12 ist besser als 8

Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, Ingenieure22, auf der 758. Montagsdemo am 26.5.2025

Ganz bewusst habe ich einen kryptischen Titel für meine Rede gewählt, denn es geht ja bei der heutigen Demo auch um Rätsel. Wenn ich zur Erläuterung auf „100 Jahre Bonatzbau“ verweise, dann bringt das sicher auch nicht gleich die Lösung. Aber auf den Tag genau vor 100 Jahren, also am 26. Mai 1925, wurde ein weiteres Stück Kopfbahnhof eröffnet.

Trotz der extrem schwierigen Wirtschaftslage des Deutschen Reichs hat es nach der Inbetriebnahme des ersten Teils des Bonatzbaus mit Südflügel, großer Schalterhalle und den Gleisen 9 bis 16 keine drei Jahre gedauert, bis der Mitteleingang – eigentlich als Hauptausgang vorgesehen, die Gleise 5 bis 8 und noch jede Menge weiterer Bahninfrastruktur in Stuttgart planmäßig in Betrieb genommen wurden. Damit sind also seit 100 Jahren 12 Bahnsteiggleise verfügbar – und das ist doch besser als die 8, die es mit Stuttgart 21 nur noch geben soll.

Die Gäubahn war übrigens im Regelverkehr an 6 der 12 Gleise angebunden (7 bis 12) und so auch optimal mit dem durchgehenden Fernverkehr nach Norden verknüpft.

Der erste Teil des Bonatzbaus mit bereits 8 Gleisen ging am 23. Oktober 1922 in Betrieb. Die einleitenden Sätze eines Kapitels in einem Buch über diese Zeit haben sich mir tief eingeprägt. Dort heißt es: „Die Aufnahme des Betriebs im neuen Personenbahnhof, erste Baustufe … verdient besondere Erwähnung, da sie angesichts der Kürze der Umstellungsphase und der bis ins Detail durchdachten Arbeitsabläufe heute noch bemerkenswert ist“. Sicher spielte die Eisenbahn damals eine andere Rolle als heute, aber die Ingenieure und Eisenbahner haben solche Umstellungen so geplant und durchgeführt, dass sie nur wenige Tage oder sogar nur Stunden gedauert haben.

Aber was ist heute bei Stuttgart 21 los? Von den Planern und Juristen der Deutschen Bahn werden Sperrpausen von mehreren Monaten und sogar Jahren als alternativlos dargestellt. Die Fahrplanänderungen sind fast schon umfangreicher als die Fahrpläne selbst, und dann werden sie auch noch häufig kurzfristig wieder verändert. Sowohl für die Fahrgäste als auch für die Mitarbeiter der DB im Betrieb ist das eine Zumutung – oder wie es vor wenigen Tagen selbst Guido Wolf (CDU) formulierte: „ein Schlag ins Gesicht der Fahrgäste“.

Die Projektpartner haben das immer grausamere Handeln der DB mit der eingeforderten „Projektförderpflicht“ wieder und wieder akzeptiert. Aber in den letzten Monaten hat es die DB überzogen und selbst Minister Hermann sagt dazu: „Wer so weitermacht, braucht am Ende keinen Bahnhof, weil keiner mehr Zug fährt“. Dazu wurde das häufig strapazierte Sprichwort: „Wenn Du nicht mehr weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis“ beim letzten Lenkungskreis bestätigt.

Damit es nicht so auffällt, haben die Projektpartner eine „Taskforce“ gegründet, die einen Sonderlenkungskreis vorbereiten soll. Wozu? Für die Verbesserung der Sperrpausenorganisation und des Ersatzverkehrs. Man traut der DB also nicht mehr zu, dass sie weiß, wie solche Aufgaben richtig zu lösen sind. Das ist eine Bankrotterklärung, die wir noch viel stärker in die Öffentlichkeit tragen müssen.

Außerdem darf diese Taskforce nicht hinter verschlossenen Türen irgendwelche Schönfärbereien erarbeiten, sondern es müssen Vertreter aus den Fahrgastbeiräten, den Verkehrsverbänden usw. mitarbeiten und auch Kriterien aufgestellt werden, nach denen Sperrpausen und Ersatzverkehre zu organisieren sind. Sonst wird die Taskforce nur unwürdig die Reihe von Schlichtung, Filderdialog und Stresstest ergänzen. Wenn es keine vernünftigen Lösungen für die Fahrgäste gibt, dann muss eben der Bauablauf umgestellt werden oder eine Inbetriebnahme unterbleiben.

Vom aktuellen Geschehen möchte ich aber wieder zurück zu bedeutenden Ereignissen in der Geschichte der Eisenbahn zurückkehren. Die Eröffnung des zweiten Teils unseres Kopfbahnhofs vor 100 Jahren ist sicher kein Anlass für eine große Feier. Die Eröffnung der berühmten Geislinger Steige vor 175 Jahren, am 29. Juni 1850, ist es schon. Von der ersten Eisenbahn in Württemberg auf der kurzen Strecke zwischen Cannstatt und Untertürkheim bis zur Fahrt über die Steige vergingen keine 5 Jahre, und dann konnte man durchgängig von Heilbronn im Unterland bis nach Friedrichshafen am Bodensee mit der Eisenbahn reisen und Güter transportieren. Dies finde ich eine grandiose Leistung unserer Vorfahren, und die Stadt Geislingen, die die „Steige“ ja sogar im Namen trägt, wird das Jubiläum groß feiern – schaut mal unter www.steigenjubilaeum.de.

Die heutige Rede ist zwar dem zweiten Teil unseres Kopfbahnhofes gewidmet, aber um ein weiteres Sprichwort zu strapazieren, gehören ja zu allen guten Dingen immer drei. Der dritte Teil des Kopfbahnhofes, also die kleine Schalterhalle und die Gleise 1 bis 4, machte dann einen Bahnbetrieb möglich, so wie wir ihn heute kennen – leider muss man sagen: kannten. Aber dieses Jubiläum ist gar nicht mehr so weit hin, und am 19. Dezember 2027 haben wir damit wieder einen guten Grund zum Feiern. Das ist zwar kein Montag, aber es ist Sonntag, der 4. Advent. Bis dahin, da bin ich mir sehr sicher, wird die DB es nicht schaffen, im Tiefbahnhof den Bahnverkehr so abzuwickeln, dass auf den Kopfbahnhof verzichtet werden kann.

Deshalb gilt weiter: Kopfbahnhof, Abstellbahnhof und Gäubahn erhalten!

Oben bleiben!

P.S. Am 1. September 1879 wurde die Gäubahn eröffnet. 2029 sind das 150 Jahre, und es gibt gute Chancen, auch dieses Jubiläum aus gutem Grund zu feiern.

Rede von Hans-Jörg Jäkel als pdf-Datei

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