Nicht mehr zeitgemäß? – Zu den Abriss-Neubau-Plänen der Schleyerhalle

Rede von Simon Hübner, Mitglied im Bezirksbeirat Bad Cannstatt, auf der 684. Montagsdemo am 13.11.2023

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich bin Simon, aktiv bei der Stuttgarter Linken, der Klimagerechtigkeitsbewegung, und seit einem Jahr stellvertretendes Mitglied im Bezirksbeirat in Bad Cannstatt. Gemeinsam mit meinem Ortsverband und flankiert von Pressemitteilungen und einem kritischen Antrag der FrAktion im Rathaus organisieren wir in Bad Cannstatt seit August Widerstand gegen die Abriss-Neubau-Pläne der Schleyerhalle.

Warum ist uns gerade dieses Thema so wichtig? Weil es ein Projekt ist, das für die Stadt und den Gemeinderat zum Offenbarungseid werden kann, denn hier wird sich zeigen, ob man es mit dem Beschluss der Klimaneutralität 2035 ernst meint.

Zuerst einmal ein Was-bisher-geschah und warum das Thema jetzt wieder so aktuell ist: Anfang des Jahres stand es bereits in der Presse: Die Schleyerhalle solle abgerissen und neu gebaut werden. Die stadteigene Betreibergesellschaft „in.Stuttgart Veranstaltungsgesellschaft mbH & Co. KG“ und die Mehrheit im Gemeinderat erklären die Schleyerhalle für veraltet und abbruchreif. Sie sei „nicht mehr zeitgemäß“.

Nicht mehr zeitgemäß? 1983 fertiggestellt, feiert die Halle in diesem Jahr ihren 40. Geburtstag. Eine 40 Jahre alte Halle, die zuletzt 2005/06 für 12 Millionen modernisiert wurde, sei nicht mehr wettbewerbsfähig. Stuttgart stehe in Konkurrenz mit Mannheim und München und brauche daher eine neue, größere Arena. Denn die „in.Stuttgart Veranstaltungsgesellschaft“ hat große Pläne und macht daraus auch keinen Hehl. Die betagte Hanns-Martin-Schleyer-Halle könne die Anforderungen an eine moderne Veranstaltungshalle nicht mehr (lange) leisten. Diese Halle werde nicht nur immer unattraktiver für Veranstalter, auch der technische und baulich Zustand erfülle nicht mehr die heutigen Anforderungen an eine Veranstaltungshalle.

Die Pläne der „in.Stuttgart“ sehen eine Vergrößerung der Halle um 5.000 Plätze vor. Damit würde die neue Halle 19.000 BesucherInnen fassen. Zudem verspricht man sich eine bessere Technik und energetische Vorteile und Einsparungen.

Vor allem aber: Nur mit einer „Neuen Arena 2028“ könnten internationale „Top Acts“ und sportliche „Topevents“ in der Landeshauptstadt stattfinden. Das Projekt Neue Arena 2028 sei „ein maßgebliches Infrastrukturprojekt der Landeshauptstadt Stuttgart”. Große Worte – wir alle hier wissen ja nur zu gut, wie erfolgreich die derzeitigen „maßgeblichen Infrastrukturprojekte“ so laufen…

Wie geht die Stadt nun damit um, wenn ihr von Seiten der stadteigenen Veranstaltungsgesellschaft angedroht wird, dass, wenn man sich nicht auf den Abriss-Neubau einlasse, Stuttgart bald nicht mehr so glänzt, wie es sich unser Oberbürgermeister gerne wünscht?

Die Verwaltung macht sich an die Arbeit. Im Frühjahr ging es an die Ausarbeitung einer Drucksache, und plötzlich ging alles ganz schnell: Kurz vor den Sommerferien sollte das Ganze bereits durch alle Ausschüsse gepeitscht werden.

Wie wir alle wissen, wurde daraus nichts, und man kann sich natürlich da schon fragen, wie es denn sein kann, dass ein Bürgermeister Fuhrmann im Wirtschaftsausschuss am 30. Juni vor die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte tritt und ihnen nur eine aufpolierte Powerpoint-Präsentation der „in.Stuttgart“ präsentieren kann, weil die Drucksache der Stadt leider „noch nicht ganz fertig sei“.

Für uns in Bad Cannstatt war das eine ganz interessante Situation, weil unser Bezirksvorsteher gar eine Sondersitzung einberufen wollte, um das Thema noch vor den Sommerferien auch im Bezirksbeirat behandeln zu können. Dieser Plan wurde wenige Tage später schon wieder zurückgenommen – man habe ja schließlich keine Beschlussvorlage, und die Stadt bräuchte wohl noch mehr Bearbeitungszeit. Um eines vorneweg zu nehmen: Jetzt haben wir Mitte November, und eben diese Beschlussvorlage der Landeshauptstadt ist ein halbes Jahr später immer noch nicht fertig.

Als FrAktion und Ortsverband der Linken in Cannstatt wollten wir aber nicht untätig abwarten, bis die Stadt das nächste Hau-Ruck-Verfahren startet, und haben bereits im Spätsommer angefangen, Unterschriften gegen den Abriss-Neubau der Schleyerhalle zu sammeln. Mittlerweile haben wir mehrere hundert Unterschriften zusammen.

Falls ihr noch nicht unterschrieben habt – die Listen liegen da hinten bei Ursel aus…

Letzte Woche erfolgte dann der nächste Vorstoß der Stadtspitze: Und wieder muss es schnell gehen. Es wurden noch einmal alle nötigen Termine festgelegt, um eine Entscheidung noch in diesem Doppelhaushalt herbeizuführen. Startschutz sollte der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen jetzt am letzten Freitag sein, und die Entscheidung im Gemeinderat soll laut Plan bereits am 30. November fallen. Drei Wochen! Drei Wochen räumt die Stadtspitze einer möglichen öffentliche Diskussion für ein weiteres fragwürdiges und hunderte Millionen schweres Großprojekt ein! Hinter verschlossenen Türen scheint an der Umsetzung wohl schon kein Zweifel mehr zu bestehen, für das Projekt eine Mehrheit zu bekommen. Das ist an sich schon ein Skandal, weil die Stuttgarter Bevölkerung noch nicht einmal Gelegenheit hatte, sich zum Thema eine Meinung zu bilden. Selbst die Machbarkeitsstudie ist nämlich noch nicht veröffentlicht. Und dann legt man das Ganze auch noch mitten in die Haushaltsverhandlungen.

Jetzt geht das Chaos aber erst richtig los, denn die Druckvorlage wurde wieder nicht fertig. Der Tagesordnungspunkt wurde am Donnerstagnachmittag 16 Uhr per Mail von der Sitzung am Freitag abgesetzt. Bürgermeister Fuhrmann begründete den Schritt damit, dass noch eine neunseitige Kommentierung der Drucksache zur Schleyerhalle (bzw. Deckname „Neue Arena 3.0“) eingegangen sei. Deshalb habe man den Tagesordnungspunkt kurzfristig zur internen Klärung absetzen müssen. Da weiß die eine Hand wohl nicht, was die andere macht. Und obwohl es noch Klärungsbedarf zu geben scheint, meinte Fuhrmann trotzdem, dass die Vorlage noch in diesem Jahr und in diesem Haushalt kommen soll.

Wir müssen also davon ausgehen, dass das Thema durchgepeitscht wird und die kommenden drei Wochen entscheidend sind.

Jetzt bleibt nur die Frage: Auf welcher Basis sollen sich die Bürgerinnen und Bürger der Stadt denn eine Meinung bilden?

Und wenn die Stadt das schon nicht tut, müssen wir selbst aktiv werden – und wir werden aktiv! Mit eurer Unterstützung bleibt keine Sitzung zum Thema Schleyerhalle ohne Protest. Wir haben uns bereits mit Fridays for Future zu möglichen Protestaktionen besprochen und die Architects for Future möchten sich ebenfalls beteiligen. Der nächste Termin wird am 22. 11. die Sitzung des Bezirksbeirats Bad Cannstatt sein. Wir freuen uns auf zahlreiche Unterstützung!

Also jetzt mal ein paar Infos zum Thema und ein Vorschlag für eine Positionierung – und da möchte ich dem Gemeinderat vor allem eines mitgeben: Es reicht nicht aus, nur von Klimaneutralität zu sprechen – wir müssen endlich danach handeln!

Es ist an der Zeit, dass der Gemeinderat aktiv wird und eine umfassende Abwägung vornimmt, wie eine modernisierte – und umbenannte – Schleyerhalle unter ökologischen Aspekten im Vergleich zum angestrebten Abriss-Neubau-Projekt abschneidet. In der bisherigen Diskussion um den Abriss der Schleyerhalle bzw. den Neubau einer Arena 2028 werden oft Vergleiche zwischen Städten angeführt. Stuttgart müsse im Wettbewerb des „Schneller, Höher, Weiter“ auch im Eventbereich mithalten können. Doch im Kern geht es um die wachstumsgetriebene Eventindustrie. Das ist nicht mehr zeitgemäß!

Dabei ist es aus sozialer und ökologischer Sicht völliger Schwachsinn, immer noch größere Kommerztempel mit öffentlichen Geldern zu bauen. Die Nutznießer sind weniger die Kommunen als – üblicherweise international agierende – Event-Agenturen, die mit größeren Hallen mehr Tickets verkaufen, weniger Aufwand beim Bühnenaufbau haben und damit ihre Profite steigern. Es geht also weniger um die Anforderungen der KünstlerInnen als vielmehr um Wirtschaftlichkeit und Renditen von Event­-Agenturen.

Aber: Es kann doch nicht Aufgabe von Kommunen sein, mit öffentlichen Geldern die Renditen von internationalen Event-Agenturen und Konzertveranstaltern abzusichern, deren Steuern teils nicht einmal der Kommune zugutekommen. Die Konzerte von Helene Fischer zum Beispiel lagen allein in der Hand des US-Medienunternehmens „Live Nation Entertainment“. Damit entgeht Stuttgart aus den Konzerteinnahmen viel mehr Geld als früher.

Wenn wir schon bei Helene Fischer sind: In der Berichterstattung der Stuttgarter Zeitung vom Juli über die Schleyerhallen-Pläne wird erwähnt, dass Helene wegen der jetzigen räumlichen Situation in der Hans-Martin-Schleyer-Halle „ihre Show ummodeln“ musste. Das sei „mühsam und kostet Geld.“ Aber: Es kostet nicht die Stadt Stuttgart Geld, sondern den Veranstalter.

Und überhaupt: Für die Stadt sollten nicht die Bedürfnisse von Helene Fischer und ihrer Agentur entscheidend sein, sondern die der Bürgerinnen und Bürger, und in Zeiten der Klimakrise verdammt nochmal der Beschluss, dass Stuttgart bis 2035 klimaneutral sein will! Alle anderen Argumente sind: Nicht mehr zeitgemäß!

Was der Abriss-und-Neubau-Plan für uns alle bedeutet, das wird kaum erwähnt. Die Konzert­tickets werden mit Sicherheit nicht billiger.

Und dann noch ein anderes Problem: Bereits jetzt kollabiert die Verkehrsinfrastruktur bei gleichzeitig stattfindenden Veranstaltungen auf Wasen, Porschearena und Neckarstadion. Wie sollen hier weitere 5.000 BesucherInnen bewältigt werden?

Abriss-Neubau bedeutet immer immense CO2-Emissionen, die Vernichtung von grauer Energie und tausende von zusätzlichen LKW-Fahrten durch das Neckartal für den Abtransport von Bauschutt und die Anlieferung von Baumaterial. Dazu kommt, dass die Stadt stets klagt, dass Projekte wegen des akuten Personalmangels nicht umgesetzt werden könnten. Auch unter diesem Aspekt ist zu priorisieren, wofür knappes Personal und Ressourcen eingesetzt werden.

Hannes hat letzte Woche ja bereits zum Doppelhaushalt gesprochen. Wir haben glaub alle Ideen, was man mit dem Geld besseres anstellen könnte. Es fehlt angeblich Geld für Kitas, Schulen, für den Bau von preisgünstigen städtischen Wohnungen, für die Energie- und Verkehrswende, eine Stuttgart-Zulage in Höhe von 470 Euro für die städtischen Beschäftigten, und die Aufgaben der städtischen Daseinsvorsorge. Hier müsste man die Prioritäten setzen und nicht bei Prestigeprojekten.

  • Wir sagen: Ein 400-Millionen-Projekt darf nicht hinter verschlossenen Türen innerhalb eines Monats durch die Gremien gepeitscht werden, sondern muss endlich transparent und öffentlich beraten werden!
  • Der Beschluss des Gemeinderats, alle Bauvorhaben unter Klimavorbehalt zu stellen, muss endlich ernst genommen werden! Es muss also vor allem eine umfassende Abwägung vorgelegt werden, wie groß unter ökologischen Aspekten der Ressourcenverbrauch einer modernisierten Schleyerhalle im Vergleich zum angestrebten Abriss-Neubau-Projekt „Arena 2028“ wäre. Die FrAktion hat dazu bereits im Juli einen umfassenden Antrag gestellt.
  • In Zeiten der fortschreitenden Klimakrise muss der Gemeinderat jetzt in Sachen Klimaneutralität endlich konsequent handeln.

Bei der Schleyerhalle könnte es zum Schwur kommen: Mit Schneller, Höher, Weiter muss endlich Schluss sein. Alles andere ist nicht mehr zeitgemäß.

  • Die mindestens 400 Millionen Euro müssen sinnvoll im Interesse der Stuttgarterinnen und Stuttgarter ausgegeben werden. Und aberwitzige Großprojekte wie Stuttgart 21 oder der Abriss-Neubau der Schleyerhalle sind eben nicht im Interesse der Stuttgarter Bevölkerung.
  • In Zeiten der Klimakatastrophe und auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen darf es solche Abrisse und Neubauten weder bei der Schleyerhalle noch bei Wohngebäuden und anderen Gebäuden mit erhaltenswerter Bausubstanz mehr geben.

Wir sagen: Es muss JETZT Schluss sein. Keine sozial-ökologisch katastrophalen Großprojekte mehr! Lasst uns gemeinsam für eine nachhaltige und verantwortungsbewusste Zukunft unserer Stadt kämpfen!

Oben bleiben!

Rede von Simon Hübner als pdf-Datei

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