Rede von Luigi Pantisano, Stadtplaner und Architekt, Mitglied des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag, Die Linke, auf der 782. Montagsdemo am 17.11.2025
Liebe Freundinnen und Freunde,
es ist schön, nach sehr vielen Sitzungswochen im Bundestag heute wieder hier bei Euch auf der Montagsdemo zu sein. Ich muss zugeben, dass ich Stuttgart und diesen Ort oft vermisse. Nicht nur weil ich in Stuttgart zuhause bin, sondern auch, weil hier auf diesem Platz so viel Kompetenz für eine klimagerechten Mobilitätspolitik zusammenkommt – da kann der Bundestag nur davon träumen!
Gestern erst hat wieder irgend so ein Abgeordneter der CDU im Bundestag über den Spiegel günstigere Flugtickets gefordert. Dieselbe CDU, die uns im Bundestag ständig belehrt, warum das Bahnfahren teurer werden muss. Warum die Ticketpreise nächstes Jahr steigen werden und das Deutschlandticket von ursprünglich 9 Euro bald schon 80 Euro kosten wird. Und dafür feiern die sich auch noch.
Diese ganzen Preiserhöhungen sind für viele Menschen schlicht nicht mehr bezahlbar. Am schlimmsten trifft es Menschen in Armut. Erst letzte Woche habe ich in Schwäbisch-Gmünd die Strafe einer Frau bezahlt, die wegen Fahren ohne Fahrschein im Gefängnis saß. Meryem, 36 Jahre alt, eine Frau, eine Migrantin, die vor einiger Zeit ihre Wohnung in Stuttgart verloren hat, weil das Leben in Land immer teurer wird. Weil die Mieten in Stuttgart unbezahlbar sind, die Lebensmittel heute doppelt so viel wie noch vor fünf Jahren kosten, Strom und Heizung immer teurer werden und jetzt auch noch das Deutschlandticket. Was aber nicht steigt ist der Lohn und die Rente der Menschen.
Das 9-Euro-Ticket konnte sich die junge Frau noch leisten. Dann kam die Preiserhöhung – schon den Preis von 49 Euro konnte sie sich nicht mehr leisten. Aber sie musste natürlich weiterfahren – Termine wahrnehmen, um einen Wohnplatz zu finden, um einkaufen zu gehen, um überhaupt am Leben teilzunehmen. Sie wurde kontrolliert, konnte das Bußgeld von 60 Euro nicht bezahlen. Sie wurde angezeigt und schließlich verurteilt. Dieses System ist so krank! Wenn das Geld nicht für ein Busticket reicht, wie soll Meryem dann eine Geldstrafe von 1.800 Euro bezahlen?! Und dafür sollte sie 60 Tage Haft. Nicht, weil sie kriminell ist, sondern weil sie arm ist.
Da ich als Abgeordneter mein Gehalt aus dem Bundestag begrenze, konnte ich nun die 1.800 Euro für Meryem beim Gefängnis bezahlen. Und wisst Ihr, was das Absurde daran ist? Weil Meryem nun früher das Gefängnis verlassen konnte, spart es dem Staat rund 12.000 Euro Gefängniskosten! Insgesamt kostet es den Staat jedes Jahr 114 Millionen Euro, das Fahren ohne Fahrschein zu verfolgen, zu verurteilen und zu vollstrecken. Oder wie ich es im Bundestag schon gesagt habe: So viel Geld ist der Bundesregierung die Verachtung von armen Menschen wert.
Wir konnten zum Glück für Meryem eine Unterkunft in Stuttgart organisieren, zumindest für die ersten Tage nach der Haft.
Aber wie geht es für Meryem und viele andere tausende arme Menschen weiter, die einsitzen wegen Fahren ohne Fahrschein? Das ist der Bundesregierung scheißegal, schließlich drohen sie mit vollem Leistungsentzug bis zum Verlust der Wohnung, nur weil Menschen beispielsweise nicht rechtzeitig beim Jobcenter waren. Diese Regierung verstößt gegen die Verfassung und missachtet die Würde von Meryem.
Liebe Freunde, Ihr könnt ebenfalls dazu beitragen, dass Menschen für das Fahren ohne Fahrschein aus dem Gefängnis früher freikommen. Der Verein Freiheitsfonds sammelt bundesweit Geld, um am 27. November gezielt viele Menschen aus Gefängnis frei zu kaufen. Auf meiner gedruckten Rede findet Ihr die Kontodaten und die Webseite des Freiheitsfonds.
www.freiheitsfonds.de
Kontoinhaber: Offene Tore e.V.
IBAN: DE12430609671313480900
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: Freiheitsfonds
Ein günstiges Deutschlandticket, ein 9-Euro-Ticket, ist nicht realitätsfern. Das wünschen sich viele Menschen. Schauen wir nach New York: Zohran Mamdani ist dort neuer Bürgermeister geworden mit der Forderung nach kostenlosen Bussen! Weil er verstanden hat: Die Menschen brauchen ein günstiges Ticket, um sicher zur Arbeit, zur Schule, zu FreundInnen zu kommen. So geht eine soziale und ökologische Politik.
Die Bundesregierung verschiebt aber täglich lieber Milliarden, um die eigenen reichen Freunde zu entlasten – aber ein 9-Euro-Ticket für alle ist nicht drin? Das Geld ist da – es ist nur ungerecht verteilt. Wir müssen es uns von denen holen, die sich längst aus der Verantwortung verabschiedet haben: von den Reichen, von den Konzernen, die am öffentlichen Leben verdienen, ohne etwas zurückzugeben. Für diese Leute will die CDU jetzt auch noch das Fliegen günstiger machen. Wir müssen die Reichen endlich höher besteuern, damit eine sichere und günstige Mobilität für uns alle möglich ist!
Die Länder und Kommunen dürfen nicht ausbaden, was sich der Bund überlegt hat. Der Bund muss das Geld für eine sichere und günstige Mobilität zur Verfügung stellen. Schließlich hat die Bundesregierung selbst die Pariser Klimaziele unterschrieben. Die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) dürfen nicht ausbaden, was die Politik versäumt hat.
Die Stadt Stuttgart soll beim Haushalt sparen, und das trifft nun auch die SSB und den dringend notwendigen Ausbau des ÖPNV. Das ist absolut falsch! Auch die Stadt Stuttgart hat hier eine Verantwortung. Bevor die Stadt Geld für den Abriss- und Neubau der Schleyerhalle ausgibt, muss sie dieses Geld an die SSB geben, damit wir keine Zeit verlieren auf dem Weg zu einer klimagerechten Mobilität. ich fordere gleichzeitig die SSB auf, Menschen, die ohne Ticket fahren und erwischt werden, nicht strafrechtlich zu verfolgen und auf Anzeigen zu verzichten. Auch für die SSB gilt, statt nach unten zu treten und die Ärmsten zu treffen, muss sie sich das notwendige Geld bei den Reichen und Vermögenden holen.
Ich frage mich oft auch, ob das S im Namen der SPD noch irgendeine Bedeutung hat, bei der Politik des Parteivorsitzenden und Finanzministers Klingbeil. Statt mehr Geld für eine sichere und günstige Mobilität zur Verfügung zu stellen, wird die Luftverkehrssteuer gesenkt.
Mobilität darf kein Luxus sein! Mobilität ist Freiheit und muss für jede und jeden in diesem Land sicher und zuverlässig zur Verfügung stehen. Es ist an der Zeit, dass die SPD ihrer Verantwortung gerecht wird und das nötige Geld den Kommunen zur Verfügung stellt. Die Superreichen müssen durch eine Vermögenssteuer ihren gerechten Beitrag zur Gesellschaft leisten. Holen wir uns endlich den Reichtum zurück!!
Gleichzeitig erdrückt die Schuldenbremse die notwendigen Investitionen in die Schiene. Um es ganz einfach zu erklären: Die Schuldenbremse macht das Bahnfahren immer teurer, gefährdet den Güterverkehr und unsere Klimaziele.
Ich erkläre Euch, warum das so ist: Wir haben die letzten Wochen mehrmals im Bundestag über die sogenannten „Trassenpreise“ debattiert. Dabei handelt es sich um eine Schienenmaut. Fernverkehrszüge und Güterzüge, die auf deutschen Schienen fahren, bezahlen eine Maut. Ihr habt richtig gehört, Autos zahlen auf Autobahnen keine Maut, aber Züge müssen eine Maut zahlen, damit sie auf der Schiene fahren dürfen. Und wie soll es anders sein, diese Schienenmaut ist viel höher als in der Schweiz oder in Österreich. Denn dort müssen Züge nur die entstandenen Kosten wie den Verschleiß bezahlen, in Deutschland wird obendrauf noch eine Rendite mit drauf gepackt. Warum, fragt Ihr Euch?
An dieser Stelle kommt die Schuldenbremse ins Spiel. Wegen der Schuldenbremse hat in den letzten Jahren das Geld im Bundeshaushalt gefehlt für die notwendige Investitionen in die Sanierung der Schieneninfrastruktur, beim Bau von neuen Projekten oder für Mehrkosten wie unserem verhassten Milliardengrab Stuttgart 21. Stattdessen hat die zuständige Bahntochter InfraGo Kredite für ihre Projekte bekommen.
Diese Kredite müssen anders als bei Investitionen mit Zinsen zurückgezahlt werden. Tja und diese immer weiter steigenden Kredite und Zinsen werden in Deutschland auf die Schienenmaut drauf gerechnet. Das führt beispielsweise im nächsten Jahr dazu, dass der Preis für die Schienenmaut um bis zu 12% steigt. Die Rechnung dafür bezahlen die Bahnkunden mit immer weiter steigenden Ticketpreisen und einem Abbau des Angebots – vor allem auf weniger lukrativen Strecken im ländlichen Raum.
Oder auch beim Güterverkehr. Eine Konkurrenz gegenüber LKWs ist mit solchen Voraussetzungen kaum möglich. In Österreich sind sie auch dabei schlauer, denn dort bezahlen Güterzüge gar keine Schienenmaut.
Mit dieser Bahnpolitik können sich bald nur noch Bundestagsabgeordnete und Manager das Bahnfahren leisten. Trotz aller Fakten behaupten alle anderen Parteien immer noch, die Bahn könne Gewinne erwirtschaften. Aber Fakt ist: Die Bahn hatte 2024 einen Schuldenstand von 32,6 Milliarden Euro!
Die Gewinnorientierung der Deutschen Bahn ist eine Illusion. Die Schuldenbremse verhindert die nötigen Investitionen in eine stabile Schieneninfrastruktur. Die Schuldenbremse muss endlich abgeschafft werden. Das jetzige Trassenpreissystem gefährdet – wie ich Euch beschrieben habe – den Ausbau des Schienennetzes und sorgt dafür, dass das Angebot weiter schrumpft.
Ich will, dass alle Menschen frei entscheiden können, wie sie von A nach B kommen – ob mit dem Zug, Auto oder Fahrrad. Aber dafür brauchen wir ein zuverlässiges und günstiges Bahnangebot, das auch im ländlichen Raum funktioniert.
Als Linke werden wir uns für eine grundlegende Reform der Bahn einsetzen. Wir kämpfen für eine sichere und günstige Bahn für alle, statt fetter Manager-Boni und günstigen Flügen.
Lasst uns weiter gemeinsam auf der Straße und in den Parlamenten dafür kämpfen!
Vielen Dank!






