Rede von Nina Picasso bei der 197. Montagsdemo

Liebe Mitstreiter und Mitstreiterinnen,

hier steh ich nun stellvertretend für elf sogenannte militante Dachbesetzer (militante Parkschützer wurden wir genannt laut Ermittlungsbericht S. 49). Der Anklagepunkt: Hausfriedensbruch.

Wie schon bekannt besetzten wir 2012 den letzten Südflügelrest des Bonatzbaus, um eine Banneraktion durchzuführen. Wir wiesen auf die sinnlosen Zerstörungen in Stuttgart, auf die Pressekonferenz zu Wikireal und den manipulierten Stresstest hin.

Eine Gerichtsverhandlung ist nicht angenehm, aber das nehmen wir, die wir zivile Aktionen durchführen, in Kauf. Wir wissen, wir können verurteilt werden und heute wurden wir verurteilt. Es waren unterschiedliche Tagessätze von zehn bis 20 und unterschiedliche Tagessatzhöhen von 20-40 Euro. Ich kann jetzt nicht die vielen Punkte der Verhandlung aufzählen, aber zwei Bemerkungen dazu. Unsere stichhaltigen Argumente wurden einfach als Meinung abgewertet. Es ist auch erstaunlich, dass unsere Aktionen und die Bewegung als politisch bewertet werden. Kaum stehen wir vor Gericht, sind wir „normale Straftäter“ und das Politische zählt nicht mehr trotz unserer Einlassungen. Den Prozessbericht könnt Ihr in ein paar Tagen bei  Bei Abriss Aufstand nachlesen.

Aber was ist schon eine Gerichtsverhandlung und eine Verurteilung im Gegensatz zu unserer Sorge um die Zukunft von Stuttgart, welche durch ein zerstörerisches und völlig überteuertes Projekt wie S21 bedroht ist. Unsere Legitimation ist das Wissen um die Dauerstraftat Stuttgart 21 und dem unrechten Verhalten der Politik und dem Konzern DB AG. Wir führen politische Prozesse. Unsere Einlassungen sind dazu wichtige Werkzeuge vor Gericht, die unsere Motivation und Legitimation aufzeigen: Dazu einige Auszüge:

Myriam: Wie kann ich Kinder gut ins Leben begleiten, wenn wir nicht dafür sorgen, dass unsere Lebensgrundlagen, auf die wir angewiesen sind, erhalten bleiben? S21 ist ein gefährliches und zerstörerisches Projekt.
Andrea: Es ist ein Projekt, das für Stadt- und Kulturzerstörung steht. Was hier in Stuttgart geschieht, ist kein Einzelfall; es geschieht bundesweit, in ganz Europa, weltweit. Es hat System. Unnütze Großprojekte garantieren Konzernen und Banken ihren Profit. Die Aktion des Zivilen Ungehorsams ist Element einer reifen politischen Kultur.
Simone: Wenn der Aufenthalt auf einem Bahnhofsdach und das Aufhängen eines Transparentes dazu führt, dass ich von der Polizei als militant bezeichnet werde, in einer Datenbank zur Inneren Sicherheit gespeichert bin und eine Akte beim Staatsschutz über mich angelegt wird, dann sagt dies mehr über den machtpolitischen Zustand dieses Landes aus als über mich.
Nina: Öffentlichkeitswirksame Aktionen helfen gegen das Vergessen, das Vertuschen von kritischen Punkten und unwahren Aussagen seitens der Politik und des Konzerns DB AG.

Ein weiterer Bruch im Glauben an das Recht kam für mich, als die hiesige Staatsanwaltschaft der Anzeige gegen die Bahnverantwortlichen wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr keine Folge gab, obwohl der Konzern monatelang Reisende durch Abrissarbeiten und das instabile Dach gefährdete. Nicht einmal ein Bußgeld hat die Bahn erhalten. Nichts!!! Ein Freifahrtschein für die Zukunft, muss die Bahn doch trotz massiven Fehlverhaltens keine ernsthafte juristische Verfolgung fürchten.

Einige von uns bekamen ein Bußgeld weil wir beim Bannerhalten vor dem Bauzaun einem Befehl eines Polizeibeamten zu gehen nicht Folge leisteten. Weder ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Versammlungen und das Versammlungsgesetz selbst ,die uns die Legitimation dazu gaben, zählten vor Gericht.

Das heißt: Gehorsamsverweigerung wiegt schwerer als Gefährdung von Menschenleben und Betrug durch die Bahn. Wo ist hier seitens der Justiz die Verhältnismäßigkeit? Wo ist das Recht und die Gerechtigkeit? Wer schützt noch die Schwachen?

Durch dieses Ungleichgewicht lassen wir uns aber nicht beirren. Wir kämpfen weiter.

Wir bekommen viel Solidarität. Das ist wichtig. Wir haben alle dasselbe Ziel: Stuttgart 21 beenden. Viele verschiedene Wege führen dahin: die Recherche-arbeiten, die juristische Arbeit, die Mahnwache, die Aktivisten, die zivile Aktionen durchführen ob spektakuläre Blockaden oder Besetzungen, die Demoteilnehmer, die Öffentlichkeitsarbeit, die Bürgerbegehren usw.

Jeder Weg ist gleichberechtigt und verdient Toleranz. Wer weiß schon, welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt. Nur zu Hause schimpfen hilft nicht. Wir sind nicht nur verantwortlich für das was wir tun, wir sind auch verantwortlich für das, was wir nicht tun. Wir tragen Verantwortung für die kommenden Generationen.

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