Rede von Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe (DUH), auf der 766. Montagsdemo am 28.7.2025
Liebe Freundinnen und Freunde eines leistungsfähigen und auch noch 2030 und 2040 funktionierenden Stuttgarter Bahnknotens,
der furchtbare Bahnunfall bei Riedlingen mit drei Toten und 50 Verletzten, davon 25 Schwerverletzten, ist eine Tragödie. Mein Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Angehörigen. Es ist mir heute früh sehr schwergefallen, mich auf meine heutige Rede über unsere Strategie für die Durchsetzung einer wirklichen Verkehrswende zu konzentrieren, für die Durchsetzung des Klimaschutzes und den Erhalt des Gäubahn-Anschlusses am Stuttgarter Bahnhof.
Warum trifft uns ein Unfall wie der von gestern Abend so stark? Vielleicht zumindest ein Teil der Antwort: Das erwarten wir nicht vom Fahren mit der Bahn. Sie kann noch so unpünktlich sein, wir fühlen uns in der Bahn sicher. Täglich passieren schreckliche Unfälle auf unseren Straßen. Statistisch werden im Straßenverkehr jeden Tag 1.000 Menschen durch Unfälle verletzt und acht Menschen getötet.
Schwere Unfälle auf der Schiene mit Toten und Verletzten sind in Deutschland extrem selten – gottseidank. Im Jahr 2019 gab es einen Tiefstand: es kamen ein Fahrgast sowie drei Bahnbedienstete ums Leben. Im selben Jahr waren es im Straßenverkehr 3.046 Tote und 384.000 Verletzte.
Nach bisherigen Erkenntnissen war es aktuell ein tragischer Unfall. Zu viel Regen hat einen Hang ins Rutschen gebracht. Es wird viele Millionen Euro kosten und eine monatelange Sperrung der Strecke ist zu befürchten, bis der Bahnverkehr zwischen Sigmaringen und Ulm wieder startet. Nach dem Ahrtal-Hochwasser dauerte es dort vier Jahre und kostete fast eine halbe Milliarde Euro, bis die Strecke wieder befahren werden konnte.
Die Kosten für die Klimafolgen werden auch bei der Bahn steigen, und Geld kann nur einmal ausgegeben werden. Wir wissen nicht erst seit vergangener Woche, wie die Deutsche Bahn zu reagieren beabsichtigt: durch die Verringerung des Angebots auf der Schiene, durch weniger Züge, durch den Verkauf gerade der besonders zuverlässigen Stadler-Waggons – und durch das Vergraulen der Fahrgäste von ihr lästigen Streckenabschnitten wie der Gäubahn durch unzuverlässigen Zugverkehr, tagelange Sperrungen, den Einsatz eines Zugtyps, von dem die Entscheider wussten, dass er im grenzüberschreitenden Bahnbetrieb nicht zuverlässig funktioniert.
Der Südkurier, die auflagenstärkste Zeitung im Ländle, hat vor zwei Wochen einen Tag lang geprüft, wie es mit der Pünktlichkeit der Gäubahn aussieht. Bravo die Herren Lutz, Huber und Hermann: Die ehemals pünktlichste Bahnverbindung Deutschlands ist an dem untersuchten Tag exakt null-mal pünktlich angekommen! Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) reagieren: Nachdem bereits der ICE auf der Rheinschiene in Basel und nicht mehr in Zürich endet, um den intakten Fahrplan der Schweiz nicht von unfähigen Bahnmanagern und autophilen Verkehrsministern in Land und Bund kaputt machen zu lassen, endet auch die Gäubahn nun in Schaffhausen. Bei Mercedes-Benz, Audi und Porsche haben bestimmt die Champagnerkorken geknallt.
Die DUH lässt sich von diesen drei Automobil-Lobbyisten Lutz, Huber und Hermann nicht die Verkehrswende rückabwickeln und damit den Klimaschutz kaputtmachen!
Wir kämpfen gemeinsam mit euch und vielen weiteren Verbündeten für eine sichere, zuverlässige und leistungsfähige Flächenbahn. Zusammen mit dem Lokführer-Gewerkschafter Claus Weselsky – CDU- Mitglied – und dem ehemaligen Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow – Linken-Vorstand –werde ich im Oktober vor die Presse treten. Hoffentlich nach dem für diesen Sommer versprochenen und lange überfälligen Rauswurf von Bahnchef Lutz. Es geht uns darum zu verhindern, dass die Bahn wie in Frankreich auf wenige prestigeträchtige Rennstrecken reduziert und der Rest des Landes dem Autoverkehr schutzlos ausgeliefert wird.
Vor allem aber MACHEN wir DRUCK vor Gericht. Wir kämpfen dafür, dass die Deutsche Bahn AG als 100%ige Tochter der Bundesregierung Recht und Gesetz beachtet. Und dass Bund, Land und Stadt ihre eigenen Beschlüsse zur Verdoppelung der Zahl der Bahnreisenden bis 2030 ernst nehmen und nicht feiern, dass im vergangenen Jahr die Bahn 7 Millionen Fahrgäste weniger befördert hat als im Vorjahr.
Ich habe heute Vormittag mit einer Pressemitteilung darüber informiert, dass wir gerade eine neue Klage für den Erhalt der Gäubahn eingereicht haben.
Bereits vor zwei Wochen haben wir im laufenden Rechtsverfahren einen 30-seitigen Antrag auf Zulassung der Berufung an den VGH Mannheim gestellt. Nachdem uns das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) den Widerspruchsbescheid zu unserem Antrag auf Verbot der baulichen Abtrennung der Gäubahn zugestellt hat, konnten wir einen Tag später eine weitere Klage vor dem VGH Mannheim einlegen, so dass wir dort nun in gleich zwei Hauptsacheverfahren für den Erhalt des unterbrechungsfreien Folgebetriebs der Gäubahn kämpfen.
Warum sind zwei Klageverfahren notwendig?
Die erste Klage rührt noch aus dem Sommer 2023 und wurde im Februar dieses Jahres vor dem VG Stuttgart verhandelt – das Gericht bestätigte zwar unsere Klageberechtigung in dieser Sache, urteilte aber, die alten Planfeststellungsbeschlüsse erlaubten der Bahn, die Gäubahn beliebig lange zu unterbrechen.
Wir halten dieses Urteil in der Sache für falsch.
Deshalb begehren wir – ich zitiere aus unserem Antrag – „ein aufsichtsrechtliches Einschreiten des EBA (im Folgenden: Beklagte), um die geplante Unterbrechung der direkten Anbindung der sogenannten Gäubahn vom Hauptbahnhof Stuttgart für einen nicht näher vorhersehbaren Zeitraum zu verhindern“.
Sollten jedoch auch die Obergerichte die Planfeststellungsbeschlüsse so lesen wie das Stuttgarter Verwaltungsgericht und eine auch dauerhafte Unterbrechung der Bahnstrecke von Stuttgart in den Süden erlauben, halten wir es für zwingend notwendig, dass das Eisenbahn-Bundesamt der DB AG eine dauerhafte Unterbrechung der Gäubahn ebenso untersagt wie das Wegbaggern des Damms zum Gäubahnviadukt.
Diese Frage haben wir bereits in einem Eilverfahren vor den VGH gebracht – und verloren. Das ist schade. Aber in Eilverfahren werden auch deutlich höhere Anforderungen gestellt.
Grund für das Eilverfahren war für uns die drohende Unterbrechung bereits im kommenden Frühjahr. Wir haben nun für unsere juristischen Auseinandersetzung ein weiteres Jahr gewonnen. Und wir sind zuversichtlich, eine der beiden Klagen entweder vor dem VGH oder notfalls beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu gewinnen – bevor die Gäubahnanbindung durch das böswillige Wegbaggern des Bahndammes unterbrochen wird.
Wir wissen nicht, ob wir auf dem Klageweg erfolgreich sein werden. Die Hürden sind hoch, knapp 20 Jahre alte Planfeststellungsbeschlüsse auf dem Klageweg zu konkretisieren. Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand. Ich weiß nur: Wenn wir es nicht versuchen, haben wir schon heute verloren.
Im Einsatz für die Umwelt und den Menschen brauchen wir einen langen Atem. Schön, wenn sich Erfolge schnell einstellen. Das ist leider aber selten, vor allem wenn wir mächtige Gegner haben. Und auch vor Gericht hakelt es immer wieder. McDonalds hat vor drei Jahren vor dem VGH Mannheim gegen ein Einwegpfand auf Fast Food geklagt – und gewonnen. Der US-Konzern sah durch die von der DUH entwickelte Steuer auf Einweg-Verpackungen sein „Recht auf Verschmutzung unserer Städte“ verletzt. Selbst die Grüne Umweltministerin Lemke wollte nicht helfen.
Die Stadt Tübingen ist mit unserer Unterstützung gegen dieses Urteil vors Bundesverwaltungsgericht gezogen – und wir haben anders als in Mannheim Recht bekommen. McDonalds konnte das so nicht stehen lassen und reichte beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde ein. Im Nachhinein ein Glücksfall, weil das Bundesverfassungsgericht sogar noch über das Urteil von Leipzig hinausging und uns in weiteren dort offen gelassenen Fragen Recht gab.
Die beiden Gäubahn-Klagen sind nicht die einzigen Rechtsverfahren, in denen wir für eine leistungsfähige Bahn und damit für den Erhalt des Stuttgarter Kopfbahnhofs kämpfen. Da sind die beiden den Verkehr betreffenden Klagen zum Sofortprogramm Verkehr und zum Maßnahmenplan Klimaschutz, die wir 2023 und 2024 beim OVG Berlin-Brandenburg gewonnen haben, und zu denen wir zeitnah, in den nächsten 12 Monaten, eine Bestätigung durch das Bundesverwaltungsgericht erwarten. Die Revision eingelegt hat übrigens der ehemalige Klimaschutzminister Robert Habeck, der während seiner Amtszeit genauso wenig mit der DUH über die Klimaklage sprechen wollte wie aktuell Ministerpräsident Kretschmann über unsere aktuelle Klage gegen die grün-schwarze Landesregierung.
In diesem Frühjahr haben wir eine Klimaklage gegen das Land Baden-Württemberg erhoben. Inhaltlich stützen wir uns nicht nur auf eigene Untersuchungen und Berechnungen, sondern ausdrücklich auf die Klimaexperten, die das Land in einen Expertenrat zum Klimaschutzgesetz berufen hat. Diese stellten eine massive Zielabweichung fest, nicht überraschend vor allem im Verkehrssektor.
Am Freitag habe ich erfahren, dass sich das Land von drei hochbezahlten Rechtsprofessoren vertreten lässt – und sich eine erste Abfuhr einhandelte beim Versuch, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Bis zum 30. September 2025 erwartet das Gericht eine Antwort auf unsere Klage vom Land. Darauf freue ich mich, diese Antwort und unsere Kommentierung sind der richtige Zündstoff für die von GRÜNEN wie CDU verweigerte Klimadebatte im Landtagswahlkampf. Die Kernfrage wird sein: Wie verhindern wir, dass durch eine Kastration des Stuttgarter Bahnknotens die Menschen dauerhaft auf die Straße gezwungen werden.
Mit einer Verhandlung unserer Klage rechne ich wegen der Eilbedürftigkeit und nicht zuletzt auch wegen des Rückenwinds vom Internationalen UN-Gerichtshof in Den Haag noch in diesem Winter. Auf jeden Fall deutlich vor den Landtagswahlen im kommenden Frühjahr.
Aus Koalitionskreisen habe ich erfahren, dass unsere Klage ernst genommen wird. Und dass man befürchtet, erneut – wie bereits 2023 – zu mehr Klimaschutz verurteilt zu werden.
Verantwortlich für die verfahrene Lage im Klimaschutz sind GRÜNE und CDU gleichermaßen. Im nunmehr zehnten Jahr regieren sie gemeinsam. Und beide verstehen sich gut mit Mercedes-Benz, Audi, Porsche und damit VW, die die Richtlinienkompetenz in der Verkehrspolitik souverän ausüben.
GRÜNE und CDU sind gemeinsam verantwortlich für eine einseitig auf die Förderung und Erleichterung des Autoverkehrs ausgerichtete Politik. Die kolossale Zielverfehlung, ausgerechnet im Verkehrsbereich, ohne im Land mögliche Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wird von den verantwortlichen Politikern Kretschmann, Strobl und Hermann gleichgültig hingenommen und einem Dialog mit der Deutschen Umwelthilfe sowohl in der Staatskanzlei, im Verkehrsministerium oder beim Sommerfest in Berlin konsequent ausgewichen. Selbst bei einem grünen politischen Aschermittwoch in einer Autofabrikstadt im Großraum Stuttgart mit Ministerbeteiligung wurde ich wenige Tage vor der Veranstaltung gebeten, in meiner Festrede nicht zur Verkehrspolitik zu sprechen, sondern mich auf „Grün in der Stadt“ zu beschränken. Spoiler: Zur Freude der Grünen-Basis habe ich mich daraufhin vor allem auf die Gäubahn, den Erhalt des Kopfbahnhofs und unterlassene Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrsbereich wie einen großflächigen Modellversuch für ein Tempolimit konzentriert.
Die schönste Zeit für die gelebte Demokratie sind die Monate vor der nächsten Wahl. Ihren Wählern können die demokratischen Parteien SPD, FDP, CDU und GRÜNE im Landtag nicht ausweichen. Und so liegt es jetzt an uns, DRUCK zu MACHEN!
Begleitend zu den beiden Hauptsache-Gäubahnklagen, unseren Verkehrs-Klimaklagen auf Bundes- und Landesebene MACHEN wir jetzt DRUCK über die Menschen im Land. Im Anschluss an unsere Montagsdemo werde ich ab 19 Uhr im Gewerkschaftshaus zum Bürgerbegehren Kopfbahnhof sprechen. Jetzt im beginnenden Landtagswahlkampf ist es an uns, die Kandidatinnen und Kandidaten zu zwingen, Farbe zu bekennen:
- für einen unterbrechungsfreien Anschluss der Gäubahn an den Stuttgarter Hauptbahnhof,
- für eine Absage an das Phantom Pfaffensteigtunnel, der mit bereits heute über 3 Mrd. € Kosten niemals gebaut wird,
- für eine Absage an die Hermannsche Provinzposse, den ehemals störungsfreisten Bahnhof Deutschlands in einen kleinen Tiefbahnhof und drei Regionalbahnhöfe zu zerschlagen.
Gemeinsam sind wir stark!
Lasst uns gemeinsam DRUCK MACHEN für einen leistungsfähigen Stuttgarter Bahnknoten nach Züricher Vorbild. Für einen funktionierenden Bahnhof auch noch für die steigende Zahl der Bahnreisenden in zehn, zwanzig und dreißig Jahren.
Lasst uns kämpfen für einen Bahnhof, der unserem Motto entspricht:
OBEN BLEIBEN!