Rede von Peter Conradi bei der 208. Montagsdemo

Rede von Peter Conradi, Architekt und SPD-Mitglied gegen Stuttgart 21, auf der 208. Montagsdemo am 3.2.2014

Zusammen bleiben, freundlich bleiben, oben bleiben!

Liebe Freunde,

1. Das Fass S21 wird überlaufen

Bei einer Montagsdemonstration sprach ein Redner vom ‚Fass Stuttgart 21‘, das überlaufen wird. Ja, S21 steht im Regen, aber keiner kann sagen, bei welchem Tropfen das Fass überlaufen wird, zum Beispiel:

  • wenn die Planfeststellung für die Filderstrecke und den Flughafenbahnhof scheitert;
  • wenn die zusätzliche Grundwasserentnahme und der Düker nicht genehmigt werden;
  • wenn die Bahn kein genehmigungsfähiges Sicherheitskonzept für den Brandschutz vorlegt;
  • wenn der lang erwartete Bericht des Bundesrechnungshofs höhere Kosten nennt;

usw usw. Das sind nur einige von vielen Tropfen, die das Fass S21 zum Überlaufen bringen können. Der letzte Tropfen könnte die Unfähigkeit der DB sein, das groteske Mammutprojekt genehmigungsfähig zu planen und zu bauen. Was lernen wir daraus? Was gegen S21 und für K21 unternommen wird, ist wichtig und notwendig. Keiner weiß, welche der vielen Initiativen und Aktionen der letzte Tropfen sein wird; deshalb wollen wir fröhlich und zuversichtlich unsere Ideen und Aktionen weiter verfolgen in der Gewissheit, dass S21 schlussendlich scheitern und K21 oben bleiben wird.

Ein Wort zur Volksabstimmung 2011: Die Behauptung, damit seien alle anderen Fragen erledigt und jetzt würde S21 gebaut, ist falsch, denn diese Volksabstimmung setzt weder das Planungsrecht noch das Haushaltsrecht, auch nicht das Strafrecht und schon gar nicht die Sicherheits- und Brandschutzvorschriften außer Kraft. Es wäre gut, wenn Presse und Rundfunk das einmal berichten würden. Ich teile unsere Kritik an dieser Volksabstimmung, aber es lohnt nicht, darüber zu diskutieren. Die S21-Befürworter werden das schon noch merken, wenn einer der eben zitierten ‚Tropfen‘ das Projekt zum Scheitern bringt.

2. Wir müssen uns vertragen und zusammen bleiben

Natürlich gibt es in einer Volksbewegung so wie in einer politischen Partei Meinungsunterschiede, Konflikte, Streit über den richtigen Weg, Fundis und Realos, Übereifrige und Skeptiker – wir brauchen sie alle, auch wenn dabei einige Gruppierungen unterschiedliche Wege gehen. Unser gemeinsames Ziel bleibt, S21 zu verhindern. Wir müssen untereinander verträglich sein, uns gegenseitig respektieren, und den breiten Konsens für gemeinsame Lösungen suchen. Rechthaberische Alleingänge nach dem Motto „Wir sind die Aktiven, wir sind die Besten, wir machen das so, wie wir wollen und kümmern uns nicht um die Anderen“ sind nicht hilfreich.

Eine Volksbewegung muss lernfähig sein, muss aus den eigenen Aktionen und Argumenten lernen und sich nicht aufgeregt-aktionistisch, sondern rational verhalten. Die Arbeit geht weiter: zum Beispiel die Arbeit der ArchitektInnen, der Geologen, der Ingenieure, der Juristen, des Montagsdemo-Teams, der Mahnwache, der Parkschützer, und die Arbeit für die Informationen durch den RA Zuleger, durch FlügelTV, ferpress und Timo Kabel, die Arbeit im Aktionsbündnis, von Leben in Stuttgart, im VCD, im BUND und in den Netzwerken in den tunnelgefährdeten Stadtteilen. Für alle diese Arbeiten sollte gelten: Wir wollen freundlich, nicht rechthaberisch miteinander umgehen. Die große Mehrheit der Gegner von S21 und Befürworter von K21 will friedlich und gewaltfrei agieren.

3. Wir müssen freundlich bleiben und in Stuttgart politisch mehrheitsfähig sein.

Bei Umfragen äußert sich eine Mehrheit der StuttgarterInnen skeptisch zu S21. Daraus wollen wir eine solide, tragfähige politische Mehrheit gegen S21 machen, durch Argumente, vor allem durch Zeigen der Alternative, denn wir sind ja nicht nur gegen S21, sondern für einen sanierten und ertüchtigten Kopfbahnhof K21. Überzeugen werden wir nicht durch Geschrei und Provokation. Ich verstehe, dass manche unter uns wütend und laut sind, aber mehrheitsfähig werden wir nicht mit unserer Wut, nicht mit Geschrei und Lärm, sondern mit klarem Kopf. Wir sind eine ernsthafte, friedliche Bewegung, keine tea party!

Die harten S21-Befür-worter sind unbelehrbar und pöbeln herum, weil sie keine Argumente haben. Wir haben gute Argumente, wir müssen niemand beschimpfen, wir wollen vielmehr die vielen S21-skeptischen StuttgarterInnen freundlich überzeugen, statt sie zu ärgern und zu provozieren. Wer meint, er müsse sich über die Anordnungen der Polizei und der Gerichte hinwegsetzen und demonstrieren, wo er will, der irrt. Wir kämpfen doch nicht gegen die Polizei, sondern gegen S21 und für K21. Es geht nicht darum, welche Aktionsformen uns gut tun, es geht darum, wie und mit welchen Aktionen wir möglichst viele Menschen erreichen und überzeugen. Und in dem Maß, in dem jetzt schon stückweise erkennbar wird, welche schrecklichen, jahrelangen Auswirkungen S21 auf den Verkehr in Stuttgart haben wird, werden die BürgerInnen unserer Stadt mit unserer Hilfe erkennen, dass S21 schlecht für Stuttgart und schlecht für die Bahn ist.

Zu den Parteien: Die Grünen machen Fehler, wie wir auch. Im Stuttgarter Gemeinderat agieren sie sachkundig und entschieden gegen S21; im Land wünsche ich sie mir energischer. Aber es ist kurzsichtig, die Grünen zu beschimpfen, denn sie haben im Landtag nur ein Viertel, im Gemeinderat nur ein Drittel der Sitze, das heißt im Landtag wie im Gemeinderat gibt es klare Mehrheiten für S21. Ich verstehe, dass Winfried Kretschmann diese grün-rote Koalition nicht wegen S21 scheitern lassen will, aber ich finde, die Grünen in der Landesregierung und im Landtag sollten sich nicht aus der Diskussion über S21/K21 davon schleichen, sondern ihre Position öffentlich deutlich vertreten.

Und ich frage die unter uns, die ständig die Grünen beschimpfen: Warum redet Ihr nicht gegen die CDU und die SPD-Führung, die starrsinnig an S21 festhalten? Mit wem, wenn nicht mit den Grünen und den SÖS/Linken und vielleicht einigen S21-kritischen SPD-Leuten wollt Ihr politisch etwas bewirken? Es gibt übrigens in Stuttgart neben S21/ K21 auch andere Probleme, zum Beispiel fehlende Wohnungen, sanierungsbedürftige Schulen, fehlende Kindertagesstätten, die Energiewende, der Feinstaub und und – und da sind mir ein grüner OB und eine grün-rote Landesregierung alles in allem doch deutlich lieber als eine schwarz-rote oder schwarz-grüne Mehrheit. Jetzt kommt die Gemeinderatswahl am 25. Mai, und da müssen wir uns anstrengen, damit die Pro-S21-Stadträte im Rathaus endlich ihre Mehrheit verlieren.

Wer Mehrheiten will braucht Zeit, Kraft und Geduld. Vor 45 Jahren wurde heftig um eine neue, friedliche Ostpolitik gestritten, später um die Anerkennung der DDR, der §175 StGB wurde abgeschafft – glaubt Ihr, das ging alles so hopphopp und von selbst? Das hat jahrelange politische Überzeugungsarbeit gekostet. Wenn wir im Streit gegen S21 und für K21 Erfolg haben wollen, dann müssen wir – und ich hoffe, dass die übergroße Mehrheit von Euch, von Ihnen das auch so sieht und so handelt – dann müssen wir zusammen bleiben, freundlich bleiben und oben bleiben.

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4 Antworten zu Rede von Peter Conradi bei der 208. Montagsdemo

  1. Tom sagt:

    Ich kann in dieser Rede, die ich nicht gehört, aber nun gelesen habe, einiges abgewinnen. Zum Beispiel, dass „eine Volksbewegung […] lernfähig sein [muss], […] aus den eigenen Aktionen und Argumenten lernen [muss].

    Dieser Satz steht jedoch diametral zum vorletzten Abschnitt. Wer heute immer noch ernsthaft fragt, warum die Grünen „ständig beschimpft“ und die anderen Pro-Parteien nicht, ist nicht lernfähig, geschweige denn einsichtig. Es ist bei den Pro-Parteien ja a priori so, dass diese für S21 sind und dementsprechend agieren und auch kritisiert werden.

    Die Grünen hingegen haben bis vor der Landtagswahl 2011 so agiert, als sei das Projekt politisch so beeinflussbar, wenn man sie nur wählen würde, dass es gestoppt wird. Viele grüne Klein- und Großpolitiker traten regelmäßig bei den Montagsdemos auf und wetterten regelrecht gegen S21. Legendär die Auftritte des heutigen Verkehrsministers BW und allen voran des Ministerpräsidenten, der sogar die Verfassungswidrigkeit der Landesfinanzierung immer als Argument kundtat. Auch heute noch unter:

    http://grüne-bw.de/themen/verkehr/news/article/landesgelder-fuer-stuttgart-21-sind-verfassungswidrig/

    nachzulesen. Ich zitiere Herrn Kretschmann daraus: „….Mit uns wird es keine Fortsetzung des Verfassungsbruchs geben.“
    Sreenshot vorhanden)

    Das Nichthandeln der Grünen nun damit zu rechtfertigen, wie es Herr Conradi tut, dass diese die Koalition mit der SPD nicht aufs Spiel setzten möchten, heißt ja im Umkehrschluss, dass die Grünen ihre „Versprechungen“ vor der Landtagswahl 2011 nur unter der Prämisse abgegeben haben, dass sie alleine, also mit absoluter Mehrheit, regieren können. Hier entbehrt sich dann jeder weitere Kommentar.

    Nein, es ist schon so, die Grünen haben den Protest gegen S21 als Sprungbrett an die Macht benutzt und nichts, aber auch gar nichts gegen das Projekt unternommen.
    In meinem Wertesystem ist genau das oben beschriebene der Grund, warum ich „kein gutes Haar“ an den Grünen lassen kann. Sie agieren und taktieren aus Machtgründen genauso wie die anderen Parteien, geben aber vor es anders, bürgerfreundlicher, ehrlicher zu machen. Dies ist aus meiner Sicht mindestes verwerflich.

    Auch der Verweis darauf, dass die Basis ja möchte, aber die Machtpolitiker es nicht zulassen, zeigt ja nur, dass Parteien eigentlich sinnlose, postdemokratische Herrschafts- und Machtinstrumente sind, wenn das so ist.

    Die Grünen m ü s s e n „ständig beschimpft“ werden, da sie eine historische Chance vertan haben. Die Chance auf etwas mehr Vertrauenswürdigkeit in der Politik und ihre Akteure. Sie müssen „ständig beschimpft“ werden, da sie sich eben nicht mit den anderen Protestformen des „Widerstandes“ gegen S21 solidarisieren, sondern mit Blick auf die Kommunalwahlen, diese auch noch diskreditieren. Wie jämmerlich, wie aufschlussreich, wie bestätigend!

    „So ist halt Politik“ höre ich allenthalben von Bekannten. Ja, mag sein. Aber diese Politik (und mit ihr diese Parteien) ist überflüssig!
    Wäre schön, wenn wir dies als „Bewegung“ gelernt hätten – für die Kommunalwahl. Bei mir geht es immer noch um Wahrheit, nicht um Mehrheit.

    • K. Neumann sagt:

      „Sie agieren und taktieren aus Machtgründen genauso wie die anderen Parteien, geben aber vor es anders, bürgerfreundlicher, ehrlicher zu machen. Dies ist aus meiner Sicht mindestes verwerflich.“ Mindestens weglassen. Ich setze dafür „schlimmer als nur“. Oder besser: charakterlich unterste Schublade. Und wenn eine Frau Lösch in der Liederhalle seinerzeit genau in diesem Zusammenhang betont hat, dass man schliesslich nicht allein regiere, dann könnte man doch mit nur etwas Charakter mal schauen, wie weit die Landes-SPD geht, wenn der grüne MP in einem Überraschungscoup seine Position nutzt, das Projekt als das darzustellen, was es ist. Dann bliebe den Roten die Spucke weg, wenn der MP mit der Autorität des Amtes die Wahrheit sagen würde und die gesamte Landespresse an den Lippen des MP hinge und sie würden sich schicken. Samt den restlichen Tunnelparteien.

      Wenn die Grünen aber so miserabel sind wie sie es sind, dann hat der Koalitionspartner allen Grund dazu, weiterhin auf seine eigene Schmiedel- und Drexler-Erbärmlichkeit zu pochen. Der grüne MP hat sich selbst zur Lusche gemacht. Nur er merkt es nicht. Und es wird ihm auch später nicht aufgehen. Die Goldene Narrenschelle, Mohrenwäsche und Froschkuttelnessen, hier http://www.schwaebische.de/region/biberach-ulm/riedlingen/stadtnachrichten-riedlingen_artikel,-Kretschmann-laesst-sich-Froschkutteln-schmecken-_arid,5392397.html das ist das Niveau. Landesverfassung, öffentliches Recht oder Grundgesetz, Fehlanzeige. Man wurde gewählt und ist demokratisch legitimiert. Dann darf man auch beim Quorum mit politischer Gestaltungskraft neben der Verfassungsvorgabe der Gleichstellung operieren und sich der SPD auch da anbiedern, wo man es besser nicht getan hätte.

      Das grüne Thema hat sich selbst erledigt. Sie sind schlimmer als jene, die ehrlich sagen, wofür sie stehen, wie z. B. Hauk in Hirschberg, als er noch während der laufenden Schlichtung vermerkte: “Ob das 10 oder 15 Milliarden kostet, kann Baden-Württemberg wurscht sein.”

  2. Liane sagt:

    Lieber Peter, wer sich selbst erhöht….
    wenn du genau zugehört hättest, dann wüsstest du es wird seit Jahrzehnten gegen ALLE Parteien gewettert—deutschlandweit—
    so auch hier: „wir“ schimpfen gegen Mappus/Hauk/Kotz CDU, „wir“ schimpfen gegen Schmid/Schmiedel/Blind SPD, „wir“ schimpfen gegen Goll/Rülke/Serwani/Billionen-Conz….

    das WIR und das IHR:
    hier wird es doch mal nötig: bevor ich andere kritisieren mal selber mit gutem Beispiel voran gehen und die eigenen Fehler „brutalst möglich“ kritisieren!
    1. „Wir“ (oder ihr diejenigen nicht, die laut aufschreien!!) sollten uns nicht selber als Radikal hinstellen wo „wir“ seit 4 Jahren offen (auf der Strasse) und seit Jahrzehnten leise (in Veranstaltungen, in Bürgerbegehren, in Aufklärungsrunden) bewiesen haben WIR sind friedlich („…und was seit ihr?“…war doch genial der Satz unserer Jugendlichen, oder?)

    2. „Es gibt übrigens in Stuttgart neben S21/ K21 auch andere Probleme, zum Beispiel fehlende Wohnungen, sanierungsbedürftige Schulen, fehlende Kindertagesstätten, die Energiewende, der Feinstaub und und “

    da hab ich mich schon im Faktencheck darüber aufgeregt dass IHR diese Themen nicht angegangen seid….denn jede Mutter weiss: es fehlt Geld an Stgt. Schulen und/oder Sozial- und Kultureinrichtungen……
    aber wo wart IHR?

    3.“Rechthaberische Alleingänge nach dem Motto „Wir sind die Aktiven, wir sind die Besten, wir machen das so, wie wir wollen und kümmern uns nicht um die Anderen“ sind nicht hilfreich.“
    tja da haben sich so einige selbst ermächtigt und sich von der Basis entfernt und diese dann kaum noch mit den Hintern angeschaut! IHR solltet unbedingt mal die Vorgänge VOR der VArce kritisch hinterfragen…wer unbedingt dafür war und sie durchziehen wollte, sie als alternativlos darstellte… und anschliessend wochenlang in den Hinterzimmern verschwanden.

    und lust but not least: die Geschichte der S21-Bewegung zeigt:
    wenn „wir“ leise sind, dann hört keiner zu!
    wenn wir laut sind, dann sind alle sauer weil „wir“ zu laut sind und hören nicht zu! und fragt sauer warum „wir“ denn nicht schon eher, obwohl „wir“ ja schon eher aber….

    all jene die wieder den Ruhezustand haben wollen, den der Ingenieure, der Politiker, der Juristen:
    Wie viel habt ihr vor 2010,
    dem Beginn von laut-sein, von Blockaden, von Strassensperren,von Trillerpfeifen, Besetzungen, von Kreuzungs-spaziergängen, von… erreicht?

  3. Doris sagt:

    Das Schlimmste ist, dass sich Einige der Bewegung selbst erhöht und entgegen jeder Demokratischen Gepflogenheit ohne Wahl, ohne Legitimation, ohne Nachweis „Vertreter“Posten gegeben haben. Sie können nicht entlassen, nicht abgewählt, nicht degradiert werden….
    und D
    DIE Bewegung wurde quasi als „erobertes Gebiet“ zum Verteilen ausgerufen….
    jeder der selbst Ermächtigten fühlt sich als Weisungs-Befugter der Bewegung, als Chef, als Besitzer!!
    Nun bin ich kein erobertes Gebiet, sondern Mensch und
    gerade Widerständler zeichnet ihr Widerstandsgeist aus: warum also sollten sie „kuschen“ wenn´s der „Führer“ so will?

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