Bahn-Dauerchaos im Rems-Murr-Kreis

Rede von Eva-Maria Hartmann, Lehrerin im Ruhestand, auf der 783. Montagsdemo am 24.11.2025

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich spreche zu euch als Bahnfahrerin aus dem Rems-Murr-Kreis und Mitglied einer Gruppe von Menschen, die jeden Montag von Schorndorf mit der Bahn zur Demo anreisen. Jedes Mal ist es ein Abenteuer und spannend, wann und ob wir ankommen bzw. wann wir abends wieder zuhause sind. Manchmal treffen wir unterwegs auf Dieter Reicherter, der in Backnang in den Zug steigt. Und jedes Mal gibt es Erlebnisse der absurdesten Art auszutauschen.

Zum Verständnis: Im Rems-Murr-Kreis, zu dem Schorndorf und Backnang gehören, gibt es zwei Bahnstrecken, die Remsbahn und die Murrbahn.

Die Remsbahn führt nach Aalen und weiter nach Nördlingen. Bis Schorndorf fährt auch die S2.  Zusätzlich gibt es eine Fernverbindung von Stuttgart nach Nürnberg, die alle zwei Stunden bedient wird. Die Strecke ist im Rems-Murr-Kreis zweigleisig.

Die Murrbahn folgt der Remsbahn bis Waiblingen und zweigt dann ab nach Backnang und Schwäbisch Hall-Hessental. Die S3 endet in Backnang. Weiter geht es auf dieser Strecke dann eingleisig nach Hessental und weiter nach Nürnberg. Insgesamt eigentlich ein gutes und sinnvolles Angebot für einen Nahverkehr von und nach Stuttgart, zumal man sowohl in Backnang als auch in Schorndorf tagsüber mindestens alle 15 Minuten in eine Bahn steigen kann, zumindest theoretisch.

Aus dem Rems-Murr-Kreis fahren täglich fast 60.000 Pendler*innen[1] nach Stuttgart, Ludwigsburg oder Esslingen. Wenn man die vielen Autofahrer darunter überzeugen möchte, von der Straße auf die Schiene umzusteigen, geht das nur, wenn sie mit der Bahn schneller sind als mit dem Pkw. Laut Fahrplan ist die Bahn tatsächlich konkurrenzlos, wären nur die Verbindungen verlässlich. Doch davon kann keine Rede sein.

Wer kennt nicht die kreativen Durchsagen in der Bahn, wenn’s nicht weitergeht: Wir warten noch auf Personal. Wir können nicht in den Bahnhof einfahren, vor uns stauen sich die Züge. Vor uns wird gerade eine S-Bahn mit defekten Türen abgeschleppt. Wir werden noch von einem oder mehreren Zügen überholt. Ich, gibt der Lokführer zum Besten, weiß auch nicht, was los ist.

Doch spätestens seit dem Sommer 2023 nehmen die Bahnfahrer*innen alles stoisch hin nach dem Motto „schlimmer kann´s nicht mehr kommen“. Fast ohne Vorwarnung ging damals zwischen Mai und Juli volle elf Wochen lang zwischen Waiblingen und Cannstatt rein gar nichts – Vollsperrung: SEV, Schienenersatzverkehr, also Busfahren war angesagt. Voll war der Bus immer, manchmal war man schnell am Ziel, manchmal stand man stundenlang im Stau.

Doch schlimmer geht’s immer. Vom 1. bis 21. Dezember, also in ein paar Tagen, werden laut VVS-App wegen Bauarbeiten alle vier Gleise zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt gesperrt. Die auf einen Halbstundentakt zurückgestutzten S-Bahnen enden in Fellbach bzw. Waiblingen. Natürlich kommen auch die Regionalzüge nicht durch. Wieder ist Schienenersatzverkehr angesagt. Im November hat die DB schon mal mit abendlichen und zum Teil nächtlichen Sperrungen geübt. Die S2 endete z.B. am 12. November am frühen Abend noch während der Hauptverkehrszeit in Grunbach. Die Fahrgäste sollten auf Busse nach Schorndorf umsteigen. Doch außer einem einzelnen Bus, der hin und wieder eintrudelte, kam bis spät in der Nacht NICHTS. Die DB hatte schlicht vergessen, ein Busunternehmen zu beauftragen. Viele der geplagten Fahrgäste fragen sich, wofür eigentlich das Chaos veranstaltet wird? Die DB redet ziemlich allgemein und verschwurbelt von „Baustellen“. Mithilfe von Recherchen der Waiblinger Kreiszeitung lässt sich die Sache einigermaßen aufdröseln[2].

Verlottertes Bestandsnetz und schlechtes Management

Zum einen repariert und saniert die Bahn im November und Dezember das Bestandsnetz im Bereich der Stuttgarter S-Bahn. Das ist auch dringend nötig. Arno Luik, Journalist und Bahnkenner, wird nicht müde zu betonen, dass die in seinen Worten ehemals fast perfekte Bahn systematisch kaputtgespart wurde: Weichen und damit Überholmöglichkeiten wurden entfernt, Reparaturwerkstätten wurden geschlossen und damit die Frequenz von Instandhaltungsmaßnahmen verringert, Signale wurden abgebaut. Eben alles, was man im normalen Betrieb nicht braucht, beseitigte man oder ließ es verlottern. Matthias Lieb, der hauptamtliche Qualitätsanwalt der Fahrgäste, fasste den Zustand einem Waiblinger Journalisten gegenüber kurz und bündig zusammen. Die Remsbahn sei „infrastukturtechnisch kurz vor Entwicklungsland“.

Der fehlgeplante digitale Knoten

Doch da ist – wie wir wissen – noch der digitale Knoten. Die Deutsche Bahn will sich mit dem äußerst komplexen und bisher einmaligen Projekt an die Spitze des technischen Bahnfortschritts setzen. Sie bindet die Eröffnung des Tunnelbahnhofs an die Fertigstellung des digitalen Knotens. Im Moment sieht es eher nach einer grandiosen Fehlplanung aus. Ich beziehe mich noch einmal auf die Waiblinger Kreiszeitung. Man habe den Bedarf an Kabel-Trassen verkannt, nicht an die Redundanzen gedacht, Doppelstrukturen für Störungen und Sabotagefälle nicht bedacht, und die Trennung von Stromversorgung und Datenübertragung nicht mit einkalkuliert. Kurz und gut, in Cannstatt müssten die Schächte für die vielen Kabel einen zwei- bis dreimal größeren Querschnitt haben als bisher vorgesehen. So gesehen steht die Eröffnung des Tunnelbahnhofs weiter in den Sternen.

Der neue ICE-Sprinter bremst Pendler aus

Ab dem Fahrplanwechsel am 14. Dezember läutet ein ICE-Sprinter von Stuttgart nach Berlin eine neue Ära ein. Man kann Berlin in knapp fünf statt bisher sechs Stunden erreichen. Was für die einen eine Freude ist, ist für die anderen, nämlich die Pendler*innen auf der Murrbahn, ein weiteres Ärgernis. Der Sprinter nutzt nämlich die kürzeste Strecke über Nürnberg nach Berlin, und die führt eben über die Murrbahn. Dies hat zwei Landräte auf den Plan gerufen. Der eine, Landrat von Schwäbisch Hall, und ebenso das Aktionsbündnis kritisieren, dass der Sprinter den Nahverkehr ausbremst, weil die Strecke zwischen Backnang und Hessental eingleisig ist. Das bedeutet, dass der Regionalexpress Stuttgart-Nürnberg, der auch in Winnenden, Backnang und Hessental hält, morgens und abends, jeweils in der Hauptverkehrszeit mindestens 10 Minuten warten muss, bis der ICE-Sprinter ihn überholt hat. Sie fordern, dass die Murrbahn endlich zweigleisig ausgebaut wird.

Wie schon erwähnt fährt auch über die Remsbahn ein IC nach Nürnberg, selbstredend etwas langsamer als der Sprinter. Der Landrat des Ostalbkreises befürchtet, dass die ohnehin relativ schwach frequentierte Verbindung noch weniger nachgefragt und schließlich gestrichen werden könnte. Dies hätte dann auch Auswirkungen auf Schorndorf, wo der IC ebenfalls ab und zu hält. Dieser Halt ist für Berlinreisende eine gute Möglichkeit, ohne den Umweg über Stuttgart nach Berlin zu kommen.

Fazit:

Die Waiblinger Kreiszeitung kommt zum Ergebnis, dass der Deutschen Bahn „das Großprojekt Digitalisierung des Bahnknotens Stuttgart endgültig aus dem Ruder gelaufen“ sei, die Sperrungen noch lange kein Ende nehmen werden, und die Pendler*innen immer stärker ausgebremst würden. Zudem agiere die Bahn „kurzatmig bei den Baustellen im Bestand“. Ich füge hinzu, dass wir davon ausgehen können, dass wir noch lange –
oben bleiben werden!

[1]     https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Statistiken/Pendleratlas/Pendleratlas-Nav.html

[2]     Peter Schwarz, DB: Dauer-Bahnchaos Rems-Murr – wie kam es dazu? Rekonstruktion eines Versagens, Waiblinger Kreiszeitung, 22. Oktober 2025

Rede von Eva-Maria Hartmann als pdf-Datei

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