Blockupy Frankfurt – Innenansichten einer Stuttgarter (Berufs-)Demonstrantin

Die Stuttgarter K21-Bewegung war bei Blockupy Frankfurt nicht nur mit einem gut sichtbaren Block vertreten (siehe Fotos auf BAA zum Artikel  vom 23. Mai "Stuttgarter Aktivisten ... "), sondern auch mit einem Stuttgarter Team von Beobachtern, die die gesamten drei Tage vor Ort waren. Diese Aktivisten recherchierten an vielen Plätzen in Frankfurt die Lage und  berichteten darüber dem Attac-Büro. Hier sind die sehr detailliert geschilderten Eindrücke von Sybille, eine der Beobachterinnen für Attac.

"Ankunft in Frankfurt am Donnerstag, den 17.05.2012, um 9:12 Uhr im Attac-Büro in der Münchner Straße. Erste Einsatzbesprechung. Unser Job wird es sein, die Polizei-Situation in der Stadt, während Aktionen, aber auch außerhalb von Aktionen zu beobachten.  Um 10:45 Uhr gehen wir in verschiedene Richtungen los. Ich selbst klappere das Messegelände ab, da laut Insidern sich die Polizei dort immer sammelt. Fehlanzeige. Sie sammeln sich gegenüber in einem Wohnviertel hinter einem riesigen Hotelkomplex. Als ich sie orte, fahren sie auch schon los Richtung Hauptbahnhof. Dort werden Züge mit Aktivisten erwartet. Dort angekommen, kann ich zunächst feststellen, dass im Bahnhof bereits „verdächtige Personen“ abgefangen werden und Personalienkontrollen stattfinden.  Belehrungen über das Demonstrationsverbot werden erteilt.
Vor dem Bahnhof werden größere Menschenmengen, die ganz offensichtlich zu den Protestaktionen nach Frankfurt gefahren sind, bereits eingekesselt. Es werden die Personalien festgestellt und Platzverweise erteilt. In kleinen Gruppen dürfen die Menschen den Bahnhofsvorplatz in Richtung Stadt verlassen. Mehrere Lautsprecherdurchsagen der Polizei erklären immer wieder, dass diese Versammlung vor dem Bahnhof verboten ist.
Erschreckend ist die Tatsache, dass es sich um die BFE-Einheiten (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten) aus Baden-Württemberg handelt, also alte Bekannte, die schon im Schlossgarten, am Nord- und am Südflügel tätig waren. Mir bleibt ein wenig die Luft weg. Kritisch wird es, als eine größere Menge Aktivisten (ca. 120 Personen) mit einem Zug aus Marburg ankommt. Sie erkennen den Prügelpolizisten aus dem Schlossgarten vom 30.09.2010 und skandieren „Glatzkopf weg, Glatzkopf weg“! Mein Magen krampft sich zusammen und ich hoffe, dass diese Situation nicht noch eskaliert. Bei der Einkesselung dieser Gruppe setzt die Polizei auch die Helme auf und baut ein Drohszenario auf, das die Passanten auf dem Bahnhofsvorplatz sehr erschrecken lässt. Die Rufe nach dem Demonstrationsrecht werden immer lauter. Zwei Italienerinnen werden in Gewahrsam genommen. Weshalb, ist unklar, denn die beiden waren - soweit wir dies sehen konnten - außerhalb des Kessels.
Nachdem die Personalienfeststellung begonnen hat und sich voraussichtlich sehr lange hinziehen wird, verlasse ich meinen Standort und gehe zum Attac-Büro und hole mir neue Instruktionen. Zwischenzeitlich gibt es drei weitere Kessel: Am Paulsplatz, am Römer und an der Uni Bockenheimer Warte. Ich werde zum Römer gerufen.Dort herrscht eine friedliche Stimmung, einzelne Protestler machen Musik, andere jonglieren, es gibt eine Asamblea und alle sind gut drauf. Der Paulsplatz und der Römer sind durch eine Polizeikette voneinander getrennt. Ein Überwechseln von einem Kessel in den anderen ist schon nicht mehr ohne weiteres möglich. Konstantin Wecker befindet sich auf dem Römer und setzt sich in das Café gegenüber dem Rathaus, in dem ich ebenfalls Stellung bezogen habe, um einen Überblick zu haben. Immer mehr Beamte strömen jetzt auf den Römer und kesseln die Aktivisten, die immer noch friedlich feiern, ein. Noch haben sie keine Helme auf. Von Seiten Attac wird versucht, ein Gespräch mit dem Einsatzleiter zu führen. Dies wird abgelehnt, die Polizei wird räumen, sie fühlt sich der Situation durchaus gewachsen. Von Beamten, die in meiner unmittelbarer Nähe stehen, bekomme ich mit, dass eine Räumung mit den wenigen Beamten so nicht möglich sein wird. Derweil werden die ersten Zelte in der Mitte des Platzes aufgestellt und die Polizei wird zunehmender unruhig. Sie riegelt die Zugänge zum Römer jetzt vollständig ab. Vom Paulsplatz hören wir, dass dort bereits die Räumung in vollem Gange ist. Gegen 19:30 Uhr setzen die Beamten ihre Helme auf und beginnen rüde mit der Räumung des Römers. Sie zerstören die Zelte und schieben, tragen und führen die Menschen ab. Es gibt zwei Ausgänge Richtung Main, dorthin werden die Demonstranten verbracht. Wie wir dann feststellen können, werden weder Personalien aufgenommen noch Platzverweise erteilt. Lediglich der Römer wird komplett geräumt. Die Cafés und Restaurants schließen ihre Terrassen und schicken die Gäste weg. Es herrscht eine sehr angespannte Stimmung. Wir selbst gehen freiwillig und sehen zu, dass wir die Lage außerhalb überblicken.
Unser nächster Weg führt uns zum DGB-Haus. Dort sammeln sich die Menschen und es wird von der Volxküche Essen ausgegeben. Die Polizei fährt auch hier ein massives Aufgebot vor, doch die Stimmung ist trotz Anspannung gut. Es wird beruhigend auf die Menschen eingewirkt, denn man hätte die Zusage der Polizei, dass an diesem Ort keine Übergriffe zu befürchten sind.
Wir gehen zum Attac-Büro zurück und machen unsere letzte Lagebesprechung an diesem Tag. Müde und erschöpft fallen wir gegen 23:00 Uhr in unsere Schlafsäcke. Am nächsten Morgen müssen wir früh raus.
Freitag, 19.05.2012. Um 7:00 Uhr ist die erste Lagebesprechung an diesem Tag, um 7:30 Uhr gehen wir gemeinsam los, um die Lage in der Stadt abzuchecken. In der Straße vor dem Bahnhof ist bereits ein großes Polizeiaufgebot aufgefahren, Passanten werden kontrolliert. Das Bankenviertel ist umstellt und die Polizeikräfte werden aufgestockt. Wir gehen Richtung Messe, dort sind ca. 120 Menschen bereits von Polizei umstellt. Über Handy werden wir informiert, dass in der Beethovenstraße (ein Wohnviertel um die Ecke) ein weiterer Kessel ist. Die Polizei vor der Messe besteht dieses Mal aus einer Einheit der Berliner Polizei. Die gesamte achtspurige Straße ist in beiden Richtungen gesperrt, die Straßenbahn kann nicht mehr fahren. Der Verkehr ruht komplett. Es folgt die Durchsage der Polizei, dass die Menschen in dem Kessel jetzt einer Personalienfeststellung unterzogen werden und anschließend zur GESA (Gefangenensammelstelle) verbracht werden. Die Demonstranten fordern die Polizei auf, die Helme abzunehmen, denn von ihnen gehe keine Gefahr aus. Nach ca. einer halben Stunden nehmen die Beamten tatsächlich ihre Helme ab und die Situation entspannt sich zunehmend. Unsere Gruppe hat sich derweil schon wieder getrennt und ist auch beim anderen Kessel in der Beethovenstraße zugange. Der Kessel vor der Messe ist für die Presse durchlässig und es können Interviews geführt werden. Nach ca. 1,5 Stunden verlasse ich diesen Kessel in Richtung Attac-Büro. Zwischenzeitlich haben wir erfahren, dass es ca. 200 Aktivisten gelungen ist, den Platz vor der Europäischen Zentralbank zu besetzen. Wir holen uns Informationen im Attac-Büro, ob wir eine Chance haben, überhaupt dorthin vorzudringen. Leider kommen wir hier nicht mehr durch. Wir gehen deshalb zum DGB-Haus, denn von dort wurde uns gemeldet, dass die Polizei sich formieren würde und es könnte sein, dass der Platz gestürmt wird. Beim Eintreffen beim DGB-Haus ist die Lage jedoch völlig entspannt, das Essen wird bereits vorbereitet, erwartet werden bis zu 800 Personen. Wir entscheiden uns, dort zu bleiben.
Aus dem Kessel vor der Messe haben wir telefonisch erfahren, dass der Abtransport noch immer dauert, mittlerweile ist es 13:00 Uhr. Wir geben dem Anrufer den Tipp, nach Essen zu verlangen, denn schließlich sind die Menschen in der Obhut des Staates und der hat in derartigen Situationen gewisse Pflichten einzuhalten. Dixi-Toiletten waren ja auch innerhalb einer halben Stunde  vor Ort. Daraufhin werden die restlichen 40 Personen freigelassen.
Um 15:00 Uhr machen wir Pause am Mainufer. Die Polizei ist auch hier massiv präsent, immer mehr Aktivisten sammeln sich in kleinen Grüppchen auf der Wiese zum Relaxen. Es ist laut, weil die Polizei ständig hin und her fährt und ein Hubschrauber auch immer wieder seine Kreise zieht. Sämtliche Kessel sind aufgelöst.
Gegen 17:30 Uhr erreicht uns ein Gerücht, dem wir –selbstredend – umgehend nachgehen. Nach ca. drei Stunden kann auch dieses Gerücht entkräftet werden und wir haben Feierabend. Im Attac-Büro werden die Presseberichte verlesen und wir können lachend ein wenig die Anspannung des Tages loslassen. Alles bleibt ruhig, auch in dieser Nacht.
Samstag, 19.05.2012. Am Samstag geht unser Tag um 9:00 Uhr mit Kaffee und Lagebesprechung los. Die ersten Informationen über Polizeikontrollen an den Bussen gehen ein. Unser Einsatz beginnt heute um 11:30 Uhr auf dem Baseler Platz. Dort versammeln sich die Menschen zur Kundgebung und zum Demonstrationszug. Mein Platz ist am Ende des Demozuges, ich soll die Lage abschätzen. Die letzte Reihe besteht aus behelmten Polizisten. Man könnte fast Mitleid mit den Beamten haben, denn die Sonne scheint  und es wird sehr warm. Am Ende des Demozuges laufen hauptsächlich Familien mit Kindern, Behinderte in Rollstühlen und Sonderfahrrädern mit. Es ist ein fröhlicher Demozug an diesem Ende, so wie wir es von Stuttgart her kennen. Nach ca. 45 Minuten werde ich in die Mitte des Zuges beordert. Dort befindet sich der sogenannte „Schwarze Block“, der von Polizeibeamten in voller Montur in Fünferreihen begleitet wird. Es ist jedoch nicht nur eine stillschweigende Begleitung, sondern es finden massive Provokationen gegen diese Demonstranten statt, verbaler wie auch körperlicher Art. Die Aktivisten bleiben ruhig und gelassen. Einzelne Teilnehmer tanzen zur Rave-Musik des eigenen Begleitfahrzeugs. Sie lassen sich die gute und friedliche Stimmung nicht vermiesen und von dem eigenen Lautsprecherwagen werden die Beamten immer wieder aufgefordert, die Demo zu verlassen.
Nach einer weiteren halben Stunde ziehe ich mich in eine Seitenstraße zurück, um kurz Luft zu holen. Dort stelle ich fest, dass vier (!) Wasserwerfer der Demonstration folgen. Mit laufenden Motoren und in voller Besetzung stehen die vier Fahrzeuge in einer Seitenstraße und warten darauf, dass sie wieder weiterfahren können. Es ist eine bizarre Situation. Die Anwohner in dem doch recht gediegenen Viertel um die Banken herum sind sichtlich irritiert. Von weitem hört man die lautstarke Demo, die Beamten in den Seitenstraßen sind relativ entspannt und bringen ihre Ausrüstung in Ordnung, trinken etwas und plauschen.
Gegen 18:00 Uhr ist unser Einsatz vor Ort beendet. Wir sitzen alle im Park und besprechen uns ein letztes Mal. Langsam treten wir den Rückweg an. Um 20:30 Uhr fahren wir nach Stuttgart zurück; körperlich fertig, aber glücklich, dass nichts passiert ist. Wir sind entsetzt, dass die Stadt Frankfurt sich so sehr blamiert hat und fassungslos, dass selbst das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz ausgehebelt hat."

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