Rede von Frank Schweizer, Netzwerk Kernerviertel

Rede von Frank Schweizer, Initiator des Netzwerks Kernerviertel, bei der Kundgebung vor dem Umweltministerium am Kernerplatz Stuttgart am 14. 7.2012

Das Kernerviertel und das Grundwassermanagement

Es sind nun genau 41 Jahre her, dass ich mit meiner Frau ins Kernerviertel eingezogen bin. Dort drüben stand die Brauerei Wulle, dann war da ein großes Loch. Es sollte 10 Jahre dauern, bis ein Investor dann Hotel und Ministerien gebaut hat. Die Methode „erst mal abreissen und dann schaun mr mal“ hat in Stuttgart Tradition.

Als zu befürchten war, dass durch das Projekt Stuttgart 21 die betroffenen Grundeigentümer genötigt werden sollen, ihre Zustimmung zur Unterfahrung ihrer Grundstücke zu geben, haben sich einige Eigentümer zusammengetan um sich gemeinsam gegen eine unzumutbare Entschädigung zu wehren. Daraus ist mittlerweile das Netzwerk Kernerviertel entstanden, das sowohl die Interessen aller betroffenen Eigentümer und Mieter bündelt, unabhängig davon, wie die einzelnen am 27. November abgestimmt haben. Wir laden Sie alle ein, dem Netzwerk beizutreten, damit sie über den weiteren Verlauf des S21 Chaos stets medienunabhängig informiert werden.

Stuttgart 21 wurde als zukunftweisendes Verkehrsprojekt beworben, das sich quasi selbst aus den Immobiliengewinnen finanzieren sollte. Und wer hat seit Anfang der 90 Jahre auf dem Filetstück A1 am Hauptbahnhof gebaut ? Banken und die Stadt Stuttgart. Die Bücherei musste dorthin, damit der notwendige Publikumsverkehr für das vollkommen überflüssige Einkaufszentrum erzeugt wird. Es dürfte inzwischen allen klar sein, dass sich Stuttgart aus Immobiliengewinnen nicht finanzieren lässt. Der Traum vom großen Immobiliendeal mit S21 ist längst ein Albtraum geworden. Die Zeche zahlen wir alle.

Die Eigentümer im Kernerviertel zahlen mehrfach. Zunächst werden die Grundstücke, die unterfahren werden sollen, durch eine sogenannte Grundbuchverschmutzung im Wert sinken. Im S21 Budget sind die Grunderwerbskosten bereits zulasten der Eigentümer herunter gerechnet worden, um den vereinbarten Kostendeckel nicht zu sprengen. Artikel 14 des Grundgesetzes soll das Eigentum schützen, doch er wird ausser Kraft gesetzt, damit ein unsinniges Projekt realisiert werden kann.

Mit jedem schriftlichen Einverständnis zur Unterfahrung, die ein Grundbesitzer leistet, macht er sich um Tausende von Euros ärmer. Die Richtlinie für die Entschädigung muss auf den Prüfstand und muss gesetzlich legitimiert werden. Meine Frau und ich lassen uns mit dieser Regelung nicht abspeisen. Wir werden nichts unterschreiben. Machen Sie es genauso!

Für mich ist unser Haus ein wichtiger Teil meiner Altersversorgung. Wir zahlen seit Jahrzehnten Zins und Tilgung. Wir erhalten kostenintensiv die denkmalgeschützte Bausubstanz, aber nicht damit die Bahn AG meine Rente mit einem unsinnigen Projekt kaputt macht.

Doch wir Hausbesitzer haben noch ein weiteres Risiko zu tragen.
Uns im Kernerviertel droht eine zusätzliche Gefahr durch den massiven Eingriff ins Grundwasserregime, damit die Baugrube für den Tiefbahnhof trocken bleibt. Mit dem Eingriff in das Grundwasservorkommen werden Risiken eingegangen, die allein schon wegen des Mineralwassers verantwortungslos wären.

Zuerst sollten 3,2 und jetzt sollen 6,8 Milliarden Liter aus den Baugruben abgepumpt, gereinigt und in unserem Wohngebiet wieder infiltriert werden. Dazu ist eine zweite Anlage für das Grundwassermanagement erforderlichen. Diese Änderungen sind so umfangreich, dass eine weitere, nämlich die 7. Planänderung öffentlich ausgelegt werden muss. Auch die Betroffenen müssen erneut angehört werden.

Die Risiken, die sich aus der Grundwasserabsenkung und der Infiltration des gereinigten Wassers ergeben, wurden bislang den Betroffenen nicht mitgeteilt. Die Stadt Stuttgart hat bereits vor einem Jahr ein geotechnisches Gutachten angefordert, das die Risiken für die Mineralquellen und für den Hang am Ameisenberg darstellen sollen. Das Gutachten liegt der Stadt bis heute nicht vor. Am 26.Juni erwähnte der Bahn-Gutachter vor dem Technischen Ausschuss der Stadt Stuttgart, er habe „einen ganzen Leitzordner voll mit möglichen Unfallszenarien und Konzepten zu deren Behebung“.

Dieser ominöse Ordner muss jetzt auf den Tisch.

Daneben soll es Gutachten geben , die angeblich belegen, dass Bauschäden durch Absenkung von Gebäuden nicht zu befürchten sind. Wo sind diese Gutachten?

Folgende Risiken müssen im Rahmen der 7. Planäderung berücksichtigt und veröffentlicht werden :

  • Kann es am Ameisenberg zu Hangabrutschungen kommen? Welche Ursachen und welchen Folgen haben die Hangrutschungen?
  • Kann es an den Hängen Hohlraumbildungen geben?
  • Welche Gefahr geht von einer Absenkung des Grundwasserpegels für die Mineralquellen aus?

In dem an den Talkessel angrenzende Hügel wurde vor Jahrhunderten offenbar Eisen geschürft. Daher wohnen wir am Eisenberg. Hier unter der Kernerstraße, Urbanstraße, Schützenplatz, Gerokstrasse, sollen die Tunnel zu den Fildern und nach Untertürkheim unsere Grundstücke unterfahren. Vielleicht werden dabei alte Erzstollen angebohrt. Aber mit großer Sicherheit führen die Röhren durch das Gesteinsmaterial Gipskeuper-Anhydrit, das bei Zufuhr von Wasser Gips bildet und sich um zwei Drittel seines Volumens ausdehnt, so z.B. wenn man beim Bohren der Tunnel auf eine Wasserader trifft. Solche Adern gibt es. Das haben wir im Jahre 2009 bei einer Probebohrung oberhalb der Jugendherberge - beim sog. Bohrloch 203 erlebt.

Der bei einem solchen Wassereinbruch entstehende Druck kann sich nach oben fortpflanzen und in den Häusern Risse hervorrufen. Solche Quellungen hat es im Wagenburgtunnel, also in demselben Berg, schon gegeben. Wurde deshalb die zweite Röhre nie fertiggestellt? Wir sehen solche Risse in Staufen im Breisgau, dort verursacht durch Geothermiebohrungen. Sowie vor ein paar Wochen in Zumhof bei Rudersberg.

Dies alles aufzuklären, hat jetzt die Bahn Gelegenheit. Alle, die uns versprochen haben und versprechen, das Projekt kritisch zu begleiten, müssen dieses Versprechen jetzt auch halten. Wir werden uns jedenfalls weiterhin intensiv mit diesen Fragen beschäftigen.

Bewohner haben immer wieder unerklärliche Veränderungen beim Grundwasserregime am Ameisenberg beobachtet. Diese Veränderungen lassen auf einen sehr inhomogenen Untergrund schliessen.

Durch die Medien geistert seit Monaten ein mysteriöses Grundwassermodell. Eine von Experten gebastelte „Black Box“. Es wäre schön, wenn diese Blackbox auch für die bertoffenen Bürger geöffnet würde. Es hat sich herausgestellt, dass die modellhafte Prognose von Grundwasserabsenkung und Infiltration auf falschen Annahmen beruht. Jetzt sollen die Annahmen geändert werden. Doch es ist und wird eine Modellrechnung bleiben. Die Realität sieht immer anders aus. Wie würde das Grundwassermanagement bei einem Starkregen wie zB am 30. Juni 2012 funktionieren?

Für Deutschlands „bestgeplantes“ Bauprojekt wurden schon Millionen Euros verplant, aber eine Risikoabschätzung, was mit unseren Häusern passieren könnte, fehlt bis heute. Meine Frau und ich haben 2006 gegen das Projekt Stuttgart 21 vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim geklagt und wollten dabei auch Klarheit bezüglich der Risiken für unser denkmalgeschütztes Haus erhalten. Diese Klarheit hat man uns durch alle Instanzen hindurch verweigert.

Jetzt müssen die Pläne für das Grundwassermanagement neu planfestgestellt werden und zwar so umfänglich, dass wir Betroffenen erneut informiert und gehört werden müssen.

Wir Betroffene vom Kernerviertel haben das Netzwerk gegründet, um Transparenz in die Planfeststellungsverfahren zu bringen. Wir wollen von der grün-roten Landesregierung gehört werden, nicht nur hier auf dem Kernerplatz sondern wenn es sein muss gehen wir wieder vor Gericht.

Wir haben an Minister Untersteller geschrieben, damit er uns unterstützt, um fehlende Transparenz herzustellen.

Dazu müssen folgende Forderungen von der Bahn erfüllt werden:

  • die Veröffentlichung und Überprüfung des alten und revidierten Grundwassermodells, auf dessen Basis die Risiken auf die Umgebung und Vegetation realistisch eingeschätzt werden sollen,
  • die gutachterliche Abklärung der geotechnischen Risiken der Wasserinfiltration durch externe Experten, sowie die Abklärung der Folgen der hangnahen Grundwasserabsenkung auf die Stabilität der Gebäude am Eisenberg,
  • eine Überprüfung der bisher engen Beweissicherungsgrenzen am Eisenberg, die im (ursprünglichen) Planfeststellungsverfahren nur im Hinblick auf mögliche Schäden beim Tunnelbau festgelegt wurden und nicht im gesamten Einflussbereich des Grundwassermanagements,
  • ein Überwachungskonzept der Infiltrationsbrunnen im Bezug auf mögliche Schadstellen und Undichtigkeiten,
  • die Festlegung der genauen Obergrenzen für die Infiltration in die einzelnen Brunnen,
  • eine Echtzeitüberwachung des Grundwassermanagements, mit der das Umweltamt der Stadt Stuttgart als untere Wasserbehörde die tatsächlich abgepumpten und eingeleiteten Wassermengen permanent anhand eines digitalen Zugriffs überprüfen kann,
  • eine Anhörung der betroffenen Anwohner, nachdem die geforderten Gutachten über die Abklärung der Risiken öffentlich ausgelegt wurden.

 

Nochmals: Treten Sie dem Netzwerk bei und unterstützen Sie damit ihre Interessen im Kernerviertels. Künftige Generationen werden es Euch danken.

Damit wir alle OBEN BLEIBEN, da ist es sowieso schöner!

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