Winfried Wolf antwortet auf Kostas Koufogiorgos Kritik an der Griechenland-Solidarität auf der Montagsdemo

Antwort von Winfried Wolf auf das Statement von Kostas Koufogiorgos auf ps.de

Lieber Koastas Koufogiorgos!

Ich las Deinen Blog-Beitrag zu Griechenland im Allgemeinen und zum Referendum im Besonderen. Natürlich ist eine solche Position wie die Deinige legitim. Und es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Ich will das gerne tun als jemand, der seit vielen Jahren in der Bewegung gegen Stuttgart 21 aktiv ist, der sich seit Ende der 1960er Jahre für Griechenland und die Demokatie dort engagiert und der im März die neue Publikation FaktenCheck:HELLAS gründete, die seither mit drei Ausgaben erschien. Übrigens: Die letzte Ausgabe, Nr. 3, die gestern auf der Montagsdemo verteilt wurde, erschien in vier Sprachen (neben Deutsch noch in Englisch, Französisch und Griechisch). Die letztgenannte Ausgabe lag am Montag vor einer Woche der griechischen Tageszeitung EFSYN – Efimerida ton Syndakton bei.

Dass Griechenland „nichts mit Stuttgart 21 zu tun“ hätte, kann ich nicht erkennen. Ich habe auf der 275. Montagsdemo eine Rede zum Zusammenhang zwischen dem Kampf von SYRIZA in Griechenland und dem Kampf gegen S21 (und dem Arbeitskampf der Lokführer) gehalten. Die Rede ist auf den entsprechenden Websites vor Ort wiedergegeben. Ich habe selten so viele positive Reaktionen bekommen wie auf diese Rede. Siehe: Rede von Winfried Wolf bei der 275. Montagsdemo.

Zu Deinen Argumenten – und entschuldige bitte, wenn das ausführlicher wird. Aber ich will Deine Argumente, die oft in Stichworten gehalten sind, ernst nehmen.

Wer ruft zu was auf am Sonntag? Die Parteien des alten Establishments (Nea Demokratia und PASOK) rufen zum Ja auf. Das ist bereits wichtig. Das sind die Parteien, die seit 1974 und bis Ende Januar 2015 für die Regierungspolitik in Griechenland Verantwortung trugen. Wenn Griechenland „ein kaputtes System“ ist, wie Du schreibst, dann tragen diese Parteien die Hauptverantwortung für diesen Zustand. Das sind die Schwesterparteien von CDU/CSU (= Nea Demokratie) und SPD (= PASOK) – also die wesentlichen Proler bei S21.

Fascho-Nein beim Referendum: Wenn die Faschisten auch zu einem „Nein“ aufrufen, so sagt das wenig. Es handelt sich um eine extrem nationalistische Partei mit Verankerung in Teilen des mittleren und kleinen Unternehmertum in Griechenland. Da die Troika-Politik eine Politik für das große europäische Kapital ist, folgt damit Chrysi Avgi dieser Interessenslage. Sollten in Stuttgart mal Nazis gegen S21 eintreten, so disqualifiziert das ja auch nicht den Widerstand gegen S21. Man muss sich dann eben fragen, was die Gründe für diese Haltung und die punktuell identische Positionierung ist.
PASOK-Minister in der SYRIZA geführten Regierung. Nach meiner Kenntnis gibt es nur einen Minister in der neuen griechischen Regierung, der von PASOK kommt; Pannenos, der Verteidigungsminister. Der gehört der ANEL, dem SYRIZA-Koalitionspartner an. Ansonsten gibt es nach meiner Kenntnis einige VIZE-Minister, aber keinen Minister mit diesem Hintergrund. Falsch ist ganz sicher, dass die MEHRHEIT einen PASOK-Hintergrund hätte. Wobei ich nicht wirklich weiß, was daran grundsätzlich schlimm sein sollte, wenn Personen ihre Meinung verändern. Dass Egon Hopfenzitz noch vor ein paar Jahren CDU-Mitglied war, disqualifiziert ihn ja nicht als S21-Gegner. Dass Peter Conradi noch SPD-Mann ist (und möglicherweise nicht immer gegen S21 war), macht ihn nicht automatisch unglaubwürdig. Dass Uli Maurer als führender SPD-Mann engagierter S21-Befürworter war und dann zum S21-Gegner wurde (heute LINKE), macht seine Position auch nicht automatisch unglaubwürdig.

Koalitionspartner von SYRIZA - Rechtspopulisten der ANEL: SYRIZA wurde bei der Wahl am 25. Januar die Partei mit der relativen Stimmenmehrheit. Nach einem Zuschlag, den nach dem griechischen Wahlrecht eine Partei in dieser Position bekommt, fehlten ihr wenige Stimmen zur absoluten Mehrheit. SYRIZA brauchte also einen Koalitionspartner. Sie entschied sich dabei für ANEL, die Du richtigerweise als „Rechtspopulisten“ bezeichnest. Es gab damals kaum eine andere glaubwürdige Möglichkeit. Ein Bündnis mit den beiden genannten Parteien PASOK und Nea Demokratia schloss SYRIZA aus – weil diese eben für die vorausgegangene jahrzehntelange Politik Verantwortung tragen. To Potami – eine relativ neue, liberale Gruppe - wäre rechnerisch in Frage gekommen. Allerdings vertritt diese Gruppe ebenfalls einen neoliberalen Kurs – und ist jetzt prompt im Lager derjenigen, die für ein JA zum EU-Vorschlag aufrufen. Bei ANEL war sich SYRIZA sicher, dass diese wie SYRIZA selbst die Politik der „Memoranden“ – des EU-Diktats – ablehnen würde. Und dass sie in Sachen Forderungen gegenüber Deutschland (so beim Thema Reparationen) die SYRIZA-Position mittragen würden. Bislang hat sich diese Einschätzung bestätigt. Die Entscheidung für ein Referendum fiel im Kabinett einstimmig.

Geschlossene Banken: Nachdem die EZB am Sonntag verkündete, sie würde keine weiteren Kredite zur Stützung der griechischen Banken vergeben (sog. ELA-Kredite), war klar, dass die Banken in wenigen Tagen hätten schließen – und einige Konkurs anmelden – müssen. Es war klug und richtig, darauf die Banken für geschlossen zu erklären und Kapitalmarktkontrollen einzuführen. In einem anderen Fall hätte es unkontrollierbare Reaktionen und einen „Bankrun“ gegeben.

Der Bevölkerung wird jetzt schon gesagt, wie sie zu entscheiden habe: Ist es nicht umgekehrt falsch, wenn man bei einem Referendum die Klappe hält? Wir haben beim S21-Referendum auch gesagt, wie wir VORSCHLAGEN, dass abgestimmt werden sollte. An der Urne ist natürlich jeder frei.

(Zu) wenig Zeit für ein Referendum: Die Zeit ist so knapp bemessen, weil die Krise zu zugespitzt ist und weil Ende Juni das sogenannte Hilfsprogramm auslief. Tsipras und die griechische Regierung baten die EU und die EZB darum, das Programm um wenige Tage zu verlängern, damit das Referendum in Ruhe durchgeführt werden kann. Das lehnten diese ab. Weswegen – siehe oben – die griechische Regierung anordnete, die Banken geschlossen zu halten (übrigens mit Ausnahme der Auszahlung der Renten, was in den nächsten 2-3 Tagen erfolgen soll).

Referendum als solches: Ich weiß nicht wann und bei welcher Gelegenheit genau sich Tsipras gegen ein Referendum im Jahr 2011 aussprach. Auf alle Fälle ist ein Referendum eine demokratische Angelegenheit. Die Bewegung gegen S21 hat zu S21 auch immer ein Referendum gefordert und fordert dies derzeit mit zwei Bürgerbegehren erneut. Kritisiert haben wir 2011 vor allem die Umstände des 2011erReferendums. Wir sagen, dass die damals genannten Grundlagen wie Kostendeckel und Kapazitätserweiterung nicht mehr gegeben sind bzw. sich als unwahr erwiesen.

„Keine [ausreichende] Information der Menschen“: Die Zeit ist knapp, aber Information gibt es reichlich. Man kann „Ja“ oder „Nein“ sagen zu dem vorliegenden Papier, das IWF, EU und EZB der griechischen Seite am 25. Januar vorlegten. Es ist ein 10-Seiten-Papier, das in manchen Passagen nicht ganz einfach ist, dessen Grundaussagen aber klar sind (siehe unten). Der Text liegt inzwischen übersetzt auf Griechisch vor. Er ist vielerorts verkündet. Es gibt täglich Debatten dazu in den TV-Sendern und auf den Rundfunkkanälen. Ein Problem für SYRIZA wird sein, dass die große Mehrheit der Medien (im Printbereich wie bei den TV-Sendern) inhaltlich von der Opposition (PASOK, Nea Demokratia) bestimmt wird. Und dass mehr als drei Viertel der Print- und elektronischen Medien sich im Eigentum weniger Oligarchen und Mediengroßkonzerne befindet. Auch das kennen wir in der Anti-S21-Bewegung und aus der Zeit der Volksabstimmung zu S21.

„Bitte informiert Euch!“ - so schreibst Du. Ja, dieser Bitte sollte man unbedingt entsprechen. Denn: Das Spar-Programm, über das am kommenden Sonntag in Griechenland abgestimmt wird, ist eindeutig. Im Wesentlichen enthält es auf den genannten zehn Seiten vier Grundaussagen: Erstens sollen die Renten erneut gesenkt werden (u.a. indem die staatlichen Zuschläge (EKAS) bei den niedrigsten Renten gestrichen und bei allen Renten die Abzüge für die Krankenversicherung von 4 auf 6 Prozent angehoben werden). Hiermit sollte am zwischen dem 1.7.2015 bis Ende 2015 bereits ein halbes Prozent des BIP in diesem Jahr noch „gespart“ werden und ab 2016 jährlich 1 Prozent des BIP an Einsparung (oder 1,8 Milliarden Euro) generiert werden. Zweitens soll die Mehrwertsteuer in vielen Bereichen erhöht werden, womit 1,8 Mrd. Euro oder erneut 1 Prozent des BIP an zusätzlichen Steuereinnahmen erzielt werden sollen. Drittens sollen alle steuerlichen Sonderregelungen für die Inseln wegfallen (also v.a. die niedrigeren Mehrwertsteuersätze – obgleich es Vergleichbares bei den Kanarischen Inseln für Spanien, bei den Azoren und Madeira für Portugal und bei Korsika für Frankreich gibt). Und viertens sollen die Privatisierungen vorangetrieben werden (u.a. sollen alle Regionalflughäfen an die Fraport und die Telefongesellschaft OTE und die Deutsche Telekom gehen).

Es handelt sich um eine logische Verlängerung der Programme, die Griechenland seit 2010 mit den Memoranden auferlegt wurden. Und die wesentlich zur katastrophalen Krise beigetragen haben. Wer in der Krise „spart“, der verschärft diese. Das weiß man in Deutschland seit 1930. So war und ist es in Griechenland. Weswegen SYRIZA als erstes fordert, diese fatale Sparpolitik zu beenden.

„Anfang 2015 hätte man eine Milliarde Euro einsparen müssen, jetzt sind es acht Milliarden“: Das stimmt so nicht. Der jetzige EU-EZB-IWF-Vorschlag lag schriftlich als Troika-Vorschlag weitgehend so im Sommer 2014 vor, als es damals noch die Große Koalition aus Nea Demokratia und PASOK gab. Er wurde von Samaras nicht komplett umgesetzt – auch wegen der damals sich abzeichnenden Wahlen und weil man einen Samaras-Sieg am 25.1.2015 haben wollte. Im übrigen wollen PASOK und Nea Demokratia diesem extremen Sparvorschlag ja zustimmen.

„Griechenland ist ein kaputtes System“: Ja, an dieser Deiner Aussage ist einiges richtig. Und wenn Du schreibst, die Banken seien „seit vier Jahren pleite“, so stimmt das auch. Was nochmals klar macht, WER dafür Verantwortung trägt. SYRIZA ist die erste Partei, die mit all dem, was war und was zu der Katastrophe geführt hat, nichts zu tun hat. Die auch bislang in keine Korruption verstrickt ist. Allerdings gibt es eben nicht nur immanente, innergriechische Gründe für die Misere. Die Ursachen hierfür liegen auch in der Konstruktion von EU und Eurozone, wo die starken, vor allem die deutschen Konzerne und Banken absolut dominieren und die Wirtschaft anderer Länder platt machen. Und wo es in der Eurozone nicht mehr den Abwehrmechanismus gibt, dem mittels Abwertung der nationalen Währung etwas entgegenzusetzen. Schließlich ist Griechenland keine Ausnahme. Die Lage in Portugal, Spanien, Irland und Zypern ist, was die soziale Seite betrifft, ebenfalls katastrophal. Und das Gerede, die hätten es dort „geschafft“, verlogen. Zumal demnächst Italien in die tiefe Krise absackt – und heute bereits eine Schuldenquote wie Griechenland 2010 hat: mehr als 120 % Anteil der öffentlichen Schulden am BIP. Im übrigen hinaus haben wir Deutsche – und das betrifft Dich nun in keiner Weise – eine besondere Verantwortung für Griechenland, auch für die aktuelle Situation aufgrund der Besetzung Griechenlands in der NS-Zeit und der niemals gesühnten Verbrechen, die damals begangen wurden.

Ich bin gerne bereit, in Stuttgart zum Thema Griechenland eine Veranstaltung zu machen. Gerne auch mit einer Debatte mit Dir.

Herzliche Grüße - Winfried Wolf

Weitere Informationen:
Ein Artikel aus der nächsten LP21 zu dem aktuellen Papier der Troika, über das am Sonntag abgestimmt wird, mit Schwerpunkt Renten: LP21-30-48-WW-Renten-und-Troika-WW-END, dazu ein ergänzender Kasten: LP21-30-49-WW-Renten-KAST01-WW-END

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4 Antworten zu Winfried Wolf antwortet auf Kostas Koufogiorgos Kritik an der Griechenland-Solidarität auf der Montagsdemo

  1. Lieber Herr Wolf, hier nochmals mein Kernpunkt: Solidarität mit Griechenland bedeutet für mich, solidarisch mit allen Griechen zu sein, nicht nur mit denen, die beim Referendum mit NEIN stimmen wollen. Das finde ich parteiisch.

  2. James sagt:

    Dass sich Winfried Wolf von den LINKEN auf eine Statement auf PS, (welches meinerseits auf hier als Kommentar eingesetzt wurde) äußern muss, ist mehr als Unterirdisch!!! Zeigt aber die Denkweise der LINKEN, die sich hier im S21 Widerstand breit machen. Liebe Demo-Organisation, wenn hier weiterhin Werbung für LINKE und deren Gesinnung auf den S21-Montagsdemos betrieben- und andere Themen von der S21 Bühne vermittelt werden, werdet ihr über kurz oder lang, nur noch wenige Besucher auf eurer ehedem geschrumpften Montagsdemo gegen S21 vorfinden. Das Thema S21 mit seinem vielfältigen Murks an jeder Ecke ist so gigantisch, dass ihr keine Plattform für andere Themen nötig habt, schon gar nicht politisch gesteuerte Redner!

  3. hajomueller sagt:

    Wenn ich die Kommentare zu dem Beitrag auf der Parkschützerseite von Kostas Koufogiorgos lese, muss ich folgendes bekennen: Ich gehe eigentlich schon seit längerem nicht mehr zu den Montagsdemos wegen S21. Und es fällt mir immer schwerer, den montäglichen Weg vom Umland nach Stuttgart deswegen anzutreten. Es geht mir um das System 21, oder anders ausgedrückt, um die marktkonforme Demokratie. S21 ist ein Produkt davon. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, S21 ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Demonstranten (vermutlich auch die Führungs-Crew) einigen können, ohne Streit zu bekommen. Frau Merkel, Herr Gabriel und Herr Kretschmann freuen sich ungemein, dass wir uns nur bei S21 einig sind, bei den entscheidenden Dingen des Systems 21 uns nicht über den Weg trauen. Liebe S21 Gegner, wir brauchen uns nicht jede Woche erzählen, dass der neue Bahnhof nur 32 Züge kann und 10 Milliarden kostet. Wenn das wöchentlich auf der Agenda steht, bleibt zu wenig Zeit, um über die noch viel größeren Sauereien in dieser Gesellschaft zu reden.

  4. Reini sagt:

    Das System Merkel greift doch auch in Griechenland. War es bei uns nichts auch so, dass die Befürworter von S21 Geld aus Steuern für die Kampagne gegen uns bekamen? Die angeblichen „Fakten“ der Befürworter erwiesen sich als Schall und Rauch….hatte aber keinerlei Konsequenzen für diese Lügner und Betrüger!!

    Nichts anderes ist es in Griechenland…die Neoliberalen Abzocker und korrupten Vorgänger von Tsipras haben genügend Geld um Stimmung gegen die neue Regierung zu machen! Auch sie werden lügen und die Menschen verdummen, damit das gewünschte Ergebnis raus kommt!

    Ich hoffe nur, dass die Griechen intelligenter als die Deutschen sind und sich nicht verdummen lassen!

    Die EU hat Griechenland 5 Jahre zu Tode gespart und will jetzt weitere Jahre dran hängen! Es ist immer wieder die perverse Politik GEGEN die Menschen, nur um Betrügern und Lobbyisten im Dienste der Wirtschaft das Geld in den Hintern zu schieben! Geld, das dem Volk fehlt!!
    S21 und das Leid der Griechen haben EINE Ursache….die Gewinnmaximierung von Konzernen, die Korruption zu Geschäftsgrundlage gemacht haben! Reiche Griechen sind die Eigentümer der Medien…auf welcher Seite werden die wohl stehen…??

    5000 Lobbyisten in Berlin…und 20 000 in Brüssel! Da muss einem doch langsam ein Licht aufgehen…..

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