Rede von Bernd Riexinger, Mitglied des Deutschen Bundestags Die LINKE, auf der 619. Montagsdemo am 11.7.2022

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Posse um Stuttgart 21 ist um ein weiteres absurdes Kapitel reicher. Das Bahnprojekt Stuttgart 21 hatte ursprünglich das Ziel, auf der Bahnstrecke Paris-Bratislava im Abschnitt zwischen dem Hauptbahnhof Stuttgart und dem Bahnhof Ulm wenige Minuten an Reisezeit einzusparen. Nun wird Stuttgart 21 vermutlich dazu führen, dass bis zu 15 Jahre lang auf der für den Personenfernverkehr sehr wichtigen Gäubahnstrecke zwischen Singen und Stuttgart gar kein Zug mehr am Hauptbahnhof hält.

Eine Planung, die laut verschiedener Gutachten nicht rechtmäßig ist, weil es bisher für eine Unterbrechung in einem solch langen Zeitraum keine Genehmigung vom Eisenbahnbundesamt gibt. Es ist eine Riesensauerei, dass solche Erkenntnisse stets von Verkehrsinitiativen an die Öffentlichkeit gezerrt werden müssen. Das Bundesverkehrsministerium und die Bundesregierung haben scheinbar kein Interesse an einem funktionierenden Schienenverkehr am Knoten Stuttgart.

Auch die Stadtführung in Stuttgart hat unter dem Motto täuschen und verschweigen ein kritisches Gutachten zur Gäubahn jahrelang verheimlicht. Demnach ist umstritten, ob Teile der freiwerdenden Flächen nach Fertigstellung von S21 bebaut werden dürfen. Auf den Grundstücken liegt noch eine Betriebspflicht der Bahn, die nur aufgehoben werden kann, wenn es ein offizielles Stilllegungsverfahren gibt. Betroffen sind davon auch die Flächen, auf denen die Stadt nach Fertigstellung von S21 große Baupläne hat, also das neue Rosensteinquartier. Wir wussten ja schon immer, dass S21 kein wirkliches Bahnprojekt, sondern ein Immobilienspekulationsprojekt ist.

Ich habe im Verkehrsausschuss nachgefragt, wie denn das Bundesministerium für Digitales und Verkehr die Rechtslage beurteilt. Die Antwort war, dass eine Beurteilung in der Kürze der Zeit nicht möglich war. Wir werden die Rechtslage deshalb vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages prüfen lassen. Ich bin gespannt. Vom Eisenbahnbundesamt genehmigt ist die Unterbrechung für ½ Jahr und nicht für 10 oder 15 Jahre. Es wäre schon ein starkes Stück, wenn so etwas durchgeht. Verschiedene Verbände haben ja bereits Klage eingereicht.

Eine Unterbrechung von 10 - 15 Jahren auf der Gäubahn führt zu erheblichen Reisezeitverzögerungen für den gesamten Personenfernverkehr aus dem Südwesten ins Bundesgebiet und konterkariert jeden Versuch einer nachhaltigen Mobilitätswende. In der Antwort des BMDV wird erläutert, dass „nur 18 Prozent“ der Gäubahn-Reisenden über Stuttgart hinaus fahren. 18 Prozent der Reisenden auf dieser Strecke sind sehr viele Menschen, und dass sie diese Zahl kleinrechnen, ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen in den betroffenen Kommunen entlang der Gäubahn. Herr Theurer, sagen Sie das doch mal den Menschen in Singen, in Horb oder Rottweil! Mit der geplanten Unterbrechung der Gäubahn werden potenzielle Bahnkunden auf dieser Strecke regelrecht zur Fahrt mit einem privaten PKW genötigt.

Erfreulich ist, dass sich mehr und mehr Kommunen und Kreise wehren und sich nicht damit abfinden wollen, dass die Gäubahn in Vaihingen gekappt wird. Das ist auch unsere Position. Wir lehnen eine Unterbrechung der Gäubahn, wie sie aktuell geplant ist, entschieden ab. Die kursierenden Vorschläge aus dem Bahnkonzern und des Bundesverkehrsministeriums zu alternativen Streckenumleitungen über Tübingen oder Renningen sind ein Hohn für jeden Bahnkunden und jede Bahnkundin.

In den letzten Wochen sind weitere Gutachten in der Öffentlichkeit aufgetaucht, von einem Städtenetzwerk entlang der Gäubahn und von Umwelt- und Verkehrsinitiativen, die alle zur selben Meinung kommen, dass die geplante Unterbrechung ab dem Bahnhof Stuttgart-Vaihingen unzulässig ist.

Wir haben das Thema Gäubahn letzte Woche in den Verkehrsausschuss eingebracht. Während der zuständige Staatssekretär durchaus unzufrieden mit der jahrelangen Abkappung war und nach einer Lösung suchen will, ist die CDU der hahnebüchenen Auffassung, dass sich die Situation für die Bahnkunden sogar verbessern würde. Schließlich würden sie dann beim Umsteigen die kurzen Taktzeiten nutzen können. Ein Kommentar dazu ist überflüssig. Interessant, dass die SPD vorschlug, zwei oberirdische Gleise am Hauptbahnhof stehen zu lassen. Bin mal gespannt, wie sich die SPD in Bund und Land dazu positioniert. Interessant auch, dass der zufällig am gleichen Tag anwesende Bahnchef Lutz und der neue Infrastrukturvorstand Huber ankündigten, nach einer anderen Lösung zu suchen.

Es lohnt sich also, weiter zu kämpfen, um dieser Posse ein Ende zu bereiten. Die Gäubahn war zu ihren Glanzzeiten eine Schnellbahn mit täglich acht Zugpaaren, wovon fünf über Zürich hinaus die Städte Mailand, Genua, Lecce bzw. Neapel anfuhren. Nach und nach wurden diese Strecken eingestellt und der Zugverkehr eingeschränkt. Folge einer desaströsen Bahnpolitik, die bis heute anhält. Ein weiteres Kapitel davon wollen wir uns ersparen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

lasst mich zum Schluss noch kurz ein anderes Thema der Verkehrspolitik ansprechen. Das 9-Euro-Ticket ist ein großer Erfolg. 21 Millionen haben es gekauft, dazu kommen noch rund 10 Millionen Abonnenten. 20 Prozent davon haben zuvor den ÖPNV fast nie benutzt. Es beweist, dass neben einem guten Angebot günstige Ticketpreise die Menschen zum Umsteigen motivieren. Das 9-Euro-Ticket läuft Ende August aus. Gibt es keine Nachfolgeregelung, werden die Ticketpreise danach sogar teurer als vor der Regelung. Steigende Energiepreise führen zu saftigen Preiserhöhungen. Bei der SSB z.B. um 4,9 Prozent. Das wäre aber wohl ein schlechter Witz mit Ansage. Deshalb haben wir bereits im Verkehrsausschuss und letzten Freitag im Bundestag den Antrag gestellt, das 9-Euro-Ticket bis Ende des Jahres zu verlängern und in dieser Zeit ein Konzept für langfristig niedrige Ticketpreise vorzulegen. Vorgeschlagen haben wir z.B. ein 1-Euro-Ticket pro Tag und für einkommenslose Gruppen, wie Schüler, Erwerbslose, Studenten und Auszubildende kostenfreie Tickets als Einstieg in einen ticketfreien ÖPNV.

Im Verkehrsausschuss wurde unser Antrag, auch mit den Stimmen der Grünen und der SPD, abgelehnt. Aber die Ampel bekommt die Debatte nicht mehr los. Alle bisherigen Überlegungen sind jedoch von unserem Vorschlag weit entfernt, aus Kostengründen. Dazu kann ich nur sagen: Unsere Vorschläge sind deutlich billiger als die Kosten für eine gescheiterte nachhaltige Mobilitätswende. Die Klimakatastrophe wird nicht nur viele Milliarden mehr kosten, sie kostet auch das Wichtigste, was wir haben, die Zukunft unserer Kinder und Enkel.

Wir starten nach der Sommerpause eine Initiative bundesweit und regional hier in Stuttgart für billige Ticketpreise. Ich würde mich freuen, wenn Ihr diese Initiative unterstützt.

Oben bleiben!

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