Im Steigflug in die Klimakatastrophe

Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder / Aktionsbündnis gegen S21, auf der FFF-Demo am 26.7.2019 im Stuttgarter Flughafen

Ich danke euch; wie man leicht erkennt, bin ich längst über das Alter raus, wo ich noch die Schule schwänzte.

Inzwischen bin ich Vertreter der Bürgerinitiative „Schutzgemeinschaft Filder“. Wir gründeten uns vor 52 Jahren (1967) – damals, als irgendwelche Verrückten planten, die fruchtbare Filderebene mit einem Interkontinental-Großflughafen mit drei Startbahnen zu zerstören.

Wir konnten dies verhindern, aber die Zerstörungswut nahm dennoch ihren Lauf mit einer Riesenverlängerung der Startbahn, einer 4-6-8-spurigen Autobahn, mit einer Großmesse plus Frachtzentrum. Der Plan für den Bau einer 2. Startbahn konnte verhindert werden – doch dann kam Stuttgart 21…

Lasst mich die Dramatik der Klimaproblematik und insbesondere des Fliegens an Hand eines Gedankenspiels demonstrieren: Stellt euch die Erde als Kugel mit 10 Metern Durchmesser vor, umgeben von einer Lufthülle, der Atmosphäre, in der sich die meisten Klimaprozesse abspielen. Menschliches Leben ist in dieser Lufthülle ab ca. 6 km Höhe nicht mehr möglich. Das wären in unserem Modell etwa 5 mm.

Flugzeuge fliegen deutlich höher – bis 10 km Höhe – unter lebensfeindlichen Bedingungen. 10 km wären in unserem Modell etwa 8 mm.

Diese Lufthülle um unsere Erde ist also ein ganz dünnes, nur wenige Kilometer dickes Häutchen, das uns gegen das unendliche, unwirtliche Weltall schützt und durch das unser Leben auf der Erde erst ermöglicht wurde. In dieses empfindliche Häutchen blasen wir tagtäglich unvorstellbare Mengen von Gasen und Teilchen, die nicht der natürlichen Zusammensetzung der Luft entsprechen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis das Gleichgewicht in der Atmosphäre, das sich über Jahrmillionen ausgebildet hat, nachhaltig gestört wird.

Besonders dramatisch wirken dort die Flugzeugabgase, die in etwa 6 bis 8 mm Abstand (also ca. 8 bis 10 km) ausgestoßen werden. Zwar produzieren Flugzeuge aktuell „nur“ knapp 3% des CO2, aber die Abgase sind ein Cocktail aus CO2, Stickoxiden, Rußpartikeln und Wasserdampf (diese erzeugen klimaschädliche Kondensstreifen), CO, HC, SO2, Feinstaub, Ultrafeinstaub usw.

In großen Höhen, also bei extremem Unterdruck, tiefer Temperatur, starker UV Strahlung, ver-vielfacht sich die Klimawirksamkeit dieser Abgase, und diese Stoffe haben dort eine sehr lange Aufenthaltsdauer, schließlich gibt es nur einen geringen vertikalen Austausch. Es bildet sich wohl allmählich eine Dreckschicht um den Globus.

Und deshalb gehen Forscher davon aus, dass Flugzeuge zwar aktuell nur für knapp 3% des reinen CO2-Ausstoßes in die Atmosphäre verantwortlich sind, die Klimawirksamkeit der Flugzeuge aber wegen der gerade beschriebenen Ursachen etwa 3 bis 5 mal größer ist, d.h. sie schädigen das Klima im Bereich von über 10% .

Und was machen der Flughafen, die Fluggesellschaften und die meisten Politiker? Sie schwärmen von noch größeren Wachstumsraten gerade auch beim Fliegen.

Letztes Jahr hatten wir in Stuttgart einen Zuwachs um 7%, auf lange Sicht rechnet man mit jährlich 5% Wachstum nicht nur hier, sondern weltweit, und das hieße eine Verdopplung weltweit in 14 Jahren (2033). Das ist der Horror – pur!

Der Flughafen brüstet sich damit, dass er doch beim Treibstoffverbrauch immer effektiver werde, um ca. 1,5% pro Jahr, nur, bei gleichzeitig 5% Wachstum wird man – absolut gesehen – immer mehr und mehr ausstoßen.

Die Welt wird im Moment erkennbar zugrunde gerichtet und wir tun alles, um dies mit Hilfe des Klimakillers Flugzeug zu beschleunigen.

Und dann auch noch dies: In einer ganzseitigen Anzeige in den Stuttgarter Nachrichten vom
29. März heißt es: Für 5,99 € nach Italien, also für ein Kännchen Kaffee! Ja sind die denn verrückt? Ist das nicht obszön? Auch 49 Euro wären obszön!

Immerhin sagt unser grüner Verkehrsminister und Aufsichtsratsvorsitzender des Flughafens, diese Billigflüge seien unanständig. Gut so! Nur: Gleichzeitig beugt er sich dem Wachstumswahn, indem er sagt, man könne das nachfragebedingte Wachstum nicht verhindern und die Airlines hätten einen Rechtsanspruch auf die Nutzung des Flughafens. So ein Quatsch!

Wenn mein Enkel fordert, täglich drei Liter Cola trinken zu wollen und in Zukunft noch viel mehr, komme ich dem gewiss nicht nach, obwohl es doch nur nachfragebedingtes Wachstum wäre.

Und schließlich schwärmt der Flughafen von Stuttgart 21; man ist zuversichtlich, dass der Flughafen durch S21 jährlich bis zu 1,5 Millionen mehr Fluggäste bekommt. Ja, wie denn das?

Der Stuttgarter Bahnhof mit seinen im Tiefbahnhof geplanten gerade mal 8 Durchgangsgleisen: das sind weniger Gleise als z.B. im Bahnhof Plochingen. Stuttgart 21 lässt nicht einmal den von der Bundesregierung geplanten Deutschlandtakt zu. Warum „gewinnt“ dann aber der Flughafen?

Ein Beispiel: Züge aus Tübingen, Nürtingen, die bisher über Wendlingen, Plochingen, Esslingen nach Stuttgart fahren, würden an diesen Städten vorbei direkt zum Flughafen geführt, nur dort gibt es keine Wohnbebauung, nur die Möglichkeit, fort zu fliegen...

Die vergleichsweise umweltfreundliche Bahn wird folglich als Zubringer zum klimaschädlichen Fliegen missbraucht. Verrückt oder?

Wir fordern seit Jahrzehnten:

  1. Besteuert endlich das Kerosin – massiv – und steckt das Geld in den Ausbau der Bahn, d.h. verteuert das Fliegen, verbilligt und verbessert das Bahnfahren!
  2. Untersagt Kurzstreckenflüge!
  3. Erhebt Mehrwertsteuer auf internationale Flüge!
  4. Führt endlich ein konsequentes Nachtflugverbot von mindestens acht Stunden ein!

Und so weiter und so weiter...

Schlussbemerkung:

Ich danke euch für euren Einsatz für uns und für die Welt meiner Kinder und Enkel, und wünsche mir, leider nur mit geringer Aussicht auf Erfolg, dass der Flughafen sich euren Demos anschließt und vielleicht – jeden Freitag – folgende Aktion einführt: FFF: „Freitags Flug Frei“

Das wäre doch, angesichts der brütenden Hitze draußen, ein Anfang, wenn auch ein viel zu zaghafter Anfang, oder?

Rede von Steffen Siegel auf der FFF-Demo am 26.7.2019 im Stuttgarter Flughafen als pdf-Datei

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