Kritisch und konstruktiv – habt ihr denn alles vergessen?

Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Ingenieure22, auf der 501. Montagsdemo am 17.2.2020

Seit Jahresbeginn 2020 gab es schon viele Meldungen in den Medien zum Umbau des Stuttgarter Bahnknotens. Zu ausgewählten Themen möchte ich heute zusätzliche Informationen liefern und insbesondere die Positionen der beteiligten Projektpartner – Stadt und Land – hinterfragen.

Über die Planungen für den Abstellbahnhof in Untertürkheim habe ich in zwei Redebeiträgen im vergangenen Jahr informiert, und nun fand im Januar die Erörterungsverhandlung statt. Neben umfangreichen und fachlich gut unterlegten Einwendungen vieler Mitstreiter, z.B. aus Untertürk­heim selbst, aber auch vom BUND, gab auch das Verkehrsministerium eine „Stellungnahme“ ab. Mit gerade mal 10 Zeilen (ohne die Grußformel) ist diese völlig nichtssagend. Der zentralen Frage­stellung, ob der heutigen Kapazität des Abstellbahnhofs Rosenstein auf ca. 30 ha Bahngelände in Zukunft auf knapp 10 ha entsprochen werden kann, wird darin nicht geantwortet. Aber wer denn sonst als das für den Regionalverkehr zuständige Ministerium soll nach der Vergabe an private Bahnunternehmen darüber Auskunft geben, wie viele Züge nicht nur fahren sollen, sondern auch abgestellt werden müssen. Der BUND hat übrigens vom Regierungspräsidium nicht mal eine Antwort auf seine Einwendungen erhalten, insofern ist das ganze Verfahren eigentlich fraglich.

Um eine kompetente Auskunft zu Abstellkapazitäten zu erhalten, haben wir gefordert, dass ein Vertreter des Ministeriums an der Erörterung teilnimmt. Und am Nachmittag des zweiten Tages kam dann doch noch Herr Hickmann und durfte sogar im Präsidium sitzen. In seinem Beitrag hat er allerdings nichts Neues zum Abstellbahnhof erzählt, aber dem Gesamtprojekt eine generelle Rechtfertigung – zumindest bis 2030 – geliefert. Der Entwurf des Deutschlandtakts mit 44 Zügen sei fahrbar und die angestrebte Verdopplung der Fahrgastzahlen gegenüber 2010 ebenfalls möglich. Die Vertreter der DB haben dies natürlich sofort als Bestätigung hervorgehoben.

Erst nach 2030 müsse man verstärkt auf die Qualität des Angebots achten und nicht nur wirt­schaftlich optimal anbieten. Dazu würden verschiedene Erweiterungsoptionen diskutiert. Auf kritische Fragen zum grenzwertig durchgeführten Stresstest mit 49 Zügen oder den in jüngster Zeit von der DB mehrfach behaupteten 96 Zügen („ohne weiteres auf jedem Gleis alle 5 Minuten ein Zug“) antwortete Herr Hickmann völlig unkonkret und nur mit der Akzeptanz des Stresstests durch die Volksabstimmung. Erwartet er wirklich, dass ein realer Fahrplan für knapp 50 Züge stabil auf 8 Gleisen gefahren werden kann?

Die aktuellen Planungen der DB für den Abstellbahnhof sind übrigens der 4. Antrag seit 2009. Die vorherigen drei wurden alle von der DB selbst zurückgezogen. Was da an Blindleistung und Kosten produziert wurde, ist unverantwortlich und wird auch nicht durch ein Beschleunigungsgesetz von Herrn Scheuer besser. Noch schlimmer ist es allerdings mit der Planung am Flughafen. Dort erfolgten Planauslage und Einwendungen bereits 2017. Nach geltenden Gesetzen sollte nach 3 Monaten die Erörterung erfolgen – in diesem Sommer werden es aber 3 Jahre. Dazu kenne ich aber keine kriti­sche Äußerung – weder von Herrn Scheuer noch von Herrn Hermann.

Die DB hat ja die Zeit genutzt und in das Verfahren gleich noch eine Planänderung für das „3. Gleis“ eingekippt, die die berüchtigten 14 Monate Trennung des Flughafens von der S-Bahn beinhaltet. Wie realistisch diese Zahl nach unseren Erfahrungen mit der Stadtbahn an der Staatsgalerie ist, das vertiefen wir mal nicht. Der Widerspruch bei Infrastrukturvorstand Pofalla wurde aber mit dem Hinweis abgebügelt, dass alles, was S21 irgendwie hilft, eben ertragen werden muss.

Minister Hermann hat ja neulich über den erfreulicherweise nur leicht verzögerten Bau des Regionalbahnhalts der Gäubahn in Stuttgart-Vaihingen informiert. Allerdings ging er dabei nur auf die Leistungen seines Ministeriums ein, z.B. auf die Finanzierung von ca. 7-8 Mio. Euro. Dass aber das Bündnis Filderbahnhof Vaihingen, Bezirks- und Gemeinderäte sich schon viele Jahre für den verkehrlich sehr sinnvollen Halt der Regionalzüge einsetzen, darauf mussten erst die Bürger hinweisen. Das ist leider bei der hochgelobten Bürgerbeteiligung aus meiner Sicht sehr häufig der Fall, dass engagierte Bürger für das kämpfen müssen, was eigentlich selbstverständliche Aufgaben politischer Gremien und der Verwaltung wäre.

Für die Panoramastrecke der Gäubahn gab es ja in diesem Jahr schon mehrere Beiträge in der Presse. Insbesondere geht es um die angeblich notwendige Unterbrechung am Nordbahnhof noch vor der Inbetriebnahme von S21, also während des normalen Betriebs des Kopfbahnhofs. In einer Arbeitsgruppe mit BUND, VCD und ProBahn haben wir herausgearbeitet, dass diese Unterbrechung bei dem erreichten Stand der Arbeiten für die neue S-Bahn-Trasse weder baulich sinnvoll noch finanziell vorteilhaft wäre. Die Unterbrechung wäre also die vorsätzliche Zerstörung der wichtigen Bahnverbindung von Stuttgart in den Süden von Baden-Württemberg bis nach Zürich. Dieses Ergebnis wollen wir in der Öffentlichkeit verbreiten und kommen dabei gut voran.

Als technische Erläuterung dazu nur so viel, dass der Bauablauf für die S-Bahn am Nordbahnhof so geplant war, dass die S-Bahn zeitweilig über die jetzigen Gleise der Gäubahn geführt werden sollte, um mehr Baufreiheit für die neue Strecke zur Mittnachtstraße zu bekommen. In der Planfeststellung 2006 ist diese Verlegung für beide Richtungsgleise der S-Bahn beschrieben, in einer Präsentation der DB von 2015 soll nur noch die stadtauswärtige Richtung verlegt werden, und Anfang 2019 hat man dem Kreistag von Böblingen präsentiert, dass nun gar kein S-Bahngleis zeitweise über die Gäubahn geführt werden muss. Die S-Bahn kann also auf die neue Strecke zur Mittnachtstraße ohne jedwede Unterbrechung der Gäubahn verschwenkt werden.

Da die bei S21 vorgesehene Führung der Gäubahn über den Flughafen für viele Jahre in einem Planungschaos versinkt, steigt bei den Städten und Gemeinden im Süden unseres Landes die Besorgnis über die angeblich notwendige Kappung der Gäubahn. Aber es gibt doch noch verantwortliche Politiker, die die Nachteile von S21 nicht einfach hinnehmen und auf eine 2011 erfolgte Volksabstimmung verweisen. Der OB von Böblingen, Herr Dr. Belz (GRÜNE) hat sich in einem offenen Brief mit den Unterschriften der Bürgermeister von mehr als 20 umliegenden Städten und Gemeinden an das Verkehrsministerium gewandt, um eine Unterbrechung der Gäubahn vor einer Alternative über den Flughafen zu vermeiden. Die Kreistage von Böblingen und Konstanz haben einstimmig beschlossen, dass ihre Landräte das Verkehrsministerium und die Stadt Stuttgart auffordern, eine mehrjährige Unterbrechung der Gäubahn zu verhindern.

Und wie sieht die Reaktion des Ministeriums aus? Ich bin mir sicher, dass auch dort bekannt ist, dass die Inbetriebnahme der S-Bahnstation Mittnachtstraße ohne Unterbrechung der Gäubahn erfolgen kann. Aber in der Antwort des Ministers an den OB von Böblingen werden wortreich die Verdienste um die Gäubahn beschrieben und dann heißt es nur lapidar, dass: „die von der DB im Rahmen der Realisierung von Stuttgart 21 ab Mitte des Jahres 2025 geplante mehrjährige Sperrung der Gäubahn im Bereich des Nordbahnhofs ein herber Rückschlag“ sei.

Das erinnert doch fatal an die Reaktion von OB Kuhn, als die DB im Gemeinderat erklärt hat, dass sich die Fertigstellung von 2021 auf 2025 verschiebt. Er sei „not amused“ – ein Armutszeugnis. Die Volksabstimmung kann doch kein Alibi für eine unkritische Haltung zu schlimmen Missständen sein. Erinnert Euch wenigstens an die versprochene kritische Begleitung des Projekts!

Trotz alledem! Wir werden: Oben bleiben!

Rede von Hans-Jörg Jäkel als pdf-Datei

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