Rede bei der Kundgebung am Aktionstag 5.8. am Bahnhof

Rede von Susanne Bödecker, Straße am Schlossgarten

Guten Abend, liebe Bewegte für einen modernisierten Kopfbahnhof!
Heute ist der 5. August, der Tag, der in der Presse als Tag des Spatenstichs für die Baugrube des Tiefbahnhofs, der Trogöffnung, des Baubeginns schlechthin herhalten soll, als Symbol dafür, dass das bis jetzt erst schlappe 6,5 Mrd. € teure, unnütze Prestigeobjekt endgültig unumkehrbar ist. Mehr als 20 Jahre nach der unglaublichen Idee einer selbstherrlichen Elite, die davon überzeugt war, ohne zwingende Gründe und ohne Legitimation Herz und Seele einer bisher lebenswerten Stadt herausreißen zu können, werden Pfähle an der Stelle in die Erde gerammt, an der vor fast 4 Jahren friedliche Menschen ihr Recht auf Versammlung zum Schutz der Bäume und des wertvollen Parks wahrnahmen und zum 1. Mal so richtig zu spüren bekamen, dass Grundrechte keine Bedeutung mehr haben, wenn die Wirtschaftsmafia ins Spiel kommt und Politik und Justiz vor ihr katzbuckeln. Der Bahn ist dieser Tag nur noch eine Pressekonferenz wert, um den Baufortschritt zu dokumentieren, auf Anfrage erklärt sie, Baubeginn wäre bereits letzte Woche gewesen. Wir katzbuckeln nicht, deshalb waren und sind wir heute hier. Nach wie vor gibt es denkende, fühlende, beharrliche, aufrecht gehende Bürgerinnen und Bürger aus Stuttgart und von überall her, die weitermachen - einfach immer weitermachen. Unrecht wird ja nicht plötzlich zu Recht, weil es gehäuft und immer unverschämter zu Tage tritt!
Dieser Tag bietet die Chance für die Bewegung, ein starkes Zeichen unserer Vielfalt, Kreativität, Phantasie und Entschlossenheit dem entgegenzusetzen, was schlecht ist für unsere Stadt, unser Land, für uns. Denn nach wie vor gilt: S 21 ist Betrug! Es ist ein Prinzip der falschen Versprechungen in Bezug auf Nachhaltigkeit, Kosten, Kapazität, Bahn für alle, Finanzierung, Nutzen, Risiko, demokratischer Legitimierung, Natur -, Arten -, Denkmalschutz, und, und, und, ... das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, so wenig, wie es sich in den letzten 20 Jahren geändert hat, es wird nur immer schlimmer! Wir haben viel erlebt in den letzten Jahren in unserem Widerstand, sind gewachsen an den Höhen und Tiefen, haben uns verändert. Waren wir früher nur gegen etwas, so wissen wir heute, wofür wir uns einsetzen wollen. Dem S 21 - Prinzip setzen wir verantwortungsvolle Lebensformen entgegen und füllen sie mit Leben. Einen kleinen Spiegel der Vielfalt und Kreativität boten die Aktionen des heutigen Tages:
Es fing um 6:30 Uhr mit dem Blockadefrühstück an..., ging weiter mit einem Gang zur Pressekonferenz in die Jägerstr. mit Beschallung, entwickelte sich zu einer kurzfristigen Verkehrsberuhigung auf der Schillerstraße nach der Bannerparade, formierte sich zu einer Spontandemo nachmittags durch die Königstraße zum Rathaus und zurück. Nervtötende Rammstöße, verbunden mit gesäuselten Aussagen und Versprechungen von Politikern – Michael, unsere treue Seele aus Baden, beschallte alles, was Ohren hatte zu hören. Da seine Anlage vor dem 5.8. kaputt ging, lieh uns Alban seinen Soundanhänger, der immer bei critical mass mitfährt. Um 7 Uhr begannen die Tunnelbohrermönche ihr Tagwerk, sie zogen schweigend durch den Bahnhof mit einem Schild, auf dem stand: "Heute gräbt die DB sich ihre Grube im Park!" An geeigneten Plätzen blieben sie stehen und nach einem Gongschlag wiederholten sie laut und eindringlich ihre Botschaft: „ Und Gott sah, was der Mensch angerichtet hat – und siehe, es war nicht gut! NICHT GUT! NICHT GUT!“ Erstaunte Mienen, großes Interesse, ehrfurchtsvole Blicke, Spannung, Kribbeln, Nachdenken...  Dann zogen die Mönche in den Park, um die Mittagszeit auf die Rathaustreppe und abends um 17 Uhr wollten sie noch einmal ihre Bahnhofsrunde machen. Da hatte die Polizei aber plötzlich etwas dagegen. Ein Bild für Götter: Harmlose, mittel- und absichtslose Mönche werden mit
Hamburger Gittern am Betreten des Bahnhofs gehindert!

Eine kurze Information noch zur Entstehung der Mönche, denn manche Menschen unter uns haben im Vorfeld die Stirn gerunzelt und gefragt: “Ist das hier eine christliche Veranstaltung?“ Erdacht wurden die Mönche zur Taufe des Tülay-Tunnels im Fasanenhof, aber auch ohne Taufe sind sie für Mitglieder der Kampagne gegen die Tunnelbohrmaschine zum Sinnbild des geistigen Widerstands geworden. Sie symbolisieren eine andere Lebensgrundlage, zeigen andere Maßstäbe, stehen für eine andere Sinnhaftigkeit in Zeiten, in denen nur noch das Geld zählt. Ohne Wert auf den christlichen Bezug zu legen, demonstrieren die Mönche in Würde und Schweigen, dass zu S21 alles gesagt ist, jeder kann es wissen, wenn er oder sie es will. Ihre Disziplin hinsichtlich Denken, Wollen und Verhalten äußert sich im Vermeiden von allem, was dem Erreichen des Ziels, nämlich S 21 zu verhindern, im Weg steht.

92 (in Worten: zweiundneunzig !)Banner hat Rosanna für uns, für den Erhalt von Bahnhof, Park, Häusern, Brücken, Orten der Kultur und der Einzigartigkeit in den vergangenen Jahren genäht und gemalt! Ein riesiges Dankeschön und größte Hochachtung vor und für diese Frau! Von 9–12 Uhr fand rund um die Brache eine Banneraktion mit Rosannas und anderen Bannern statt. Eine Menschenkette, eine Umarmung dessen, was bald wieder unser Park werden wird. 740 fröhliche Menschen schlossen gegen 10:30 Uhr die Kette und beendeten sie mit einem Schwabenstreich.

Die Versorger waren schon morgens bei der Blockade dabei, zogen dann in den Park. Danke, dass ihr immer da seid!! Am offenen Mikrofon hielt Hans Heydemann seine Rede vom Morgen noch einmal.
Danke an alle, die dafür gesorgt haben, dass dieser Tag unvergesslich bleiben wird!

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