Kein „Tag des Offenen Denkmals“ im Schlossgarten oder: Fragile Stellen am Grabungsplatz

von Dieter Reicherter

An alle, die am Erhalt unserer Kultur und Geschichte interessiert sind!

Bekanntlich wurden bei Probegrabungen im Schlossgarten auf dem Baugelände für den Tiefbahnhof Stuttgart 21 Zeugnisse unserer Vergangenheit gefunden. Zunächst ein steinerner Kopf, dann Steinplatten eines vor Jahrhunderten künstlich angelegten Bachlaufs, zuletzt römische Öfen.

Überraschend waren die Funde nicht. Schon beim Bau des jetzigen Kopfbahnhofs vor fast hundert Jahren stieß man auf Reste eines römischen Gutshofs und einer alamannischen Siedlung. Man hätte deswegen erwarten dürfen, dass im Planfeststellungsbeschluss für Stuttgart 21 ständige wissenschaftliche Begleitung der Bauarbeiten angeordnet werden würde; ganz so, wie es bei Großprojekten üblich ist. Allein mit der Begründung, bedeutende Funde seien nicht zu erwarten, wurde diese Begleitung für nicht erforderlich gehalten. Ein Armutszeugnis für ein reiches Bundesland voller Denkmale mit großartiger Kulturgeschichte. Und ein Hohn ist der Hinweis, bei Funden seien die Baufirmen verpflichtet, die Behörden zu verständigen. Genauer wird dies von Wanderarbeitern, nicht selten Schwarzarbeitern, verlangt, die kein Wort Deutsch sprechen.

Umso erfreulicher, dass die Deutsche Bahn auf freiwilliger Basis mit Probegrabungen einverstanden war, die vom Bodenkundler Andreas Lehmann von der Uni Hohenheim unter Begleitung des Landesamts für Denkmalpflege durchgeführt wurden und zu den geschilderten Funden geführt haben.

Am kommenden Sonntag, dem 14.9.2014, findet deutschlandweit der Tag des Offenen Denkmals statt. Eine gute Gelegenheit für interessierte Menschen, sich in unsere Geschichte zu vertiefen – auch in Stuttgart, auch im Schlossgarten.

Dachten wir.

Deswegen habe ich mich mit dem Vorschlag, an diesem Tag eine Besichtigung der Funde im Schlossgarten zu ermöglichen, an Projektsprecher Wolfgang Dietrich, das Landesamt für Denkmalpflege, die Pressesprecherin des Regierungspräsidiums Nadine Hilber, Staatssekretär Ingo Rust (SPD) – der den Schlossgarten als „einzigartiges Denkmal“ bezeichnet hatte – sowie an OB Fritz Kuhn (Grüne) gewandt.

Nachfolgend, stellvertretend, mein Schreiben vom 3.9.2014 an Wolfgang Dietrich:

Bahnprojekt Stuttgart – Ulm e. V.
Arnulf-Klett-Platz 2
Stuttgart
zu Händen von Herrn Wolfgang Dietrich

Sehr geehrter Herr Dietrich,

gerne komme ich auf Ihr Angebot zurück, mich mit Fragen an Sie persönlich zu wenden.

Mit großem Interesse habe ich die Meldungen über Grabungen mit archäologischen Funden im Mittleren Schlossgarten verfolgt. Viele interessierte Bürgerinnen und Bürger, die ihre Heimat und Kultur lieben, würden wie ich gerne die Ausgrabungen besichtigen. Am Sonntag, 14. September 2014, findet deutschlandweit der „Tag des Offenen Denkmals“ statt. Es wäre ein schöner Zug der Bahn, wenn sie sich dieser Aktion anschlösse. Daher möchte ich Sie bitten, eine Besichtigung des Grabungsfeldes am Tag des Offenen Denkmals zu ermöglichen. Schön wäre es, wenn Sie zusammen mit einer behördlichen Fachkraft (z. B. des Landesdenkmalamts) persönlich die Führung übernehmen könnten.

Über Ihre Zusage würde ich mich sehr freuen. Die Besichtigungsmöglichkeit würde ich dann öffentlich ankündigen und gerne auch versuchen, ein Begleitprogramm auf die Beine zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen
Dieter Reicherter

In Erwartung positiver Antworten hatten wir folgendes Programm entworfen:

Tag des Offenen Denkmals am Sonntag, 14. September 2014, 11.00 Uhr, im Mittleren Schlossgarten Stuttgart, Treffpunkt Bauzaun, Straße Am Schlossgarten

Wir freuen uns, alle an der Erhaltung unseres kulturellen Erbes Interessierten zu einer Führung zu den archäologischen Ausgrabungen auf dem Baugelände des Stuttgarter Tiefbahnhofs im Rahmen des deutschlandweiten Tages des Offenen Denkmals einladen zu können.

  • Leitung der Führung: Projektsprecher Wolfgang Dietrich (angefragt)
  • Fachkundige Begleitung: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (angefragt)
  • Schirmherr: Staatssekretär Ingo Rust, Ministerium für Finanzen und Wirtschaft (angefragt)
  • Öffentlichkeitsarbeit: Nadine Hilber, Pressereferentin des Regierungspräsidiums Stuttgart (angefragt)
  • Grußwort: Oberbürgermeister Fritz Kuhn (angefragt)

Leider kam es anders:
Trotz meiner telefonischen Nachfrage antwortete der Projektsprecher nicht. Auch die anderen Angeschriebenen interessieren sich offenbar für Bürgerbeteiligung am Denkmalschutz nicht – mit Ausnahme des Staatssekretärs Ingo Rust. Dieser teilte mit:
Ministerium vs Reicherter

Ministerium vs Reicherter 2

Somit fällt die erhoffte Führung leider aus. Die Idee, ein Ersatzprogramm „Tag des geschlossenen Denkmals“ oder ein „Tag des kaputten Denkmals“ ließ sich leider derart kurzfristig nicht auf die Beine stellen, zumal der angefragte Fachmann Dr. Norbert Bongartz schon eine andere Verpflichtung übernommen hat. Wir bleiben aber selbstverständlich an der Idee, die Bedeutung des Kulturdenkmals Schlossgarten und der aktuellen Funde im Rahmen einer Veranstaltung selbst der interessierten Öffentlichkeit vorzustellen, dran. Denn diese Öffentlichkeit kommt in Stuttgart ohnehin zu kurz, wie ein Blick in das Programm „Tag des Offenen Denkmals“ zeigt. Stuttgart ist hier mit 28 Besichtigungsmöglichkeiten vertreten, überwiegend Kirchen und Friedhöfe. Mehr ist offenbar nicht drin.

Daher empfehle ich, in der schönen Stadt Esslingen a. N. bei 42 tollen Gelegenheiten, Geschichte zu erleben.

Weiter müssen wir dafür streiten, dass die Arbeiten für Stuttgart 21 ständig wissenschaftlich begleitet werden. Was für private Bauherren auf historischem Gelände gilt, muss erst recht von einem Konzern im Staatseigentum, aber auch von Behörden sowie Politikerinnen und Politikern verlangt werden.

Wie heißt es dazu so schön in der Verfassung unseres Bundeslandes (Artikel 3 Absatz 2 der Landesverfassung):
"Die Landschaft sowie die Denkmale der Kunst, der Geschichte und der Natur genießen öffentlichen Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden.“

Dieter Reicherter
Althütte, den 11.9.2014

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.