Stuttgart 21: Nach der Sperrung ist vor der Sperrung

Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 und Vorsitzender des Gäubahnkomitees Stuttgart, auf der 773. Montagsdemo am 15.9.2025

Die seit mehreren Jahren fast ständigen, häufig wechselnden und oft auch kurzfristigen Streckensperrungen im Großraum Stuttgart sind ein eklatanter Makel des Projekts Stuttgart 21. Um das deutlich zu thematisieren, hatte das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 eigentlich genau meinen Titel auch für eine Pressemitteilung nach Ende der sommerlichen Stammstreckensperrung vorgesehen. Aber der Südwestrundfunk (SWR) war schneller, und deshalb trägt unsere Pressemitteilung den Titel „Und täglich grüßt das Murmeltier“ bzw. in Anlehnung an die DB-Figur könnte man auch formulieren „… grüßt Max Maulwurf“. Die Fahrgäste würden sehr gern auf diese Grüße verzichten, aber was im SWR-Beitrag für den Rest des Jahres 2025 angekündigt wird, das bringt die Fahrpläne weiterhin gehörig durcheinander.  Auf Einzelheiten kann ich hier nicht eingehen.

Allerdings wird der Umfang der Sperrungen bis zum Jahresende von der DB nicht mehr mit „orange“ wie im Sommer, sondern nur noch mit „gelb“ und im Dezember sogar mit „grün“ bewertet. Diese Einschätzung stammt von der Präsentation des Sonderlenkungskreises (vom 15.7.25), dessen Ergebnisse ich Euch in Teilen schon Anfang August vorgestellt hatte. Dass die Empörung der Fahrgäste, der Politik, aber auch bei der Bahn selbst, über die ständigen Sperrungen und den Schienenersatzverkehr im Großraum Stuttgart sich Anfang 2025 so verstärkt hat, dass die Projektleitung dafür eine Taskforce und einen Sonderlenkungskreis einberufen musste, macht diesen Makel von Stuttgart 21 überdeutlich. Ich möchte nochmals Verkehrsminister Hermann zitieren. Er sagte: „Wer so weitermacht, der braucht keinen neuen Bahnhof, weil dann keiner mehr mit dem Zug fährt“.

Die Deutsche Bahn wollte so weitermachen und hatte geplant, die Sperrungen 2026 gegenüber 2025 nochmals drastisch zu verstärken. Da sollten dann fünf Monate sogar „dunkelrot“ werden, was von der DB als „Verkehr stadtweit und überregional sehr stark eingeschränkt und auch mit SEV [Schienenersatzverkehr] nicht ausreichend kompensierbar“ beschrieben wurde. Aber das ging dann den Projektpartnern doch zu weit – selbst Guido Wolf sprach vom „Schlag ins Gesicht der Fahrgäste“. So kam es zum Sonderlenkungskreis, der allerdings an den Planungen für 2025 nach meinen Informationen keine Veränderungen vorgenommen hat.

Die vor einer Woche beendete Stammstreckensperrung war als „orange“ bewertet bzw. als „Verkehr stadtweit und überregional stark eingeschränkt, aber mit SEV weitgehend kompensierbar“. Wie das in der täglichen Praxis für zigtausende Pendler und andere Reisende aussah, das habt ihr erlebt, und auch das Aktionsbündnis hat viele Berichte dazu erhalten. Überfüllte Züge und Busse, die Kinderwagen und Räder, teils sogar Personen nicht mitnahmen, und auch die Stadtbahnen waren zeitweise so voll, dass viele Fahrgäste nicht mitfahren konnten. Rainer Wieland, als Vorsitzender des Verbands Region Stuttgart für die S-Bahn verantwortlich, hatte für die Stammstreckensperrung verkündet, dass „die Einschränkungen verlässlich und planbar gehalten werden, so dass die Fahrgäste keine Überraschungen erleben“. Dann ist es sicher auch keine Überraschung, dass ihm das Aktionsbündnis dafür die Note „Ungenügend“ vergibt, denn dieses Ziel wurde kläglich verfehlt.

Weil die alten Planungen für 2026 nicht hinnehmbar waren, aber die zumindest teilweise Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs im Dezember 2026 als prestigeträchtiges Ziel weiter verfolgt wird, hat man sowohl die Kappung der Gäubahn, die Verschwenkung der S-Bahn zur Mittnachtstraße, als auch die Verschwenkung der Gleise auf die neue Neckarbrücke ins Jahr 2027 verschoben – darüber hatte ich am 4.8.2025 genauer informiert. Aber wenn man sich die neue Grafik der Sperrungen anschaut, dann sieht diese fast wie 2025 aus. Hat man sich bei der DB so sehr an diese Sperrungen gewöhnt, dass es nicht mehr ohne geht? Dabei will man bis Dezember 2026 neben dem Tiefbahnhof doch „nur“ die Tunnel zum Flughafen, nach Feuerbach, Ober- und Untertürkheim, kleine und große Wendlinger Kurve, Abstellbahnhof und Flughafenbahnhof in Betrieb nehmen. Das sollte doch weitgehend ohne Beeinträchtigung des Betriebs auf der bisherigen Infrastruktur machbar sein. Lediglich für die digitale Streckenausrüstung im Bestandsbereich Bad Cannstatt und Untertürkheim (Doppelausrüstung zur konventionellen Technik) ist eine Abhängigkeit zu verstehen.

Wie ging eigentlich der Bahnhof von Paul Bonatz 1922 in Betrieb? Diese Inbetriebnahme war sicher nicht seine primäre Aufgabe, das haben die Eisenbahner und Ingenieure der Königlich-Württembergischen Staatseisenbahn geplant und umgesetzt. Sie schafften es in einer Nacht. Kurz vor 2 Uhr fuhr der letzte Zug zum Bahnhof an der Bolzstraße. Danach wurde dieser betrieblich stillgelegt und schon kurz vor 4 verließ der erste Zug den neuen Bahnhof an der Schillerstraße – eine Meisterleistung. Ein Vergleich mit dem Murks für Stuttgart 21 ist eigentlich nicht möglich. Oft wird ja die „fehlende Blaupause“ für die Digitalisierung eines Bahnknotens angeführt. Aber glauben die Projektverantwortlichen wirklich, dass es in der Republik noch irgendeine Großstadt gibt, die ihren Bahnverkehr so einer Operation aussetzen will? Stuttgart 21 und der Digitale Knoten Stuttgart haben die Grenzen der Belastbarkeit weit überzogen. Hoffentlich wird das Erlebte nicht zu schnell vergessen.

Doch zurück zu den Sperrplanungen für 2026. Die anstehenden Arbeiten rechtfertigen den Umfang der Sperrungen in keiner Weise. Land, Verband Region Stuttgart, aber auch Fahrgastverbände wie VCD und Pro Bahn und die Medien müssen fundiert nachfragen und eine weitere Reduzierung der Sperrungen erwirken. Nach den schlimmen Erfahrungen der letzten Jahre ist insbesondere die sommerliche Stammstreckensperrung anzugreifen. Eigentlich war ja geplant, im Sommer 2026 die S-Bahn zur Mittnachtstraße zu verschwenken. Dafür ist eine Sperrung nachvollziehbar – eigentlich nur tageweise oder über ein Wochenende. Aber nachdem die Verschwenkung erst 2027 stattfinden soll, gibt es keine vernünftige Begründung für eine Stammstreckensperrung 2026. Darüber haben wir bereits die Medien informiert und Radio Dreyeckland hat auch schon dazu berichtet. Die Fraktion Linke.Piraten. SÖS wird im Verband Region Stuttgart einen Antrag auf Wegfall der Stammstreckensperrung 2026 stellen.

Ohne unseren Kopfbahnhof werden die Auswirkungen von Sperrungen und Störungen auf den Bahnverkehr im Großraum Stuttgart in vielen Fällen einen Umfang besitzen, der heute noch gar nicht vorstellbar ist. Deshalb sind wir mit dabei beim Bürgerbegehren gegen die von der Stadt Stuttgart geplante Aufstellung eines Bebauungsplans für den Bahnsteigbereich des Kopfbahnhofs bis zur Wolframstraße. Unter dem Motto MEHR BAHNHOF = MEHR ZUKUNFT wird am Montag, dem 29.9.25 nach der Demo zum Schwarzen Donnerstag ab 19:30 Uhr im Großen Saal des Gewerkschaftshauses (Willi-Bleicher-Straße) eine Veranstaltung mit Jürgen Resch, Matthias von Herrmann und Hans-Jörg Jäkel zur Rolle des oberirdischen Hauptbahnhofs für den aktuellen und zukünftigen Bahnverkehr in Stuttgart stattfinden. Hagen von Ortloff hat ein Grußwort angekündigt.

So wollen wir einen Beitrag leisten für unser gemeinsames Ziel: Oben bleiben!

Rede von Hans-Jörg Jäkel als pdf-Datei

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