Stefan Mappus und der Schwarze Donnerstag – Ein Blick in den Machtapparat

Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der Demo zum Schwarzen Donnerstag am 30.9.2022

Liebe Freundinnen und Freunde,

wie jedes Jahr versammeln wir uns heute zum Gedenken an den unsäglichen Polizeieinsatz im Schlossgarten vor nunmehr zwölf Jahren. Lange genug haben wir uns darauf konzentriert, unserer Empörung und Trauer Ausdruck zu verleihen.

Höchste Zeit, das Geschehen einmal von einer anderen Seite zu beleuchten:

Stolz darauf zu sein, dass wir in einer Zeit, als es noch keine Fridays for Future und keine Klimacamps in Zelten gab, für Klima und Umwelt nicht nur auf die Straße gegangen, sondern selbst auf die Bäume geklettert sind, um sie zu beschützen.

Stolz darauf zu sein, dass wir friedlich geblieben sind. Die Pflastersteine, die angeblich ganz zufällig herumlagen, blieben ungeworfen.

Stolz darauf zu sein, dass wir für Demokratie und Bürgerrechte mutig unser Leben und unsere Gesundheit riskiert haben.

Stolz darauf zu sein, dass wir nicht nur dem Ländle, sondern der ganzen Republik und darüber hinaus der ganzen Welt gezeigt haben: Es ging nicht nur um einen Bahnhof, sondern um die Verwüstung von Natur und Umwelt zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen ohne Rücksicht auf die Belange eines guten Bahnverkehrs.

Stolz auf einen großen Erfolg zu sein: Die von uns mitgetragene Aufarbeitung des Geschehens hat dazu geführt, dass in Südkorea keine Wasserwerfer mehr eingesetzt werden. Ich selbst war im Jahr 2016 als deutscher Vertreter bei einem Symposium zum Einsatz von Wasserwerfern in Seoul und an Gesprächen mit dortigen Vertretern von Politik, Polizei und Justiz beteiligt. Dabei konnte ich von unseren Erfahrungen berichten. Die Abschaffung der Wasserwerfer war die Folge der Konferenz.

Zwar soll es heute in meiner Rede um das Machtsystem unter Stefan Mappus gehen. Doch in den Dokumenten, die ich im Staatsministerium einsehen konnte, habe ich ihn sogar als Kämpfer für eine bessere Umwelt kennengelernt. Ich zitiere aus seinem Brief vom 24.8.2010 an OB Schuster: „Die Menschen müssen im weiteren Planungsverfahren davon überzeugt werden, dass hier nicht – wie manche befürchten – eine kalte und abweisende Betonwüste entsteht, sondern neues und attraktives Wohnen und Leben mitten in der Stadt ermöglicht wird.“ Hätten die Verantwortlichen der Landeshauptstadt bis hin zu OB Nopper und Baubürgermeister Pätzold nur mal darauf gehört!

Doch die andere Seite von Mappus ist, dass unter ihm ein Klima der Denunziation, der Überwachung und Bespitzelung, der Einschüchterung sowie der Unterwürfigkeit und Anpassung entstanden war. Um das alles zu beleuchten und das Ausmaß aufzuzeigen, könnte ich aus hunderten, wenn nicht tausenden Dokumenten zitieren. Ich will mich heute auf wenige Stichworte beschränken.

Denunzianten gab und gibt es immer und überall. Und so war es offenbar nichts Besonderes, dass ein bekannter, für die Bahn tätiger Rechtsanwalt mit Schreiben vom 17.11.2010 Mappus darüber informierte, was Heiner Geißler nach einer Fernseh-Talkshow in kleinem Kreis zu Stuttgart 21 geäußert hatte.

Überwachung und Bespitzelung gibt es leider nicht nur in Diktaturen. Aufgrund des geheimen Rahmenbefehls zu Stuttgart 21 wurden selbst unsere Parkgebete durch den Verfassungsschutz beobachtet und ausgewertet. Und das in einem Land, welches den Schutz des christlichen Glaubens in seine Verfassung geschrieben hat. 50 bis 250 Besucher des Parkgebets wurden im Gefährdungslagebericht als so gefährlich wie 10.000 Besucher einer Großdemo eingestuft.

Von Norbert Bongartz haben wir erst letzten Montag gehört, wie das Landesdenkmalamt unter Druck gesetzt wurde, um seine gesetzlichen Aufgaben des Denkmalschutzes zu vernachlässigen. Nach demselben Strickmuster wurde der Polizeigewerkschafter Thomas Mohr zum Schweigen gebracht, nachdem er öffentlich den Polizeieinsatz im Schlossgarten kritisiert hatte. Disziplinarrechtliche Maßnahmen folgten auf der Stelle, wie Dokumente aus dem Staatsministerium und persönliche Kontakte zu ihm bestätigt haben.

Kritiklose Unterstützung eines staatlichen und persönlichen Fehlverhaltens ist leider auch keine Seltenheit. Sei es durch unterbliebene oder einseitige Ermittlungen, wie sie Oberstaatsanwalt Häußler vorgeworfen wurden. Oder auch mit Schreiben vom 8.10.2010 eines Vorstandsvorsitzenden und Mitglieds des Bahnaufsichtsrats, welcher unmittelbar nach dem Polizeieinsatz dem Ministerpräsidenten seine Solidarität für S21 bekundete.

Ein CDU-Mitglied wandte sich mit Mail vom 1.10.2010 unter einem Falschnamen an Mappus und informierte über eine Datenbank mit etwa 200 namentlich genannten Personen im Zusammenhang mit Stuttgart 21. Von Vorteilsnahme im Amt, Bestechung, Bestechlichkeit, falscher eidesstattlicher Aussage bis zum Meineid sei dort alles aufgelistet. Es gehe um Mitarbeiter der bekannten Bau- und Immobilienprofiteure von S21, der Stadt Stuttgart und der Deutschen Bahn sowie um Gutachter, Landesbedienstete, ehemalige und aktive Mitarbeiter der Landesregierung(en) bis hinauf in das Kabinett. Ob da etwas dran ist, weiß ich nicht.

Trotz dieser düsteren Vorgänge gab es schon damals auch mutige Schritte, die uns Bewunderung abnötigen:

Vorbildlich in meinen Augen ist die Mail vom 1.10.2010 eines freien Journalisten. Der schrieb, sein Buch, das häufig von der Landesregierung an Gäste und verdiente Bürger verschenkt worden war, solle nicht mehr verwendet werden. Direkt an Mappus in Bezug auf den Polizeieinsatz gerichtet: „Im wahrsten Sinne des Wortes: Pfui Teufel!“

Als Abiturient des altehrwürdigen Zeppelin-Gymnasiums in Stuttgart will ich dessen Personalrat loben. Er schrieb am 18.10.2010 an Mappus, man fordere Aufklärung und Konsequenzen zum Polizeieinsatz.

Noch mehr berührt hat mich das Schreiben der Lehrerinnen und Lehrer des Wagenburg-Gymnasiums vom 11.10.2010, die sich als betroffen und schockiert bezeichnen. Wörtlich: „Wir sind entsetzt über das in unseren Augen sinnlose und brutale Vorgehen der Polizei.“ Es gehe nun um Vertrauensverlust in die Polizei und in den Staat, und die Frage sei, wie den Schülerinnen und Schülern noch gewaltfreie Erziehung beigebracht werden könne.

Das alles erinnert uns daran, wie aus reiner Gewinnsucht zu Gunsten der Bau- und Immobilienkonzerne ein Krieg geführt wurde gegen die Beschützerinnen und Beschützer der Umwelt und des Klimas. Ein Krieg zuerst mit Worten, bei dem Lügen, Fake News und Verleumdungen als Waffen eingesetzt wurden. Verräterisch war die Sprache. Von Berufsdemonstranten und Wutbürgern war die Rede anstatt in eine ehrliche Diskussion mit uns einzutreten. Aber die Projektbefürworter hatten nicht einmal die schlechteren Argumente, sie hatten gar keine.

Beim Krieg mit Worten blieb es nicht. Vom hingeworfenen Fehdehandschuh des Feldherrn Mappus ging es am 30.9.2010 in brutale Gewalt der Staatsorgane über. Mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Pfefferspray wurden Jung und Alt aus dem Park vertrieben und unter Verletzung des Versammlungsrechts wurde versucht, ihnen demokratische Flausen auszutreiben. Polizistinnen und Polizisten, die in einem demokratischen Land die Grundrechte der Menschen schützen sollen, wurden von den Mächtigen missbraucht.

Mappus wurde über den Polizeieinsatz ständig informiert. Um 10:47 Uhr erhielt er von seinem Mitarbeiter Semling die Lagefortschreibung Nummer 3 per Mail. Dort hieß es: „Die Teilnehmerzahl der Schülerdemonstration ist auf 600 bis 800 angestiegen. Die Schüler bewegen sich im Park in Richtung des Biergartens. Mittlerweile wurde auf dem Homepage der Parkschützer „Parkalarm“ ausgelöst. Mit Zulauf von weiteren Personen in den Schloßpark ist zu rechnen. Derzeit sind die Einsatzkräfte dabei ihre Positionen im Schloßpark einzunehmen.“

Schon da war das Scheitern des Schlachtplans klar. Nicht unerwähnt lassen will ich, dass Heribert Rech als verantwortlicher Innenminister seine Amtspflichten sträflich vernachlässigte und das Schlachtfeld einem kriegslüsternen Machtmenschen überließ. Dafür phantasierte er hinterher von Würfen mit Pflastersteinen, als sei so ein Plan aufgegangen.

Die Lügen gingen im Untersuchungsausschuss des Landtags weiter. Statt Aufklärung war Vertuschung angesagt, ein Hohn auf die parlamentarische Demokratie.

Lügen auch bei der sogenannten Schlichtung unter Heiner Geißler. Gerne will ich aber aus der Mail eines mir namentlich bekannten S21-Fans vom 12.11.2010 an Mappus zitieren. Da heißt es zur Teilnahme eines Ministers: „Besonders nach der Mittagspause macht er den Eindruck, als hätte er zu tief ins Glas geschaut, um nicht zu sagen, er ist besoffen.“

Wir wissen aus den eingeklagten Dokumenten, wie wichtig der Regierung Mappus die Durchsetzung des Projekts Stuttgart 21 für ihren Machterhalt war. Statt Fakten-Check also Fake-News-Check! Wie Winfried Kretschmann später sagte: „In der Demokratie geht es nicht um die Wahrheit, sondern um die Mehrheit.“ Und für diese Mehrheit waren Lügen das Mittel zum Zweck. Die Lügen setzten sich bei der Volksabstimmung fort. Der Demokratie haben die Verantwortlichen damit einen Bärendienst erwiesen.

Ich berichte das nicht allein wegen meiner Empörung über den damaligen Rechts- und Verfassungsbruch, sondern um klar zu benennen, dass die Gefahr solcher Verhaltensweisen auch heute nicht beseitigt ist. Erinnern wir uns nur an die Märchen zu den vereinbarten Zusatzprojekten, insbesondere dem Pfaffensteigtunnel, und an die Stilllegung der Panoramastrecke. Gefahr droht heute auch von den Behauptungen energiepolitischer Geisterfahrer.

Liebe Freundinnen und Freunde, 12 Jahre liegen hinter uns. Allgemein gilt die 13 als Unglückszahl. Ich bin aber sehr optimistisch, dass wir unseren Kampf um Aufklärung auch im 13. Jahr fortsetzen und den Machtgeilen auf die Finger klopfen. Und so ist mir gar nicht bange, dass wir weiter

Oben bleiben!

Rede von Dieter Reicherter als pdf-Datei

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.