Rede von Frank Distel bei der 317. Montagsdemo

Rede von Dipl.-Ing. Frank Distel, Schutzgemeinschaft Filder e.V., auf der 317. Montagsdemo am 11.4.2016

Ausstiegskosten von Stuttgart 21

Liebe Freunde, liebe Kämpfer für den richtigen Bahnhof für unsere Stadt Stuttgart, für einen Bahnhof, den man neudeutsch mit Stolz „Stuttgart Central“ nennen darf. Wir wollen hier keinen gnadenlos überteuerten, für Leib und Leben gefährlichen, unterdimensionierten Haltepunkt der Kategorie Vorstadtbahnhof. Die endlosen Mängellisten kennt Ihr in- und auswendig. Sie beschränken sich ja keineswegs nur auf den Schiefbahnhof, sondern umfassen auch auf die gefährlich langen Tunnelstrecken und den Filderabschnitt. Murks, wohin man bei diesem Fehlprojekt auch schauen mag. Murks ohne jegliche Zukunftssicherheit, falls die Nachfrage nach mehr Bahninfrastruktur in der Zukunft unweigerlich steigen wird. Ja, liebe Zuhörer, steigen MUSS, um vom umweltschädlichen Auto- und LKW-Moloch nachhaltig wegzukommen. Murks, für den hier laut unserem Gutachter Dr. Martin Vieregg fast 10 Milliarden Euro vergeudet werden!

Unabhängig von den Kosten, auf die ich gleich zurückkomme, muss die Frage gestellt werden: durfte und darf weiterhin eine solche Verschlechterung der Bahnversorgung in unserem Land überhaupt planfestgestellt werden? Nach meinem rechtsstaatlichen Verständnis sind Planfeststellungsverfahren für öffentliche Infrastrukturprojekte nur zulässig, wenn die Vorhaben dem Allgemeinwohl dienen. Das rein bahnbetriebliche Projekt erfüllt dieses Kriterium auf keinen Fall, denn es stellt erwiesenermaßen eine Verschlechterung der Bahninfrastruktur dar, schadet also am Ende des Tages dem Allgemeinwohl!

Nun könnte man fragen, dient denn wenigstens das Städtebauprojekt mit geplanten 7.000 Wohnungen dem Allgemeinwohl? Grundsätzlich – könnte man sagen – ja, wenn nicht auch dessen Kosten – zum Beispiel für die (Beamtendeutsch) „Bau-feld-freimachung“ in astronomische Höhen davongaloppiert wären. Hier spielen nicht nur die Kosten für die Frage des Allgemeinwohls eine Rolle, sondern auch das politisch richtige Ziel der Stadt, mehr dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum für Familien mit Kindern zu schaffen. Insoweit wird das Projekt – da muss man kein Prophet sein – wegen des immensen Zuschuss- und Förderbedarfs den künftigen städtischen Haushalten böse auf die Füße fallen – und schadet folglich auch insoweit dem Allgemeinwohl, als andere soziale Aufgaben der Stadt auf der Strecke bleiben müssen.

Zurück zu den Projektkosten, liebe Freunde: Das Münchener Büro Dr. Vieregg und Rössler rechnete schon 2008 – ohne die heutigen Kenntnisse der zahllosen Pannen und Risiken von Stuttgart 21 mit 6,9 Milliarden Euro Endabrechnungssumme. Wie wurde von Bahn und Politik damals über das Büro öffentlich und regelrecht beleidigend hergezogen? Wir erinnern uns: in diesem Jahr 2008 lag die Bahn noch bei 3,1 Milliarden, weniger als ein Drittel. Kurze Zeit später, allerdings erst NACHDEM die Tinte unter den Finanzierungsverträgen trocken war, musste die Bahn einräumen, dass nun mit 4,5 Mrd. gerechnet wird – einer Zahl, die, wie wir heute vermuten, bahnintern schon fast ein Jahr vor den Finanzierungsverträgen bekannt war. Ende 2012 platzte dann eine erneute Bombe, man muss es sich immer wieder in Erinnerung rufen, liebe Zuhörer: externe Gutachter rechneten der Bahn vor, dass am Ende mit 6,8 Milliarden zu rechnen sei. Kurze Zeit später auf 6,5 Mrd. € abgemildert. Dr. Vieregg hat also mit seiner Schätzung 2008 fast eine Punktlandung hingelegt!

Nach zahlreichen weiteren Risiken, z.B. der nachzubessernde Brandschutz, die Deckenstatik des Schiefbahnhofs, die deutlichen Verteuerungen auf den Fildern und schließlich die Verteuerungen durch weitere Bauverzögerungen, um nur einige wenige zu nennen, rechnet Dr. Vieregg jetzt mit 9,8 Milliarden Euro Endabrechnungssumme und muss sich wiederum von den Protagonisten des Projekts fast verhöhnen lassen. Dabei haben Vieregg und Rössler nichts anderes gemacht, als Stuttgart 21 auf Basis der jetzt bekannten erhöhten Baurisiken mit bereits abgerechneten Großvorhaben der Bahn aus jüngerer Vergangenheit zu vergleichen. Ich glaube, ich brauche nicht zu betonen, dass auch bei diesen zum Vergleich herangezogenen Projekten die Kosten aus dem Ruder gelaufen sind.

Auch wenn sich die Bahn noch so dreht und windet, um der ungläubigen Öffentlichkeit einen angeblichen Fertigstellungstermin Ende 2021 zu „verkaufen“; Dr. Vieregg aus München hat bei seinen Berechnungen einen Fertigstellungstermin frühestens Ende 2024 zugrunde gelegt. Selbst das erscheint manchen Fachleuten zu optimistisch, wenn man weiß, dass noch längst nicht alle Risikobereiche des Projekts erreicht sind, z.B. die meisten der höchst wasserempfindlichen Gipskeuperabschnitte der Tunnelstrecken.

Was also spricht dagegen, Dr. Martin Vieregg heute denselben Glauben zu schenken, den er schon 2008 verdient hatte. Nichts, meine lieben Zuhörer! Nichts, außer den inzwischen lächerlich anmutenden Dementis der Bahn.
2012 hat der Vorstand die Aufsichtsräte bei der Frage, was günstiger sei, Ausstieg oder Weiterbau, mit fragwürdigen, teilweise erwiesenermaßen falschen Berechnungen noch über den Tisch gezogen. Was nun, haben wir uns gefragt und just an Dr. Vieregg einen Anschlussauftrag erteilt mit dem Inhalt: was ist jetzt und heute günstiger? Ausstieg oder Weiterbau? Und siehe da, das Münchener Büro kam auf folgende Ergebnisse, für den Fall des sofortigen Abbruchs der Baumaßnahmen zu Stuttgart 21:

  • Wenn man nur den Kopfbahnhof und die Zulaufstrecken wiederherstellt und in einen betriebsbereiten, schon modernisierten Zustand bringt, dann sparen Bahn und anteilig öffentliche Hände sage und schreibe 7,9 Milliarden Euro, wobei sogar scheinbar überflüssige Gewerke von S21, z.B. das Technikgebäude unter dem Kurt-Georg-Kiesinger-Platz und teilweise sogar die riesige Baugrube quer unter den früheren Gleisen um- oder mitgenutzt werden könnten!
  • Mehr noch: wenn man den Kopfbahnhof erweitert um 2 zusätzliche Gleise Richtung Bad Cannstatt, zwei weitere Überwerfungsbauwerke, eine Schnellfahrstrecke ab Mettingen im Tunnel unter den Fildern bis auf Höhe Denkendorf und sogar einen Abzweig zum Flughafen, so würde man immer noch fast 6 Milliarden im Vergleich zum Weiterbau sparen.

Alle Kostenvergleiche sind natürlich auf Basis der Vieregg‘schen Kostenschätzung vom Januar 2016 von knapp 10 Milliarden kalkuliert. Dieser Kostenschätzung hat die Bahn bekanntlich sofort nach Bekanntwerden reflexartig widersprochen – trotz des Waterloos, das seit 2012 mit Kostenschätzungen von Dr. Vieregg und der tatsächlichen Kostenexplosion noch in den Köpfen sein müsste. Die lernen aus ihren Fehlern nichts dazu, ist hier festzustellen!

Liebe Freunde, nehmen wir jetzt einfach mal an, die Bahn hätte mit ihren Kosten von 6,5 Milliarden 100% Recht und Vieregg läge mit seinen 9,8 Milliarden völlig daneben, dann ist es simple Arithmetik, zum Ergebnis zu kommen, dass der Ausstieg selbst dann immer noch mindestens 2,6 Milliarden günstiger kommt als der Weiterbau. Nicht eingerechnet ist hier allerdings die Verzinsung des Grundstücksgeschäfts von 2001 zwischen Bahn und Stadt, von dem die Bahn fortwährend profitiert. Mit einem daraus resultierenden Betrag von ca. 600 Millionen Euro mögen sich im Falle des Ausstiegs die Gerichte beschäftigen. Blieben im ungünstigsten Fall immer noch 2 Milliarden Euro übrig, meine Damen und Herren, das sind 2.000 Millionen. Was könnte man damit nicht alles an Bahnstrecken anderswo sanieren oder ausbauen?

Was ist jetzt zu tun, frage ich zum Schluss? Meine Vorschläge: dem Bundesrechnungshof massiv auf die Füße treten, endlich seine aktuelle Kostenschätzung öffentlich zu machen. Die Bahn gehört dem Bund und muss daher unter die Kostenaufsicht des Bundesrechnungshofs gestellt werden! Klagen und Klagedrohungen gegen die Aufsichtsräte der Bahn wegen Veruntreuung von Vermögen der Bahn AG laufen bereits. Die Ergebnisse bleiben zunächst ebenso abzuwarten, wie die neuerlich von Bahn und Aufsichtsrat in Auftrag gegebenen Prüfaufträge zu den Kostenschätzungen von Vieregg-Rössler, deren Ausstiegsszenarien sowie die Ergebnisse das Rechtsgutachten zur persönlichen Haftung der Aufsichtsräte der Bahn.

Es bleibt sehr spannend in den nächsten Wochen und Monaten, liebe Mitstreiter!

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