Ronald Pofalla, Schaumschläger und andere Katastrophen

Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der 607. Montagsdemo am 4.4.2022

Liebe Freundinnen und Freunde,

„Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen!“ Hoppla, bestimmt seid Ihr jetzt erschrocken. Ich habe aber nicht Euch gemeint. Ganz im Gegenteil, denn ich habe die Begegnung mit Euch sehr vermisst. Nein, dieses Zitat stammt von unserem heutigen Preisträger. Ich habe nämlich die Ehre, den scheidenden Bahnvorstand Ronald Pofalla mit dem Schaumschlägerpreis des Aktionsbündnisses auszuzeichnen. Allerdings ist die Übergabe nur symbolisch. Denn eine persönliche Konfrontation mit ihm hier auf der Bühne wäre mir angesichts seiner vorher zitierten Drohung gegenüber seinem Parteikollegen Wolfgang Bosbach doch zu gefährlich.

Also spreche ich lieber in seiner Abwesenheit, zumal ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, zusammen mit Eisenhart von Loeper und weiteren Mitstreitern im Jahr 2015 neben Bahnvorständen auch Ronald Pofalla, damals wegen Anstiftung zur Untreue – wenn auch ohne Erfolg – anzuzeigen. Konkret ging es um seine Tätigkeit als Chef des Kanzleramts. Und damit sind wir schon beim Thema. Bereits 2013 hat er sich um das Wahnsinnsprojekt Stuttgart 21 in hohem Maße verdient gemacht. Denn getreu dem Motto seiner Chefin Angela Merkel, die Welt gehe unter, wenn Stuttgart 21 nicht gebaut werde, nahm er sich die Staatssekretäre als die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG zur Brust und sorgte dafür, dass diese für den Weiterbau stimmten. Denn damals stand das Projekt auf der Kippe, weil seine Unwirtschaftlichkeit erwiesen war und die Kosten aus dem Ruder liefen. Was daraus geworden ist, das wisst Ihr.

Ronald Pofalla sollte seinen Einsatz nicht bereuen. Denn finanziell hat es sich für ihn gelohnt. Dass er empfänglich für die Lockungen des Geldes ist, sagte man ihm schon lange nach. Ich erinnere nur an die sogenannte Montblanc-Affäre. Es ging darum, dass verschiedene Bundestagsabgeordnete auf Kosten der Steuerzahler Luxusschreibgeräte bestellt hatten. Ronald Pofalla zeichnete sich dabei besonders aus. Er bestellte 5 Füller zu je 606,25 € und einige Kugelschreiber, der teuerste für 474,79 €. Innerhalb von vier Jahren, nämlich von 2006 bis 2009, verjubelte er auf diese Weise 14.722,32 € für Schreibgeräte. Damit qualifizierte er sich hervorragend für ein unnützes Großprojekt mit Milliardenrisiken.

Folgerichtig machte man ihn nach seinem im Jahre 2015 erfolgten Wechsel zur Bahn schon im Januar 2017 zum Bahnvorstand für Infrastruktur. Fachliche Voraussetzungen dafür hatte er zur Genüge, denn als studierter Sozialpädagoge und Jurist kannte er sich selbstverständlich bestens mit der Bahntechnik aus. Nicht nur das, als Chef des Kanzleramts und auch der Geheimdienste hatte er so viel Unheil angerichtet, dass es ihm leicht fiel, genau so weiter zu machen. Wer erinnert sich noch daran, dass er verantwortlich war für die Überwachung deutscher Staatsbürger durch amerikanische und britische Geheimdienste? Diese hatten ihm persönlich zugesichert, sich an deutsches Recht zu halten. Nachdem auch herausgekommen war, dass das Handy der Bundeskanzlerin von der NSA abgehört worden war, empörte er sich über den schweren Vertrauensbruch und erklärte anschließend die Affäre für beendet.

Nach diesen Heldentaten hat sich Ronald Pofalla insbesondere um Stuttgart 21 in hohem Maße verdient gemacht. Nicht nur hat er 2013 für den Weiterbau gesorgt, sondern sich als Chef der Infrastruktur gut fünf Jahre lang herausragend darum gekümmert, dass nichts klappte. Konsequent hat er den Projektpartnern bis zuletzt versichert, Zeit- und Kostenrahmen könnten eingehalten werden. Unsere Bedenken hat er souverän vom Tisch gewischt. Weil seine Leistungen weit größer als die seiner früheren Chefin waren, die als Bundeskanzlerin monatlich etwa 40.000 € erhielt, hat er sein fürstliches Gehalt von jährlich etwa 650.000 € zuzüglich Bonuszahlungen, auf die er allerdings zuletzt verzichten musste, redlich verdient.

Da unsere Bewegung gegen Stuttgart 21 nicht nur auf dieses Wahnsinnsprojekt starrt, sondern die Bahn insgesamt im Blick hat, soll nicht unerwähnt bleiben, dass Ronald Pofalla sich auch bei anderen Problemen in seiner Amtszeit herausragend bewährt hat. Als man ihn nach dem Einbruch des Tunnels bei Rastatt dringend gebraucht hätte, war er wochenlang total abgetaucht. Durch eine kreative Idee sorgte er sogar für eine besondere Wortschöpfung. Er hatte nämlich vorgeschlagen, dass bei Verspätungen die Züge einfach nicht bis zum Zielbahnhof fahren, sondern unterwegs umkehren sollten, um bei der Rückfahrt wieder pünktlich zu sein. Das ging als Pofalla-Wende in die Bahngeschichte ein. Leider blieb ihm der Wunsch, zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG gewählt zu werden, versagt. Und dies trotz seiner bestandenen Bewährungsprobe, als es unter seiner Verantwortung wegen der vielen Baustellen im Bahnnetz im vierten Quartal 2021 beinahe zu einem Verkehrskollaps gekommen wäre.

Nicht zu vergessen ist auch seine segensreiche Tätigkeit als einer von vier Vorsitzenden der Kohlekommission, was wunderbar zu seiner Vorstandstätigkeit bei der Bahn passte. Denn die Bahn verpestet bei der Stromproduktion mit Kohle immer noch die Luft.

Obwohl sein Vertrag vor nicht allzu langer Zeit wegen herausragender Leistungen um fünf Jahre verlängert worden war, verlässt er nun ohne Abfindung das Unternehmen. Man munkelt, er habe schon ein neues Amt in Aussicht, was ihm den Verzicht leicht mache. Ich persönlich glaube aber, dass er auf die Abfindung verzichtet hat, weil ihm 10.000 goldene Füller zugesagt wurden. Böswillige Zungen wie das Manager-Magazin meinen allerdings, er sei mit seinem Rücktritt dem Rauswurf zuvorgekommen. Eine derartige Behauptung ist natürlich frei erfunden.

Nach dieser kurzen Schilderung seines segensreichen Wirkens für Stuttgart 21 und für das gesamte deutsche Volk schreite ich nun zur Verleihung des Schaumschlägerpreises. Ronald Pofalla ist ein würdiger Preisträger. Weil ihm bei seinen Wutausbrüchen Schaum vor dem Mund zuzutrauen ist, könnte der Name des Preises nicht passender sein. Womöglich würde er uns wie damals Bosbach antworten: „Ich kann den Scheiß nicht mehr hören“.

Der Ausflug in die Welt der Fähigen und Mächtigen hat mich derart beflügelt, dass es mir schwer fällt, jetzt auch noch über andere Katastrophen zu reden. Keine Katastrophe war aber die Pressekonferenz in Berlin, an der wir uns vergangenen Mittwoch beteiligen konnten. In Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft der Lokführer GDL stellte Winfried Wolf den Alternativen Geschäftsbericht Deutsche Bahn 2020/21 vor und warb gleichzeitig für die Klimabahn-Konferenz mit zahlreichen Bürgerinitiativen am 14. und 15. Mai diesen Jahres bei uns in Stuttgart. Klaus Gietinger, der gerade einen Film über Stuttgart 21 dreht, war auch anwesend. Sein Film wird auf unserer Klimabahn-Konferenz Premiere haben. Die Pressekonferenz fand in den Räumen des Beamtenbundes statt und sorgte bei den Journalistinnen und Journalisten für große Aufmerksamkeit. Umso erfreulicher, dass Michael Jung von der Initiative Prellbock Altona, die sich gegen die Stilllegung des Bahnhofs Hamburg-Altona und das Projekt Diebsteich wendet, ebenso auf dem Podium sein konnte wie ich als Vertreter der Bewegung gegen Stuttgart 21.

Und so informierte ich über die neuesten Entwicklungen bei Stuttgart 21. Dazu gehörte natürlich das Eingeständnis der neuerlichen Kostensteigerungen und möglicher noch längerer Bauzeit. Ich habe auch daran erinnert, dass gut 5 Milliarden Euro der Projektkosten derzeit nicht finanziert sind und von der mit hohen Schulden belasteten Deutschen Bahn AG getragen werden müssen. Ich wies darauf hin, dass dies auch zu Lasten der Bahnmitarbeiterinnen und -mitarbeiter gehen wird. Auch konnte ich über die geplanten Zusatzprojekte mit immensen Kosten und klimaschädlichen Auswirkungen berichten. Diese von uns als zweites S21 bezeichneten Ergänzungen waren tatsächlich für viele Medien total neu. Sie werden hoffentlich in der ganzen Bundesrepublik Aufmerksamkeit wecken.

Zu Beginn meiner Ausführungen benutzte ich den Vergleich zwischen der Ruine des ehemals denkmalgeschützten Bonatz-Baus und dem beklagenswerten Zustand der Deutschen Bahn AG. Über die Gründe zur Schließung des bisherigen Durchgangs im Bonatz-Bau zu den Bahnsteigen bei Gleis 16 will ich auch Euch berichten. Ihr habt das kritisiert und der Bahn Wortbruch vorgeworfen. Das trifft zwar zu, aber ich muss die Entscheidung der Bahn trotzdem begrüßen. Denn es geht um unsere Sicherheit. Bei der Entkernung des historischen Baus wurde unsachgemäß in die Statik eingegriffen und ein Teil der Fassade ist schon herabgestürzt. Die Bahn beherrscht den sicheren Erhalt der Gebäude-substanz nicht. Das haben Verantwortliche im persönlichen Gespräch ausdrücklich eingeräumt mit der Äußerung, um das alte Klump sei es sowieso nicht schade. Mit anderen Worten: Wenn der Rest vollends einstürzt, sind eine Menge Probleme kostengünstig erledigt. Bei so viel Unfähigkeit teile ich die Auffassung, dass aus Gründen der Sicherheit die Sperrung unerlässlich war. Wenigstens hier hat die Bahn eingeräumt, dass sie bei den Arbeiten nicht für Sicherheit sorgen kann.

Der Hauptteil meiner Ausführungen betraf jedoch die ungelösten Probleme des Brandschutzes mit dem Titel „Stuttgart 21 wird am fehlenden Brandschutz scheitern“. Diese Schlagzeile fand große Beachtung und wurde sogar im Bericht der TAZ zitiert. Auch andere Medien bis hin zur ARD berichteten über unsere Pressekonferenz. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich herzlich bedanken bei allen, die das möglich gemacht haben. Die ganze Gruppe, die mit nach Berlin gefahren war, hat uns während der Pressekonferenz die Daumen gedrückt und über das Internet die Pressekonferenz live verfolgt. Ihr könnt das auch noch bei YouTube tun. Den Link dazu findet ihr im gedruckten Manuskript meiner Rede wie auch auf unseren verschiedenen Foren: https://youtu.be/-px6CHLZzB4

Was im Einzelnen zu neuen Erkenntnissen beim Brandschutz – besser gesagt zum nicht vorhandenen Brandschutz – zu sagen ist, ist schon wieder eine Extrarede wert. Falls Ihr die Spannung nicht so lange aushaltet, könnt Ihr schon mal nachlesen in dem Papier, das wir für die Pressekonferenz erstellt hatten und was ebenfalls von uns veröffentlicht wurde.

Ihr seht, die Arbeit geht nicht aus und wir kämpfen weiter. Bei Euch bedanke ich mich für die vielfältige Anerkennung und Zustimmung, die zeigt, dass unsere Arbeit notwendig ist. Denn wir alle wollen

Oben Bleiben!

Rede von Dieter Reicherter als pdf-Datei

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Ronald Pofalla, Schaumschläger und andere Katastrophen

  1. Alexander Abel sagt:

    Betrifft Brandschutz
    Ich halte dagegen:
    S21 wird auch ohne Brandschutz fertiggebaut werden und die Betriebsgenehmigung erhalten.
    Das zeigt ja schon die Tatsache, dass die DBAG unbeirrt weiterbaut, obwohl das ganze Tunnelsytems eben wegen fehlenden Branschutzes, aber auch noch aus anderen Gründen, theoretisch garnicht genehmigungsfähig ist.
    Die DBAG ist sich also sicher, die Betriebs-
    genehmigung zu bekommen.
    Was hat das EBA unter dem Druck der Politik nicht schon alles genehmigt!
    S21 ist von Anfang an ein Korruptionsfall.
    S21 gegen einen überteuerten Nahverkehrs- vertrag!
    Und weil das – vom „Rechtsstaat“ unbeachtet – funktioniert hat, wird mit Sicherkeit weiter
    korrumpiert werden.
    Und wenn das zu teuer wird, bleiben ja noch die viel billigeren Methoden „Rosin“ und „Rohwedder“.
    Besonders letztere wird der EBA-Chef wohl
    kaum riskieren wollen.
    Falls doch, steht ja noch Pufffallera bestimmt mit Begeisterung als Nachfolger in dem Amt zur Verfügung, und die Betriebsgenehmigung wäre gebongt.
    Bleibt nur die schwache Hoffnung, dass schon der Eröffnungszug lichterloh brennend in den
    Bahnhof einfährt.
    Damit hätte sich dann – nach vielleicht 20 verschwendeten Milliarden – S21 endlich erledigt
    Für diesen Fall halte ich schon mal eine Flasche Freixenet Carta Nevada und eine Luxuszigarre bereit.

Kommentare sind geschlossen.