Abschiedsbesuch bei den toten Bäumen

Gedanken zu einem ganz besonderen Spaziergang von Petra Brixel

Wer es schon ertragen kann, die  im Schlossgarten gefällten Bäume aufgereiht am Wegesrand anzusehen, dem sei ein Spaziergang in den Feuerbacher Wald empfohlen. Hier liegen – gefällt - gefallen - wie Gefallene – etwa sechzig mit T oder K markierte Stämme von Platanen, Birken, Eichen, Kiefern und auch der mächtige Stamm der Blutbuche. Obwohl der Begriff „Gefallene“ der Natur nicht angemessen erscheinen mag, so drängt sich dieses Bild geradezu auf beim Anblick der sauber nebenender gelegten Stämme. Man geht an ihnen entlang – ist mein Patenbaum dabei? - , wie in einem Leichenschauhaus zur Identifikation. Die meisten Bäume sind schnell identifiziert, man kennt sie an kleinen Besonderheiten des Wuchses, an Narben aus einem langen  Leben, an Kerben und Verwundungen, die allesamt nicht zum Tode geführt haben, bis der Mensch sie dann niedergelegt hat. Andere Bäume tragen noch das grüne Band der Baumpaten, bunte Fäden, eine dünne Gliederkette oder eine Krawatte. Die Blutbuche trägt noch den Zement, mit dem man sie zwecks Stabilität ausfüllte. Die Baumliebhaber aus dem Schlossgarten, die diese Bäume in allen Jahreszeiten und zu jeder Stunde erlebt haben, die jede Maserung kennen, werden sofort den ehemaligen Standort eines jeden Baumes vor Augen haben. Die frischen Schnittflächen der Sägen zeigen die Holzmaserungen der Stämme; Landkarten gleich präsentieren sie das Innere des Baumes.  Wie unterschiedlich die Farben und Gerüche der frischen Schnittflächen sind! Jeder Baum strahlt noch, würdevoll, so viel Leben aus. Fast möchte man diese dicken Stämme nehmen und sie wieder einpflanzen. Es kann doch nicht sein, denkt man, dass das einfach nur Tot-Holz ist. Man möchte ein Leichentuch über sie breiten, damit sie endlich Ruhe finden. Denn sie liegen dort nicht nur gefällt, sie wurden danach auch noch kräftig malträtiert: über den Boden gezogen, geschleift, gewälzt und grob behandelt.
Ganz abgesehen davon, dass den Bäumen zwecks besseren Transports die Äste gestutzt oder ganz abgeschnitten wurden, fehlen an vielen Stämmen Stücke der Rinde. Dass diese sechzig Stämme königlichen Totholzes nicht geschreddert wurden, sondern  zur  nachhaltigen Verrottung  in den Wald gelegt werden, damit sich dort Kleinstlebewesen ansiedeln, ist  ein edles, jedoch makabres  Ansinnen.  Dass aber einige Stämme, vor allem der der Blutbuche, mit einem K für Kunst tätowiert wurden, verdeutlicht den Sadismus der Entscheidungsträger. Welcher Künstler wird nun die fragwürdige Ehre haben, mit der Kettensäge an die Blutbuche zu gehen und aus ihr ein „Kunstwerk“ fräsen? Warum darf dieser Baum nicht – wenn schon tot -  seine Ruhe finden, langsam zerfallen, der Natur zurückgegeben? Warum muss diese Blutbuche nun als „gestaltetes Objekt“ ihr Dasein fristen im Foyer einer Bank (wobei Bank nur ein Synonym ist für „money makes the world go round“). Erspart wenigstens der Blutbuche das Schicksal der Verfremdung bis zur Unkenntlichkeit!

Wer die Stämme aus dem Schlossgarten besuchen möchte, vielleicht um den Patenbaum zu suchen, der fährt am besten mit dem Auto nach Feuerbach und bis ans Ende der Hohewartstraße (Sackgasse, Parkplatz). Dann rechts das „Steinsträßle“ hochlaufen, etwa 20 Minuten im Wald, bis zu den Gebäuden der Bodensee-Wasserversorgung rechts. Gleich dahinter liegen die dicken Stämme am Weg. Der Spaziergang im Wald ist sehr friedlich und stimmt auf die Schlossgarten-Bäume ein. Man könnte fast die Seele baumeln lassen, wäre es nicht ein Gang zu den Opfern einer sinnlosen Schlacht im Namen des Mammon. Wer sich durchgerungen hat, diesen kleinen Pilgergang zu machen, wird trotz der begleitenden schweren Gedanken vielleicht ein bisschen Trost finden. Es ist ein Abschiedsbesuch, zu Ehren der Bäume.

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