Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Vorsitzender des Gäubahnkomitees Stuttgart und Mitglied im Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, auf der 767. Montagsdemo am 4.8.2025
In den ersten Monaten des Jahres 2025 hat sich die Empörung der Fahrgäste, der Politik, aber auch bei der Bahn selbst über ständige, oft kurzfristig eingerichtete oder verlängerte Sperrungen und den Schienenersatzverkehr im Großraum Stuttgart so verstärkt, dass die Projektleitung von Stuttgart 21 extrem unter Druck gesetzt wurde. Als ein Beispiel sei nur Verkehrsminister Hermann zitiert. Er sagte: „Wer so weitermacht, der braucht keinen neuen Bahnhof, weil dann keiner mehr mit dem Zug fährt“.
Im Mai wurde deshalb die Gründung einer Taskforce und ein Sonderlenkungskreis im Juli vereinbart, über deren Ergebnisse ich Euch heute im Detail informieren möchte. Hinter den Titel habe ich zuerst ein Fragezeichen, aber nach genauerer Analyse der am 21.7.2025 im Stuttgarter Rathaus vorgestellten Ergebnisse (https://www.bei-abriss-aufstand.de/2025/08/04/sonderlenkungskreis-kopfbahnhof-bleibt-mit-allen-verbindungen-bis-2027-erhalten/) ein ganz dickes Ausrufezeichen gesetzt. Wieso?
Eigentlich hatte ich für die Taskforce eine breite Beteiligung erwartet, also z.B. auch von Fahrgastbeiräten, Verkehrsunternehmen usw. Als klar war, dass nur ein kleiner Kreis unter Führung der DB, bzw. der Projektgesellschaft, an der Arbeit beteiligt wird, da hatte ich schon das Schlimmste befürchtet. Erst im Nachhinein wurden die recht sinnvollen Vorgaben für die Taskforce veröffentlicht (Folie 2 im oben angegebenen Dokument):
- Der neue Durchgangsbahnhof geht im Dezember 2026 in Betrieb.
- Die Beeinträchtigung für die Fahrgäste infolge von Streckensperrungen soll reduziert werden.
- Die Panoramabahn soll bis zur Inbetriebnahme des neuen Durchgangsbahnhofs in Betrieb bleiben.
Das zeigt einerseits ganz klar, dass zur Gesichtswahrung aller Projektpartner eine weitere Verschiebung der Inbetriebnahme unter allen Umständen vermieden werden soll, und andererseits, dass der Druck der Gäubahn-Anlieger – einschließlich der Stadt Stuttgart und des Verbandes Region Stuttgart – auf die bisherige Planung mit einer Kappung im April 2026 sehr, sehr stark war. Die dritte Vorgabe, die „Reduzierung der Beeinträchtigung für die Fahrgäste“ ist so unscharf, dass man nach den Erfahrungen des Projekts eigentlich nicht viel Hoffnung haben konnte. Aber was aus diesem schwammigen Punkt geworden ist, das ist besser als je erwartet. Dazu gleich mehr.
Mit einer feierlichen Eröffnung soll der neue Durchgangsbahnhof mit allen 8 Gleisen im Dezember 2026 in Betrieb gehen. Dort sollen dann fast alle Fernverkehrszüge und etwa die Hälfte der Regionalverkehrszüge halten. Die restlichen Züge werden aber bis 2027 noch den Kopfbahnhof anfahren. Vor dieser offiziellen Inbetriebnahme werden im Durchgangsbahnhof nur Testfahrten stattfinden, also keine Züge mit Fahrgästen planmäßig verkehren.
Im Dezember 2026 soll dann außer dem Bahnhof noch weitere neugebaute Infrastruktur mit digitaler Ausrüstung in Betrieb gehen. Darauf kann ich hier nicht näher eingehen (Folie 15). Bemerkenswert ist allerdings, dass nur 3 der 4 Tunnel dabei sind. Der Tunnel nach Bad Cannstatt und damit auch die neue Neckarbrücke bleiben ungenutzt. Das ist eine ganz unerwartete Beschränkung, die ich allerdings sehr positiv bewerte.
Bei der bisherigen Planung hatte die DB vor der Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs für 2026 schon Umbauten an der Bestandsinfrastruktur geplant, die für mich eine „Liste der Grausamkeiten“ bildeten. Diese Liste ist für 2026 nun komplett gestrichen, was doch wirklich ein Grund zum Feiern ist. So ein Ergebnis zur „Reduzierung der Beeinträchtigungen für die Fahrgäste“ hätte ich nicht erwartet. Das Streichen all dieser Umbauten reduziert natürlich für die Bahn auch den Umfang von Arbeiten, die für die Inbetriebnahme unnötig sind und die damit verbundenen Risiken.
Im Jahr 2026 wird es also
- keine Kappung der Panoramabahn (das war eine Vorgabe),
- keine Anbindung der S-Bahn-Station Mittnachtstraße von Feuerbach/Bad Cannstatt (die S-Bahn behält damit die Möglichkeit in den Kopfbahnhof einzufahren) und
- keine Verschwenkung der Ferngleise in Bad Cannstatt auf die neue Neckarbrücke
geben. Damit ist erstmals die (Teil-)Inbetriebnahme des Durchgangsbahnhofs geplant, ohne vorher den Kopfbahnhof bzw. seine Zulaufstrecken gravierend zu zerstören. Zum Jahreswechsel 2026/27 wird es damit unseren Kopfbahnhof mit weiterhin 16 Gleisen und 10 Zulaufstrecken (2x Gäubahn, je 4x von Feuerbach und Bad Cannstatt) geben. Darüber hinaus ist der jetzige Abstellbahnhof mit 5 Gleisen kreuzungsfrei mit dem Kopfbahnhof verbunden.
Da der Bereich Bad Cannstatt/Untertürkheim schon 2026 digital ausgerüstet werden soll (Folie 16), wird diese Situation eindrucksvoll demonstrieren, wie der Kopfbahnhof und sein konventionelles Stellwerk auch mit digital ausgerüsteten Strecken zurecht kommt. Dieses Ergebnis der Taskforce ist doch wirklich ein Grund zum Feiern, aber nicht zum Zurücklehnen!
Die Grausamkeiten sind zwar für 2026 gestrichen, aber 2027 will die DB es trotzdem tun (Folie 17). Nach der Inbetriebnahme soll es erst ab 11. Januar 2027 wieder „baubedingte Sperrungen“ geben. Aber vielleicht trifft für die Planungen 2027 die von Verkehrsminister Hermann häufig gebrauchte Einschätzung „einstweilen“ zu. Denn ob die Inbetriebnahme in allen Teilen so funktioniert, wie sie geplant wird, das ist eher unwahrscheinlich. Dann wird es möglich und nötig sein, die Kinderkrankheiten der neuen Infrastruktur auszumerzen, statt den funktionierenden Bestand voreilig außer Betrieb zu nehmen.
Außerdem wird der Projektleiter Olaf Drescher dann 67 Jahre alt sein, und im SWR konnte man vor wenigen Tagen erfahren, dass er seinen Vertrag nur bis Januar 2027 verlängert hat. Wir gönnen ihm dann herzlich den Ruhestand. Es kann ja auch sein, dass 2027 die Milliarden bei der DB plötzlich nicht mehr für Stuttgart 21 eingesetzt werden sollen. Dann gilt der bekannte Spruch, dass nichts länger hält, als ein gutes Provisorium. Das wünsche ich uns, damit wir am Jahresende 2027 – am 19. Dezember – mit einem voll intakten Kopfbahnhof feiern können, dass vor 100 Jahren die kleine Schalterhalle und die Gleise 1 bis 4 des Kopfbahnhof in Betrieb gingen und unser Bahnhof damit komplett war.
Die von der Taskforce und dem Sonderlenkungskreis beschlossene Verlängerung des Betriebs im Kopfbahnhof hat nur drei Tage nach den Beschluss des Gemeinderats bestätigt, wie falsch die Aufstellung eines Bebauungsplanes für das Gebiet A2 ist. Das bleibt eine unverantwortliche Verschwendung von Ressourcen der Stadtverwaltung und des Gemeinderats – finanziell und personell. Eine solche Bestätigung für unser Bürgerbegehren durch den Sonderlenkungskreis, das ist doch auch ein Grund zum Feiern!
Es gilt: „Wessen Stadt – unsre Stadt, wessen Bahnhof – unser Bahnhof“ und „Oben bleiben“!