Rede von Peter Grohmann, Kabarettist, Autor und Publizist, auf der 776. Montagsdemo am 6.10.2025
Hochgeschätzte Fangemeinde für demokratische Verhältnisse daheim und in der Fremde,
ich will an erster Stelle stellvertretend für die vielen anderen mutigen Menschen an drei Frauen erinnern: Letzte Woche ist Assata Olugbala Shakur in ihrem Exil in Kuba mit 78 Jahren gestorben. Die ehemalige Black-Panther-Aktivistin, Patentante des Rappers Tupac Shakur, war in den 1970er-Jahren zu lebenslanger Haft wegen angeblichem Mord an einem Polizisten verurteilt worden. Sie beteuerte stets ihre Unschuld. 1979 wurde sie von einem bewaffneten Kommando der Black Liberation Army aus dem Gefängnis befreit, seither lebte sie im Untergrund und war die erste Frau auf der Most-Wanted-Liste des FBI: Die zehn vom FBI meistgesuchten Flüchtigen. 1984 erhielt sie politisches Asyl in Kuba.
Am 1. Oktober haben wir Abschied genommen von Sigi Adam. Sie gehörte von den ersten Stunden an zu jenen vielen, die ausdauernd mit Euch vor dem Bahnhof, auf dem Schillerplatz oder dem Schloßplatz standen – überall, wo es galt, für Freiheit und Demokratie zu streiten.
Letzen Sonntag starb Gudrun Schretzmeier. Ihre Trauerfeier findet am 2. November im Theaterhaus statt. Gudrun. Sie stand auf den wackligen Leitern der Zeit, strich die modrigen Wände der alten Fabriken, Bühnen und Studios, fegte den grauen Staub der finsteren Jahre von den Fenstern großer Häuser. Damit man rein- und raussehen konnte, lachend: Für morgen.
Wir rückten zusammen, ganz nah, so wie wir heute wieder zusammenrücken müssen gegen die Dummbeißer von vorgestern, die man dummerweise unterschätzt. Alles redet sich leichter heute, selbst das mit diesem „sie wird uns fehlen“ scheint irgendwie fehl am Platz. Denn die uns morgen fehlen werden: Haben wir die nicht eben noch ausgeschlossen, draußen vor der Tür gelassen? Gestern sowieso und heute wieder? Die Fürsprecher der Demokratie, die Bänkelsänger und Liedermacher, die Rapper, die Träumenden, Fantasiereichen, die Theater und Tanz ohne Geld machen, die andersrum wirtschaftenden farbenprächtigen Vögel aus den Kultur- und Jugendzentren? Sie waren Gudrun: bunt und klug und frech und fröhlich und links, weil sie lieber auf Holzbänken saßen. Gudrun. Sie war eine engagierte, politische Frau voller Eloquenz und Lebenslust, gesegnet mit jeder Menge Kreativität und Fantasie, immer umtriebig, stets voller Ideen, den Menschen zugewandt und eine immense positive Energie ausstrahlend. Eine Kostümbildnerin für bessere Zeiten.
Heute aber und deshalb auch grüß' euch herzlich von meiner Omi Glimbzsch in Zittau! Zu Zeiten der DDR und der 1989 neu eingetroffenen Bundesrepublik hatte sie einen Zigarre rauchenden Antihelden: Bertold Brecht.
Von Brecht stammt auch der „Anachronistische Zug“ – ein Gedicht aus dem Jahr 1947. Ich habe für heute ein paar Verse herausgesucht und freihändig, großzügig verändert. Bitte sehr:
Frühling wurd´s in deutschem Land | Über Asch und Trümmerwand
Flog ein erstes Birkengrün | Probeweis, delikat, ja kühn
Als von Süden, aus den Tälern | Herbewegte sich von Wählern
Pomphaft ein zerlumpter Zug | Der zwei alte Tafeln trug
Mürbe war das Holz von Stichen | Und die Inschrift sehr verblichen
Und es war so etwas wie | Freiheit und Democracy!
Von den Kirchen kam Geläute | Kriegerwitwen, Fliegerbräute,
Waise, Zittrer, Hinkebein – Offenen Maules stands am Rain.
Und der Blinde trug den Tauben | Was vorbeizog an den Stauben
Hinter einem Aufruf wie | Freiheit und Democracy
Dann in Kutten schritten zwei | Trugen ne Monstranz vorbei.
Wurd die Kutte hochgerafft | Sah hervor ein Stiefelschaft
Doch dem Kreuz dort auf dem Laken | Fehlen heute ein paar Haken
Da man mit den Zeiten lebt | Sind die Haken überklebt.
Gleichen Tritts marschiern die Lehrer | Machtverehrer, Hirnverheerer
Folgen die Herrn Mediziner | Menschverächter, Nazidiener
Drei Gelehrte, ernst und hager | Planer der Vergasungslager
Fordern auch für die Chemie | Freiheit und Democracy
Einige unsrer besten Bürger | Einst geschätzt als Judenwürger
Jetzt geknebelt, seht ihr schreiten | Für das Recht der Minderheiten
Und der Richter dort: zur Hetz | Schwenkt er frech ein alt Gesetz.
Mit ihm von der Hitlerei | Spricht er sich und andre frei.
Künstler, Musiker, Dichterfürsten | Schrei´nd nach Lorbeer und nach Würsten
All die Guten, die geschwind | Nun es nicht zu gewesen sind.
Blut und Dreck in Wahlverwandtschaft | Zog das durch die deutsche Landschaft
Rülpste, kotzte, stank und schrie: | Freiheit und Democracy!
Hungernd zwischen den Skeletten | Seiner Häuser stand herum
Das verstörte Bürgertum.
Soweit mein etwas veränderter Auszug
„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“. Dem alten Spontispruch stimmen alle gern zu – aber wer besteht vor ihm? Die Geschichte der Neuzeit beginnt mit der Aufforderung, die freiwillige Knechtschaft abzulegen, Aber die Geschichte samt Knechtschaft erneuert sich mit jeder neuen Generation. Das beginnt in der Kinderstube, in der Schule, in der Elitenherrschaft – so raumgreifend und so total, dass wir es jeden Tag verdrängen, um uns nicht immer schämen zu müssen.
Treffen sich paar Autokraten | reiben sich behend die Hände
Ha'm den Braten schon gerochen | Freie Welt ist längst am Ende
Abgeschlafft und abgeschafft | Nur das Raffen, das klappt immer
manchmal leichter, manchmal schlimmer
Denn was gilt im Erdenrund? Kapital, Profitwirtschaft: Das kapiert der ärmste Hund
Machste mit, dann biste hin – Machste nichts, dann bistes auch
und stehst wieder auf dem Schlauch
Freiheit und Demokratie? Mit Profitgier klappt das nie, so mein Credo
Wer die Macht über die Produktionsmittel hat, der bestimmt den Raum der Freiheit. Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will – das war die Kampfansage der Arbeiterbewegung. Nur weil sie Verweigerungsmacht hatte, konnte sie das allgemeine Wahlrecht, das Frauenwahlrecht, den 8-Stundentag, den Arbeitsschutz, die 35-Stundenwoche, den Sozialstaat und das Demonstrationsrecht durchsetzen. In einer automatisierten Gesellschaft aber verdampft die Verweigerungsmacht.
„Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.“ sagt uns Immanuel Kant. … „Dass der bei weitem größte Teil der Menschen den Schritt zur Mündigkeit (…) für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon die Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben, nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben ...“
Zu den Dumm-Machern des 20. Jahrhunderts gehört Donald Trump – in seinem Gefolge eine immer größer werdende Schar von Arschkriechern aus aller Herren Länder. Das Wort Arschkriecher gilt ja eigentlich als „bäbä“, also nicht sagbar, wenn auch machbar. Dennoch taucht es in der dünner werdenden Tagespresse und ihren Bierzelten, ja gar in noch größerer Literatur auf.
Weder Schiller und Hegel noch Goethe, weder Mozart noch Heino, weder Luther, Ebert oder Noske haben sich gescheut, diese dreiste, aber folgerichtige Beschreibung so mancher Mitmenschen zu nutzen. In diesen Zeiten erfährt die Anwendung weltweit großen Zuspruch. Der kommt aus allen Kreisen, selbst den gebildeten. Viele der vornehmsten Zeitgenossen unserer Jahrgänge gesellen sich freiwillig zur Gruppe A, ohne Scham und Schande. Nehmt nur die Kriechologen der EU, die vor 'nem Psychopathen und Oberarsch den Kotau machen: Sie warten im Vorzimmer bei lauwarmem Tee, geduldig wie Schafe vor der Schur, während der Friedensnobelpreisträger sein Zahnfleisch reinigt und sich über die Wartenden königlich amüsiert. Es gibt wenig rühmliche Ausnahmen – nahezu alle Präsidenten, Könige, Autokraten, Autofahrer, Paschas lecken dem Weißen Mann im Weißen Haus die Stiefel. Und in ihrem Gefolge die Könige und Kaiser der größten Unternehmen der Erde, Medienmogule, hundertfache Milliardäre. Es fehlt nur noch der Papst. Nein, die bereits vor Jahren von Trump und seinen Truppen wortreich angekündigte schonungslose Demontage des Staates, der Institutionen, von Recht und Ordnung, die gnadenlose und rechtsfreie Verfolgung aller Kritiker und Gegner macht Mensch und Maschine in der ältesten Demokratie der Welt fassungslos.
Der große Weiße Mann pfeift auf Sitte und Anstand, auf Fairness und Regeln, und mit ihm jubeln die Pseudochristen, die Gotteskrieger im großen Halleluja, knien nieder vor dem Selfmade-Heiland, der ihnen das Neue Testament um die Ohren haut.
Sollen wir nun also unsere Freundinnen und Freunde, Republikaner der guten Art, Demokraten, alle Freigeister und Humanisten jenseits des Großen Teiches zum Widerstand aufrufen, ihnen vielleicht Asyl anbieten bei Söder? Oder Handfeuerwaffen gegen den Zerstörer? Sollen wir den in Seenot geratenen Schiffen im Golf von Mexiko mit Frontex zu Hilfe eilen? Mit der deutschen Marine?
Sollen wir mit unseren christlichen Schwestern und Brüdern die Kirchentüren in Chikago, New York oder Los Angelos verrammeln, hinter denen sich die People of Color voller Angst verschanzen? Oder einfach nur wie immer „Solidarität mit den Verfolgten“ rufen? Kennen wir ja auswendig.
„Junge, ich weeeß ooch nich“, tät meine Omi Glimbzsch in Zittau sagen. „Aber dranbleiben wär' gutt!“ Das wollt ich Euch zurufen, am 6. Oktober 2025: Dranbleiben!
Es ist gut fürs leibliche und seelische Wohl!
Obenbleiben – Es ist gut für die Hygiene.
Obenbleiben – sonst verhungert die Seele.
Obenbleiben – damit du morgen noch in den Spiegel schauen kannst!
Darauf geb' ich meine Unterschrift.