Aussichtsplattform und Zukunftsbank

 

Fotos: Petra Brixel

Am morgigen Freitag wird der staunenden Bevölkerung ein wahrhaft gelungenes Gerüst vorgestellt: nahe des Planetariums in "bester Lage" eine behindertengerecht zugängliche  Plattform, von der aus die Brache des ehemaligen Mittleren Schlossgartens zu überblicken ist. Diese an Zynismus wohl nicht zu überbietende Attraktion hätte man einfacher und vor allem billiger haben können: Wie wär´s gewesen, hätte man die Plastikplanen am Bauzaun einfach abgenommen und den Blick auf die gerodete Fläche freigegeben? Nun, da schon Geissler einstmals sagte, dass Geld wie Heu in diesem Land vorhanden ist, spielen so ein paar Tausender ja auch keine Rolle mehr.

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7 Antworten zu Aussichtsplattform und Zukunftsbank

  1. Lars sagt:

    Richtigstellung:

    Die Animation des Videos endet nicht im Leipziger Hauptbahnhof, sondern im Leipziger Südraum südlich der Haltestelle mdr.

    Die Haltestelle Hauptbahnhof ist tatsächlich die erste Haltestelle im Video.

  2. Lars sagt:

    Die Plastikplanen wurden durch die Bürger ja zum Schutz vor Staub extra erstritten und dann im Planfeststellungsbeschluss vorgeschrieben.

  3. ypd sagt:

    … leider ist Euch wohl die Ironie dieser künstlerischen Intervention (Bank + Satzinhalt) entgangen …

  4. Nils sagt:

    … leider ist Euch wohl die Ironie dieser künstlerischen Intervention (Bank + Satzinhalt) entgangen …

    Das passiert halt, wenn man Dauer-empört ist 😉

  5. Stephan sagt:

    Facing the promises of a better future

    Wer die Stadtbahn-Haltestelle ‚Staatsgalerie‘ in Richtung Stuttgarter Hauptbahnhof verlässt, trifft auf ein Stück Brachland der besonderen Art: Den einzigen noch frei zugänglichen Ort jenes Teils des ehemaligen Schlossgartens, der heute als ‚Bahnhofs-Erwartungsland‘ bezeichnet werden kann. Diese Zugänglichkeit hat das bisher kaum beachtete Grünstück, eine bloße Flanke der Haupt-Transitstrecke unmotorisierter Personenströme, zu einem Zentrum der Leidenschaften gemacht: Zum Ort der Trauer nach der Niederlage im Kampf gegen die Abholzung der Parkbäume, wie auch der vitalen Auseinandersetzung mit den Visionen seiner zukünftigen Nutzung.

    Um die mit Grablichtern bestückten Baumstümpfe herum leuchten die Blüten aufgegangener Saatbomben. Ein paar nicht funktionierende Parklaternen und die Reste entfernter Sitzbänke und Mülleimer erinnern an die ehemaligen Aufenthaltsqualitäten der landeseigenen Anlage, welche dem Grundstück vom künftigen Nutzer, der Bahn AG, genommen wurden, um Platz für das Neue und Bessere zu schaffen. Um die Utopie zu füttern, dass die Realisierung der perfekten Stadt nun in greifbare Nähe rückt.

    Für die in den Boden betonierte Halterung eines bereits entfernten Mülleimers fertigen wir eine Sitzbank, welche dort mit wenigen Handgriffen fixiert wird. Wir setzen uns so, dass die Schrift auf der Rückenlehne sichtbar bleibt, welche auf den Verwendungszweck der Bank verweist: „facing the promises of a better future.“ Hier verweilend, liegt der Kahlschlag hinter uns und vor uns verstellen die ausgeplotteten Versprechungen auf das Zukünftige den Blick auf die dahinter verborgene Realität:

    Linker Hand die witterungsbeständige Reminiszenz des legendären und bereits musealisierten Stuttgarter Bauzauns. Vereinzelte Leerstellen, in welche die Adressaten der Reklame aufgefordert sind, ihre Wünsche für ein neues Stadtquartier zu schreiben, sollen das Gefühl des Gehörtwerdens vermitteln. Im Gegensatz zur gegenwärtigen Absperrung gewährt die Bauzaunillustration einen Durchblick auf die schöne, neue, sterile Welt, in der, wie auf den anderen Plakaten, die Multitude allein durch gut gekleidete weißhäutige Menschen im fortpflanzungsfähigen Alter repräsentiert ist.
    Am augenfälligsten ist das Plakat uns direkt gegenüber. Es zeigt Max Maulwurf, eine Comic-Figur, mit welcher die Bahn AG seit über zehn Jahren um Verständnis für baubedingte Unannehmlichkeiten wirbt. Ihr Urheber ist der Stuttgarter Illustrator Fritz Reuter, der sich auf seinem facebook-Foto mit zugekniffenem linken Auge zeigt(1). Diese ungewöhnliche Pose weist eine Analogie zum dargestellten Maulwurf auf. Wenngleich sein natürliches Vorbild blind ist, so wühlt Max doch sehenden Auges im Schein einer Grubenlampe. Wie weitsichtig, dass die Bahn AG auch für ihr umstrittenstes Bauvorhaben die Figur des Maulwurfs bemüht, welcher bereits in Shakespeares Hamlet die Unterminierung der gesellschaftlichen Ordnung symbolisiert(2) und später bei Marx für die Revolution selbst steht!(3) Schlimmer noch bei Schopenhauer, der in seinem Werk mit dem sinnreichen Titel ‘Die Welt als Wille und Vorstellung’ auf das traurige Dasein des Maulwurfs in der immer gleichen Bahn verweist, auf welcher „das Leben ein Geschäft ist, dessen Ertrag bei weitem nicht die Kosten deckt“.(4)
    Wenn, wie Hardt und Negri behaupten, Marx´ Maulwurf tot ist(5), so ist vielleicht Max sein Nachfolger. Fleißig wühlt er im Stuttgarter Untergund, bis eines Tages die Fundamente des Bahnhofbaus vollständig untergraben sein werden.

    Im Nachhall dieser Gedankengänge erscheinen uns die auf den anderen Plakaten dargestellten ‚Lichtaugen‘ wie kontrolliert gesetzte Maulwurfshügel, durch welche etwas Licht ins Dunkel des Tiefbahnhofes fallen soll. Licht für den Betriebsablauf; bloß kein Licht der Erkenntnis, wie es durch die Proteste gegen das Großprojekt zu Tage gefördert wurde, als der braven Bürgerschaft der Kragen platzte und diese sich erhob. Allen voran Dietrich Wagner, dem seine Standhaftigkeit das Augenlicht gekostet hat; der maulwurfsblind geschossen wurde, zur Warnung aller, welche auf Denkmalschutz, Versammlungsfreiheit und Naturschutz auch dann noch bestehen, wenn diese den Landeslenkern ein Dorn im Auge sind.
    „Für wie blöd haltet ihr uns eigentlich?“ hat jemand mit Marker in den Lichtkegel der Maulwurfslampe geschrieben. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

    1 HIER

    2 „You said it right, old mole. You’re pretty busy down there in the dirt, aren’t you? What a tunneler! Let’s move again, my friends.“
    William Shakespeare, Hamlet, 1603

    3 „Aber die Revolution ist gründlich. Sie ist noch auf der Reise durch das Fegefeuer begriffen. Sie vollbringt ihr Geschäft mit Methode. Bis zum 2. Dezember 1851 hatte sie die eine Hälfte ihrer Vorbereitung absolviert, sie absolviert jetzt die andre. Sie vollendete erst die parlamentarische Gewalt, um sie stürzen zu können. Jetzt, wo sie dies erreicht, vollendet sie die Exekutivgewalt, reduziert sie auf ihren reinsten Ausdruck, isoliert sie, stellt sie sich als einzigen Vorwurf gegenüber, um alle ihre Kräfte der Zerstörung gegen sie zu konzentrieren. Und wenn sie diese zweite Hälfte ihrer Vorarbeit vollbracht hat, wird Europa von seinem Sitze aufspringen und jubeln: Brav gewühlt, alter Maulwurf!“
    Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 1852.

    4 „Wenn man Beides, die unbeschreibliche Künstlichkeit der Anstalten, den unsäglichen Reichthum der Mittel, und die Dürftigkeit des dadurch Bezweckten und Erlangten neben einander hält; so dringt sich die Einsicht auf, daß das Leben ein Geschäft ist, dessen Ertrag bei Weitem nicht die Kosten deckt. Am augenfälligsten wird Dies an manchen Tieren von besonders einfacher Lebensweise. Man betrachte z.B. den Maulwurf, diesen unermüdlichen Arbeiter. […] Was aber nun erlangt er durch diesen mühevollen und freudenleeren Lebenslauf? Futter und Begattung: also nur die Mittel, die selbe traurige Bahn fortzusetzen und wieder anzufangen, im neuen Individuo.“
    Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, 1819

    5 „Well, we suspect that Marx’s old mole has finally died. It seems to us, in fact, that in the contemporary passage to Empire the structured tunnels of the mole have been replaced by the infinite undulations of the snake.“
    Michael Hardt/Antonio Negri, Marx’s Mole is Dead!, 2000

  6. Pingback: Presseerklärung: Aussicht auf den Scherbenhaufen | Bei Abriss Aufstand

  7. Dominik sagt:

    Wie wäre es die Aussichtsplattform als Bühne für die Montagsdemos zu nutzen?
    Wenn die schon so ein aufwändiges und überdachtes Ding dahin stellen…
    Unser Park – unsere Stadt!

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