Kundgebung in Karlsruhe : Keine politische Beeinflussung der Justiz!

Demonstration und Kundgebung am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 17.5.2014.

Politische Beeinflussung der Justiz? Staatsanwaltschaften, Richter, Polizei, … beeinflusst von rechts, links, oben, unten? Natürlich nicht, ruft das Justizministerium, wo kämen wir denn sonst hin!?
Schon diese vehemente Abwehrhaltung wirft die Frage auf, wovor eigentlich die Justiz Angst hat, wenn sie gebetsmühlenartig wiederholt, ihr Handeln sei „unabhängig und neutral“. Darüber kann man spekulieren, doch im Rahmenbefehl des Innenministeriums (inzwischen in der 3. Auflage und der Öffentlichkeit nicht in schriftlicher Form vorliegend) mit seiner genauen Ausformulierung eines Feindbildes wird der Eindruck erweckt, die Politik sähe sich einem Umsturz gegenüber.

Das Buch von Hrsg. Jörg Lang „Politische Justiz in unserem Land“ (siehe Rezension) stellt genügend Beispiele heraus, die deutlich und erschreckend aufzeigen, um was es geht. Es ist die Angst von Politik und Justiz vor der Mündigkeit des Bürgers, der sich in seinem Handeln auf das Grundgesetz beruft. Vielleicht haben die Väter des Grundgesetzes gar nicht damit gerechnet, dass die Bürger diese schmale Broschüre wirklich lesen und auch noch merken, dass das etwas mit ihnen zu tun haben könnte.
Das Problem mit dem Grundgesetz: Bei Demonstrationen, Protesten und Kundgebungen wähnen sich die Protagonisten auf dem Boden des Grundgesetzes, vor allem, wenn es um die Artikel 5 (Meinungsfreiheit) und 8 (Versammlungsfreiheit) geht. Polizei und Justiz versuchen – nicht immer, aber viel zu oft - , das Grundgesetz vor dem Bürger zu schützen, indem sie die Gültigkeit genau dieser Artikel für genau diese „Klientel“ in Frage stellen.

Einer Gruppe von S21- Gegnern, die sich seit Jahren mit dem Thema S21 und Justiz“ beschäftigen, ließ es keine Ruhe, immer nur im Stuttgarter Kessel mittels Einlassungen vor Gericht, bei Kundgebungen, auf der Montagsdemo, in Artikeln, mit Mails und Briefen juristische Fragen zu stellen (die nicht beantwortet wurden) und ihren Unmut zu äußern.

„Nach Karlsruhe gehen“, ist ein geflügeltes Wort mit der Bedeutung, durch alle juristischen Instanzen zu klagen, bis man bei den Schützern des Grundgesetzes angekommen ist, beim Bundesverfassungsgericht (BVG). Am Samstag, 17. Mai, ging es nicht um juristische Klagen, es ging um Protest und Mahnung. Es sollte in Karlsruhe, in der „Residenz des Rechts“, gegen juristische Willkür und die Beeinflussung der Justiz durch politische Vorgaben protestiert werden. Nina Picasso und Richter a. D. Reicherter hatten die Kundgebung am Bundesverfassungsgericht vorbereitet. Mit Bahn, Bus und eigenem Fahrzeug waren 80 DemonstrantInnen aus Stuttgart angereist, unterstützt durch Mitstreiter von „Baden gegen S21“.

Sie trafen sich um 11 Uhr vor dem Karlsruher Hauptbahnhof und zogen mit Bannern und Unterstützung von Capella Rebella durch die Innenstadt von Karlsruhe. „Verantwortliche bestrafen statt überwachen!“, forderte das Frontbanner, welches Demonstranten in Sträflingsanzügen hielten. Angeführt wurde der Zug durch Justizia mit verbundenen Augen, aus derer Taschen Bündel von Geldscheinen hingen und deren Schwert die Grund-Rechte durchteilt hatte.

Es ging zunächst zum Friedensplatz. Hier spielte die K21-Theatergruppe eine Realsatire zum Thema „ Weiße Kreuze an bedrohten Bäumen“. Eindrucksvoll führte das Stück die Ereignisse um die Aktivistin Antonietta vor Augen und zeigte, zu welch absurden Eskapaden die Stuttgarter Justiz fähig ist. (Einen Strafbefehl und hohe Bußgeldforderung hatte A. bekommen, da sie die zum Schreddern bestimmten Bäume im Rosensteinpark mit abwaschbarer Farbe „verschandelt“ haben soll.) Die 15-minütige Szene verdeutlichte, wie peinlich das Handeln der Justiz in Stuttgart ist, wenn es um die Verfolgung von Parkschützern geht.

Weiter ging der Demozug bis vor das Bundesverfassungsgericht, das gerade renoviert wird und von einem Bauzaun umgeben ist. Die während der Bauphase am Zaun angebrachten großen Plakate zeigten Fotos zu den Grundrechten sowie Textcollagen aus Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Sie unterstrichen die Bedeutung der Grundrechte als Bürgerrechte.

Gleich nach der Ankunft des Demozuges am Zielort fühlte man sich so richtig heimisch: positiv und negativ. Positiv, weil „die Versorger“ – wie selbstverständlich – mit ihrem Wägelchen, mit Kaffee, Tee und Kuchen da standen. Danke, danke! Negativ, weil man sich in die Zeit vor vier Jahren zurück versetzt fühlte, als bei Montagsdemos vor dem Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs der Abrissbagger auch während der Reden im Hintergrund lautstark arbeitete. Genauso war es in Karlsruhe an der Baustelle und erst nach der Bitte des K21-Moderators (Thomas Renkenberger), die an der Seite stehende Polizei möge sich doch als „Ruhestifter“ betätigen,  hörte der Baulärm unmittelbar hinter dem Rednerpodest auf.

Als erste Rednerin trat Elke Steven aus Köln vom Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. auf, die das allgemeine Anliegen der Kundgebung schon im ersten Satz auf den Punkt brachte: „Wir stehen heute hier, weil wir für das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit eintreten.“ Und deutlicher: „Es ist ein dauernd gefährdetes Grundrecht. Es wird von Politik und Polizei bekämpft. Diejenigen, die es wahr nehmen, werden kriminalisiert und sollen abgeschreckt werden.“ Damit hatte sie die Erfahrung und den Nerv vieler Demonstranten getroffen. In ihren weiteren Ausführungen ging sie auf das Brokdorf-Urteil ein, auf die Aushebelung des Grundrechts mittels Einschränkungen durch Politik, Versammlungsbehörden und Polizei. Sie gab als Beispiele die Vorkommnisse rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm an, die sehr restriktiven Auflagen bei Versammlungen, die Praxis von Polizei-Kesseln bei Demonstrationen wie z.B. Blockupy, das Vermummungsverbot und seine Auslegung, die Konstruktion von Strafverfahren nach § 129 Strafgesetzbuch (Bildung krimineller Vereinigungen) und das Überwachungssystem mit der z. gr. Teil unzulässigen Speicherung von Personendaten. Sie machte am Schluss ihrer Rede aber auch Mut, indem sie feststellte: „Die Geschichte des Versammlungsrechts ist … eine, die zeigt, wie die Bürger und Bürgerinnen im Laufe der Jahrzehnte immer mehr gelernt haben, sich dieses Rechts zu nehmen. Staatspolizeiliche Abschreckung funktioniert glücklicherweise oft nicht.“

Leider hatte einer der Hauptredner, der investigative Journalist und Autor Jürgen Roth („Der stille Putsch - Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt")“ aus persönlichen Gründen kurzfristig absagen müssen, doch schickte er sein Manuskript an Nina Picasso, so dass diese die Rede vorlas. Sie begann mit den Worten: „Wenn Bürger und Bürgerinnen heute hier vor dem BVG demonstrieren, dann haben sie die … Erfahrung gemacht, dass ihre elementaren Grundrechte, z.B. das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf Meinungsfreiheit in erheblichem Umfang gefährdet sind. Denn viele Bürger, nicht nur in Stuttgart, haben Erfahrungen mit der Justiz und Polizei gemacht, die diesen Grundrechten Hohn sprechen.“ Er sprach im Folgenden aber auch die Hoffnung an, die die Bürger nicht aufgeben, dass nämlich das höchste deutsche Gericht die in der Verfassung garantierten Grundrechte wieder auf die Beine stellt, auch wenn viele Vorgänge in Baden-Württemberg und besonders in Stuttgart den Verdacht erhärten, dass vor allem die Staatsanwaltschaft „… in vielen Bereichen in der Vergangenheit blind war“. Und er schloss mit den harten Worten: „Die Staatsanwaltschaft ist in ihrer Grundkonzeption nicht Hüter des Rechts, sondern Organ zur Durchsetzung des Machtwillen des Staates. Deshalb will die Politik keine unabhängige Staatsanwaltschaft!“

Elke Steven und Jürgen Roth hatten als Nicht-Stuttgarter und damit als Nicht-direkt-vom S21-Konflikt-Betroffene einen Blick von außen, der einmal mehr bestätigte, dass die Feststellung „S21 ist überall“ auch bedeutet„politische Justiz ist überall“.

Als letzter Redner kam dann der K21-Insider Richter a.D. Dieter Reicherter, der in seiner Rede zunächst den Rahmenbefehl des Innenministeriums thematisierte. „Wir müssen wissen, was die machen“, mit diesen Worten hatte Innenminister Gall die Existenz des Rahmenbefehls gerechtfertigt. Und dieses „Wissen-Wollen“ soll nun Überwachung, Bespitzelung, verdeckte Aufklärung und ein ständig neu erstelltes Gefährdungslagebild zum Projekt S21 rechtfertigen. Mit dem Rahmenbefehl, der im Übrigen so geheim ist, dass die Angeordneten des Landtags ihn noch nicht zu Gesicht bekamen, wird die K21-Bewegung überwacht, denn „… in diesem Zusammenhang kann eine Zunahme extremistischer Einflüsse nicht ausgeschlossen werden.“ (Zitat aus dem Rahmenbefehl.)

Wie auch in dieser Rede wieder deutlich wurde: Dieter Reicherter ist ein Bürger, der „es genau wissen will“. So ist er permanent um sachliche und rechtliche Aufklärung bemüht, schreibt an Ministerien und die Bundespolizei und spricht Minister an. Er hakt nach, wo andere aufgeben („Hat ja doch keinen Sinn, bekommst du keine Antwort.“) Dieter Reicherter stellt unbequeme Fragen und bekommt unbefriedigende, unrichtige und unlogische Antworten, die er in seiner Rede anhand einiger Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit vortrug. Das könnte nun zu Resignation führen, doch Reicherter sagte zum Schluss seiner Rede: „Liebe Freundinnen und Freunde, das alles wird unseren Widerstand nicht brechen, sondern ermutigen. Wir wissen das Grundgesetz und viele Entscheidungen unseres obersten Gerichts auf unserer Seite.“

Und genau darum ging es bei dieser Demonstration und Kundgebung am Bundesverfassungsgericht: Der Widerstand gegen S21 hat das Grundgesetz und damit das Recht auf seiner Seite. Es ist legitim, gegen Un-Recht aufzustehen und dies muss (müsste!) mit dem offensiven, aktiven Schutz von Polizei, Justiz und Politik geschehen. Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit müss(t)en a priori als Grundrechte anerkannt werden, nicht als Gnade, nicht als Zugeständnis, nicht zähneknirschend, sondern weil es die Grund-Rechte eines jeden Bürgers sind.

So wurde diese Kundgebung mit der provokanten Frage „Justiz im Namen der Politik und nicht des Volkes?“ mit der Gewissheit beendet, dass „der Weg nach Karlsruhe“ durchaus ein Weg ist, den es sich zu gehen lohnt. Schließlich geht es um die Grundrechte.

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