Rede von Peter Grohmann bei der 231. Montagsdemo

Rede von Peter Grohmann, Die Anstifter, auf der 231. Montagsdemo am 28.7.2014

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

gestatten Sie, dass heute mein erster Blick, mein erstes Wort Palästina und Israel gilt, dorthin, wo es in diesen Stunden möglich ist, die Toten zu bergen.

Daniel Barenboim, der einen israelischen und einen palästinensischen Pass besitzt, sagte vor zwei Tagen: „Ich leide mit meinen israelischen Landsleuten, die derzeit in Angst leben: das ständige Geräusch abgefeuerter Raketen, das Gefühl, man selbst oder jemand, der einem nahesteht, könnte etwas abbekommen. Aber ich empfinde auch tiefes Mitgefühl angesichts der Not und furchtbaren Angst meiner palästinensischen Landsleute in Gaza, die tagtäglich so verheerende Verluste zu beklagen haben.“

Shimon Peres und Reuven Rivlin haben es anders gesagt – ich verkürze auf drei Sätze: „Wir dürfen streiten. Wir müssen sogar streiten“, sagten sie. „Jeder von uns drückt den Schmerz, die Meinung und sein Weltbild auf andere Weise aus. Aber wir müssen erkennen, dass uns nichts bleibt, als zusammen zu leben.... Erst wenn das alle verstehen, wird das Blutvergießen enden“, sagten sie, „und nur mit diesem Verständnis kann eine gemeinsame Zukunft aufgebaut werden...“

Es ist wichtig, alle Lehren der Vergangenheit miteinander zu verbinden und die Erfahrungen der Gegenwart hinzuzufügen: Anders ist eine Zukunft nicht zu denken. Das gilt immer, und es gilt überall auf der Welt.

Wir stehen hier für eine andere Zukunft, für das gemeinsame Wohl, für eine zukunftsfähige Stadt, der man nicht das Wasser abgräbt. Wir stehen hier gegen Landraub, Stadtzerstörung und Bodenspekulation, gegen Ignoranz und Profitgier. Wir stehen nicht hier, weil wir nur Bahnhof verstehen. Wir stehen für eine bessere, schnellere Bahn, für den Vorrang des öffentlichen vor dem privaten Verkehr.

Wir stehen hier für die vielen, weil wir aufpassen wollen auf die Stadt, aufpassen müssen auf die Justiz, die Polizei, die Bürgerrechte, die Demokratie. Wir stehen hier stellvertretend für alle, denen die Stimme versagt angesichts des Elends, für alle auch, die leise geworden sind.

Hochverehrte Festgemeinde, liebgewordene Bürgerinnen und Bürger, ich weiß, dass Sie jetzt deshalb laut werden, wenn ich Sie frage: „Wessen Stadt?“ – „Wessen Land?“ – „Wessen Geld?“

Genau – unser Geld. Und in diesen Tagen wird es mal wieder eimerweise aus den Fenstern der Steuerzahler geworfen. Ich will Ihnen ein naheliegendes Beispiel nennen, Sie kennen es vermutlich zum Teil aus den Medien: Neulich fand die Stallwächterparty des Landes Baden-Württemberg in Berlin statt. „100 Prozent Öko“ war die Devise. Und deshalb reiste quasi die ganze Klicke von der Villa Reitzenstein und aus den Ministerien aus Stuttgart auch mit dem Flugzeug nach Berlin. „Ja, Grohmann, Du Seckel, hättet mir etwa mit'm Fahrrädle kommen solle? Über d' Oschtzone ond Helmstedt?“

Die Party des Landes kostete – ohne die Eigenleistungen der Regierung – mehr als 220 000 Euro. Aufgemerkt: für einen Abend! Eingeladen waren vor allem Berliner Bürgerinnen und Bürger, also Hartz-IV-Empfänger, denen so ein Fest auch mal gut tut, engagierte Umweltschützerinnen, Mieter- und Bürger-Initiativen, Rüstungsgegner, Friedensfreunde ...

Oh, sorry, ich sehe eben, dass ich da ein falsches Blatt erwischt habe. Also – eingeladen zu der Party unseres Landes war die Berliner Hautevolee, alles, was Rang und Namen hat in Berlin, oder, wie der Kabarettist in mir sagen würde, Steuersünder und gezähmte Journalisten, Bankrotteure und Banker, Zuhälter der Rüstungsindustrie, Zocker aus dem Immobilienmilieu, Taschendiebe, halt die oberen Zehntausend, die High Society, die Crème de la Crème und, falls Ihnen das alles doch zu griechisch oder spanisch vorkommt: die Schickeria oder, wie man bei mir in Sonnenberg sagt: die Großkopfeten.

Für wessen Geld? Für unser Geld. Eben. Aber – jetzt wirklich ohne allen Neid und ungelogen: Ein wun-der-ba-res Fest für die 1300 Gäste! Klar, da konnten natürlich nicht Hinz und Kunz kommen, nicht Häberle und Pfleiderer! Nur extra ge-la-de-ne Gäste! Das fehlte noch, dass man mit dem vielen Geld ein Volksfest macht und sich der Pöbel dann sinnlos besäuft. Das durften nur die Eingeladenen und die Vertreter, die Sponsoren. Und die durften sogar noch jemanden mitbringen – je nachdem, wie viel sie gesponsert hatten. Die gepamperte Demokratie.

Nehmen Sie den Sponsor der Sonderklasse, die Rüstungsfirma Diehl – Kennwort: Schwerter zu Pflugscharen, aber erst nach dem Endsieg. Diehl hat dieses Fest mit 5000 Euro gesponsert. Wer ist denn Diehl, fragen Sie jetzt? Nie gehört? Also: Diehl ist der Hersteller von Präzisionsbomben mittlerer Reichweite, ähnliche oder gleiche wie jene, die man jetzt eben vielleicht in Palästina einsetzt. Oder welche mit größerem Kaliber – z.B. Boden-Luft-Raketen oder Boden-See-Raketen auf Gaza Stadt. Weiß Gott.

Trösten wir uns: Denn Diehl liefert weltweit, wie alle Rüstungsfirmen – und in diesem speziellen Fall könnten es ja auch Raketenabwehrsysteme sein, wie sie Israel verwenden muss, wenn die Hamas ballert. Was die Waffen selbst angeht: Allen Menschen wohlgetan ist eine Kunst, die keiner kann. Denn, meine Damen und Herren, es ist Krieg, Krie-hi-g! Da können wir nicht wirklich abseits stehen, sonst machen die Rüstungsgeschäfte eben die anderen. Spätestens jetzt werden Sie fragen: He, Alder, was hat denn das mit Stuttgart 21 zu tun?

Ich sag's mal so: Unter den Gästen in Berlin – auf wessen Kosten? – danke, waren sicherlich auch hochrangige Vertreter der Deutschen Bahn, Verfechter von Stuttgart 21, des Berliner Flughafens BER, Leute, die früher hier tätig waren für die gute Sache, Freunde von Herrenknecht und Freunde der Freunde von Herrenknecht, Leute aus der Bau- und Immobilienbranche, Abgesandte von Banken, ja, Landesbanken – und ohne die geht ja heut gar nix, oder können Sie sich eine Pleite vorstellen ohne die West-LB? Ohne die Hypo-Real? Ohne Commerzbank? Ohne Deutsche Bank? Da nickt ja sogar der alte Staatsanwalt Häußler in seinem Lügenstuhl!, äh, Liegestuhl ein.

Sagen Sie mir jetzt nicht, es dreht sich ihnen der Magen um! Denn dann käme ich sofort auf die AOK zu sprechen, die Allgemeine Ortskrankenkasse Baden-Württemberg, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die 10000 Euro aus Mitgliedsbeiträgen der Krankenversicherten für das rot-grün-schwarze Sommerfest ausgab. Soviel Geld? Für was denn, fragen Sie? Na, damit's voran geht mit Projekten wie Stuttgart 21. Damit niemand Muffensausen bekommt, Herzbeschwerden, einen Herz-Kreis-Lauf-Kollaps. Reservierte Tische, ein Lächeln der Kanzlerin, ein Händedruck von Nils Schmidt, einer von Winfried Kretschmann. Menschenskinder, Leute: Umsonst ist nur der Tod – auch für die Gäste so einer Party.

Eine CD mit der Gästeliste habe ich vorhin eben an die Finanzverwaltung geschickt – Sie wissen ja, liebe Zuhörende, in letzter Zeit wird schärfer geprüft. Zumindest bei gemeinnützigen Vereinen, solchen, die vielleicht die kritisch zu Stuttgart 21 stehen und wo der Betrag von Sachzuwendungen an ehrenamtliche Helfer von 40 € im Jahr überschritten wird. Ach ja, es ist fürchterlich schwer, bei Sachleistungen sachlich zu bleiben.

Nehmen Sie die Trianel-GmbH. Die waren auch bei der Fete und haben 12000 Euro gegeben. OK, die Firma hat einen schlechten Nachruf, stand mit ihren Kraftwerks-Projekten in der Kritik. Umwelt- und Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen meckerten wegen der Umweltverträglichkeit eines Kraftwerks. Peanuts eben. Alles wegen Kohle. Und die haben sich ja gebessert und bezahlt.

Das Motto der Landesregierung kennen Sie doch, oder? Jedes Produkt, jede Dienstleistung sollte besser sein als der Vorgänger. Womit ursprünglich der Tiefbahnhof gemeint war. Aber nachdem die Landesregierung feststellen musste, dass das alte Produkt Kopfbahnhof weitaus besser war als das neue Produkt Tiefbahnhof, sucht jetzt die Landesregierung fieberhaft nach einem neuen Motto und taucht erst einmal ab in die Sommerfrische. Wie wär's denn mit diesem Spruch: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing?

Wobei ich sofort auf die Meldung gestoßen bin, dass jeder vierte Parlamentarier in Berlin nebenher und nebenbei mehr kassiert als er verdient. Unser täglich Brot gibt uns heute.

Bei einem großen Teil der Nebeneinkünfte unserer Bundestagsabgeordneten bleibt vollkommen im Dunkeln, von wem diese stammen. Mindestens 2,1 Mio. Euro haben sie seit der Bundestagswahl aus anonymen Quellen kassiert – wahrscheinlich jedoch sehr viel mehr. Wie hoch die Einkünfte tatsächlich sind, weiß niemand. Nur die Abgeordneten selbst, aber die unterliegen ja Gott sei Dank nur der Schweigepflicht und ihrem Gewissen.

Goethes Margarete meint beim Zöpfeflechten: „Ich gäb’ was drum, wenn ich nur wüsst’, / Wer heut der Herr gewesen ist! Er sah gewiss recht wacker aus, / Und ist aus einem edlen Haus...“ Bis Margarete schließlich das Schmuckkästchen S21 entdeckt – aber ist es ihr Schmuck? Sie zögert. „Wenn nur die Ohrring’ meine wären! / Man sieht doch gleich ganz anders drein. / Was hilft euch Schönheit, junges Blut? / Das ist wohl alles schön und gut, / Allein man lässt’s auch alles sein; /Man lobt euch halb mit Erbarmen. / Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles. / Ach - wir Armen!“

Ich erzähle Ihnen jetzt etwas von den weltweiten Schmuckkästchen – es gibt allerdings weit mehr als 21 Beispiele, es würde Stunden dauern, sie aufzuzählen!

  1. Dänemark - Deutschland: Fehmarnbelt. 17,6 km langer Tunnel. Kosten: 5,5 Milliarden Euro. Momentan.
  2. Der Jade-Weser-Port, der einzige Tiefwasserhafen Deutschlands. Pro Woche legen im Schnitt zwei (!) Schiffe an. Kosten 650 Millionen. Momentan.
  3. Elbvertiefung Hamburg. Watt muss, dat muss: Verlust eines großen Naturschutzgebiets. 591 Millionen. Momentan.
  4. Flughafen Berlin Brandenburg (BER). Kosten: 5,5 Milliarden. Momentan.
  5. Hochgeschwindigkeitsbahn London–Birmingham. Kosten 63 Mrd. Euro. Momentan.
  6. Flughafen Kassel-Salden – Deutschlands peinlichster Flughafen. Baukosten: 270 Mio. Euro, Verlust bis Ende 2013: 6,8 Mio. Momentan.
  7. Hochmoselbrücke Geschätzte Kosten: 330 Millionen Euro. Momentan.
  8. Deutschland dümmstes Bahnprojekt Stuttgart–Ulm. Wetten: 15 bis 20 Milliarden? Momentan.
  9. Notre-Dame-des-Landes: angeblich 581 Millionen Euro. Real 2 Milliarden.
  10. TAV-Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke Turin–Lyon durchs Susatal. Kosten: 20–25 Milliarden Euro.
  11. Bahnhof Firenze Belfiore. Tiefbahnhof mit 7 km langem Tunnel unter Florenz für die TAV-Strecke Bologna–Firenze. Die genauen Kosten kennt nur die Mafia.
  12. Zur Türkei: Bebauung des Gezi-Parks Istanbul – eine der letzten Grünflächen soll einem Einkaufszentrum von Erdogan weichen.
  13. Bel-Monte-Staudamm in Amazonien: Der weltweit drittgrößte Staudamm liegt im Herzen des Amazonas-Urwalds. Zehntausende Menschen wurden von ihrem Land vertrieben, das Land enteignet.
  14. Die Narmada – einer der heiligen Flüsse Indiens mit einer Länge von 1312 km.
    Staudammplanungen, Vertreibungen und Korruption. Wir sind dabei.
  15. Gold in Rosia Montana in Rumänien: Ein tausend Jahre altes Dorf in den Bergen von
    Apuseni, in Transsylvanien. Die Mine dort soll 70.000 Tonnen pro Tag oder 500.000 Tonnen pro Woche fördern. Das reinste Gift: Der Ausstoß an Zyanid beträgt 134 kg/Tag.
  16. Elbphilharmonie: Spiel mir das Lied vom Tod. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt.
  17. Tebartz-van Elst, der Bischof von Limburg baute auf Gott und hoffte auf ein Marienwunder. Kostenpunkt: 10 Millionen.
  18. Mord, Vertuschung, Korruption beim Bau der Autobahn 72 in Sachsen. Mit ihm Boot: der Baukonzern Strabag. Lange her und unvergessen.
  19. U-Bahn-Bau, Stadtarchiv Köln: Lug, Betrug, Pfusch, fahrlässige Tötung – der Kölner Klüngel lässt schön grüßen. Der Soziologe Erwin K. Scheuch sagte: „Zustände wie bei der Mafia".
  20. Das Duisburger Landesarchiv. Geplant: 30 Millionen Euro. Inzwischen mehrere hundert Millionen. Dilettanten und Kriminelle reichen sich die Hände
  21. Züblin. Partner im Bau. Systematische Bestechungsgelder etwa beim Bau der IG Metall Bildungsstätte in Lohr, Bestechung bei Staudammprojekten in Südafrika.
  22. Der Ilisu-Damm soll den letzten wilden Fluss Anatoliens zähmen – und auch hier: 65.000 Menschen sollen umgesiedelt und enteignet werden.

... und und und ...

Ich aber sage Euch: Wessen Widerstand? Unser Widerstand! Wir haben Gorleben verhindert. Wir haben Wackersdorf verhindert. Wir haben Wyhl verhindert – Wir haben Mappus verhindert. Wir haben dafür gesorgt, dass Stuttgart 21 weltweit bekannt wird als Synonym für lang anhaltenden Widerstand! Wir haben mit Theater und Kabarett und Filmen, mit Opern und Büchern und Zeitungen und Flugblättern, mit Mahnwachen und Besetzungen und Blockaden, mit Prozessen und zivilem Ungehorsam, mit Demonstrationen und Montagskundgebungen und Radiobeiträgen und Vorträgen und Diskussionen und Untersuchungen und Probebohrungen und dem Bürgertribunal und den Sonderzügen und Aufklärungsarbeit und Analysen und Dokumenten und Fakten und Klagen und bisher 200 Bürgerbriefen dafür gesorgt, dass nahezu jeder Stuttgart 21 kennt.

Und deshalb hat eben sogar die Berliner Mauer und der verhinderte Großstaudamm Maheshwar am indischen Narmada-Fluss und der immer besser organisierte Widerstand in China etwas mit uns und Stuttgart 21 zu tun: Mit Ausdauer und dem aufrechten Gang, mit Kopf und Bauch, mit Leib und Seele, mit Wahrheit und Fantasie und Beharrlichkeit und schwäbischer Geduld, mit den aufsässigen, widerspenstigen, renitenten Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt, denen ich ganz herzlich danke!

Ich weiß: Sie sind da, wenn wie geplant am 5. August 2014 die Baugrube, der S21-Trog, eröffnet werden wird. Sie sind da, wenn die Aktivistinnen und Aktiven vor Gericht stehen. Sie sind da, wenn die Mahnwache und der Rechtshilfefonds Verstärkung brauchen. Sie sind da, wenn das Versammlungsrecht eingeschränkt wird, wenn Standfestigkeit und Courage gefragt sind. In der Hoffnung geht es darum, dass das, was ist, nicht so bleiben muss, wie es ist. Solche wie Sie braucht die Demokratie, solche wie uns braucht diese Stadt, unser Land!

Köpfchen zeigen – oben bleiben!

Redetext als PDF-Datei

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