Rede von Lucas Zeise bei der 167. Montagsdemo

Rede von Lucas Zeise, Finanzjournalist, bei der 167. Montagsdemo am 8.4.2013

Lucas Zeise, Finanzjournalist ©weibergIch rede deswegen heute zu Ihnen, weil ich an der Volkshochschule heute Abend einen Vortrag zur katastrophalen Entwicklung des Euro halten soll. Ich habe die letzten 20 Jahre meines Berufslebens als Finanzjournalist verbracht. Das heißt, ich durfte über Banken und Börsen schreiben, über sagenhafte Gewinne und sensationelle Spekulationen. Das ist ein spannendes Thema, fast so spannend wie Politik und zugleich ganz nah an der Politik. In diesem Milieu werden solch nette Großprojekte wie Stuttgart 21 ausgekocht. Es kommt dabei – und da erzähle ich Ihnen nichts Neues – nicht darauf an, ob so ein Projekt, das zwischen großen Vermögensbesitzern, Staatsinstitutionen und Bankern ausgekocht wird, den Menschen nützt, sondern ob so ein Projekt Rendite abwirft und wie viel Rendite. Das mit dem Nutzen für die Menschen ist zweitrangig, man kann auch sagen, zufällig. Wenn dieser Nutzen da ist, dient er dazu, das Projekt durch die politischen Gremien zu kriegen und es in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Ist er nicht da, muss er eben erfunden und entsprechend vorgetäuscht werden. Ich habe das bei Stuttgart 21 nicht hautnah sondern nur aus der Ferne beobachtet. Hautnah jedoch habe ich miterlebt, wie die Zerschlagung der Post und die Privatisierung und Vermarktung der Telekom durchgezogen wurde und die Privatisierung der Bahn angestrebt, aber immer noch nicht ganz durchgezogen wurden. Das sind nur zwei von vielen Beispielen.

Das Schlimme an diesen Renditeprojekten ist nicht ihre schiere Größe. Die Bahn ist groß, sinnvollerweise groß, um den Bürgern flächendeckend die Beförderung liefern zu können. (Dass sie das nicht angemessen tut, steht auf einem anderen Blatt.) Das Schlimme an diesen Projekten ist, dass sie im Kern Renditeprojekte sind. Stuttgart 21 gibt es, weil das Projekt unglaubliche Gewinne mit der Immobilienspekulation im Herzen einer der reichsten Städte der Republik versprach. Das Schlimme an diesen Projekten ist auch nicht die Verschuldung an sich, die sie mit sich bringen. Das Schlimme daran ist, dass die hohe Verschuldung der Geschäftemacherei einiger weniger dient.

Noch ein paar Worte zur LBBW. Die Landesbank Baden-Württemberg ist eine staatliche Bank. Sie ist, ganz wie die staatliche Bahn an führender Stelle an Stuttgart 21 beteiligt. Das ist nicht weiter verwunderlich. Im Unterschied zur Bahn gehört auch der Stadt Stuttgart ein Anteil von 18,9 Prozent an der LBBW. Nun wurden im vergangenen Jahr die Eigner, also Stadt, Land und der Sparkassenverband aufgefordert, ihre Anteile, den sie bisher als „stille Einlagen“ gehalten haben, in „hartes Kernkapital“ umzuwandeln. Kernkapital kann weder gekündigt werden, noch gibt es darauf gesicherte Zinsen um Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge zu finanzieren, so wie es bei den stillen Einlagen möglich war. Das hört sich wie banktechnischer Buchhaltungskram an. Kein normaler Mensch außer Bankern, Buchhaltern und Finanzjournalisten müsste sich eigentlich damit beschäftigen. In diesen Zeiten ist es aber leider notwendig, genau das zu tun.

Deshalb von mir ein paar kurze Sätze dazu, was sich dahinter verbirgt. Die Stadt Stuttgart wird dabei nicht aufgefordert, frisches Geld nachzuschießen, so wie im Jahr 2009, als 946,6 Mio Euro zur Kapitalaufstockung aus der Stadtkasse in die krisengeschüttelte LBBW geflossen sind. Aber die Form der Beteiligung soll sich ändern. Der eigentliche Zweck der Übung ist es, die LBBW nicht nur ihrem Geschäftsgebaren nach sondern auch als Rechtskonstrukt den privaten Banken wie der Deutschen Bank und der Commerzbank ähnlicher zu machen. Gleichzeitig wird die Stadt Stuttgart bis in alle Ewigkeit mit einem Umfang von ca. 2 Mrd Euro an Steuergeld an die LBBW gebunden, obwohl die Geschäftsaussichten schlecht sind und die Stadt keinen Einfluss auf die Geschäftspraxis hat, wie die Privatisierung des LBBW-Wohnungsbestands mit 21.000 Wohnungen gezeigt hat.

So werden aber die Risiken der Finanzmarktspekulation der Allgemeinheit aufgebürdet. Hunderte Millionen - Geld der Bürgerinnen und Bürger, nicht irgendwelcher Investoren - wird anstatt in reale Investitionen in Schulen, Kitas, Stadtsanierung, sozialen Wohnungsbau oder Personal in unethische Investments umgelenkt. Z.B. in die Spekulation auf Rohstoffe und Nahrungsmittel. Mit den Stimmen der Grünen, der CDU, der SPD, der FDP und großer Teiler der Freien Wähler ist dieser Coup gelungen. 422 Mio. Euro wurden mit ihren Stimmen in Kernkapital umgewandelt und gleichzeitig ein Bürgerentscheid über diese elementare Frage der kommunalen Demokratie abgeschmettert. Die Stadt Stuttgart hat damit gleichzeitig mit einem Schlag auf 47,6 Millionen Euro Zinsnachzahlungen verzichtet. Ein ungeheuerlicher Vorgang, zeigt sich doch darin doch die ganze Arroganz der politischen Eliten.

Ende diesen Jahres wird die LBBW in eine AG umgewandelt, so wie die Deutsche Bundesbahn mit der Bahnreform in eine AG gewandelt wurde. Der Einfluss demokratisch gewählter Gremien auf die Geschäftspolitik der LBBW soll noch geringer werden, als er jetzt schon ist. Und es ist wie im Fall der Bahn die Vorstufe zur Privatisierung. Am Ende soll die Landesbank, die in Stuttgart die Funktion einer Sparkasse wahrnimmt, vollkommen privatisiert werden. Das ist der Plan. Es war deshalb richtig, den Widerstand gegen diesen banktechnischen Buchhaltungskram zu organisieren, um die Stadt daran zu hindern, ihre Anteile in Stammkapital zu wandeln.

Jemand, der von außen kommt, braucht Ihnen nicht zu erzählen, warum der Widerstand gegen Stuttgart 21 wichtig ist. Aber es ist doch so. Das übrige Land, die ganze Bundesrepublik schaut darauf, wer in Stuttgart schließlich die Oberhand behält. Wird Geschäftemacherei sich durchsetzen oder Vernunft? Das ist die Frage. Interessant ist ja, dass selbst die Seite, die an der Geschäftemacherei interessiert ist, nun schon aus prinzipiellen Erwägungen heraus an Stuttgart 21 festhält. Die Bundesregierung und insbesondere Frau Merkel halten an dem Projekt Stuttgart 21 nur noch deswegen fest, um im Volk die erlernte Einstellung zu festigen, die da lautet: Widerstand lohnt nicht – Man kann ja doch nichts machen. Umgekehrt gilt: Für uns Bundesbürger außerhalb Stuttgarts ist dieser lange dauernde Abnutzungskrieg zwischen Volk und Obrigkeit in dieser Stadt hier vor allem deswegen wichtig: Wenn Stuttgart 21 erfolgreich verhindert werden kann, dann haben wir alle einen großen Etappensieg für die Demokratie und gegen die Geschäftemacherei errungen.

In diesem Sinne und im eigenen Interesse wünsche ich Ihnen: Möge Ihr Widerstand erfolgreich sein. Die ganze Republik wird es Ihnen danken.

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2 Antworten zu Rede von Lucas Zeise bei der 167. Montagsdemo

  1. Ulmer_Schachtel sagt:

    Lucas Zeise auf der Montagsdemo, großartige Idee! Zwei großartige Reden von Zeise und Zwuckelmann!

    Von Lucas Zeise gibt es jeden Samstag die hiermit empfohlene Kolumne „Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs“ in der jungen Welt, zuletzt diese HIER

  2. WWO sagt:

    Wahre Worte in einer der besten und spannendsten Reden auf der Montagsdemo! Nur leider berichtet keine schwäbische Presse darüber. Die Spätzlespresse ist an diesem ganzen S21 Schwindel ebenso beteiligt und kassiert dafür Zuschüsse in unbekannter Grösse. Wer noch immer dieses Lügenblatt im Abo hat sollte diese Ztg abstrafen und sein Abo kündien… holt euch dafür die Kontext, eine der wenigen Ztgen die reale Hintergründe und Themen aufdeckt und darüber Hinaus auch sehr gut informiert und berichtet.

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