Zum gegenwärtigen Stand in Notre-Dame-des-Landes auf der ZAD (zone à défendre)

Rede von Elsbeth Sureau, ‚Stuttgart 21 ist überall‘, auf der 417. Montagsdemo am 28.5.2018

Stellen Sie sich diese französische Landschaft der Südbretagne nahe der Loire-Mündung in den Atlantik vor: Kleine Wäldchen, Sumpfgebiet und 270 ha von Büschen und Bäumen umsäumte Gemüsegärten, Getreidefelder und Wiesen, Kühe, Ziegen, Hühner, Ställe, ein paar Bauernhöfe alteingesessener Bauern, selbstgezimmerte Holzbaracken, hier eine Mühle und eine Bäckerei, da eine Käserei, eine Reparaturwerkstatt für landwirtschaftliche Geräte, dort ein Versammlungsplatz und ein Gemeinschaftshaus, dessen wunderschönes hohes Dachgebälk von Zimmerleuten aus ganz Frankreich gezimmert wurde.

Alteingesessene Bauern und Besetzer leben dort und helfen sich gegenseitig. Sie haben gemeinsam ein System des ökologischen Zusammenlebens und Arbeitens geschaffen, das am Bedarf, an Sozialem und Kultur orientiert ist, und nicht am Gewinn.

Viele Menschen aus der Nachbarschaft kommen auf die ZAD zu den Festen und um sich dort mit Brot, Milch und Käse, etc. einzudecken.

Das alles hat sich seit Längerem auf dieser Zone, die für den Flughafen Notre-Dame-des-Landes vorgesehenen war, entwickelt, vor allem nach 2012, als die Polizei gewaltsam aber vergeblich versuchte, die Besetzung der ZAD zu beenden.

Das Nein gegen die Verschwendung von natürlichen Ressourcen und Steuergeldern für den unnützen Megaflughafen ist längst zum gelebten Ja, zu einer sinnvollen Alternative geworden.

Auch wir in Stuttgart sind nicht nur Neinsager, sondern sagen Ja zur menschenfreundlichen, klima- und umweltfreundlichen Alternative, für unsere grüne Lunge ohne pharaonische Dauerbaustellen, für gesundes Wasser und Mineralwasser, für wirklich demokratische Entscheidungen ohne Manipulation und Gewalteinsatz, für einen sicheren, guten, preiswerten öffentlichen Transport für alle, für Umstieg 21 und noch viel mehr. Und auch: für gegenseitige Hilfe in unserem berechtigten Widerstand, untereinander und mit Gegnern von unnützen Großprojekten anderswo. Darum wollen wir hier das Experiment der ZAD von Notre-Dame-des-Landes bekannt machen und verteidigen.

Am 17.Januar 2018 beschloss die französische Regierung, den Megaflughafen nicht zu bauen. Das kollektive Werk auf der ZAD soll jedoch zerstört werden.

Am 9. April rückten 2500 Mann Gendarmerie mit Gewalt in die ZAD ein. Die Bewohner wurden mit Tränen- und verbotenen Reizgasgranaten regelrecht überschüttet. 29 der 97 Behausungen wurden zerstört, ca. 100 verletzte Polizisten und 200 verletzte ZADisten gezählt, 30 Personen wurden gerichtlich vorgeladen. Von den 2500 Gendarmen blieben 1500 vor Ort, als die polizeiliche Evakuierung Ende April vorläufig beendet wurde. Die Zahl der ZAD-Bewohner wächst.

Die Regierung Macron forderte, den so genannten „rechtsfreien Raum“ auf der ZAD zu beenden und verlangte bis zum 14. Mai die Einzelregistrierung jedes Bewohners mit seinem Projekt zur Prüfung. Ausschließlich landwirtschaftliche Projekte werden anerkannt. Wohnen ist nur in festen Bauten erlaubt, für die eine Genehmigung vorliegen muss, ansonsten heißt es: Abriss.

Am Tag nach Fristablauf fanden zwischen Bewohnern der ZAD und der Präfektur dann doch weitere Verhandlungen um die eingereichten Anträge statt. Dabei wurden mehrere Projekte positiv beurteilt, über andere sollte noch entschieden werden.

Trotzdem begannen die Gendarmerie-Einheiten zwei Tage später, am Morgen des 17. Mai, erneut eine militärische Besetzung der ZAD und rückten mit gepanzerten Fahrzeugen, Drohnen, großen Baumaschinen, Tränengas und Lärmgeschossen auf das Gelände vor. Seitdem werden die Projekte der ZADisten gegen ihren Widerstand gewaltsam geräumt, vernichtet oder eingemauert, zahlreiche Gärten, Äcker und Naturgebiete verwüstet. Bei einer Auseinandersetzung am 22. Mai warfen die Gendarmen Tränengasgranaten gegen ca. 50 Verteidiger der ZAD. Dabei wurde ein 21-jähriger fliehender ZADist, Maxime Peugeot, von einer auf dem Boden liegenden und dort explodierenden Granate mit TNT-Sprengstoff so verletzt, dass er seine Hand verloren hat. Nun will die Gendarmerie ihm selbst die Schuld für diese Auswirkung der staatlichen Gewalt zuschieben. Diese Granaten dienten „zur Aufrechterhaltung der Ordnung gegenüber besonders gewalttätigen Menschen“, heißt es.

Es ist aber nicht Unordnung, auch nicht die Gewalt, die unterbunden werden soll, sondern die gemeinschaftliche soziale Verantwortung der ZADisten, denn diese steht dem Individualismus und Neoliberalismus entgegen. Die Regierung ist nur bereit, eine individuelle Landzuteilung zu genehmigen, mit der Absicht, die Gemeinschaft und die Solidarität zu spalten und zu zerstören.

Die ZAD-Bewohner und der Zusammenschluss aus den umliegenden Gemeinden halten an ihrem Versprechen von 2016 fest und bestehen – bei allen unterschiedlichen Meinungen – gemeinsam darauf: Das Kollektiv ist nicht teilbar. Die Bewohner haben deshalb einen Vertrag beantragt, durch den das ganze Gelände zeitweilig auf einen neu gegründeten Verein für eine gemeinsame Zukunft übertragen wird.

Wir haben von Stuttgart aus unsere langjährigen Freunde, die BewohnerInnen der ZAD, mit Solidaritätsbekundungen unterstützt. Wir rufen den Menschen der ZAD in Notre-Dame-des-Landes und allen Widerständlern gegen unnütze Großprojekte zu: Ihr habt, zusammen mit Zehntausenden in Frankreich und im Ausland, in Notre-Dame-des-Landes ein unnützes, schädliches Großprojekt verhindert und bis jetzt eine bemerkenswerte praktische Initiative für eine bessere ökologische und soziale Zukunft ergriffen. Das sind großartige Siege. Wir wünschen Euch die nötige Einheit, Stärke und Durchhaltekraft, dass diese Initiative und andere positive Alternativen fortgesetzt und ausgebaut werden können.

Zusammen mit unzähligen Franzosen, die am Samstag auf der Straße eine „Volksflut“ gebildet haben, fordern wir die französische Regierung auf, die gewaltsame Zerstörung der ZAD sofort zu beenden und den Gemeinschaftsvertrag des Kollektivs zu akzeptieren.

Wir wollen keine schädlichen Megaprojekte, wir wollen positive zukunftsweisende Alternativen! Die ZAD soll leben! Oben bleiben! On lâche rien!

Rede Elsbeth Sureau als pdf-Datei

 

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