Rede von Christoph Strecker bei der 162. Montagsdemo

Rede von Christoph Strecker, Richter a. D., auf der 162. Montagsdemo am 25.2.2013 auch als Video HIER.

Bericht über eine Strafanzeige wegen EU-Subventionsbetrugs

Christoph Strecker ©weibergLiebe Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofs und des gesunden Menschenverstandes!

Die Europäische Union hat der Bundesregierung im Jahre 2008 einen Zuschuss von bis zu 114.470.000 Euro für das Projekt Stuttgart 21 bewilligt. In der Begründung des Bewilli- gungsbescheides heißt es: „Stuttgart 21 hat als Durchgangsbahnhof die doppelte Leistungsfähigkeit ...“ Die Formulierung stammt aus dem im Jahre 2007 eingereichten Subventionsantrag des Bundes- verkehrsministeriums.

Das riecht stark nach Subventionsbetrug. Nach § 264 des Strafge- setzbuchs wird: „mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe ... bestraft, wer einer für die Bewilligung einer Subvention zuständigen Behörde ... über subventionserhebliche Tatsachen ... unrichtige ... Angaben macht, die für ihn vorteilhaft sind ...“

Eine Strafanzeige könnte ein Mittel sein, die Politikerinnen und Politiker endlich zu klaren Erwiderungen auf die immer wieder geäußerten Zweifel an der Leistungsfähigkeit des geplanten Bahnhofs zu zwingen. Die Betreiber und Befürworter des Projekts lassen Argumente ohnehin gar nicht an sich heran. Und diejenigen, die es angeblich „kritisch“ begleiten wollen, immunisieren sich gegen alle Einwände mit dem Hinweis auf die Volksabstimmung. Aber ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren könnten sie, auch wenn sie nicht selbst betroffen sind, nicht so ohne weiteres ignorieren.

Wer eine Strafanzeige erstattet, kann wegen falscher Verdächtigung belangt werden, wenn dies „wider besseres Wissen“ geschieht. Wie ist es also mit dem Stande unseres Wissens?

Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass der geplante Durchgangsbahnhof mit seinen acht Gleisen keinesfalls die Leistungsfähigkeit unseres bewährten 16-gleisigen Kopfbahnhofs haben könnte. Aber seit den trickreichen Argumentationen der Bahn bei der so genannten Schlichtung und den anschließenden als „Stresstest“ bezeichneten Manipulationen wird das Thema „Kapazitätsvergleich“ von der Politik geflissentlich gemieden, der gesunde Menschenverstand hat ausgedient. Alle Nachfragen zur Leistungsfähigkeit des geplanten Bahnhofs werden ignoriert oder mit Floskeln abgespeist. Wir können das Gespräch nicht erzwingen. „Gehört werden“ heißt nicht „Antwort bekommen“.
Aber Christoph Engelhardt wird nicht müde, nachzuweisen, dass der geplante Bahnhof den versprochenen Leistungszuwachs niemals würde erbringen können.

Geht es bei Engelhardt darum, dass es der künftige Bahnhof nicht kann, so kommt seit geraumer Zeit die Erkenntnis hinzu, dass es der Bahnhof auch gar nicht soll.

Bei unseren Ingenieuren tauchte irgendwann eine Personenstromanalyse aus dem Jahre 1998 auf. Mit dieser Methode wird ermittelt, ob und wie gut die in der Realität zu erwartenden Personenströme sich im Bahnhof bewegen können. Danach hat es den Anschein, dass bei der Planung des Gebäudes für den Durchgangsbahnhof keineswegs von den 49 oder gar noch mehr Zügen, sondern von 32 Zügen pro Stunde ausgegangen wurde. Im Jahr 2009 wurde die Personenstromanalyse aktualisiert. An den Zahlen hat sich nichts geändert.

Ich habe beim Eisenbahnbundesamt nachgefragt, ob die angenommene Zahl von 32 Zügen pro Stunde keinen Rückbau bedeute. Mir wurde erwidert, der Personenstromanalyse liege ein „fiktives Betriebsprogramm“ zugrunde, die Zahl von 32 Zügen sei nicht identisch mit den für den Stresstest verwendeten Zugzahlen. Auf meine Rückfrage, warum das Eisenbahnbundesamt sich mit einem fiktiven Betriebsprogramm anstelle einer realen Planungsgrundlage zufrieden gebe, habe ich keine Antwort erhalten. Allerdings fehlt in den Antworten des Eisenbahnbundesamts auch jedes ausdrückliche Dementi gegenüber meiner Mutmaßung, der künftige Bahnhof sei überhaupt nur für 32 Züge geplant.

Und nun kommt der unvermeidliche Oberstaatsanwalt Häussler ins Spiel: Rechtsanwalt Roland Butteweg und Jens Löwe hatten bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart eine Strafanzeige gegen die Deutsche Bahn erstattet, der sie Betrug vorwarfen, weil sie statt der versprochenen Leistungssteigerung in Wirklichkeit einen Rückbau des Bahnhofs plane. Herr Oberstaatsanwalt Häußler teilte den beiden Anzeigeerstattern mit, auch der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim sei bereits in seinen Entscheidungen vom 06. April 2006 von lediglich 32 bis 35 Gleisbelegungen pro Stunde ausgegangen.

In der Tat hat das Gericht eine gegen den Planfeststellungsbeschluss PFA 1.1 vom 28.01.2005 gerichtete Klage abgewiesen und in der Begründung ausgeführt, der achtgleisige Durchgangsbahnhof reiche „für abgestimmte Betriebsprogramme mit 32 bis 35 Gleisbelegungen pro Stunde aus“.

Nun hat es wirklich ein Ende mit Sucherei und Mutmaßungen. Nicht nur, dass Engelhardt recht hat und die Personenstromanalyse keine andere Folgerung zulässt. Der Abbau von Kapazitäten ist amtlich. Anstelle der im Kopfbahnhof möglichen 50 und mehr Züge pro Stunde soll die Leistungsfähigkeit im Durchgangsbahnhof auf 32 bis 35 Züge, also um ein Drittel reduziert werden. Auch im Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 ist in einer der Anlagen, auf die im Text verwiesen wird, auch der Planfeststellungsbeschluss genannt, von dem hier die Rede ist. Versprochen wird eine erhöhte Kapazität des Bahnhofs, geplant wird das Gegenteil – ein Kapazitätsabbau um ein Drittel.

Wenn wir nun den Vorwurf des Subventionsbetrugs erheben, so geschieht das nicht „wider besseres Wissen“, sondern als ein Akt der Notwehr gegen die Arroganz der Macht und gegen die Borniertheit derer, die sich feige herausreden, statt von ihrer Macht den Gebrauch zu machen, zu dem wir sie gewählt haben.

Für das Bundesverkehrsministerium ist nicht die Staatsanwaltschaft Stuttgart, sondern die Staatsanwaltschaft Berlin zuständig. Dorthin habe ich vor ein paar Tagen meine Anzeige wegen Subventionsbetrugs geschickt. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass sie dort redlich und zügig bearbeitet wird.

Eine der vornehmsten Aufgaben des Rechts ist es, die Macht zu begrenzen. Wer auf das Recht vertraut, kann böse Enttäuschungen erleben. Das aber darf uns nicht hindern, doch zumindest immer wieder neu auf das Recht zu hoffen.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Rede von Christoph Strecker bei der 162. Montagsdemo

  1. b. lichtenstein sagt:

    Allen common-sense, all unsere gutglaeubige
    Moral in Gestalt juristischen Vorgehens wird von dieser oder jener Schwadron dunkel gewandeter Hundertlinge, Inhaber eines Advokatentitels, in Nullkommanichts zerpflueckt sein – und abgegolten mit fettem Honorar. Darauf kann die politische Elite absolut vertrauen. Oder verwechselt noch jemand diese Republik mit Island, wo es Strafbefehle anstelle von Banker-Boni gab, bzw. mit der Schweiz, wo keine Autoindustrie das Sagen hat? – Trotzdem werde ich mich sehr freuen, sollte ich groeblich irren.

Kommentare sind geschlossen.