Einlassung am 19.11.2013 vor dem AG Stuttgart von Lore Bernecker-Boley wg. Blockierens vor dem GWM am 29.02.2013

Ich leugne nicht, dass ich an der erwähnten Sitzdemonstration teilgenommen habe.

Ich habe mich mit anderen vor die Einfahrt zur Baustelle des Grundwassermanagements gesetzt, um den Weiterbau zu behindern und um unseren Protest gegen das S21-Projekt symbolisch zum Ausdruck zu bringen.

Auf zwei Aspekte dieses Verfahrens möchte ich näher eingehen; erstens auf den Vorwurf der Gewalt und der Verwerflichkeit im § 240 und zweitens auf meine Motive.

(1) Zum Vorwurf der Gewalt und Verwerflichkeit nach § 240

Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn ich wegen einer Rechtswidrigkeit bestraft werde ( z. B. eine Ordnungswidrigkeit). Damit musste ich rechnen. Wie meine Vorredner wehre ich mich aber dagegen, dass man uns „Gewalt“ vorwirft. Wir saßen vor der Einfahrt zum GWM und ließen uns widerstandslos von der Polizei abführen. Dass dies wieder als Gewalttat geahndet wird, ist für mich ein Rückschritt in der Rechtsprechung.

In der Vergangenheit habe ich die widersprüchliche rechtliche Beurteilung von Sitzdemonstrationen selbst erlebt, nachdem ich vor 20 bis 30 Jahren an zahlreichen Sitzdemonstrationen teilgenommen hatte.

Es ging damals um Proteste gegen die atomare Aufrüstung, gegen Atomtests, gegen die Lagerung von Giftgas in Rheinlandpfalz und es ging um Proteste gegen Atomkraftanlagen. Wir waren zunächst eine Minderheit, aber die Geschichte hat uns recht gegeben: Die atombestückten Pershing-II-Raketen wurden abgezogen, das Giftgasdepot wurde aufgelöst, die Atomtests vergiften heute nicht mehr in dem Ausmaß von damals die Umwelt (man beschränkt sich jetzt auf Laborversuche, was schlimm genug ist), und schließlich hat sich die Bundesregierung zu einem Ausstieg aus der Atomenergie durchgerungen. Ich bin ganz zuversichtlich, dass auch der zigtausendfache Protest gegen den Tiefbahnhof letztlich zum Ziel führt; es fragt sich nur, wann und wie viel an sinnloser Zerstörung wir vorher noch ertragen müssen.

Nachdem ich für die Teilnahme an den früheren Sitzdemonstrationen, wie andere auch, zunächst wegen angeblich verwerflicher Gewalt gemäß § 240 verurteilt worden war, erklärte im Januar 1995 das BVerfG diese Verurteilungen für nicht verfassungskonform, es handele sich bei Sitzblockaden nicht ohne weiteres um Gewalttaten. In allen beantragten Wiederaufnahmeverfahren wurde ich freigesprochen und bekam alle Unkosten erstattet – inklusive Strafen und Gerichtskosten.

Aber schon ein paar Monate später änderte sich die Lage wieder, denn der BGH entwickelte die sogenannte „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“, die bis heute gilt. Demnach gilt Folgendes: Wenn der erste Fahrzeuglenker anhält, weil ich da sitze, übe ich gegen ihn keine strafbare Gewalt aus, denn es handelt sich nur um psychische Gewalt (nach BVerfG nicht strafbar gemäß § 240). Wohl aber übe ich Gewalt aus gegen den zweiten Fahrer, der anhält, weil ein Fahrzeug vor ihm steht, denn ich benutze das erste Fahrzeug als physisches Hindernis für das zweite.  Kann irgendwer im Raum diese Argumentation nachvollziehen? Ich nicht. Ich finde sie schlicht absurd!

Unsere Sitzdemonstration soll auch „verwerflich“ sein, so steht es im Gesetz, nach dem wir angeklagt sind. Auch diesen Vorwurf weise ich zurück. Es wurde schon ausgeführt, dass es sich bei der Baustelle des GWM damals um eine illegale Baustelle gehandelt hat. Es kann nicht verwerflich sein, ein illegales Vorgehen zu behindern. Im Gegenteil, ich halte es für eine Pflicht!

(2) Meine Motive

Mein Protest richtet sich zunächst gegen den illegalen Bau am GWM, aber er richtet sich auch gegen das Projekt S 21 als Ganzes, das ich für einen großangelegten Fall von Betrug halte.

Betrug am Bahnfahrer, dem ein gut funktionierender Bahnhof gestohlen wird, Betrug an der Öffentlichkeit, die die immensen Kosten aufbringen muss, über die sie jahrelang belogen wurde, Betrug an den Projektpartnern in Stadt, Region und Land, denen falsche Informationen geliefert und wichtige Unterlagen vorenthalten wurden. Von Anfang an wurde mit falschen Angaben bezüglich der Leistungsfähigkeit und der Kosten gelogen. Die unzulängliche Planung wurde verschleiert, festgelegte Sicherheitsregeln wurden mit unzähligen Ausnahmegenehmigungen umgangen. Das Projekt wurde als ökologischer Fortschritt angepriesen, wo doch erwiesen ist , dass es mehr Energie verschlingen wird und weniger Verkehr auf die Schiene bringt, von der Vernichtung der Bäume ganz zu schweigen. Immer mehr Einzelheiten dazu werden bekannt und vor allem wird immer deutlicher, dass es sich von Anfang an um bewusste Irreführung der Öffentlichkeit und auch der Vertragspartner handelt. RA Dr. Eisenhart von Loeper¹ spricht in diesem Zusammenhang von wissentlicher Falschinformation und arglistiger Täuschung!

Herr Grube und Herr Kefer sind sich dessen wohl bewusst. Sie wissen, dass sie die Bevölkerung und Vertragspartner jahrelang betrogen haben mit Falschaussagen, dass sie ihr Baurecht durch falsche Angaben erschlichen haben. Deshalb haben sie trotz anfänglicher Drohung auch keine rechtlichen Schritte gegen Professor Christoph Engelhardt unternommen, der das Projekt S 21 als „größten Betrug der technisch-wissenschaftlichen Industriegeschichte Deutschlands“ bezeichnet,

Und was machen unsere verantwortlichen Politiker im Land, in der Stadt, in der Region? Sie lassen das alles geschehen. Sie hören nicht auf, das S21-Projekt zu fördern oder wenigstens zu dulden, obwohl sie hundertfach von Bahnfachleuten, Ingenieuren, Geologen, Architekten, Brandschutzsachverständigen, auf die Fehler und Gefahren hingewiesen wurden und immer noch werden.

MP Kretschmann verschanzt sie sich hinter der Volksabstimmung und den bestehenden Verträgen. Er wirft uns vor, schlechte Demokraten zu sein, weil wir die Volksabstimmung nicht respektieren. Aber die Volksabstimmung ist nichtig, weil die Öffentlichkeit damals bewusst falsch über die Leistungsfähigkeit sowie die Bau- und die Ausstiegskosten informiert wurde; die Verträge sind ebenfalls nichtig, da sie unter falschen Voraussetzungen abgeschlossen wurden.

Es geht hier nicht einfach nur um ein schlecht geplantes und unsinniges milliardenschweres Großbauprojekt. Es geht darum, dass Geld- und Machtgier die Politik bestimmen und nicht das öffentliche Recht und nicht das Gemeinwohl. Und diejenigen, die geschworen haben, Schaden vom Volke zu wenden, machen sich hier zum Büttel eines kriminellen Machtkartells.

Dass die allermeisten Medien als Teil diese Machtkartells fungieren und lange Zeit ihre journalistische Aufklärungspflicht vernachlässigt haben, kommt erschwerend hinzu. Ein ehemaliger Chefreporter der StZ² hat den zwei großen Stuttgarter Zeitungen sowie dem Südwestrundfunk vorgeworfen, dass sie sich als „Herold der Befürworter von S 21“ gebärdet haben. Noch weiter ging ein ehemaliger Ressortleiter der StZ³ , als er behauptete – ich zitiere wörtlich: "Ohne die Zustimmung der Stuttgarter Zeitung zu diesem Großprojekt würde, so vermute ich einfach einmal, ,Stuttgart 21' nie gebaut werden."

Diese Machenschaften in Politik und Medien untergraben die Demokratie, sie vergiften die politische Kultur in unserem Land. Die Menschen nehmen wahr, dass nicht mehr die besseren Argumente zählen, sondern Geld und Macht. Wozu sollen sie da noch wählen, wenn doch alles hinter den Kulissen entschieden wird und so dem öffentlichen Einfluss entzogen ist. Sie ziehen sich aus dem öffentlichen Geschehen zurück ins Privatleben, oder sie wenden sich radikalen Heilsversprechern zu.

Ich fasse zusammen:
Da weder die verantwortlichen Politiker, noch die Justiz, noch die öffentlichen Meinungsmacher sich dieser unheilvollen Entwicklung in den Weg stellen, müssen das die Bürger tun. Deshalb nehme ich an unterschiedlichen Protestformen teil und eben auch an Aktionen des Zivilen Ungehorsams.
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Anmerkungen
1.„Nicht nur ist die Bahn ihren vertraglich festgelegten Informationspflichten nicht nachgekommen, sie hat ihre Vertragspartner Stadt und Land sogar wissentlich falsch informiert und arglistig getäuscht“, sagt RA Dr. Eisenhart von Loeper (Storno21)
2. Josef-Otto Freudenreich in einem Interview im Deutschlandfunk, 13.11.2011 – s. you tube
3. Adrian Zielcke, damaliger Ressortleiter Außenpolitik, in Stuttgarter Zeitung vom 27. Februar 2010, zit. nach J-O. Freudenreich, taz 15.09.2010, Die Zukunft ist unterirdisch

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