Rede von Siegfried Bassler bei der 205. Montagsdemo

Rede von Siegfried Bassler, ehemaliger SPD-Stadtrat und -Fraktionsvorsitzender, auf der 205. Montagsdemo am 13.1.2014

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!

Heute muss ich etwas gegen die Resignation sagen. Viele, die in den letzten Jahren zu unseren Demos gekommen sind, haben resigniert und bleiben zu Hause. Sie sagen, wenn man sie darauf anspricht: Es hilft ja doch nichts, die Bahn, die Politiker, die Profiteure machen, was sie wollen, die Presse berichtet auch nicht mehr viel und die meisten Leute nehmen es hin und sagen, man kann ja doch nichts mehr machen. Ja, es sieht so aus, dass die mächtigen Macher das Wahnsinnsprojekt auf Teufel komm raus durchpauken wollen.

Mutti, die Kanzlerin, hat ja schon vor drei Jahren gesagt: „Wenn S 21 nicht gebaut wird, können wir in Deutschland nie mehr ein Großprojekt durchziehen.“ Und dann hat sie noch hinzugefügt, eine Volksabstimmung brauche man nicht, die Landtagswahl 2011 sei die Volksabstimmung. Als die ein bisschen anders ausging als erwartet, hat sie allerdings nie mehr davon gesprochen.

Merkel, Grube, Hauk und Rülke, Schmid und Schmiedel tun alles, um ein Exempel ihrer Macht zu statuieren, um aller Welt zu zeigen, wer bei uns das Sagen hat. Muss man da nicht resignieren? Ist es da nicht das Beste aufzugeben und sich anderen Aufgaben zuzuwenden? Ich sage Nein! Und nochmals Nein!

Wir haben schon Vieles erreicht: Den Mappus zum Teufel gejagt, den Schuster zur Abdankung gezwungen, den Turner verhindert. Das ist doch etwas! Das kann sich sehen lassen! Trotzdem, es geht auf und ab. Die Bundestagswahl, das Ergebnis der CDU, die große Koalition ist zum Angsteinjagen. Das Kleinbeigeben von Kretschmann, den wir damals fast alle gewählt haben, ist zum Verzweifeln, das Vorgehen der Stuttgarter Justiz zum schändlichen Schwarzen Donnerstag lässt uns allzu oft den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren.

Ich habe bei der letzten Landtagswahl zum ersten Mal in meinem Leben grün gewählt wegen der vollmundigen Ankündigungen zu S21. Es ist wohl auch das letzte Mal gewesen, denn die Enttäuschung ist riesengroß. Weder Kretschmann noch Hermann, sein Verkehrsminister, noch irgendein anderer aus dem grünen Lager geben noch vernehmbar Laut. Sie verstecken sich alle hinter der sogenannten Volksabstimmung, die doch mit Lug und Trug zustande gekommen ist. Auch Kuhn könnte ein bisschen lauter bellen, so wie noch vor einem Jahr.

Aber wir Gegner und Skeptiker sind hartnäckig laut und lästig. Noch nie hat es in der Bundesrepublik eine so lang anhaltende Protestaktion gegeben. In aller Welt werden unsere Demonstrationen beachtet und nachgemacht. Wir geben ein Beispiel an Nachhaltigkeit des demokratischen Widerstands, gegen Verschwendung und Unfähigkeit, gegen Großmannsucht und Herrenknechtschaft. Wir müssen nicht resignieren. Wir haben noch eine Aufgabe. Die Gemeinderatswahl steht vor der Tür. Am 25. Mai ist es soweit.

Bei der letzten Wahl 2009 hat die CDU sechs Sitze verloren, die SPD vier Sitze, eindeutig wegen S21. Das haben die Wähler noch nicht vergessen. Das sollten auch wir nicht vergessen. Die letzte Umfrage der Stuttgarter Zeitung hat ergeben, dass nur noch 45 % der Bürger S21 für richtig halten, also 55% für falsch. Das ist eine gute Ausgangslage, die wir nützen müssen.

Bei der letzten Wahl haben nur 47% der Wahlberechtigten abgestimmt, nicht einmal die Hälfte. Es gibt also ein großes Potential von Nichtwählern, das wir ausschöpfen können. Wenn jeder von uns ein bis zwei Nichtwähler überzeugt, dass S21 ein Schaden für die Stadt ist, können wir das Lager der Gegner entscheidend stärken. Die Bahn gibt uns doch immer wieder Schützenhilfe dabei, sie liefert uns immer neue Argumente durch Pleiten, Pech und Pannen, durch ihre Unfähigkeit, das großmäulig als bestgeplantes Projekt propagierte Unternehmen als den größten Schwindel, den unser Land je gesehen hat, zu entlarven.

Die Parteien der neuen Großkoalition von CDU und SPD im Stuttgarter Gemeinderat behaupten ja stereotyp, S21 interessiere die Bürger nicht mehr, S21 sei nicht mehr wahlentscheidend. Diesem Täuschungsversuch müssen wir entschlossen entgegentreten.

Im Blick auf die SPD, der ich seit 54 Jahre angehöre, ist sie schon einmal grundverlogen… Sie hat alle Wahlen seit Ausbruch des S21-Wahnsinns mit Glanz und Gloria verloren, aber leider gar nichts dazugelernt. Auch jetzt wieder setzt sie einen kritiklosen Verfechter von S21 auf den ersten Platz, einen Angestellten der Landtagsfraktion, der sich keine eigene Meinung zu S21 leisten kann. Unter den ersten zehn fast lauter Befürworter, als wollten sie uns sagen: Ihr könnt reden, was ihr wollt, wir bleiben bei unserer uneinsichtigen Pro-21-Politik, mit der wir schon so viele Niederlagen errungen haben. Kritik gegen S21 ist in der hiesigen SPD ausgesprochen unerwünscht Es gibt ein paar, die klammheimlich mit uns sympathisieren, aber bitte, bitte nicht laut und nicht deutlich. Man könnte ja seine Chancen bei der Mehrheit der vernagelten Genossen gefährden. Soweit geht der Bekennermut denn doch nicht.

Gabriel, der Parteivorsitzende, nach dem Erzengel benannt, von oben erleuchtet, hat auf dem Parteitag der SPD in Leipzig, im November, ein wahres Wort gesprochen: „Die SPD hat den Kontakt mit den Leuten verloren, von denen sie gewählt werden will.“ Man könnte meinen, er habe dabei an die Stuttgarter SPD gedacht, aber kein Einziger, keine Einzige aus dem hiesigen Laden hat es zur Kenntnis genommen. Ich habe versucht, die SPD-Liste ein wenig mit Leuten anzureichern, die kritisch zu S21 stehen, weil ich dachte, es könnte der SPD gut tun, wenn sie ein paar von den vielen Wählern zurückgewinnen würde, die sie wegen S21 in den vergangenen Jahren verloren hat. Es ist beim Versuch geblieben. Als ich mich für den 60. – den letzten Platz – in meinem Ortsverein Stuttgart-Süd interessierte, meinte die Vorsitzende im Ortsverein: das komme überhaupt nicht in Frage, denn wenn ich gewählt würde – das immerhin hat sie für möglich erachtet – würde ich Tag und Nacht nur von S21 reden. Obwohl ich das für keine Schande halte, würde ich auch über einige andere Sachen reden, z.B. über die Tatsache, dass Schmid und Schmiedel im Aufsichtsrat der LBBW dem Verkauf von 21 000 Wohnungen an die Heuschrecke Patrizia zugestimmt haben, um dann anschließend alsbald über den Mangel an Sozialwohnungen zu lamentieren. Wie will sich die SPD denn glaubhaft für mehr bezahlbare Wohnungen einsetzen, wenn ihre obersten Repräsentanten die vorhandenen einfach an den Meistbietenden verscherbeln?

Die Befürworter von S21 im Stuttgarter Gemeinderat arbeiten uns zu. Die andauernden Verspätungen im S-Bahn-Verkehr, der zunehmende Baulärm in Untertürkheim und anderswo, die ungelösten Untergrundprobleme im Kernerviertel und im Park werden die Akzeptanz des Unsinns-Projekts nicht fördern. Und auch die Große Koalition in Berlin wird die Opposition nicht mundtot machen, ganz im Gegenteil, sie wird uns weiteren Auftrieb geben. Sie fangen ja jetzt schon an zu streiten. Es gibt keinen Grund, zu resignieren und die Flinte ins Korn zu werfen.

Wir halten uns an die Aufforderung von Stéphane Hessel, dem Resistance-Kämpfer und Autor der Schrift „Empört euch!“, der vor einem Jahr hier im Hauptbahnhof gesagt hat: „Sie müssen weiter auf die Straße gehen!“ Wir lassen uns nicht niedermachen, wir lassen uns nicht runterziehen, wir werden im Blick auf S21 und die Gemeinderatswahl weiter oben bleiben.

Ich danke euch!

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