Rede von Kei Andrews bei der Pressekonferenz des Bündnisses „Bahn für Alle“

Rede von Kei Andrews, Diplombiologin und ROBIN-WOOD-Aktivistin der Stuttgarter Regionalgruppe, vom 29.12.2011

ROBIN WOOD ist einer von vielen Akteuren im Streit für eine bürgerfreundliche und umweltfreundliche Verkehrspolitik. Die Regionalgruppe Stuttgart ist seit 2008 im Widerstand gegen Stuttgart 21 aktiv und hält seit September 2010 einige besonders alte Bäume im Mittleren Schlossgarten besetzt. Wir wurden schon zu Beginn unserer Besetzung und gerade zur Fertigstellung unseres ersten Baumhauses geräumt. Weniger als zwei Wochen später waren wir erneut in den Baumwipfeln zu finden. Diesmal waren es aber mehrere Bäume, die mit Plattformen schonend versehen und besetzt wurden. Dies war sicherlich nicht das, was Polizei und Politik bewirken wollten als sie unser erstes Baumhaus zerstörten. Eine weitere Räumung haben sie jedenfalls in der Zwischenzeit nicht gewagt.

Am 30.09.2010, dem Schwarzen Donnerstag, besetzten wir spontan den vermutlich ältesten Baum des Schlossgartens, eine über 200 Jahre alte Platane, als wir sicher sein konnten, dass dieser Baum miteingezäunt werden und damit gefällt werden sollte. Wir nannten ihn liebevoll den „Alten Sack.“ Von diesem Baum aus wurden zwei ROBIN WOOD Aktivist(inn)en Zeugen der furchtbaren Ereignisse des Schwarzen Donnerstages. Nach stundenlanger Besetzung wurden sie unsanft von de Polizei geräumt und unser Alter Sack wurde gefällt und geschreddert. Erst dieses Jahr kam dann die Meldung, dass genau dieser Baum widerrechtlich gefällt wurde. Es gab eine Geldstrafe. Eine Geldstrafe... Dieser Baum war das Opfer einer Handlungsweise, die typisch für Großprojekte ist, einer Politik in der erst gehandelt wird und wenn es sich herausstellt, dass das Handeln widerrechtlich war...na der Schaden wurde ja schon angerichtet, Fakten wurden schon geschaffen...das Projekt konnte ein Stück weit „unumkehrbarer“ gemacht werden.

Ein weiteres Beispiel dafür: In unserem Blog berichteten wir schon von der erfolgreichen Klage des BUND gegen die fünfte Planänderung. Der VGH Mannheim hat entschieden, dass das Eisenbahn-Bundesamt die Beteiligung des BUND beim Planänderungsverfahren hätte zulassen müssen, um die „naturschutzrechtlichen Folgen des Baues [vom Grundwassermanagement-Komplex] im Bereich des Mittleren Schlossgartens“ zu überprüfen.

Ferner stellte der VGH Mannheim fest, dass das Eisenbahn-Bundesamt zum Zeitpunkt des Planänderungsverfahrens vom Vorkommen einer lokalen Population des Juchtenkäfers, einer europarechtlich streng geschützten Art, im Mittleren Schlossgarten wusste. Weiter heißt es, dass:

[...] die Frage, ob der Bau der Rohrleitungen, Grundwassermessstellen und Infiltrationsbrunnen im Mittleren Schlossgarten zu relevanten Beeinträchtigungen dieser Population führe und welche verbindlichen Maßnahmen zum Schutz dieser Population ggf. zu ergreifen seien, schon im Rahmen des Planänderungsverfahrens zu bewältigen gewesen und hätte nicht der Bauausführung vorbehalten werden dürfen.

Doch auch nach diesem Urteil hält die Deutsche Bahn AG weiter an ihrer Politik des „Faktenschaffens“ fest und zieht für sich und ihre geplanten Fällungen im Mittleren Schlossgarten keinerlei Konsequenzen. Vielmehr äußerte sich das Kommunikationsbüro für das Projekt Stuttgart 21 mit den höhnischen Abschlussworten:

Die im Januar geplanten bauvorbereitenden Maßnahmen wie der Rückbau des Südflügels oder die Freimachung des Baufeldes im Mittleren Schlossgarten sind davon unberührt und werden unverändert umgesetzt.

Zwar spricht die Bahn davon, dass mit „zusätzlichen Auflagen zum Artenschutz zu rechnen“ seien, doch urteilt sie schon voreilig über die Bäume im Mittleren Schlossgarten, welche das Habitat weiterer Populationen des Juchtenkäfers aber auch von Fledermäusen und vielen besonderen Vogelarten sind.

Auffällig bleibt auch weiterhin das Schweigen des Eisenbahn-Bundesamts zum jüngsten Urteil und zum Schicksal der Bäume im Mittleren Schlossgarten. Wollen sie, wie am Schwarzen Donnerstag, bis zur letzten Minute warten? Bis es ohnehin zu spät ist und nur noch eine Strafe im Nachhinein zu kassieren bleibt?

Nun nicht mal eine Woche nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Mannheim gab das Stuttgarter Amt für Ordnung grünes Licht für die Räumung des Schlossgartens und somit indirekt für das Fällen der Bäume.

Wir fühlen uns ein bisschen wie in einer Zeitschleife gefangen. Unseres Wissens nach gibt es nachgewiesene Bestände des Juchtenkäfers im Teil des noch bestehenden Mittleren Schloßgartens. Da wir dort einige besonders alte Bäume sehr lange besetzt halten, konnten wir mit eigenen Augen beobachten, dass Fledermäuse, ebenfalls streng geschützt, im betroffenen Teil vom Park hausen und jagen. Besonders große, alte und an Stellen ausgehöhlten Bäumen sind selten in Städten und Grundvoraussetzung für das Überleben vieler Fledermaus- und Vogelarten, ganz zu Schweigen vom Juchtenkäfer, der ein unter 150 Jahre alten Baum gar nicht erst besiedelt.

Nun mit der Bekanntmachung der Allgemeinverfügung zur Räumung des Schlossgartens wird die Bahn durch das Amt für öffentliche Ordnung, die regierende Politik und die Polizei unterstützt und keiner schreit „Foul!“ Stattdessen scheinen alle die Strategie des „Fakten Schaffens“ weiterhin zu verfolgen. Es werden ungeachtet aller Hindernisse und Bedenken stur die eigenen Pläne durchgesetzt und erst nachdem der Schaden schon angerichtet wurde, wird wieder einfach eine Strafe kassiert. Doch wen nutzt diese Strafe im Nachhinein und wann werden wir eine solche Politik endlich satt haben? Leider gehört das Fällen vonjahrhundertealten Bäume wahrlich in die Kategorie der unumkehrbaren Fakten!Es gibt viele weitere Gründe, die gegen Stuttgart 21 sprechen. Heute habe ich lediglich vonder Bedrohung für die Bäume im Schlossgarten ausführlich geredet, denn wir stehenunmittelbar vor dieser Gefahr. Aber auch nach der Volksabstimmung ist Stuttgart 21 weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoller geworden. Immer noch ist es ein mangelhaft legitimiertes Projekt, da es den Bürgern erst zu einem Zeitpunkt eine Entscheidungsmöglichkeit bereitstellte, als in der Wahrnehmung vieler bereits „allesgelaufen“ war. Immer noch schafft es mehr verkehrliche und infrastrukturelle Probleme als es zu lösen vorgibt. Immer noch ist die Finanzierung weitgehend ungeklärt. Immer noch ist de

Bereich Fildertunnel und Filderbahnhof nicht planfestgestellt. Immer noch gefährdet das Projekt das Mineralwasservorkommen Stuttgarts. Immer noch gibt es keine Notfallpläne die den Namen verdienen...

Aus diesen und vielen anderen Gründen sehen wir uns, die ROBIN-WOOD-Regionalgruppe Stuttgart, wie auch viele andere S21-Gegner/-innen, daher immer noch in der Pflicht, unter anderem Folgendes zu schützen:

• den leistungsfähigen, erprobten und ausbaufähigen Kopfbahnhof,

• eine bürgerfreundliche Bahn für alle Menschen in Baden-Württemberg,

• einen verantwortungsbewussten Umgang mit den finanziellen Ressourcen der Menschen,

• den Mittleren Schlossgarten, der nicht nur für sämtliche nicht menschliche Lebewesen wichtig ist, sondern mit seinen jahrhundertealten Bäumen ein für den Menschen unersetzliches Erholungsgebiet im bestens erreichbaren Stadtzentrum bildet, sowie von herausragender Bedeutung für die Qualität der Atemluft in der ohnehin stark belasteten Stuttgarter Innenstadt ist. Hierzu gehört aber auch ganz besonders das Demonstrationsrecht! Wir haben uns noch vor der Volksabstimmung im Schlossgarten mit einem neuen Baumhaus und weitere Vorkehrungen winterfest gemacht. Wir befinden uns im Alarmzustand und wir werden weiterhin im Weg stehen. Wir werden es nicht leise hinnehmen, dass gewaltsam Fakten geschaffen werden und wir dafür mit „unmittelbarer Zwang“ bedroht werden, wenn wir uns in den Weg stellen und dies nicht zulassen.

Ja, wir fühlen uns „gezwungen“, nur ist unser Zwang ein positiv motivierter. Wir fühlen uns dazu gezwungen, Leben, Kultur und moralisches Recht zu schützen. Der „unmittelbare Zwang“, mit dem allen Besetzer am Tag X von der Polizei gedroht werden, ist dagegen ein negativer und soll lediglich die Zerstörung von Leben, Kultur und moralischem Recht schützen. Wir bleiben gemeinsam mit vielen oben, egal ob am Boden oder im Baum!

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3 Antworten zu Rede von Kei Andrews bei der Pressekonferenz des Bündnisses „Bahn für Alle“

  1. Wer Gewalt gegen friedliche Bürger einsetzt, setzt sich ins UNRECHT. Die Verantwortlichen werden in Deutschland nur deshalb nicht bestraft und zur Verantwortung gezogen, weil alle unsere tollen Voll?-Juristen anscheinend während ihres Studiums die Wirkung von Alkohol unter Aufsicht getestet haben – und dabei scheint bei diesen allen der gleiche Hirnteil zugrunde gegangen sein, der für die Gedanken an das Grundrecht, das Recht und die Gerechtigkeit zuständig ist!
    Es ist eine Schande für alle gutbezahlten Juristen, dass nach 60 Jahre Gültigkeit des GG die Gewaltenteilung gemäß Art. 20 (2) Satz 2 immer noch nicht hergestellt ist. Der Einfluß der Politik auf die Staatsanwälte und Richter muß endlich abgeschafft werden. Es lohnt sich dafür zu kämpfen, damit so etwas wie bei S21 nicht weiter in unserem Land passieren kann. Ich spreche hier von Staatskriminellen, es lohnt sich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte darauf aufmerksam zu machen. Oder wollen wir uns damit abfinden, wie in Afrika, d.h. in einer Bananenrepublik zu leben.
    Lasst uns gemeinsam für ein besseres Deutschland kämpfen! Werner Roth

  2. sozial benachteiligt sagt:

    Das Besondere dieser Rede ist:

    1. Sie beschreibt detailliert das von von allen Projektbeteiligten quasi gewollte Faktenschafffen durch bewußten Rechtsbruch.

    2. Robin Wood will das Demonstrationsrecht schützen, durch Baumbesetzungsaktionen. Das klingt befremdlich. Es kann nur so verstanden werden:
    Die Politik des Faktenschaffens kann nur durch diese Art der Demonstration angeprangert werden.
    Meine Anmerkung:
    Allerdings, nur wenn
    – auch Juristen diesen Mißstand als solchen anprangern
    – auch der BUND in der Kampagne in diesem Fall aktiv mitwirkt
    – genug Mensch Robin Wood dabei unterstützen
    – die Presse im Detail davon berichtet.
    Da mit all dem nur vermindert gerechnet werden kann, sind diese Aktionen so legitim, dass sie wie das Demonstrationsrecht allgemein zu schützen sind.

    3. Es wird zwischen unterschieden zwischen
    äußerem (unmittelbarem) – negativem und
    innerem – positivem Zwang.

    Diese Unterscheidung ist wichtig. Die Polizei hat keine Meinung, sich handelt auf Befehl, auch wenn dieser nicht legitim oder sogar ungesetzlich ist.

    Ein anderes ist es, wenn meine Moralität, mein Gewissen mich zu einer Handlung des zivilen Ungehorsams bewegt und ich sozusagen einem inneren Zwang gehorche, den ich mir durch sorgfältige Meinungsbildung selbständig d.h. frei angeeignet habe.

  3. Demokratin sagt:

    Werner Roth: Du hast den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte doch sicher schon darauf aufmerksam gemacht.
    Hast Du schon eine Antwort erhalten?

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