Dieselgate‚ Dieselgipfel, Autokrise – Warum die Bewegung gegen S21 und ihre Montagsdemos allen Grund haben, nicht nachzulassen

Rede von Tom Adler, Fraktionsvorsitzender der Fraktionsgemeinschaft SÖS, LINKE, PluS, auf der 380. Montagsdemo am 7.8.2017

Dieselgate‚ Dieselgipfel, Autokrise – Warum die Bewegung gegen S21 und ihre Montagsdemos allen Grund haben, nicht nachzulassen

Meine Damen und Herren, liebe Freund*innen, und liebe Passant*innen,

wir hatten hier in den letzten Wochen mit unseren Redner*innen und Themen ständig den Finger am Puls der heißen Diskussionen in der Gesellschaft. Weil wir als Stuttgart-21-Gegner nicht nur Schienenverkehr und Bahnhof verstehen, sondern auch hochsensibel und ausgesprochen gut informiert sind über alle verkehrspolitischen Fragen.

Am 24.7.2017 hat Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe bei uns gesprochen und vorhergesagt, dass der sogenannte ‚Diesel-Gipfel‘ letzte Woche nicht mal Trippel-Schrittchen in die richtige Richtung bringen wird. Was CDU, SPD und Grüne Politiker hinterher behauptet haben.

Und dass dieser Gipfel bestätigen wird, wie durchsetzt, ja verseucht von den Lobbyisten der Autokonzerne deren Politik ist: ganz aktuell schon wieder bestätigt, weil der niedersächsische Ministerpräsident Weil offenbar den Entwurf seiner Regierungserklärung zu den aufgeflogenen VW-Diesel-Manipulationen erst einmal an den VW-Konzern geschickt hat zum Gegenlesen. Das will er natürlich nur getan haben, um die Rede rechtlich abklopfen zu lassen, die überführten Abgasbetrüger sollten angeblich einen Faktencheck für ihn machen.

Was an sich schon ein Unding ist, denn das Büro eines Ministerpräsidenten, der gleichzeitig an der Spitze des VW-Aufsichtsrats steht, sollte die Fakten sowieso kennen. Ein Whistle-Blower, der bei VW daran beteiligt war, hat den Originaltext und die Version, die dem VW-Vorstand dann genehm war, der Presse zugespielt mit der Bemerkung: „Das war kein Faktencheck, wir haben die Rede umgeschrieben und weichgespült.“

Tatsächlich hat dieser Dieselgipfel sich als ein Gipfel der Dreistigkeit der Autokonzernchefs präsentiert. Und er hat gezeigt, wie dieses schwarz/rosa/grüne Konzern-Kuschel-Kartell von Stuttgart bis Berlin genauso weiterzumachen versucht wie die letzten Jahre, um den Autokonzernen die immer noch sprudelnden Extraprofite weiterhin abzusichern. In der aktuellen Ausgabe des ‚Spiegel‘ schreibt Jakob Augstein, dass dieses Kartell beim Dieselgipfel ein „Schauspiel der großen Verlotterung“ abgegeben habe. Und dass es immer wieder versucht, die Lüge zur Wahrheit zu machen und die Rechnung weiterzureichen – an Mensch und Umwelt, die mit ihrer Gesundheit bezahlen werden.

Aber trotz allem schafft es das Kartell offenbar nicht, so viele Nebelkerzen zu werfen, dass sich die Öffentlichkeit mit lauwarmen, durch nichts überprüfbaren Versprechen der Autokonzerne abfindet. Eine deutliche Mehrheit ist nicht mehr bereit hinzunehmen, dass Renditeschutz und Motorenschutz Vorrang hat vor Schutz der menschlichen Gesundheit!

Und dass sich noch vor Urteilsverkündung eine große Mehrheit in der Stadt Stuttgart für Fahrverbote für Diesel-Pkw ausgesprochen hat, kann uns Mut machen! Das signalisiert, dass tiefes Unbehagen da ist und gärt, Unbehagen über das, was mit unserer Stadt, mit unserer Gesundheit gemacht wird. Diese Gärung ist noch nicht zu Ende und muss nicht, kann aber den Druck für eine weitreichende positive Veränderung entwickeln, so wie sich 2009 und 2010 der Druck im Kessel gegen S21 und die Mappus-Politik aufgebaut hatte.

Die Situation ist spannend: bis tief in die eigenen Reihen der eingebildeten und tatsächlichen Machthaber brechen Widersprüche auf, sogar das Handelsblatt spottet: „Softwareupdates als Einsparungen von Geisterhand“. Allenthalben wird von der großen „Autokrise“ geredet, obwohl von Auftragseinbrüchen wie 2009/10 bisher gar keine Rede sein kann.

Was wir uns bei S21 lange Zeit gar nicht mehr vorstellen konnten: ein Gericht entscheidet nicht einfach auf der vorgegebenen Linie von Regierungen und Großkonzernen, die unverfroren behaupten, das „Allgemeinwohl“ zu repräsentieren!

Wir erleben zur Zeit etwas, was vor zwei oder drei Jahren niemand ernsthaft erwartet hätte. Seit den frühen 80ern stand die Autogesellschaft nicht mehr so unter Feuer, innerhalb eines Jahres hat sich die verkehrspolitische Debatte stark verändert und beschleunigt.

Diese schnelle Wendung in der öffentlichen Diskussion hat tief liegende Ursachen: die Zeiten großer Stabilität der kapitalistischen Gesellschaften, wie wir sie kannten, sind vorbei, weltweit und auch bei uns. Große und unerwartete Umbrüche und Verwerfungen werden immer häufiger. Schon der Crash an den Finanzmärkten vor acht Jahren hat tiefe Risse im angeblich so festen und „alternativlosen“ Fundament des Wirtschaftens nach kapitalistischen Regeln offenbart.

Doch diese untergründige, meist angestrengt zugedeckte Labilität liegt nicht hinter uns, sondern besteht weiter. Der Börsen-Mann, der immer wieder im Anschluss an die Tagesschau zu sehen ist, sagte heute: „Wir warten auf den nächsten Crash“. Die Süddeutsche Zeitung berichtet auf Seite 1 ähnliches. Wann er kommt weiß natürlich niemand genau.

Warum rede ich hier von Crashs und Instabilität? Weil ich meine, dass wir alle diese Signale sehr sorgfältig registrieren sollten. Mit abrupten Entwicklungen und Wendungen müssen wir rechnen. Und das sollten wir auch: denn wenn sich aus einer scheinbar zementierten autogerechten Gesellschaft ein VW-Dieselgate und daraus inzwischen ein Skandal Autoindustrie entwickelt hat, sind auch abrupte Wendungen bei Stuttgart 21 nicht ausgeschlossen – potentielle Krisen-Auslöser dafür existieren genug!

Stuttgarter Zeitung: Da ist er wieder: Dieser feine Riss, der sich durch die Stadt zieht. Es ist an jeder Ecke spürbar. Es ist dieses Unbehagen beim Thema Zukunft des Autos in der Stadt.“ Dieser aktuelle Riss in scheinbar fest zementierten Verhältnissen ist momentan nicht offensichtlich ausgelöst von Stuttgart 21, Verkehrspolitik ist aber gerade bei uns nicht von Stuttgart 21 zu trennen, auch wenn das viele lieber verdrängen.

Unsere Aufgabe ist es dabei, uns ständig einzumischen und S21, das andere große verkehrspolitische Thema von Region und Stadt, in den Mittelpunkt zu rücken. Immer und immer wieder, denn es wird derzeit genauso verdrängt wie jahrelang die Belastungen der Gesundheit und die Zerstörung der Lebensqualität durch die Autolawinen.

Wir haben auch deshalb in dieser Stadt mit der Mahnwache und unseren wöchentlichen Kundgebungen eine eminent wichtige Funktion. In dieser Situation unvorhersehbarer politischer Wendungen ist durchhalten und oben bleiben eine wichtige politische Qualität, die zeichnet uns aus, wir sollten unser Licht nicht untern Scheffel stellen

Jeden Montag mit öffentlicher Aufklärung Stachel im Fleisch zu sein, ist zwar anstrengend, wir sollten aber unsere Außenwirkung nicht unterschätzen: Wenn Jürgen Resch, der Medienpräsenteste aller Autokonzern-Kritiker bei uns spricht, dann heißt das: wir Stuttgart-21-Gegner werden wahrgenommen und ernst genommen! Oder reden wir von Thomas Wüpper: er hat in ‚Bild der Wissenschaft‘ kürzlich einen großen und fundierten Artikel zur Anhydrit-Problematik veröffentlicht! Was wir tun und sagen, wird über viele Kanäle in die Gesellschaft transportiert, auch wenn wir es nicht dauernd wahrnehmen. Und vom Fehmarn-Belt bis Strasbourg: wir sind auch Mutmacher für andere Initiativen und Bewegungen und wir können diese positive Außenwirkung noch verstärken durch enger geknüpfte Verbindungen mit den vielen Initiativen und Kräften in und außerhalb der Stadt, mit denen uns humanistischer Grundsatz und außerparlamentarischer Kampf für eine Stadt für die Menschen, statt für Kommerz und Konzerne, verbindet – vom Flüchtlingsrat über die Anstifter bis zum Klima- und Umweltbündnis und ver.di Stuttgart.

Das Stuttgarter Schweigekartell von Rathaus bis zur Stuttgarter Medienholding ist nicht das Maß aller Dinge!

„There is a crack in everything, that’s where the light gets in“– Der Spalt, durch den das Licht fällt, diesen Satz aus dem Song „Anthem“ von Leonard Cohen hat Winfried Wolf in seinem Buch zitiert. Leonard Cohen hat ihn in bei seinem Konzert in der Schleyerhalle am Abend nach dem Schwarzen Donnerstag gesungen und den Bäumen und unserem Widerstand gewidmet.

Liebe Freund*innen, diese Situationen, in denen sich solche Spalten auftun, können gerade wir nutzen und dazu beitragen den Riss zu vergrößern, damit schließlich der Blick frei wird auf den Weg in eine menschengerechte, lebenswerte und gesunde Stadt für alle, ohne Autolawinen und Monsterbauten wie S21!

Oben bleiben!

Rede von Tom Adler als pdf-Datei

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