Rede von Maike Schollenberger, Landesbezirksleiterin ver.di Baden-Württemberg, auf der 780. Montagsdemo am 3.11.2025
Liebe Freundinnen und Freunde,
es ist mir eine große Ehre, heute auf eurer 780. Montagsdemonstration reden zu dürfen, um für unsere Demonstration „Kommunen am Limit – Demokratie am Abgrund“ am kommenden Samstag die Werbetrommel zu rühren. Das ist übrigens unsere erste Demonstration zum Thema Kommunalfinanzen. Ich habe heute im Interview mit der Stuttgarter Zeitung gesagt, dass das ein Auftakt ist. Und dass das nicht die letzte Demonstration sein wird. Aber ich hoffe sehr, dass wir nicht 780 brauchen, um etwas zu erreichen.
Liebe Freund:innen, wir stehen beim Thema Kommunalfinanzen an einer ähnlich wichtigen Weggabelung, wie ihr 2009/2010, vor 15 Jahren, beim Bahnhof standet. Da war ich zwanzig und gerade frisch nach Stuttgart gezogen. Ihr hattet damals wie heute mit allem recht. Bei den Kosten und bei der Dauer der Baustelle ist es sogar noch schlimmer gekommen, als damals von euch prophezeit. Wir sind damals bei Stuttgart 21 falsch abgebogen, mit gravierenden Folgen, nicht nur für Stuttgart.
Deshalb ist uns das Thema Kommunalfinanzen so wichtig. Wir sind der festen Überzeugung: Wenn wir jetzt nicht die Kurve kriegen, droht uns ein ähnliches Desaster, nur bei diesem Thema bundesweit. Kaputte und marode Städte und Gemeinden wären die Folge. Nur weil wir nicht den Mut hatten, 2025 das Ruder herumzureißen. Das darf nicht passieren!
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Lage ist wirklich richtig ernst. Die Kommunen in unserem Land senden einen Notruf nach dem anderen – und diese Notrufe sind berechtigt. Die finanzielle Situation vieler Städte und Gemeinden ist dramatisch. Schwimmbäder schließen, Buslinien fallen aus, Bürgerbüros sind unterbesetzt, und freiwillige Leistungen, die unser Zusammenleben ausmachen, stehen auf der Kippe.
Das beunruhigt uns zutiefst. Es ist höchste Zeit, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister laut werden – und es ist höchste Zeit, dass wir als Gewerkschaft der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf die Straße gehen. Denn wir erleben tagtäglich, was es bedeutet, wenn in Kommunen gespart wird: mehr Arbeit, weniger Personal, schlechtere Bedingungen. Und das auf dem Rücken unserer Kolleg:innen.
Wir teilen die Einschätzung der Stadtoberhäupter: Die Kommunen haben zu wenig Geld. Aber wir sagen auch klar: Es braucht eine andere Systematik. Es kann nicht sein, dass der Bund immer mehr Aufgaben auf die Kommunen abwälzt, ohne für eine faire Finanzierung zu sorgen. Es braucht mehr Geld aus den Gemeinschaftssteuern, mehr Steuergerechtigkeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Und was noch viel wichtiger ist, es braucht mehr Steuergerechtigkeit zwischen den reichsten fünf Prozent und uns allen. Umverteilung von oben nach unten!
Deshalb fordern wir eine Reform der Erbschaftssteuer und eine Vermögensteuer. Damit mehr Geld ins System kommt und gerecht verteilt wird – auch an die Kommunen, die unsere Gesellschaft tragen.
Was passiert, wenn das Geld fehlt, sehen wir schon jetzt: In Stuttgart wird die Zulage für Beschäftigte halbiert – eine Zulage, die viele dringend brauchen, um hier leben zu können. Stellen werden nicht nachbesetzt, obwohl wir ohnehin schon unterbesetzt sind. Die Arbeitslast steigt, die Belastung wächst. Und das ist kein Einzelfall. In Göppingen wird bereits über betriebsbedingte Kündigungen gesprochen – ein absolutes No-Go für uns als Gewerkschaft.
Die Bedrohungslage, die wir aktuell aus der Industrie kennen, schwebt jetzt auch über dem öffentlichen Dienst. Aber die Situation ist eine andere: Während es in der Industrie zu wenig Arbeit gibt, gibt es in den Kommunen zu viel Arbeit – für zu wenig Personal.
Die Jobsicherheit im öffentlichen Dienst hat natürlich noch einen Wert – aber unter welchen Bedingungen arbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen künftig? Das ist die entscheidende Frage. Und wir sagen klar: Die Löhne im öffentlichen Dienst sind nicht das Problem. Die Städte haben ein Einnahmeproblem, kein Ausgabeproblem.
In Stuttgart sind die Gewerbesteuereinnahmen von 1,6 Milliarden auf 800 Millionen Euro gefallen – das ist die Hälfte. Und das Minus im Haushalt beträgt ebenfalls 800 Millionen. Das hat nichts mit den Tarifsteigerungen zu tun.
Wir haben diese Tarifsteigerungen in besseren Zeiten erkämpft – und wir werden jetzt nicht klein beigeben. Unsere Kolleginnen und Kollegen leisten jeden Tag ihren Beitrag. Sie gehen zur Arbeit, sie halten den Laden am Laufen. Wenn zehn Prozent der Stellen nicht besetzt sind, spart eine Kommune zehn Prozent Personalkosten. Das ist ein ordentlicher Beitrag. Und dafür verdienen sie Respekt, keine Kürzungen.
Und ihr als Bürger:innen, als Steuerzahler:innen habt Kommunen verdient, die funktionieren. Von Kita über Bürgerbüro bis zum Krankenhaus, von der Kulturförderung bis zur Sozialarbeit. Mit einem bezahlbaren ÖPNV mit gutem Takt. Das alles steht auf der Kippe. Und deshalb rufen wir am Samstag gemeinsam mit dem VdK, dem Paritätischen, den Grünen, den Linken, dem DGB und vielen anderen Organisationen zum Protest auf. Denn die Kürzungen betreffen nicht nur uns – sie betreffen uns alle.
Wir leben in unsicheren Zeiten. Viele Menschen haben Angst um ihren Job – bei Bosch, bei Daimler. Wenn jetzt auch noch die Leistungen im öffentlichen Dienst wegbrechen, wächst die gesellschaftliche Unsicherheit. Und dann fragen sich die Menschen: Versteht die Politik überhaupt noch, was uns bewegt?
Wir müssen verhindern, dass vor allem die AfD diese Unsicherheit ausnutzt. Wir müssen zeigen, dass es anders geht. Dass wir gemeinsam für eine gerechte Finanzierung kämpfen. Dass wir laut sind, wenn freiwillige Aufgaben gestrichen werden. Und dass wir uns nicht gemeinsam mit Stadtverwaltungen hinstellen und sagen: „Tut uns leid, es geht gerade nicht anders.“
Nein – wir sagen: Es muss anders gehen! Wir sagen: Die Kommunen und ihre Beschäftigten sitzen in einem Boot. Wir kämpfen gemeinsam für eine bessere Zukunft!
Liebe Freundinnen und Freunde,
euer Protest seit über 15 Jahren ist so wichtig. Wenn die Politik an entscheidenden Stellen falsch abbiegt, dürfen wir nicht hinterher sagen. Ist jetzt halt so. Nein, es ist wichtig, dass die Verantwortlichen weiter spüren: das war falsch. Es hätte eine bessere Entscheidung gegeben. Und bei eurem Thema gilt genau wie beim Thema Kommunalfinanzen: Es gibt nicht nur Ja oder Nein. Es gibt dazwischen tausend kleine Entscheidungen, die besser oder schlechter getroffen werden können.
Wir kämpfen bei den Kommunalfinanzen um die große Frage der grundsätzlichen Finanzierung und die vielen kleinen Fragen in den Haushaltsberatungen. Danke, wenn ihr uns in allen diesen Kämpfen unterstützt.
Wir sehen uns am Samstag um zwölf Uhr in der Lautenschlagerstraße!
Vielen Dank, dass ich hier sein durfte.






