Rede von Ulrich Hangleiter bei der 186. Montagsdemo

Rede von Ulrich Hangleiter, Netzwerk Killesberg und Umgebung, auf der 186. Montagsdemo am 26.8.2013

Enteignungen

Ulrich ©weibergLiebe Freundinnen und Freunde,
der Widerstand gegen Stuttgart 21 hat viele Facetten. Auf den Montagsdemos hören wir immer wieder von neuen. Von mir hört ihr heute etwas übers Betroffen-Sein als Grundstückeigentümer, der von einem der Tunnel unterfahren wird. Von einem, der sich als Konsequenz aus der Untertunnelung mit Teilenteignung konfrontiert sieht, dem die Bahn Vermögen klaut. Zum „Wohle der Allgemeinheit“, wie es heißt. Spätestens da kann man zum Gegner dieses Projektes werden.

Aber keine Sorge: Meine Gegnerschaft ist schon älter als 15 Jahre, und ich war einer der ersten Unterstützer von K21. Als Anno 2007 händeringend ein neuer Namen für S21 gesucht wurde, habe ich dazu auf der Seite der K21-Unterstützer einen tollen Vorschlag gemacht. Leider kam dieser Hohnvorschlag bei den Verantwortlichen nicht an: Mein ‚Unten durch 21‘, das die Akzeptanz in der Bevölkerung mit beschreiben sollte, setzte sich gegen das ‚Herz Europas‘ nicht durch.

Wenn ich heute als Vertreter der Netzwerke Stuttgart zu Euch spreche, so tue ich dies als einer der vielen hundert von der Untertunnelung betroffenen Grundstückseigentümer und Anwohner, die sich zu Netzwerken zusammengeschlossen haben: Kernerviertel, Killesberg, Gablenberg, Untertürkheim, Wangen. Ja, die Bahn will bei uns unten durch und dazu braucht sie unsere schriftliche Einwilligung. Und wir, die Eigentümer, sagen laut und vernehmbar: „Wir unterschreiben nicht“.

Dieses „Nein“ haben auch einige Eigentümer innerhalb der Netzwerke gesprochen, die sich mit Stuttgart 21 arrangiert haben. Sie sind mit den 97% S21-Gegnern in den Netzwerken einig, dass sie sich von der Bahn nicht auf der Nase bzw. auf ihrem Grundstück oder ihrer Eigentumswohnung herum tanzen lassen wollen.

Worum geht es? Ganz sicher nicht darum, dass Herr Grube und Herr Kefer auf unseren Grundstücken tanzen wollen. Solches würde nicht einmal das Allgemeine Eisenbahngesetz erlauben. Was dieses Gesetz auf Grund eines Planfeststellungsbeschlusses aber erlaubt, ist die Nutzung des Grundstücks – das uns ja bis zum Erdmittelpunkt gehört – in Form der Unterfahrung mit einem Tunnel, einem Stück von diesen 60 km Tunneln unter unserer Stadt. Und dieses Nutzungsrecht wird als Dienstbarkeit ins Grundbuch eingetragen. Was so viel heißt wie: die Bahn ist Miteigentümer.

Das Bemerkenswerte dabei ist, dass mit dem Planfeststellungsbeschluss eine Veränderungssperre gilt. Das heißt, „dass Verfügungen über ein Grundstück oder erhebliche Veränderungen der Erdoberfläche oder wesentliche wertsteigernde sonstige Veränderungen ohne Genehmigung der Enteignungsbehörde nicht vorgenommen werden dürfen.“ (Dies war eine Formulierung aus dem Enteignungsgesetz). Ja, wir reden von Enteignung.

Wenn wir den Vertrag, nach dem wir der Bahn die Unterfahrung gestatten sollen, nicht unterschreiben, hat dies vor allem zwei Gründe:

1. Dass die Entschädigung, die die Bahn anbietet, unangemessen und geradezu lächerlich ist. Sie ist meilenweit von dem entfernt, was die Wertminderung durch die Verschmutzung des Grundbuchs ausmacht.

2. Dass die Bahn keine Haftungsgarantien im Falle von Schäden an unserem Eigentum (Wohnung, Haus, Grundstück) geben will.
Dieser zweite Grund ist eindeutig wichtiger, steht absolut im Vordergrund: Schadensrisiken, die auf Grund von Unsicherheit des Baugrunds als Folge der Untertunnelung bestehen, müssen abgesichert sein. Klare Ansage: Hier muss die Bahn haften. Und: sie muss dort bauwerksichernde Maßnahmen vornehmen, wo sie im Vorfeld in ihren eigenen Stellungnahmen kritische Verhältnisse ausgemacht hat. Dass das gemacht werden kann, zeigen die Vereinbarungen mit der LBBW und Daimler; dort werden im Vorfeld diese Maßnahmen ergriffen.

Faktisch sind wir mit Bestand des Planfeststellungsbeschlusses nicht mehr alleinige Herren über unser Eigentum. Richtig deutlich werden die Konsequenzen der Unterfahrung mit der förmlichen Enteignung. Wie geht das?

Das Verfahren der Enteignung geht so: Wenn zwischen dem Betroffenen (also z.B. mir) und dem Träger des Vorhabens (also der Bahn) keine Einigung zustande kommt, stellt die Bahn den Antrag auf Enteignung und – damit sie bauen kann – auch auf vorzeitige Besitzeinweisung, bevor das Enteignungsverfahren abgeschlossen ist. Die für den Antrag zuständige Behörde ist das Regierungspräsidium: nach einer Anhörung und einer öffentlichen Bekanntmachung lädt sie zur mündlichen Verhandlung, die nicht öffentlich ist. Dazu sei wieder aus dem LEntG zitiert: „Die Enteignungsbehörde (also das RP) hat (dabei) auf eine Einigung zwischen den Beteiligten hinzuwirken.“ Und weiter: „Soweit eine Einigung nicht zustande kommt, entscheidet die Enteignungsbehörde über den Enteignungsantrag und die erhobenen Einwendungen.“ Ob Bahn- oder SSB-Tunnel: wir haben diese Phase gerade erreicht. Die ersten Betroffenen werden zum Regierungspräsidium geladen: zur mündlichen Verhandlung.

Das Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung: Die Enteignungsbehörde kann die Bahn, die einen Enteignungsantrag gestellt hat, soweit „die sofortige Ausführung des Vorhabens aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit dringend geboten ist“, in den Besitz einweisen. Die Bahn wird Mitbesitzer. Lt. §38 des LEntG darf der Eingewiesene – also die Bahn – „auf dem Grundstück das in dem Enteignungsantrag bezeichnete Vorhaben ausführen und die dafür erforderlichen Maßnahmen treffen.“ So einfach geht das: Das nicht nachvollziehbare „Wohl der Allgemeinheit“ nimmt uns Teile unseres Eigentums. Das ist das Empörende an diesem Projekt. Wenn dieses Projekt doch irgendeinen Sinn gäbe, würde man dieses Allgemeinwohl respektieren.

Das Schlimmste dabei ist doch: die Risiken, die wir Grundstückeigentümer tragen, sind deshalb so groß, weil die Bahn Tag für Tag beweist, dass sie es nicht kann: Miese Planung, schlechtes Gesamtmanagement, unzuverlässige Gutachten, untaugliches Grundwassermanagement, unbrauchbares Brandschutzkonzept, ignoranter Umgang mit den Erfahrungen von Staufen und mit Turmgründungen, billige Lösungen – vor allem für die Tunnels – und das alles mit der Perspektive einer horrend teuren Schlussrechnung. Für diesen Murks sollen wir bluten. Doppelt: Am Ende auch wieder als Steuerzahler.

Drum kann es nur heißen: OBEN BLEIBEN!

Und: Es kann nur heißen: bei der Bundestagswahl ein Signal setzen und die richtigen Leute wählen: die Kandidaten der Netzwerke, die sich klar gegen Stuttgart 21 positioniert haben: Dr. Carola Eckstein und Frank Schweizer, die als Einzelbewerber zur Wahl antreten. Gebt diesen beiden Eure Erststimme. Mit der Zweitstimme habt ihr daneben alle Freiheiten.
Danke! Und noch einmal: OBEN BLEIBEN!

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2 Antworten zu Rede von Ulrich Hangleiter bei der 186. Montagsdemo

  1. In den Streit um „Stuttgart 21“ kommt allmählich Bewegung. In ihrem ersten Sondierungsgespräch einigten sich Projektträger und -gegner auf eine gemeinsame Plattform für einen öffentlichen Informationsaustausch über das Bahnprojekt. Wie dieses Dialogforum organisiert werden soll, solle in weiteren Gesprächen geklärt werden, sagte der Stuttgarter Stadtdekan Michael Brock am Freitag im Anschluss an das erste Treffen mit insgesamt sechs Vertretern beider Seiten, das er initiiert und vermittelt hatte. Dort werde man sich mit den Fakten sowie mit den von den Gegnern in Auftrag gegebenen Gutachten auseinandersetzen, wie der Infrastrukturvorstand der Bahn, Volker Kefer und der Grünen-Stadtrat und Landtagsabgeordnete Werner Wölfle erläuterten.Vonseiten der Projektpartner hatten Kefer, Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) und der Amtschef des baden-württembergischen Umweltministeriums, Bernhard Bauer an dem Treffen teilgenommen. Für die Gegner kamen Wölfle, der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen „Stuttgart 21“, Gangolf Stocker, und der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Conradi.Wölfle betonte, um die Gespräche aufzunehmen, brauche es ein „klares Zeichen der Bahn, das in der Lage ist, die Emotionalität zu senken“. Die Forderung eines Baustopps wiederholte er nicht. Mit der Bahn sei vereinbart worden, dass sie einen Bauabschnittsplan erarbeitet und veröffentlicht. „Es wird nicht bezweifelt, dass das Projekt legal und rechtmäßig zustande gekommen ist. Deshalb ist es aber noch nicht richtig“, fügte Wölfle hinzu.Beide Seiten sprachen von einem „offenen und “respektvollen„ Gespräch. Uneinigkeit herrschte im Anschluss darüber, ob die künftigen Gespräche ergebnissoffen geführt werden sollten, was die Vertreter der Projektträger verneinten. Stocker und Conradi hielten dagegen, die Gespräche müssten ergebnisoffen geführt werden. “Die Bahn muss in sich gehen, ob es irgendwo eine Zwischenlösung gibt„, sagte Stocker. Er betonte, die Proteste würden weitergeführt.

  2. Gerd Jungmann sagt:

    Hallo liebe Obenbleiber, die Rede von Ulrich Hangleiter hat mich doch entsetzt.
    Dieser Tiefbahnhof kann ja wirklich nicht zum Wohl der Allgemeinheit sein!!! Da die Nazis das Eigentumsrecht gewissenlos mißbraucht haben, wurde nach dem Krieg
    ein verschärftes Eigentumsrecht verankert,
    daß nicht einfach von einer korrupten
    Bahn ausgehebelt werden kann,. So ist das
    und wir erwarten eine entsprechende
    Einhaltung des Gesetzes!!!
    Wir bleiben OBEN
    Gerd Jungmann

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