Sich selbst übertreffende Absurdität

Rede von Johanna Tiarks, Fraktionsvorsitzende ‚Die Linke SÖS Plus‘ im Gemeinderat, auf der 786. Montagsdemo am 15.12.2025

Ich stehe heute vor Euch und bin sprachlos über das, was in den letzten Wochen passiert ist. Ich weiß nicht, wie oft ich das Wort absurd verwendet habe, und jetzt finde ich einfach keine Steigerung mehr für das, was letzten Mittwoch bei den Stellenplanlesungen passiert ist. Ich habe dann mal Synonyme gegoogelt: Wahnwitz, Nonsens, Käse, grotesk, bizarr, meschugge. Und leider trifft all das ziemlich genau zu für das, was wir hier in diesen Haushaltsberatungen erleben.

Aber nochmal von vorne: Seit Monaten hören wir an allen Ecken und Enden: Wir müssen sparen. Warum? Die Wirtschaft schwächelt und die Gewerbesteuern sind eingebrochen.

Das wird dargestellt wie ein Naturgesetz, wie schlechtes Wetter. Aber Haushaltsberatungen sind kein Unwetter. Sie sind eine Abfolge politischer Entscheidungen. Und für jede einzelne Entscheidung müssen wir uns immer dieselbe Frage beantworten: Kürzen wir – oder organisieren wir Umverteilung? Und klar ist, wir wollen umverteilen. Ganz konkret hier vor Ort in der Kommune, aber auch auf der Bundesebene.

Aber warum fehlen eigentlich die Einnahmen in diesem großen Ausmaß? Nein – das liegt nicht daran, dass plötzlich niemand mehr Autos kauft.  Bei Daimler sind die Verkaufszahlen weit weniger zurückgegangen, als uns hier manchmal suggeriert wird. Gewinne werden auch weiterhin gemacht.

Der eigentliche Grund liegt woanders – und er hat einen Namen: Friedrich Merz. Im Juli hat er den Unternehmen ein Gesetz geschenkt, mit dem man Abschreibungen nicht auf die Lebensdauer, sondern innerhalb von drei Jahren nahezu vollständig auf den erzielten Gewinn anrechnen kann. Klar, dass das zu massiven Einbrüchen bei den Gewerbesteuern führt.

Daran hat sich Porsche mal kurz gesundgestoßen und hat die Batteriefabrik Cellforce abgeschrieben. Das ist völlig irre – haben sie als Steuern vom Einkommen und Ertrag Ende September 4 Millionen ausgewiesen, waren es ein Jahr vorher noch 1,2 Milliarden! Bei Daimler sind die Zahlen ähnlich rapide gesunken.

Und dann die ganzen Stellenabbaupläne bei Bosch, Daimler und Co. Die Abfindungen kann man dann auch noch gleich mit abschreiben.

Jetzt könnte man ja denken, oje, die armen Unternehmen. Müssen so sparen, weil sie keine Gewinne mehr machen. Stimmt halt leider so auch nicht. Gewinne macht Daimler selbst jetzt noch in Milliardenhöhe – halt nur steuerlich optimiert! Aber klar, die Armen. Nicht mehr so viel Gewinne für Aktionär*innen. Nicht, dass die noch am Hungertuch nagen müssen!

Wohingegen Friedrich Merz durch die Steuererleichterungen dafür sorgt, dass die Kommunen am Hungertuch nagen müssen. Die Kommunen sitzen nämlich bundesweit auf über 340 Milliarden Euro Schulden. Und im Gegensatz zu den Konzernen haben Kommunen keine Möglichkeit, kreativ abzuschreiben.

OB Nopper – und das muss man ihm schon anrechnen – ist doch tatsächlich zu Merz nach Berlin. Dort wurde er zu einem Mittagessen eingeladen, nachdem er mit anderen Bürgermeister*innen einen Brandbrief zur kommunalen Finanzierung geschrieben hatte. Aber – und das ist die bittere Wahrheit – es hat nichts gebracht. Weder das Gespräch noch das Sondervermögen retten die kommunale Handlungsfähigkeit.

Jetzt wollen wir aber in Stuttgart trotzdem das gute Leben für alle. Wir wollen Schulen, bei denen es man sich traut, auf die Toilette zu gehen, und auch das Licht funktioniert. Wir wollen eine Kita, die sich die Eltern leisten können. Eigentlich kostenfreie Kitas, Bildung beginnt dort! Wir wollen Platz für Kinder und Jugendliche, auf Spielplätzen, in Jugendhäusern und auch im öffentlichen Raum – ohne Konsumzwang, ohne Vertreibung. Und wir wollen ausreichend gut bezahltes Personal bei der Stadt, damit Stuttgarter*innen nicht ewig auf einen Führerschein, nicht monatelang auf die Einbürgerung und 18 Monate auf das Wohngeld warten.

Das ist keine Utopie. Das sind eigentlich die Basics einer Kommune. Und selbst das war offenbar schon zu viel. Denn während bei Bildung, Soziales und Personal gekürzt wird, wurden völlig irrwitzige Ausgaben beschlossen.

Weil die CDU und die Grünen der Meinung sind, die Verwaltung wäre doch arg langsam und andere könnten das doch viel besser, bekommt die City-Initiative-Stuttgart – ein Zusammenschluss aller Gewerbebetrieben in der Stuttgarter City – doch tatsächlich 1,9 Millionen Euro. Damit sie die untere Königsstraße ein bissle aufhübschen.

Oder noch unsinniger bekommt die CDU ein ‚Stuttgart Sign‘ – vielleicht habt ihr es schon auf der Königsstraße beim Pusteblumenbrunnen gesehen – 450.000 Euro, damit das Sign an unterschiedlichen Stellen auf- und wieder abgebaut werden kann. Nicht dabei sind allerdings die erheblichen laufenden Kosten für Reinigung, Reparatur, Versicherung, Energie, Wartung usw. Die kommen dann noch obendrauf.

Oder ein Zuschuss an die Stadtgarde für ein Jubiläum. Da wäre es günstiger, die Stadtgarde würde zukünftig Hobby Horsing machen. Wirklich guter Vorschlag von unserem Fraktionskollegen Dennis. Da hätten wir mehr davon.

Marketing wird jetzt auch ganz großgeschrieben – gleich mal von der CDU 500.000 Euro mehr beantragt. Oder vollständiger Wahnwitz: 7,8 Millionen für die ‚Finals‘ – ein Sportevent.

Und ich könnte die Liste mit Unsinnigkeiten noch beliebig weiterführen. Aber ich glaube, ihr habt es verstanden. Wenn man denn wirklich sparen wollen würde, dann fängt man nicht bei Schulen, Beratungen und Beschäftigten an – sondern genau bei solchem Quatsch.

Gleichzeitig werden aber dringend benötigte Aufgaben schlicht abgelehnt. Zum Beispiel die Partnerschaft für Demokratie – die setzen sich ein für Vielfalt und ein respektvolles Miteinander. Beratung für Zugewanderte wird stark reduziert und mit kaum ausreichenden Mitteln fortgeführt. Notwendige Ressourcen, um Frauen vor Gewalt zu schützen – abgelehnt. Dabei wird fast jeden Tag eine Frau getötet in Deutschland, nur weil sie Frau ist. Und trotzdem sagen CDU und Grüne hier: dafür ist kein Geld da.

Gut, dass die Menschen in Stuttgart anfangen sich zu wehren! Ihr habt sicherlich die Proteste in den letzten Tagen im Rathaus positiv begleitet. Am Mittwoch war dann noch Cornelius Meister da und hat mit dem Orchester und Chor der Oper den Gefangenenchor aus Nabucco von Guiseppe Verdi im Erdgeschoss des Rathauses gespielt. Vor dem Sitzungssaal standen dann die Beschäftigten der Stadt Stuttgart Spalier und haben die Stadträt*innen empfangen.

Das Personal fühlt sich sicherlich ziemlich im Stich gelassen. Hat es selbst hart im letzten Haushalt für die Stuttgart-Zulage gekämpft und sein Ziel erreicht, wird es ihm jetzt wieder weggekürzt. Und zwar auf mehr als die Hälfte reduziert – auf nur noch 70 Euro. Dabei waren die ursprünglichen 150 Euro eigentlich zu wenig, um es sich leisten zu können, in Stuttgart zu arbeiten. Und dann kam in einer zweiten Runde auch noch die Kürzung des Deutschlandtickets mit dazu. Und zwar auf 50%. Genauso haben es die Grünen beantragt.

Und dann kam vor einer Woche, zwei Tage vor den Stellenplanberatungen, noch eine letzte Hiobsbotschaft mit obendrauf. Und das war dann der absolute Tiefpunkt: Die Verwaltungsspitze hat einfach alle Stellen gestrichen, die nicht haushaltsneutral sind. Das waren dann aber auch Stellen, die Pflichtaufgaben sind! Und das ist schon krass, wenn man nur mal als Beispiel den Tierschutz nimmt. Der findet dann halt einfach nicht mehr statt. Also man kann Tierwohlgefährdung schon noch melden, aber es passiert halt nichts, weil das Personal schon jetzt nicht hinterherkommt und dann zukünftig noch viel weniger. Aber man muss halt in solchen Zeiten an der Qualität sparen.

Bei so einem Nonsens, kann man schon mal wütend werden! Letztendlich hat die Verwaltung in ihrem Eifer dann auch noch das geplante Haushaltssicherungsziel übererfüllt! Und sich dafür gefeiert! Das ist kein verantwortungsvolles Haushalten. Das ist kalte, bürokratische Politik auf dem Rücken der Beschäftigten.

Allerdings war das selbst für die Grünen und die CDU zu viel. Sie haben dann einen Pool von 70 Stellen beantragt, die erhalten bleiben können, um das Haushaltsziel zu erreichen. Die sollen dann nächstes Jahr verteilt werden.

Die Beschäftigten hatten uns am Mittwoch eine Botschaft hinterlassen: Ein durchgerissenes VVS-Ticket auf unseren Plätzen. Schön halbe-halbe.

Das Vertrauen ist beschädigt. Und wer glaubt, man könne eine Verwaltung kaputtsparen und gleichzeitig leistungsfähig halten, der täuscht sich. Wir haben die Botschaft verstanden. Ob das bei der CDU und den Grünen angekommen ist, bleibt abzuwarten.

Und all das wäre nicht nötig: Gewerbesteuer hoch auf Münchner Niveau. Das ist jetzt ja nicht so, wie wenn wir damit den Sozialismus einläuten würden. Damit hätten wir aber schon nächstes Jahr 100 Millionen Euro mehr! Und eigentlich will Nopper ja immer so sein wie München. Da sollte er das mal fordern!

Lustigerweise hat die CDU angesichts der Haushaltslage unsere Argumente verwendet: Eine Erhöhung der Grundsteuer würde ja nicht gehen, weil diese auf die Stuttgarter*innen umgelegt werden würde. Haben sie recht – trifft die Mieter*innen.

Doch dann – der Paukenschlag – mit fast schon sozialistischen Anwandlungen – hat die CDU eine Erhöhung des Hebesatzes der Gewerbesteuer um 10 Hebesatzpunkte gefordert. Allerdings nur bis 2031. Bringt aber nächstes Jahr schon immerhin 15 Millionen. Das ist natürlich ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber noch lange nicht aus, um eine Umverteilung in Stuttgart zu organisieren. Und die wäre nötig!

Wir bräuchten zusätzlich eine Nahverkehrsabgabe. Wir könnten den Autoverkehr stärker beteiligen – und damit Bus, Bahn, Rad- und Fußverkehr ausbauen. Wir könnten Kinder kostenfrei im ÖPNV mitfahren lassen.

Wir könnten Gelder von Prestigeprojekten und Luxustempeln umschichten – hin zu Bildung, Kultur für alle und soziale Infrastruktur.

Wir könnten die Millionen für Rosenstein kürzen und in die Innenentwicklung stecken. Damit endlich EnBW umgesetzt wird, der Leerstand beendet und die vielen leerstehenden Büros in Wohnraum umgebaut werden.

All das ist finanzierbar, wenn die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Wenn konsequent im kommunalen Rahmen umverteilt wird. Dann würden wir uns auf den Weg zur kostenlosen Kita machen, dann wäre die Ganztagsbetreuung in den Grundschulen gesichert, dann gäbe es leistbares Mittagessen für Schüler*innen, dann würde die vielfältige Kulturlandschaft Stuttgarts erhalten bleiben, dann gäbe es Räume für Kinder und Jugendliche auch außerhalb von Schulen und dann müssten wir nicht an der Bildung sparen.

So läuft der Haushalt ein eine vollkommen falsche Richtung!

Er spart dort, wo Zusammenhalt entsteht. Er zerstört Vertrauen – bei Beschäftigten, bei Familien, bei Kulturschaffenden.  Und er schwächt am Ende unsere Demokratie.

Mit der angeblich alternativlosen Rasenmäher-Methode haben sich Verwaltungsspitze und Haushaltskoalitionär*innen einer politischen Steuerung bei den Einsparungen entzogen. Das ist aus unserer Perspektive ein gravierendes Politikversagen. Eine andere Politik wäre möglich! CDU und Grüne könnten im Haushalt politische Entscheidungen für die Menschen treffen. Tun sie aber nicht! Und damit ist dieser Haushalt an Absurdität nicht zu übertreffen.

Wir sagen deshalb klar:

  • Umverteilung statt Rasenmäher,
  • investieren statt kaputtsparen,
  • Soziales, Bildung, Kultur und Personal stärken – statt sie zu opfern.

Dieser Haushalt ist politisch falsch.

Und genau deshalb werden wir ihn entschieden ablehnen!

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