141. Montagsdemo: Rede von RA Frank-Ulrich Mann

Rede von Frank-Ulrich Mann, Rechtsanwalt Freiburg i. B., auf der 141. Montagsdemo am 24.9.2012

Gerechtigkeit oder Gutsherrenrecht?

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!

Und das, was Sie hier Woche für Woche auf die Beine stellen, ist was Gutes! 141 Montagsdemos mit Tausenden von Teilnehmern und kein Ende in Sicht! Respekt, meine Damen und Herren! Bald wird Stuttgart mehr Montagsdemos zählen als München Oktoberfeste. Und seien Sie sich gewiss: Die Demonstrationen, auch und gerade die Montagsdemonstrationen verfehlen ihre Wirkung nicht.

Als Beispiel hierfür erwähnt ein Badener wie ich gerne den Streit um das seinerzeit geplante Atomkraftwerk in Whyl. Der damalige „Mappus“ hieß Filbinger und prophezeite, dass ohne das AKW bald die Lichter ausgehen würden. Meine Damen und Herren, die einzigen Lichter, die mittlerweile ausgegangen sind, sind die des Herrn Filbinger.

Es war das Volk, das den Bau des AKWs verhindert hat. „Nai, hämmer gesait!“ Und dies obwohl auch das AKW-Whyl von sämtlichen Gremien abgenickt wurde und den Demonstranten daher mangelnde Legitimation für Ihren Protest vorgeworfen worden war. Heute vollzieht die Bundesregierung den Atomausstieg. Hätten sie mal gleich auf das Volk gehört. Geschichte übrigens, und das sage ich in Ihre Richtung, wiederholt sich.

Die Besonderheit bei Stuttgart 21 ist, dass Sie als Gegner des Projektes nicht nur von Seiten der Politik, sondern auch von Teilen der Justiz, insbesondere von den Ermittlungsbehörden, kriminalisiert werden. Bagatelldelikte werden zu schweren Straftaten hochgestuft, unbegründete Hausdurchsuchungen und erkennungsdienstliche Maßnahmen vollzogen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart zieht – wie ich finde allerdings erkennbar einseitig – alle Register. Von Gefangenenbefreiung, schwerem Landfriedensbruch über Freiheitsberaubung bis hin zu Körperverletzungs- und versuchten Tötungsdelikten, ist alles dabei. Demnach müsste ich hier vor einer Horde wildgewordener Hooligans stehen.

Und oft genug folgen die Gerichte den Vorgaben der Staatsanwaltschaft. Die Richter können sich kaum vorstellen, dass nicht alle Aussagen der Polizeibeamten zutreffend und die Ermittlungen überzogen sind. Nur manchmal, wenn man zum Beispiel Videos findet, auf denen der wahre Vorgang zu sehen ist, können die Gerichte überzeugt werden. Mittlerweile werden zahlreiche Demonstranten wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt – man beachte: Ein Gewaltdelikt – obgleich sie keinerlei Gewalt angewendet, bisweilen nicht einmal Kraft aufgewendet haben.
Zwar ist der Gewaltbegriff im deutschen Strafrecht in den letzten Jahrzehnten immer weiter aufgeweicht worden, dies ist jedoch, finde ich zumindest, eine neue Dimension, die juristisch nach meiner Auffassung nicht mehr vertretbar ist und die die Bürgerrechte weiter einschränkt. Es wird unsere Aufgabe als Verteidiger sein, die Rechtsprechung von höheren Gerichten korrigieren zu lassen.

Was aber ist der Grund für die Kriminalisierung der friedlichen Demonstranten? Heute ist die letzte Montagsdemo vor dem 2. Jahrestag des 30.09.2010, dem Schwarzen Donnerstag.

Die Polizeiführung hat mit Rückendeckung der Politik, vermutlich sogar in deren Auftrag, die Einrichtung der Baustelle unter Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken und reichlich Pfefferspray gegen das eigene Volk durchgesetzt. Vernünftig wäre gewesen, den Einsatz abzubrechen, als und weil erkennbar war, dass die polizeiliche Strategie angesichts der immensen Zahl von Demonstranten nicht wird funktionieren können. Die Verantwortlichen haben jedoch entschieden, mit Ausnahme der Schusswaffe, alle zur Verfügung stehenden Zwangsmittel einzusetzen. Und dabei hat sie schwere Verletzungen der Demonstranten billigend in Kauf genommen. Das zwangsläufige Ergebnis kennen Sie: hunderte Verletzte, davon einige schwer.

In der Folge kamen Politik und Polizei in erhebliche Erklärungsnot, gingen die Bilder des Einsatzes und des schwerverletzten Dietrich Wagner doch um die Welt. Und da blieb gar keine andere Möglichkeit mehr, als die Schuld den Demonstranten zu geben und ihnen Unfriedlichkeit vorzuwerfen. Fehler einzugestehen würde ja Schwäche bedeuten und auf Versagen hinweisen. Das ungeschriebene Gesetz heißt offensichtlich: § 1 Der Staat hat immer recht, § 2 Sollte der Staat einmal nicht recht haben, tritt sofort § 1 in Kraft.

Also musste vertuscht, ein falsches Bild gezeichnet und aufrechterhalten werden. Vermutlich deshalb werden die Delikte der S21-Gegner auch immer gleich zwei, drei Stufen höher gehängt. Das harte Vorgehen soll einerseits abschrecken und dient andererseits als Rechtfertigung.

Hinzu kommt Folgendes: Seit zwei Jahren wird nun aufgeklärt, wie das alles strafrechtlich zu beurteilen ist. Verantwortlich für diese Aufklärung ist – wie für alle anderen Verfahren zu S21 – die politische Abteilung der bereits gewürdigten Staatsanwaltschaft Stuttgart. Dessen Leiter war allerdings in den Einsatz in seiner Funktion als Oberstaatsanwalt involviert. Er war die ganze Zeit über vor Ort und zwar bei der Einsatzleitung. Spätestens in dem Moment, als die ersten Schwerverletzten zu beklagen waren, hätte er nach meiner Überzeugung einschreiten müssen. Sie wissen es, er tat das nicht.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie objektiv kann seine juristische Aufarbeitung sein, wenn er womöglich selbst nicht rechtstaatlich korrekt gehandelt hat? Er müsste dann schließlich gegen sich selbst ermitteln. Das ist so, als würde ein Strafrichter über seine eigene Straftat richten. Und die anschließende Frage lautet: Ist das möglicherweise aus o.g. Gründen von der Politik auch so gewollt?

Einen Antrag meiner Kanzlei auf Auswechselung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Verfahren rund um S21 hat der amtierende Justizminister unter Verweis auf eine Stellungnahme des Generalstaatsanwalts und mit der Begründung, es dürfe keine Einmischung der Politik in die juristische Aufarbeitung geben, zurückgewiesen.

Aber hat nicht gerade die Einmischung der Politik zu dem Desaster geführt? Ist die Politik unter diesem Aspekt nicht geradezu verpflichtet, sich einzumischen und den Bürgern wieder zu ihrem Recht zu verhelfen, sie zu rehabilitieren?
Wir geben nicht auf und so hat sich meine Kanzlei zusammen mit dem Vorsitzenden Strafrichter am LG Stuttgart a.D., Dieter Reicherter, vorgenommen, die skurrilsten Fälle in einem sogenannten „Schwarzbuch“ zu veröffentlichen.
Möge sich damit jeder ein eigenes Urteil über die Objektivität der Ermittlungen und die Rechtsprechung zu S21 bilden. Gerechtigkeit oder Gutsherrenrecht? Und vielleicht gelingt es uns damit auch, eine juristische Diskussion über Bürgerrechte, die Versammlungsfreiheit und den Gewaltbegriff im deutschen Strafrecht zu entfachen. Diskussionsbedarf besteht allemal.

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2 Antworten zu 141. Montagsdemo: Rede von RA Frank-Ulrich Mann

  1. Claudia sagt:

    Der südbadische Ort, der damals hätte AKW-Standort werden sollen, heißt Wyhl – vier Buchstaben in genau dieser Reihenfolge.

    Bitte korrigiert den obigen Text, da Wyhl dort konsequent falsch geschrieben ist.

    Stuttgart ist und wird kein zweites Wyhl, denn der Mittlere Schlossgarten ist verwüstet und das ist auch nicht mehr rückgängig zu machen. Aber immer noch kann Stuttgart von Südbaden lernen.

    In dreißig Jahren wird sich ein Bericht über Stuttgarts Mitte weniger beschaulich lesen, als dieser hier über den Wyhler Wald, der dreißig Jahre nach dem erfolgreichen Widerstand verfaßt wurde:

    http://www.tagesspiegel.de/zeitung/das-loch-im-wyhler-wald/588902.html

    • K. Neumann sagt:

      Zur Wahrheitsfindung gehört aber auch, dass Kretschmann besser war als Filbinger. Zur Erinnerung, hier http://www.youtube.com/watch?v=IoO3i4kzK6w&feature=related

      Ich habe in der Nacht die mir am wichtigsten scheinenden tweets abgespeichert. Die, die Wahlen auch mit ihrer Opposition gegen Stuttgart gewonnen hatten twitterten z. B. in dieser Nacht durchaus Tröstendes:
      GrueneJaBitte Wäre Diktatur würde jetzt Geprügelt und Geschossen. Der #Bürgerentscheid ist bindend. Ja zur #Demokratie – #Gemeinsam #Friedlichbleiben #S21 Im Widerstand gegen Wyhl gab es keine sprichwörtliche fünfte Kolonne wie in Stuttgart. 1. 2. Die Kräfteverhältnisse waren völlig andere im Schlossgarten und der Polizeieinsatz unter Gall perfekt durchmoderiert. Dagegen halfen auch solche Anweisungen zum gewaltlosen Widerstand nichts: bernd1q2w3e4 alle über 100kg in die vorderen sitzreihen. die heringe sind dafür nicht zu gebrauchen. #s21 Und auch die Ausrüstung der Polizei war mit Pferden und Robocops eine völlig andere als die der Beamten in Wyhl, ein tweet dazu gibt das wider: drstrm RT @MobilWolf: #S21 #occupy Horses used for eviction. parts of Police in full equipment with helmet and stick. frightning scene for activists. Dazu kamen die Wetterverhältnisse der Nacht, wieder ein Vorteil für die Polizei, die sozusagen aus dem Warmen heraus agieren konnte, wozu auch taktierendes Warten mit später herangeführten frischen Ersatzkräften gehörte, während die Besetzer durchnässt im nasskalten Schneeregen ausharren mussten, denn man konnte den Park zwar nach Aufmarsch der Polizei verlassen, aber nicht wieder hinein, dazu ein tweet: AntiStuttgart21 RT @VDBZZ: Wir harren aus bei unseren Bäumen. Es schneit total. #S21 # Ich z. B. musste in dieser Nacht aus gesundheitlichen Gründen die Segel streichen. Und die anderen waren wie erlöst, als es morgens zu Ende war.

      Kretschmann dann zu seinem Sieg: http://www.youtube.com/watch?feature=endscreen&v=ipu2tOQjPPY&NR=1

      Was ich sagen möchte: was in Wyhl möglich war ging in Stuttgart gleich aus mehreren Gründen nicht. Der wichtigste eben, dass die Grünen den Widerstand unterlaufen hatten, der ihnen offensichtlich nur Mittel zum Zweck war, um an die Regierungsmacht und die Möglichkeit der Pöstchenvergabe an verdiente Pareileute wie z. B. einer Frau Krebs zu kommen.

      Geschichte wiederholt sich eben nicht. Ein Wyhl im Suttgarter Schlossgarten wäre natürlich schön gewesen. Statt dessen sehen wir jetzt eine breite Bewusstwerdung in einer geistigen Auseinandersetzung mit den ins Mafiöse gewachsenen Rechtsstaatsstrukturen, wie sie die Republik zuvor nicht gesehen hat. Ich finde, das ist bei weitem mehr wert, als es ein Wyhl im Schlossgaten je gewesen sein könnte.

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