 21 und die Grünen: Auch nach der grundlegenden Entscheidung der Bahn, dass das mit mindestens 6,5 Milliarden Euro veranschlagte Bahnprojekt kommt, bleibt das Thema innerhalb der Partei umstritten. Zum einen geht es um die Frage, ob die Grünen versuchen sollten, im nahenden Bundestagswahlkampf Kapital aus dem Thema zu schlagen.

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