Rede von Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), auf der 511. Montagsdemo[1] am 4.5.2020

Liebe Freundinnen und Freunde der sauberen Luft in Stuttgart,

ich wäre jetzt gerne bei euch am Schlossplatz, aber Corona zwingt uns ja wohl noch für einige Zeit, uns virtuell zu treffen.

Wir erleben im Moment für alle Menschen herausfordernde Zeiten. Wir erleben allerdings auch, wie im Windschatten der Corona-Pandemie politische Kräfte und Autolobby versuchen, die Uhr zurückzudrehen. Wir erleben aktuell, wie Errungenschaften des Klimaschutzes, der Luftreinhaltung, der Verkehrswende in Frage gestellt werden. In den Vereinigten Staaten hat Donald Trump direkt vorgemacht, um was es geht: es geht um den Rückschritt beim Klimaschutz, indem er dort dafür gesorgt hat, dass Sprit-Verbrauchsvorschriften für neue Autos ausgesetzt werden – für die nächsten fünf Jahre sollen keine fünf Prozent jährliche Verbesserung erfolgen. Er verkündete als Ergebnis seiner Politik, das werde zweieinhalbtausend Euro pro Auto einsparen, indem keine Umwelttechnik verbaut werden muss.

Genau dieses versucht die Automobilindustrie aktuell in Europa: die Strafzahlungen für das Verfehlen der Klimaziele in diesem Jahr sollen ausgesetzt werden. Mehr noch: die Ziele für das Jahr 2030, die CO2-Emissionen nochmals um 37,5  Prozent zu verringern, die sollen auch nicht mehr gelten, und aktuell morgen trifft sich im Kanzleramt die Automobilindustrie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, um über neue Konjunkturhilfen zu sprechen.

Ich spreche hier von einer Industrie, die zur reichsten und umsatz- und gewinnstärksten Deutschlands zählt. Ich will mal die Kennzahlen erwähnen: Gewinn vor Steuern von Daimler in den letzten beiden Jahren 15,4 Milliarden Euro, von BMW 16,8 Milliarden Euro und VW 30,9 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern, und das galt in den ganzen Vorjahren in gleicher Weise. Gewinne über Gewinne und dennoch geht man zur Kanzlerin und will noch mal ein paar Milliarden bekommen für entsprechende Konjunkturhilfen zum wieder Hochfahren einer Automobilproduktion, die – so wie zumindest das aktuelle Angebot aussieht, gegen die Wand gefahren ist.

Niemand will mehr langfristig Verbrenner haben, die von Jahr zu Jahr mehr Sprit verbrauchen. Der durchschnittliche Spritverbrauch von Neufahrzeugen in Deutschland hat in den letzten drei Jahren zugenommen. Auch innerhalb der Dieselgruppe, dort sogar besonders stark. Und woher kommt das? Weil wir eben immer mehr schwere SUVs, immer größere Autos bekommen, einen Mercedes GLS, der gerade vorgestellt wurde, der so breit ist, dass er zum Einfahren in die Waschstraße eine besondere Funktion zum Einknicken der Räder braucht. Für solche Aufgaben werden Ingenieure der deutschen Automobilindustrie missbraucht.

Für solche Produkte darf die Bundesregierung keine Gelder bewilligen. Diesem dreisten Versuch der Selbstbedienung hilft auch noch die baden-württembergische Landesregierung. Ministerpräsident Kretschmann kämpft mit Herrn Söder und Herrn Weil – also den Ministerpräsidenten der drei Autostaaten in Deutschland dafür, dieser Industrie weitere Milliarden zu geben und zwar für eine falsche Technologie. Die Grünen haben sich gerade am Wochenende auch verabschiedet von der entsprechenden Ausrichtung, nur noch Elektroautos fördern zu wollen, und meinen nun auch, dass es möglich sein sollte, weiter Verbrenner zu unterstützen.

Ich frage mich, warum gibt es keine Prämie für das Kaufen von Büchern oder von irgendwelchen anderen sinnvollen Investitionen, wobei ich kein Anhänger von Kaufprämien bin. Aber wie kann es sein, dass wir in Deutschland offensichtlich unseren Wohlstand und unsere Gesellschaft allein daran festmachen, wie viele neue Autos verkauft werden, und wie kann es sein, dass in den Städten München und Stuttgart, den Welthauptstädten des Automobilbaus gleichzeitig die schmutzigste Luft herrscht? Wir haben in Stuttgart nach wie vor die Situation, dass die Grenzwerte für das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid überschritten werden. Ganz interessant – am Stuttgarter Neckartor im ersten Quartal dieses Jahres haben wirs gerade erreicht und die Landesregierung feiert dies als Erfolg ihrer Politik – naja, vielleicht mit dem kleinen Zusatz, am Stuttgarter Neckartor gibt es seit erstem Januar auch ein streckenbezogenes Euro 5-Dieselfahrverbot.

Gehe ich mal hoch zur Pragstraße – diese Daten haben wir uns gerade erstritten über ein neues Rechtsverfahren – musste die Landesregierung zugeben, dass dort 49 Mikrogramm, also knapp zehn Mikrogramm mehr Stickoxid gemessen wurden im ersten Quartal wie am Neckartor. Klar, an der Pragstraße gibt es auch kein Euro 5-Fahrverbot. Gleichwohl fordert die baden-württembergische Landesregierung ausgerechnet eine Atempause in der Luftreinhaltepolitik. Gerade während der Corona-Pandemie ist es notwendig, dass wir alles tun, dass die Luft sauber bleibt, und ich freue mich für die Stuttgarter Bürger, dass sie zum Beispiel am Neckartor das erste Mal in Jahrzehnten halbwegs saubere Luft einatmen konnten.

Dabei muss es jetzt aber bleiben, und nachdem wir eben im Februar einen besonders wind- und vor allen Dingen regenreichen Monat hatten, der dann mitgeholfen hatte, die Werte unten zu halten, erleben wir jetzt mit dem normaleren Wetter und vor allen Dingen mit dem wieder zunehmenden Verkehr gegen Ende der stärkeren Bewegungsbeschränkungen, dass die Belastungswerte in der Luft wieder deutlich zunehmen, dass wir selbst am Neckartor oberhalb des Grenzwertes liegen. Deswegen klare Botschaft von der Deutschen Umwelthilfe: es wird mit uns keinen schmutzigen Deal für Stuttgart geben. Wir kämpfen weiter für die saubere Luft. Wir haben einen Titel und setzen über den Verwaltungsgerichtshof in Mannheim diesen Titel auch gegenüber einer Landesregierung durch, die es für wichtiger hält, dass schmutzige Autos durch die Stadt fahren und die Autoindustrie Kosten einsparen kann für die Nicht-Reparatur dieser Abgasanlagen, als dass sie den Menschen entsprechend hilft.

Wie sehr Stuttgart und Baden-Württemberg dem Auto verpflichtet sind, haben wir auch gesehen, als wir hier am dritten April einen Antrag gestellt haben, dass eben temporäre Fahrradstraßen eingerichtet werden – temporäre Umwandlungen von Verkehrsflächen für Fahrradfahrer. Was passiert im Moment: wir haben ein geringeres Angebot an Bahn, Bus und Straßenbahn und in der Folge ein Umsteigen vieler Menschen auf das Auto oder aufs Fahrrad. Es gibt eine Mobilitätsuntersuchung, wonach die Fahrradmobilität von Januar auf März um 250 Prozent zugenommen hat, und wir befürchten jetzt, dass auch viele aufs Auto umsteigen. Das heißt, dass wir eine gefährliche Konkurrenz zwischen diesen beiden unvereinbaren Verkehrsträgern erleben, und ja, Stuttgart hat natürlich bezeichnend geantwortet, man könne nichts verändern. Herr Pätzold hat auf die langfristigen Fahrradplanungen verwiesen und auf das beschränkte Personal. Berlin hat innerhalb von Tagen die ersten Bike-Lines eingerichtet. Zwei Tage bis zwei Wochen dauerte es dort und über 20 km wurden mittlerweile umgewandelt.

Wie sehr Stuttgart sich dem Auto verpflichtet hat, haben wir alle erlebt vor drei Jahren, als der dritte Entwurf zum Luftreinhalteplan veröffentlicht wurde. Da hieß es nämlich unter ‚Förderung des Radverkehrs und Förderung des Busverkehrs‘: „die Maßnahme darf allerdings nicht zu relevanten Störungen oder Behinderungen des Kfz-Verkehrs führen“. Eine solche Aussage habe ich bis jetzt noch nie woanders gelesen als in Stuttgart und diese Ausrichtung aufs Auto ist auch typisch für die Landesregierung. Deswegen mein Aufruf an Bürgermeister Pätzold und Noch-Oberbürgermeister Kuhn: wandeln sie endlich Autostraßen in Fahrradstraßen um! Der Ratentscheid Stuttgart hat das ja vorgemacht, ausgerechnet auf der Mercedesstraße wurde für drei Stunden mal eine Radstraße eingerichtet, sie hat funktioniert.

Die Diesel-Grünen von Stuttgart sind im Würgegriff der Dieselindustrie, und wir sehen es daran, wie eben auch Winfried Hermann als Verkehrsminister des Landes die Entscheidung von Tesla kommentiert hat. Er sagte, besonders scharf waren wir jetzt auch nicht darauf, dass sich Tesla in Baden-Württemberg ansiedelt. Ja kann man sich noch kleiner machen als grüner Verkehrsminister, als grüne Landesregierung, als der Dieselindustrie hier im Lande auch noch zu sagen, macht weiter so.

Ich habe die Sorge, wenn es nicht einen schnellen Wechsel gibt, dass Baden-Württemberg den Weg geht im Großraum Stuttgart, den Detroit bereits gegangen ist: der Rust Belt der USA droht auch in Stuttgart, wenn jetzt nicht umgesteuert wird. Anstatt in eine alte Technik Milliarden neu zu investieren sollte jetzt die zurückgegangene Nachfrage genutzt werden, um Überkapazitäten in der Automobilproduktion schnell umzubauen, dafür, dass eben batterieelektrische Fahrzeuge – und zwar rein batterieelektrische, keine Hybridfahrzeuge mehr – dass die entsprechend auch produziert werden.

Ich mache mir Sorgen um die Arbeitsplätze in Stuttgart, wenn man weiterhin auf Verbrenner setzt, wenn man weiterhin immer größere, schwerere Autos baut. Sagt nein zu diesem Weg und versucht auch Fritz Kuhn und Winfried Kretschmann wiederum auf den richtigen ökologischen Pfad des Klimaschutzes zu bringen.

Noch abschließend zu Stuttgart 21:  Die Bahn fordert zehn Milliarden und die Bahn braucht auch in den nächsten Jahren nicht nur Geld, sondern sehr viel mehr Planung und Umsetzung der Verkehrswende. Die Schienenstrecken sind am Limit, auf den Straßen gibt es immer noch viel zu viel Platz, und deswegen findet das Wachstum viel zu sehr auf der Straße statt. Stuttgart 21 würde diese Reduzierung des Bahnverkehrs durch diese sehr verringerten Kapazitäten des Tiefbahnhofs auch weiter zementieren und unmöglich machen, dass wir Güterverkehre, dass wir auch ausgebaute Bahnverkehre bekommen. Deswegen auch mein Appell in Sachen Stuttgart 21: verwenden sie das Geld, liebe Bahn-Verantwortliche, liebe Politiker, für die Modernisierung des Kopfbahnhofes. Wir brauchen in Stuttgart erweiterte Bahnkapazitäten und deswegen mein Appell an alle: oben bleiben und alles moderner machen!

Und vielleicht noch einen allerletzten Wunsch in eigener Sache: Peter Lenk ist seit Jahren dabei, die Geschichte von Stuttgart 21 zu dokumentieren, und wird ein monumentales, unglaubliches Denkmal präsentieren können. Ich würde mir wünschen, dass möglichst viele von euch Peter Lenk mit einer Spende diese Fertigstellung ermöglichen könnten.

Vielen Dank!

[1] ab 16.3.2020 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, online: https://www.parkschuetzer.de/videos/

Rede von Jürgen Resch als pdf-Datei

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