Verkehrswende braucht Vernunft – nicht nur Hochgeschwindigkeit

Rede von Jürgen Zimmermann, Vorsitzender der „Bürgerinitiative Schwabentrasse e.V.“ (BISCHT), auf der 780. Montagsdemo am 3.11.2025

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, liebe Organisatorinnen und Organisatoren der Montagsdemo, liebe Bürgerinnen und Bürger,

ich danke Ihnen herzlich für die Einladung, heute hier sprechen zu dürfen. Es ist mir eine Ehre, die Stimme für unsere „Bürgerinitiative Schwabentrasse e. V.“, kurz Bischt, in Stuttgart zu erheben. Ich bin Jürgen Zimmermann, Vorsitzender der Bischt, vernetzt im ABBD, in der „Bürgerbahn Denkfabrik“, und ein engagierter Bürger aus dem Raum Neu-Ulm. Seit Jahren setze ich mich mit vielen Gleichgesinnten für einen verantwortungsvollen und wirtschaftlich sinnvollen Ausbau unserer Bahn-Infrastruktur ein. Dabei geht es uns nicht um Blockade, sondern um Augenmaß. Nicht um Verhinderung, sondern um Vernunft.

Die Situation beim Bahnprojekt Ulm–Augsburg

Das Projekt Ulm–Augsburg ist ein Paradebeispiel für die Fehlentwicklungen im aktuellen Bahnplanungssystem. Die BISCHT – unsere Bürgerinitiative – kritisiert insbesondere die Vorgaben des Bundesverkehrsministeriums für den Deutschlandtakt und den 3. Zielfahrplan, die fragwürdige Nutzenbewertung und die einseitige Ausrichtung auf Hochgeschwindigkeit.

Überdimensionierte Planung: Die aktuelle Variante sieht eine durchgehende Viergleisigkeit, Güterzugtauglichkeit und eine Fahrzeit von 26 Minuten vor – Anforderungen, die weder aus dem Deutschlandtakt noch aus dem Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 hervorgehen und zu enormen Baukosten führen: aktuell seitens der Deutschen Bahn geschätzt 5,5 Mrd., nach unserer Schätzung bis zu 11 Mrd. Euro.

Die Anforderung vom 26 Minuten Fahrzeit zwischen Ulm und Augsburg ist zwar in einer Planungsvariante – dem 3. Zielfahrplan – des Deutschlandtaktes enthalten, aber nicht erforderlich und auch nicht sinnvoll; es entstünden trotzdem keine Taktknoten in Augsburg und Ulm, mit längerer Fahrzeit würden die Anschlüsse eher besser. Das ist ganz entscheidend, denn die unsinnige Fahrzeitvorgabe führt zum Ausschluss von viel verträglicheren, kostengünstigeren Ausbauvarianten, die zudem in Teilabschnitten machbar und damit eher umsetzbar sind. Stattdessen wird eine Neubaustrecke mit vielen Kunstbauwerken geplant, mit der wertvolle Lebens- und Naturräume für immer zerstört werden – mit unklarer verkehrlicher Wirkung.

Deutschlandtakt und der 3. Zielfahrplan: Hochgeschwindigkeit als Dogma?

Die Vorgaben aus dem Deutschlandtakt und insbesondere der 3. Zielfahrplan führen durch den Halbstundentakt – die Fahrtzeit zwischen Hauptbahnhöfen, z.B. Ulm-Augsburg von 26 Minuten plus 4 Minuten Halt – bundesweit zu einem Tunnelblick auf Hochgeschwindigkeit. Statt bestehende Strecken zu modernisieren und zu ertüchtigen, um die Verlässlichkeit und Pünktlichkeit der Bahn in den Griff zu bekommen, wird vielerorts nur auf teure Hochgeschwindigkeitstrassen gesetzt. Diese schaffen zwar Kapazitäten, aber weniger als bei einem Bestandsstreckenausbau und Verzicht auf Hochgeschwindigkeit möglich wäre, sie sind verkehrspolitisch fragwürdig und auch haushaltspolitisch unverantwortlich. Zudem entfalten die geplanten Hochgeschwindigkeitstrassen ihre Wirkung erst in mehreren Jahrzenten!

Die Umsetzung des 3. Zielfahrplans in seiner derzeitigen Form führt nachweislich zu massiven Steigerungen der Baukosten, des Flächenverbrauchs und des CO₂-Fußabdrucks. Diese Effekte werden in der bisherigen Planung systematisch ausgeblendet. Eine ernsthafte Klimapolitik verlangt jedoch eine Gesamtbilanzierung, die auch Bauemissionen, Ressourcenverbrauch, Lärmbelastung und Eingriffe in Natur und Landschaft berücksichtigt.

Das „Aktionsbündnis Bahn Bürgerinitiativen Deutschland“ (ABBD) hat deshalb mehrere Anträge formuliert, die bundesweit bei über 50 Bürgerinitiativen Unterstützung finden – ein Novum!

  • Antrag zur Überarbeitung des 3. Zielfahrplans des Deutschlandtakts: Die Initiative Deutschlandtakt stellt den 3. Zielfahrplan als quasi alternativlos dar. Dabei handelt es sich um ein Planungsmodell, das auf Annahmen und Zielsetzungen basiert, die weder demokratisch legitimiert noch deren Finanzierung geprüft und ökologisch bilanziert sind. Die Forderung nach einer Neuberechnung mit reduzierter Höchstgeschwindigkeit und Priorisierung auf Verlässlichkeit und Pünktlichkeit ist kein Angriff auf das Prinzip des integralen Taktfahrplans, sondern ein Aufruf zur Rückbesinnung auf dessen eigentliche Leitidee: ein effizienter, flächendeckender und nachhaltiger Bahnverkehr mit verlässlichen Anschlüssen.

Die Petition „Deutschlandtakt neu berechnen“ haben über 38.000 Menschen unterzeichnet – genug, um die offizielle Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestags zu erreichen und ein starkes Zeichen aus der Zivilgesellschaft!

  • Antrag zur Kosten-Nutzen-Analyse: Der Vergleich eines Ist-Zustandes mit einem Zukunfts-Zustand ist nach dem Maßstab von Objektivität und Vernunft nicht leicht. Es besteht in höchstem Maße die Gefahr von Schönrechnerei, nur um ein ganz anderes Ziel als die Gemeinnützigkeit und das Gemeinwohl zu erreichen. Das Projekt Augsburg–Ulm zeigt das exemplarisch: Hier wurden 6 Strecken ohne verkehrlichen Zusammenhang, darunter bereits längst in Betrieb befindliche, in einem Paket bewertet, damit in Summe ein magerer Nutzen-Kosten/Faktor von 1,1 herauskommt. Das widerspricht sogar den gesetzlichen Vorgaben, denn es muss das einzelne Projekt bewertet werden; nur so kann man ja wissen, ob ein Projekt positiv ist, und nur so kann man dann Prioritäten setzen!

Die Erstellung dieses Zielfahrplans und die Bewertung dessen Nutzens darf aufgrund seiner weitreichenden Wirkung nicht mehr dem Bundesverkehrsministerium allein überlassen werden! Das Methodenhandbuch zum Bundesverkehrswegeplan liefert klare Vorgaben, wie Investitionsmittel sinnvoll und nachhaltig eingesetzt werden sollten:

  1. Erhalt und Modernisierung: Zuerst müssen die notwendigen Mittel für die Instandhaltung und die Modernisierung bestehender Infrastruktur bereitgestellt werden (Erhaltungsbedarfsprognose).
  2. Verteilung der dann noch frei verfügbaren Investitionsmittel: Erst danach dürfen verbleibende Gelder auf Straße, Schiene und Wasserstraße für Aus- und Neubauprojekte verteilt werden.
  3. Dringlichkeit vor Prestige: Innerhalb aller Verkehrsträger muss eine klare Dringlichkeitseinstufung erfolgen – nicht nach politischer Opportunität, sondern nach tatsächlichem Bedarf.
Mobilität im Personenverkehr ermöglichen, Sicherstellung der Güterversorgung mit Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Erhöhung der Verkehrssicherheit und die Reduktion der Emissionen von Schadstoffen und Klimagasen.

Die Umsetzung dieser dreistufigen Mittelzuweisung würde gleich vier der sechs zentralen im Methodenhandbuch beschriebenen Ziele des Bundesverkehrswegeplans 2030 erfüllen. Bei den vier aufgeführten Zielen sind als Lösungsstrategie immer die Erhaltung und Modernisierung aufgeführt!

  • Der Antrag zum CO₂-Footprint von Neubautrassen ist in Arbeit: Es ist nicht hinnehmbar, dass unter dem Deckmantel der Klimapolitik Projekte mit langen Kunstbauwerken wie Brücken und Tunnels für die geforderte Hochgeschwindigkeit genehmigt werden, deren CO₂-Bilanz über Jahrzehnte negativ bleibt. Die Ziele des Deutschlandtakts und des 3. Zielfahrplans müssen mit den verfügbaren Haushaltsmitteln und den Klimazielen in Einklang gebracht werden!

Unsere Anträge des Aktionsbündnisses an die Bundespolitik belegen: Wir bringen konstruktive, durchdachte Vorschläge ein – für eine Bahn, die besser funktioniert und den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird!

Bürgerinitiative Schwabentrasse: Haushaltspolitische Verantwortung gefordert – jetzt!

Egal ob auf kommunaler, Kreis-, Landes- oder Bundesebene: Die Mittel für den Erhalt und die Modernisierung von Bildungseinrichtungen, Gesundheitseinrichtungen, Kultureinrichtungen, Sport- und Freizeitanlagen, Verkehrssystemen, Versorgungsnetzen, Kommunikationsnetzen, Naturräumen, der öffentlichen Verwaltung und und und sind knapp. Deshalb fordern wir: Erst Instandhaltung und Modernisierung – dann Aus- oder Neubau!

Investitionen müssen übergreifend und nach klaren Prioritäten erfolgen. Der Bundestag darf kein Projekt genehmigen, dessen Vorgaben aus „Wünsch Dir was“ aus dem Deutschlandtakt bzw. 3. Zielfahrplan resultieren! Wie fordern eine ernsthafte, transparente Prüfung von Alternativen beim Aus- und Neubau der Bahnstrecken – im Einklang mit den Zielen des Deutschlandtakts, den finanziellen Mitteln des Bundeshaushalts und den CO₂-Emissionen, die beim Bau entstehen! Wir stehen für einen sinnvollen Bahnausbau – aber mit Augenmaß, wirtschaftlicher Vernunft und mit den Klimazielen vereinbar!

Kurz zum Ulmer Hauptbahnhof: Der Umbau ist dringend notwendig! Etwas Positives vorweg: Die 4-Wochen-Sperrung des Ulmer Hauptbahnhofs ist vom Tisch. Die Deutsche Bahn arbeitet an einem neuen Konzept der Inbetriebnahme des Stellwerks mit mehreren Teilsperrungen – danke DB für die Einsicht!

Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit, Ihre Ausdauer und Ihre Bereitschaft, sich für eine bessere Bahnpolitik einzusetzen. Mein Dank gilt besonders den Organisatorinnen und Organisatoren der Montagsdemo, die Woche für Woche ein Zeichen setzen – für Bürgerbeteiligung, für Transparenz und für eine Bahn, die den Menschen dient.

Lassen Sie uns gemeinsam das dringende und wichtige Thema Bahn voranbringen – mit Engagement, Verstand und Beharrlichkeit, vielen Dank!

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