Ist es nicht ein irrwitziger Glaube, Klimaschutz gelinge mit weiterem Wachstum und erhalte uns dadurch unseren Wohlstand?

Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder e.V., auf der 678. Montagsdemo am 02.10.2023

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter ,

heute hole ich weit aus:

In den letzten Monaten des 2.Weltkriegs wurde ich als das jüngste von 6 Kindern geboren. Wir hatten keine Waschmaschine, keinen Kühlschrank, keinen Fernseher, kein Warmwasser aus dem Hahn, kein Auto und dennoch im Rückblick eine schöne Jugendzeit.   In den 50er Jahren waren wir nach der furchtbaren Kriegserfahrung überzeugt, dass es nie wieder Krieg geben werde und der Wohlstand langsam, aber stetig alle Menschen erfassen werde. Doch bereits in den 60er Jahren wurden ökologische Veränderungen sichtbar. Chemie in den Flüssen, Waldsterben, Bodenverseuchungen, Atomkraftwerkshavarien usw. und so organisierte ich mit meinem damals weit über 80jährigen Vater 1992, also vor 31 Jahren, im damals neuen Rotebühlbau ein Symposium gegen das „weiter so“. Wir nannten es „Abschied von der Völlerei“, d.h. Abschied von ständig zunehmenden Ansprüchen, ja, vom ewigen Wachstum. Ich formulierte damals (1992) zum Einstieg folgende, heute noch gültigen Worte: „Wir leben das erste Mal in der Menschheitsgeschichte in einer Zeit, in der durch Menschen verursacht, und da insbesondere durch Menschen in den Industrienationen-, viele, über Jahrmillionen gewachsene, natürliche Gleichgewichte sich verlagern, ja, zu kippen drohen.   Wir leben bereits heute in einem ökologischen Notstand. Dieser Notstand übertrifft an Ernst und Gefährdung sämtliche anderen, vorstellbaren Notstände, einschließlich der Gefahr des nuklearen Krieges. Dass unsere Eltern und Großeltern Krieg und Holocaust zuließen, ist für uns heute nicht nachvollziehbar. Unsere Kinder werden uns fragen, was wir getan haben, um das ökologische Unheil abzuwenden und sie werden fassungslos unseren lächerlichen Ausflüchten lauschen.“

Nur so nebenbei zum Nachdenken: Während meines Lebens hat sich die Zahl der Menschen auf unserem Planeten von 2,31 Mrd. (1945) auf 8,1 Mrd.(heute) deutlich mehr als verdreifacht!  Und das ist noch nicht das Ende!

Doch nun zu einigen Problemfeldern hier vor Ort:

  1. Zum unterschätzten Klimazerstörer, dem Flugzeug.

Sie landen und starten Tag und Nacht von den Fildern aus, von den fruchtbarsten Böden, in alle Welt und durch S21 soll dieser Flughafen noch an Bedeutung gewinnen. Flugzeuge sind weltweit für ca. 3% des menschengemachten CO2 Ausstoßes verantwortlich.  Sie fliegen in etwa 10km Höhe und stoßen Unmengen von Abgasen aus: CO2, Stickoxide, Ruß, Wasserdampf, (Kondensstreifen, Cirrus Wolken), HC, SO2 , UFP usw. bei Unterdruck, tiefen Temperaturen und starker UV Strahlung  und erhöhen damit die Klimaschädlichkeit des Fliegens mindestens um den Faktor 3 auf etwa 6 bis 9% aller Klimaschädigungen. Die Luftverkehrsindustrie verschleiert, dass das Kernproblem hier keinesfalls die „CO2-Emissionen“ allein, sondern die „Nicht-CO2-Emissionen“ in der Reiseflughöhe sind und diese mit technischen Lösungen nicht nennenswert reduziert werden können und dennoch ist das erklärte Ziel, weltweit eine Verdopplung der Passagierzahlen in den nächsten 20 bis 25 Jahren.

In Stuttgart sagen die Flughafenchefs und der Aufsichtsratsvorsitzende, Verkehrsminister Winne Hermann: „Bis 2040 sind wir klimaneutral“. Auf Nachfrage sagen sie, dass natürlich nur der Anteil des Flugbetriebs gemeint ist, der am Boden stattfindet, also Gebäude, Parkplätze, das Vorfeld usw. nicht die eigentlichen Schädigungen durch Flugzeuge beim Fliegen, aber selbst der Bodenbetrieb wird niemals klimaneutral werden, weder die Gebäude mit Restaurants und Läden noch die Elektrofahrzeuge und schon gar nicht die Massen beim Passagierverkehr am Boden.

Seit Jahrzehnten ignoriert diese hochsubventionierte Flugbranche die nachdrücklichen Warnungen der Wissenschaft über die destruktiven Folgen des ständigen Wachstums des Luftverkehrs.

In 2019 lag das Stuttgarter Passagierwachstum bei 7%, das hieße eine Verdopplung in 10 Jahren(!) und selbst die Grünen (Kuhn und Hermann) verteidigten das Wachstum des Flugverkehrs damit, dass der Airport dazu verpflichtet sei.

Ein großer Einbruch kam durch Corona, doch man ist heute bereits wieder streng auf Wachstumskurs und puscht dies in Stuttgart mit einer neuen Entgeltordnung, in der Fluggesellschaften Geld und Rabatte rausschlagen können, wenn sie z.B. neue Destinationen anfliegen oder deutlich mehr Flugpassagiere transportieren usw.  Der Flughafen spricht von Wachstumsförderung und meint mehr Profit auf Kosten des Klimas.

Und dann lügen sie sich auch noch in die Tasche und posaunen herum, dass sie bis 2050 klimaneutral fliegen werden (elektrisch oder mit Wasserstoff oder synthetischen Treibstoffen).  Der Lufthansachef meint: „Die besten Jahre kommen noch!“ und das Bundesverkehrsministerium geht davon aus, dass bis 2050   67% (also 2/3) mehr Flugverkehr stattfindet, aber da will man ja bereits klimaneutral fliegen, also alles halb so schlimm.  Die Wissenschaft allerdings ist sich sicher, dass das bis 2050 in größerem Maßstab nie, nie, nie umsetzbar ist.

Was einzig bleibt ist:  Weniger Fliegen!

Wir unterstützen die Kampagne der Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF): „20% weniger bis 2030“.  Vielen, -mir auch-, erscheint das viel zu wenig, nur, die Fluggesellschaften wollen ja bis 2030 ihre Flugzahlen sogar um über 20% erhöhen und dann ist der Unterschied schon erheblich!  Siehe dazu die Unterschriftslisten, z.B. an der Mahnwache!

Im Mai 23 sagte der Stuttgarter Flughafenchef Poralla, Zitat: “Wir bekommen hier am Flughafen 2027 einen Fernbahnhalt (S21). Für viele Unternehmen ist die Möglichkeit einer nachhaltigen (!) Anreise (was immer das ist) ein wichtiges Kriterium für einen möglichen Bürostandort. Wir haben noch verschiedene Baufelder, die wir entwickeln können. Wenn es die Nachfrage gibt, können wir loslegen.“  Die wollen, wo es irgend geht, auch am Boden, wachsen.  Wahnsinn, oder?

  1. Womit wir beim zweiten Problemfeld sind: dem unverantwortlichen Flächenfraß auf den fruchtbaren Filderböden.

In den letzten ca. 30 Jahren wurden allein für die Großprojekte Flughafenerweiterung, Frachtzentrum, Messe, Autobahnverlegung und Verbreiterung (4, 6, 8-spurig) und S21 Trasse ca. 500 ha bestes Bauernland für alle Zeiten zerstört. Gleichzeitig haben fast alle Filderkommunen Bauland beansprucht für Wohnungen, Gewerbe, Straßen, Sportplätze usw. Neuhausen, Denkendorf, Ostfildern, Möhringen, Vaihingen, L.E.-, Filderstadt,…  In der Summe kommt man locker auf weit über 1000 ha einzigartiger Filderböden, die wir der Nachwelt in den letzten 2 bis 3 Jahrzehnten für immer entzogen haben. Die wollen aber so weitermachen! Die Gemeinden haben vielfältige Aufgaben für Schulen, Straßen, Versorgung usw. und brauchen dafür Geld. Dieses besorgen sie sich u.a. über den Verkauf von (Bau-)Land. Dadurch kommen aber neue Einwohner, auch mit Ansprüchen, man benötigt also noch mehr Schulen, Straßen, Geschäfte usw. also wieder Geld, also erneuten Flächenverkauf…   ein Teufelskreis ohne Ende.

Die oben freundlich geschätzten 1000 ha entsprechen 10 km2 und das ist eine Rechteckfläche mit den Seiten 1 km und 10 km. Böden sind wichtige, natürliche Kohlenstoffsenken. Jeder Quadratmeter ist für den Klimaschutz und für die Ernährung zwingend notwendig. Jeder zubetonierte Acker vergrößert den Hunger in der Welt. Wir fordern deshalb: Kein Quadratmeter fruchtbarer Filderboden darf mehr zugebaut werden!     

Noch im Jahr 2019 ließ der Verband Region Stuttgart eine Studie erstellen mit dem Titel: "Weiterentwicklung der räumlichen Wachstumspotenziale im Filderraum". Also nichts anderes als, wie kann ich möglichst geschickt weiter zerstören. Darüber diskutierten die Kommunen ernsthaft, statt es in Grund und Boden zu verdammen. Eigentlich müsste man eine Studie fordern mit der Zielrichtung: "Stopp jedes weiteren Wachstums, - es geht um Umkehr, Entschleunigung usw." Das Gewissen beruhigte man sich z.B. mit begrünten Brücken. Die Autoren der Filderstudie schlagen u.a. vor: Aufsiedlungen in Vaihingen, Fasanenhof, Echterdingen, Filderstadt, rings um den Flughafen, dort allein fast 90 ha meist landwirtschaftliche Fläche, großes Gewerbegebiet und Aufsiedlung in Neuhausen usw., Aufsiedlung entlang der geplanten S-Bahnverlängerung nach Neuhausen. Aufsiedlung dort hieße deutlich mehr Menschen, mehr Autoverkehr als die S-Bahn jemals wegschaffen könnte usw.  Alle irre!

  1. Tunnelmanie: Ein Tunnel macht einen gewissen Sinn, wenn man ihn durch einen großen Berg führt, dessen Überwindung Schwierigkeiten bereitet. Nur hier ist alles  anders:
  2. Bei der Neubaustrecke Ulm - Wendlingen z.B. fährt man weitgehend in 60 km langen, steilen Tunneln mit größtem Energieaufwand über einen Berg (Alb), Güterverkehr geht schon gar nicht! Völlig irre. Oder?
  3. Zu S21:In Stuttgart fährt man unter einem Kessel mit über 120 km Tunnelgewirr im schwierigen Untergrund (Anhydrit, Mineralwasser,…) durch, auch irre, oder?
  4. Auf den Fildern plant man den Pfaffensteigtunnel mit ca. 23 km Röhren unter einer fruchtbaren Ebene, obwohl wir schöne oberirdische Gleise über Vaihingen in den Stgt HBHF zur Verfügung haben. > noch viel irrer. Der Flughafen erhofft sich dadurch ohne jede belastbare Prüfung bis zu 1,5 Mio mehr Fluggäste pro Jahr (Fundel). Also: Bahnfahren verstärkt das klimaschädliche Fliegen.  Irre?

Nun, ihr wisst dies ja, der horizontale Pfaffensteigtunnel bringt maximal 4 Minuten Zeitgewinn und ermögliche dadurch angeblich den Deutschlandtakt und das für über zwei Milliarden (das sind 2 000 Millionen) und 15 Jahre Bauzeit. Der 8-gleisige Schrägtiefbahnhof in Stuttgart wird dadurch keinen cm breiter und dieses Nadelöhr verhindert auf alle Zeiten den Deutschlandtakt, egal was man an den Zufahrten manipuliert.

Für all diese Bautätigkeiten sind unvorstellbare Mengen an Beton (Zement) nötig.         Weltweit ist Beton und Stahlbeton für etwa 10% der menschengemachten Klimaschäden verantwortlich. Wir hier in Stuttgart sind durch das Fliegen (ca. 8 bis 9% Klimaschädigung weltweit) und durch unsere wahnwitzigen Bautätigkeiten (ca. 10% Schädigung weltweit) entscheidend mitverantwortlich an den weltweiten Klimaschäden. Und die Mehrzahl der Zerstörer schwört noch weiter auf fortwährendes Wachstum und behauptet, sie schützten damit das Klima und sicherten dadurch unseren Wohlstand! Irre.

4.Stuttgart und S21   Herr Paetzold behauptet, durch die Gäubahnzufahrt über die schöne Panoramastrecke würden seine geplanten Bautätigkeiten in Stuttgart behindert, also brauche man den neuen Pfaffensteigtunnel über die Messe und außerdem wolle man doch auf den durch S21 nicht mehr benötigten Gleisflächen, das Rosensteinquartier aufbauen. Also unten Tunnel, oben Bebauung! Wir bräuchten dringend Wohnungen und Büros. Aber: Gleisflächen heizen sich tagsüber auf und kühlen nachts ab, das heißt, es bilden sich starke Luftströme. Diese Durchlüftung wird die immer stärkere, klimabedingte Überhitzung des Stuttgarter Kessels abmildern. Die neue Bebauung verhindert dies und bringt mehr Menschen nach Stuttgart, mehr Autos und Abgase bei gleichzeitiger Reduzierung des Bahnverkehrs (K21> S21), Regen kann nicht mehr versickern, das Grundwasser wird weiter absinken. Dann kocht es eben im heißen Kessel.

Zusammenfassung: Ein hervorragender Bahnhof wird zerstört, der Schlosspark geschreddert, der neue Tiefbahnhof ist deutlich leistungsschwächer, ein ITF ist unmöglich, d.h. es wird mehr Autoverkehr in der Stadt entstehen, es wird eine neue Gewerbe- und Wohnlandschaft auf dem bisherigen Gleisfeld entstehen und gewiss kein sozialer Wohnungsbau. Durch die Bebauung des ehemaligen Gleisfeldes wird das Stadtklima dramatisch verschlechtert. und sie behaupten, dies sei ökologisch sinnvoller als Gleisflächen. Dies alles ist an Absurdität kaum zu überbieten.                                                   Tatsächlich wird in der Klimakrise die Kluft zwischen Wissen und Handeln immer größer. Die haben, so scheint es, den gesunden Menschenverstand vollständig überwunden. Ich nenne es ein Verbrechen an unseren Kindern und Enkeln .

Was tun?    

S21 sofort stoppen, steigen wir um auf den Umstieg 21. Die Milliarden, die ja dann bei S21 frei würden, sollte man zum weiteren Verbessern des schon sehr guten Kopfbahnhofs verwenden, um ihn vom jetzt pünktlichsten Bahnhof zum Besten zu machen, mit seinem genialen Gleisgebirge und außerdem keinen m2 fruchtbaren Boden mehr zubetonieren, mindestens 50% weniger fliegen, 90% weniger Bautätigkeit usw.

Aber, Minister Wissing schafft nicht mal ein Tempolimit - das wäre sofort umsetzbar und kostete nichts.

Und, noch nie wurden so viele Autos neu zugelassen und insbesondere so viele sinnlos große SUV's, und in der Krise sollen auch noch die Boni der Zerstörer erhöht werden.  Bahnchef Lutz bekommt zu seinem hohen Grundgehalt von schon jetzt über 1 Million Boni im Jahr. Was will der mit noch mehr Geld? Vielleicht im Geld schwimmen wie Dagobert Duck?

Ich erinnere an den Anfang meiner Rede: Während meiner 20-minütigen Rede ist die Weltbevölkerung wieder um über 3000 Menschen angewachsen.

Heute habe ich alles: Waschmaschine, Kühlschrank, Fernseher, Warmwasser aus dem Hahn, altes Auto und vieles mehr. Ich schädige sicher auch das Klima, aber im Vergleich zu den großen Zerstörern (s.0.), bin ich ein extrem kleiner Fisch. Wir brauchen überall eine deutliche Entschleunigung, wir müssen unsere Ansprüche deutlich herunterschrauben und das ständige Wachstum stoppen, Wir müssen endlich enkelverträglich planen und leben.

Ein sehr kluger Anfang hier wäre: „Oben Bleiben“

Rede von Steffen Siegel als pdf-Datei

 

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