Katar über Köln in den Pfaffensteig

Über die Zusammenhänge zwischen dem DB-Engagement in Doha, dem ICE-Brand in Köln und dem Abtauchen der Gäubahn in einen Pfaffensteigtunnel

Rede von Dr. Winfried Wolf, Verkehrsexperte, Journalist und Herausgeber von ‚LunaPark21′, auf der 637. Montagsdemo am 21.11.2022

Gestern begann die Fußballweltmeisterschaft in Katar. Es ist erfreulich, dass es in den letzten Wochen dazu viel Kritik in den Medien gab. Wegen des Todes Tausender nepalesischer und pakistanischer Vertragsarbeiter, die die Stadien geschaffen haben. Wegen der Frauenfeindlichkeit, der Homophobie und der Transphobie, von denen das katarische Gesellschaftssystem charakterisiert ist.

Rufen wir uns nochmals die extrem anti-demokratischen Dimensionen ins Bewusstsein: In Katar leben drei Millionen Menschen. Von denen hat nur ein Zehntel einen katarischen Pass, womit sie als Bürger gelten. Ich sage „Bürger“. Das Wort wird nicht gegendert. Denn die rund 150.000 katarische Bürgerinnen sind ebenfalls weitgehend rechtlos. Insgesamt sind 95 Prozent der Bevölkerung – überwiegend Arbeitskräfte aus Pakistan, Indien, Bangladesch und besagte Katarerinnen – absolut entrechtet.

Kritik im Rahmen großer Sportereignisse ist richtig. Ich erinnere daran, dass es eine vergleichbare, ebenso notwendige Kritik bei der Olympiade in Mexiko 1968 nicht gab. Damals hatte das mexikanische Militär wenige Wochen vor Beginn der Spiele auf dem Tlatelolco-Platz mehrere Hundert protestierende Jugendliche erschossen.

Es gab eine solche Kritik auch nicht zehn Jahre später, 1978, bei der Fußball-WM in Argentinien. Mit dieser Weltmeisterschaft wurde die Militärdiktatur des General Jorge Rafael Videla gestärkt. Dieser und sein Regime waren verantwortlich für die Ermordung von rund 30.000 Menschen, vor allem Gewerkschaftsmitglieder und Linke.

Zurück nach Katar. Auffallend bei den aktuellen Diskussionen zu Katar ist: Trotz all der Kritik gelingt es den Herrschern in Katar, ihre Visionen von „Green Cities“ und „umweltfreundlichen Spielen“ zu präsentieren. Dabei hält sich ein deutscher Konzern auffällig zurück: die Deutsche Bahn. Dabei spielt der vor Ort deutsche Sturmspitze. So schreibt das Redaktionsnetzwerk Deutschland:

„Wenn die Fans im kleinen Katar von Stadion zu Stadion fahren, bringt sie gewissermaßen die Deutsche Bahn dorthin. Das Unternehmen erhielt bereits 2009 den Auftrag, unter anderem ein Metrosystem für die Hauptstadt Doha zu planen. Hinzu kamen weitere Trassen für Güter- und Personenzüge. Vom größten Auftrag in der Firmengeschichte war damals die Rede; das Investitionsvolumen für die Projekte soll insgesamt 17 Milliarden Euro umfasst haben.“

Das heißt auch: Natürlich profitierten auch die Deutsche Bahn – und mit ihr die allseits bekannte Firma Herrenknecht, die Baukonzerne Hochtief und Züblin, und die Finanzinstitute Deutsche Bank, Commerzbank und Allianz – von dem ausbeuterischen katarischen System der Wanderarbeit – den genannten vielfachen Tod dieser Menschen eingeschlossen.[1]

Es kann schon sein, dass die Fußball-WM in Katar am Ende dem Regime einen Imageschaden einbringt. Doch für die westlichen Konzerne und Banken, die sich jetzt wegducken, und für den Weltfußballverband FIFA sind die Gewinne längst fest bilanziert.

Vergleichbares gilt auch für die Klimakonferenz in Sharm el Sheikh, die gestern zu Ende ging. Diese war für die Klimabewegung ein kompletter Schlag ins Wasser, bildlich gesprochen in den steigenden Meeresspiegel. Die Bilanz lautet: Man nimmt die gesteigerte Klimaerhitzung durch die Steigerung der Flüssiggas- und der Frackinggas-Engagements und durch den neu angekurbelten Kohleabbau hin. Man betreibt Ablasshandel und gewährt den bereits jetzt direkt betroffenen Inselstaaten, also den bald abgesoffenen Ländern, eine Art Schmier- und Schweigegeld.

Auch in Ägypten machte die Deutsche Bahn fette Kasse: An Land gezogen wurde ein Großauftrag zum Betrieb und zur Instandhaltung einer 2000 Kilometer langen, neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke. Diese wird von Siemens gebaut und in Pressemitteilung der DB AG dümmlich als „Suezkanal auf Schienen“ bezeichnet.

Der DB-Manager, der das Projekt betreut, heißt Niko Warbanoff. Er ist Chef der DB-Tochter DB Engeneering & Consulting. Er war enger Mitarbeiter von Rüdiger Grube, als dieser noch im Daimler-Vorstand saß. Er ging dann mit Grube 2009 zur Deutschen Bahn, wo er steile Karriere machte. Seine Firma DB Engineering ist, ausweislich der Selbstdarstellung, auch für Stuttgart 21 verantwortlich. Dieser Herr Warbanoff begründete das Ägypten-Engagement der DB wie folgt:

„Wir verhelfen Millionen Menschen in Ägypten zu moderner Mobilität und sorgen für klimafreundlichen Gütertransport auf der Schiene.“

Das ist schlicht unwahr. Die DB-Engagements in Katar und Ägypten ähneln sich in einem Aspekt: Es geht hier in erster Linie um Luxus-Mobilität für die Oberschicht und im Bereich Tourismus. Übrigens gibt es in Ägypten seit eineinhalb Jahrhunderten ein Eisenbahn-System. Es wurde 1854 gegründet und verfügt aktuell über ein 5000 km großes Schienennetz. Befördert werden auf demselben 800 Millionen Fahrgäste im Jahr. Das ist immerhin ein Drittel der Leistung der Deutschen Bahn.

Doch diese Egypt National Railways sind völlig veraltet und marode. Eine Instandsetzung desselben würde rund ein Fünftel dessen kosten, was der neue Hochgeschwindigkeitszug kostet. Und es würde tatsächlich der durchschnittlichen Bevölkerung helfen. Doch das ist für die Deutsche Bahn uninteressant. Und auch der Diktator Abd al-Fattah as-Sisi interessiert sich nicht für seine Arme-Leute-Bahn. Er will aus Deutschland HighTech-Züge und HighTech-Waffen. Mit beidem wird das Land vollgestopft. Finanziert mit deutschen Steuern – wertebasierte Außenpolitik eben.

Im Übrigen sind Hochgeschwindigkeitsprojekte in Katar und Ägypten – ebenso wie die Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen-Ulm – extrem teuer und enorm klimaschädlich: durch hohe CO2-Emssionen beim Bau. Und durch enormen Energieverbrauch im Betrieb.

Jetzt sagt derselbe Herr Warbanoff auch:

Das Projekt in Ägypten „bietet Potential für die Starke Schiene Deutschland“. Das „deutsche Bahnsystem“ werde „von dem Megaprojet „profitieren“.

Auch das ist unwahr. Ja, das Gegenteil trifft zu. Die Auslandsengagements der Deutschen Bahn rechnen sich in der Summe nicht – so die Bilanz des Verkehrswissenschaftlers Prof. Christian Böttger. Vor allem führen diese seit Mehdorns Zeiten dazu, dass die Oberen der Deutschen Bahn sich vor allem als Global Player und als Vertreter der deutschen Exportindustrie verstehen. Gleichzeitig verstärkt sich die Misere der Bahn im Inland von Woche zu Woche.

So war der Brand eines ICE am Donnerstag vor einer Woche im Kölner Flughafen dramatisch. Die „Stuttgarter Nachrichten“ zitieren dazu Christoph Engelhardt von Bürgerbahn mit dem Satz:

„Das ist kein gutes Omen für die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm, die am 11. Dezember eröffnet werden soll.“

Christoph weist darauf hin, dass ein solcher ICE-Brand in einem der langen Tunnel auf dieser Neubaustrecke über die Schwäbische Alb verheerende Folgen hätte. Erst recht hätte ein solcher Brand katastrophale Folgen, käme es dazu in einem der nochmals längeren Stuttgart-21-Tunnel.

Wir erinnern uns: Bei der sogenannten Schlichtung des Herrn Geißler hieß es noch: ICE können nicht brennen. Tatsächlich gibt es in jedem Jahr mehrmals ICE, die in Brand geraten – teilweise solche, bei denen der Zug weitgehend zerstört und hunderte Fahrgäste evakuiert werden müssen. So geschehen am 12. Oktober 2018 auf der Neubaustrecke Frankfurt – Köln bei Montabaur.

Nun gibt es in jeder Legislaturperiode das Versprechen von Regierung und Bahn, man werde sich jetzt „auf das Kerngeschäft“, also auf Schiene Inland, konzentrieren. Tatsächlich findet das Gegenteil statt. Allein in diesem Jahr tätigte die DB in Toronto, in den USA und in Ägypten riesige Auslandsinvestitionen.

Derweil wird die Infrastruktur im Inland von Jahr zu Jahr schlechter. Gerade wurde verkündet, dass nach der Riedbahn Mannheim – Frankfurt, die 2024 für fünf Monate gesperrt wird, 2025 die Strecke Hamburg – Berlin für sechs Monate vollgesperrt werden soll – wegen „Generalsanierung“.

Wir von Bürgerbahn haben nachgeschaut: Das ist dann die dritte Sanierung dieser Strecke in 25 Jahren. In einem solchen Zeitraum dürfte es maximal eine solche Generalsanierung geben. Und warum ist das so? Antwort: Weil die Bahn ihre Hausaufgaben nicht macht und die notwendigen regelmäßigen Instandhaltungsmaßnahmen unterlässt.

Und weil bei denjenigen Investitionen, die es bei der Schiene im Inland gibt, ein immer größerer Teil in die zerstörerischen Großprojekten fließt. Das größte davon ist und bleibt Stuttgart 21. Nochmals deutlich gesteigert durch Stuttgart 21 2.0.

Vom 16. bis zum 19. November fanden in der Neckarstadt die 40. „Horber Schienentage“ statt. Laut Bericht von Hendrik Auhagen gab es dort verbreitete Kritik an der geplanten Kappung der Gäubahn bei Vaihingen, zu der es im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 kommen soll. Mit S21 wird ja nicht nur ein bestehender Großbahnhof verkleinert. Es wird auch eine bestehende internationale Schienenverbindung – die von Zürich nach Stuttgart – unterbrochen.

Diese Kritik wurde in Horb vom Horber OB Peter Rosenberger, von Matthias Lieb von VCD-Landesvorstand und – in Teilen wohl – auch von dem Grünen MdB Matthias Gastel vorgetragen.

Durch Insiderberichte ist bekannt: Derzeit arbeiten 80 Leute der DB fieberhaft an der Planung des Pfaffensteigtunnels. Offensichtlich will man der Öffentlichkeit neu Sand in die Augen streuen und argumentieren, diesen rund 10 Kilometer langen neuen Tunnel, in den die Gäubahn-Fahrgäste irgendwann mal abtauchen – um über den Stuttgarter Flughafen dann auch zum S21-Tiefbahnhof zu gelangen – werde es in Bälde geben. Die durchgehende Verbindung Zürich – Stuttgart sei nur für kurze Zeit unterbrochen.

Das ist sachlich falsch. Selbst wenn wir unterstellen, dass dieser Tunnel im Eilverfahren geplant, plan-festgestellt und gebaut werden würde, so ist offensichtlich: Der Tunnel kann frühestens 2035 in den Betrieb gehen. Ein Jahrzehnt lang wäre die durchgehende Verbindung Zürich – Stuttgart unterbrochen. Davon geht auch die Landesregierung aus. Deshalb will man bessere Umstiegsmöglichkeiten schaffen. Auf der Website des Ministeriums von Winfried Hermann ist zu lesen:

„Das Verkehrsministerium hat […] Planungen für den [neu zu bauenden; W.W.] Nordhalt an der Panoramabahn aufgenommen. Die Züge der Gäubahn könnten dann weiter bis zu diesem Halt geführt werden und die Stuttgarter Innenstadt erreichen. Durch seine unmittelbare Nähe zur S‐Bahn‐Haltestelle „Nordbahnhof“ und der Stadtbahnhaltestelle „Löwentorbrücke“ bietet der Nordhalt attraktive Umsteigemöglichkeiten im Stuttgarter Stadtzentrum.“

Das ist ähnlich verschwurbelt, wie sich der Verkehrsminister im S21-Film bei der Frage äußert, ob der S21-Tiefbahnhof ausreichende Kapazitäten habe. Tatsache ist: Die Verbindung wird für lange Zeit unterbrochen. Die Fernbahn-Fahrgäste sollen am Stadtrand umsteigen. Und das wird dann als „attraktiv“ bezeichnet. Tatsächlich ist das eine Maßnahme zur Verkehrsverlagerung – von der Schiene auf die Straße und in die Luft.

Interessant vor dem Hintergrund der Proteste entlang der Gäubahn ist, was sich am 15. November im S21-Ausschuss des Stuttgarter Gemeinderats beim Tagesordnungspunkt „Verkehrliche Potentiale der Panoramabahn“ abspielte. Dort wurde vom Personal von CDU, FDP, SPD und Grünen so diskutiert, als sei die langjährige Kappung in Vaihingen in Stein gemeißelt. Einfach so – das wird von diesen Parteien schlicht hingenommen. Von dieser Ausgangsbasis aus wurde dann diskutiert, ob man vielleicht eine S-Bahn oder eine Stadtbahn oder eine Regionalbahn auf der Panoramabahn einrichten könne.

Einige Auszüge aus dieser Ausschuss-Debatte sind hier aufschlussreich: Da fragt Alexander Kotz von der CDU, „mit welchem Gefäß fahren wir da“ und spricht von „einer guten Nutzung auf der Trasse“. Stefan Konzelmann von der SPD nennt das „einen guten Tag für den ÖPNV in Stuttgart“. Petra Rühle von den Grünen sieht „verdammt hohe Fahrgastzahlen“ und bezieht sich noch positiv auf das „Klimaneutralitätsziel 2035“ von Stuttgart.

Aber ist das nicht ein Narrenschiff, auf dem diese Leute da segeln? Da wird eine seit 1879 bestehende Fernbahnstrecke Zürich – Stuttgart dort gekappt, wo sie mit der Panoramabahn geradezu spektakulär wird: Ich sage es zum dritten Mal auf diesem Platz: eine Bahn, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen müsste. Dann sollen ein Jahrzehnt lang die Fahrgäste oben bei Vaihingen – mit oder ohne neuen „Nordhalt“ – umsteigen. Dann will man für – nach aktueller Planung – eine Milliarde Euro, am Ende werden es gut zwei Milliarden sein, einen 10 km langen Tunnel bauen, damit es irgendwann wieder eine durchgehende Verbindung Zürich – Stuttgart Hbf gibt.

Mit diesem Geld könnte man endlich die gesamte Gäubahn sanieren. Man könnte so auch endlich die eingleisigen Streckenabschnitte der Gäubahn auf Zweigleisigkeit ausbauen.

Und weil das alles so peinlich ist, und weil es offensichtlich um das Verschleudern von Steuergeld geht, und weil man weiter die Öffentlichkeit belügen will, wird jetzt überlegt: Was könnte man denn sonst auf dieser Strecke fahren lassen. Skater im Sommer? Eine Rodelbahn im Winter? Oder dann doch irgendeinen ÖPNV, wobei Armin Serwani von der Autofahrer-Partei FDP „sechs neue Halte für genug“ hält, und die Vertreter der anderen Parteien großzügig neun ÖPNV-Haltepunkte zugestehen wollen.

Welch ein Glück, dass in dieser Debatte des S21-Ausschusses Hannes Rockenbauch die Gretchenfrage stellte:

„Wie würde es aussehen, wenn man vom Bestand ausgeht und einen oberirdischen Bahnhof behält.“ S21 decke ja den verkehrlichen Bedarf nicht ab. Mehr noch, so Hannes richtig: „Verdopplung des Schienenverkehrs ist die Vorgabe.“

Recht hat Hannes. Und das zeigen wir nachher gleich in 90 Minuten Länge im „Delphi“.

Man sollte halt – und wir werden halt:

OBEN BLEIBEN!

[1] Einen guten Bericht zu den Zuständen in Katar und das „Kafala“-System für die Wanderarbeit brachte der Deutschlandfunk. Siehe Esther Saoub: „Wer in Katar für die Fußball-WM baut“, Deutschlandfunk vom 15.1.2017. Siehe: https://www.deutschlandfunk.de/fussball-wm-2022-wer-in-katar-fuer-die-fussball-wm-baut-100.html  Auch wenn es Verbesserungen bei dem dort beschriebenen Kafala-System gab, so blieb es in Grund­elementen doch bis heute erhalten.

Rede von Winfried Wolf als pdf-Datei

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