Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Ingenieure22, auf der 341. Montagsdemo am 10.10.2016: „Stuttgart 21: Grubenmärchen und Geschenke“

Am 16. September hat Bahnchef Dr. Grube in der Grube von Baufeld 16 mal wieder Märchen erzählt. Er hat sich nicht geschämt, erneut den völlig illusorischen Fertigstellungstermin 2021 zu nennen, an dem nach seiner Rede die ersten Züge fahren sollen.

Vom Projektleiter des Bahnhofs wird zwar auch eine Fertigstellung 2021 genannt, um den Druck auf die Baufirmen hoch zu halten. Aber, um nicht ganz unglaubwürdig zu sein, wird noch ergänzt, dassdazu 2 Jahre „Gegensteuerungsbedarf“ bestehen. Fragt man dann, welche Maßnahmen für 2 Jahre Gegensteuerung ergriffen werden sollen, bleibt die Antwort aus.

Im Baufeld 16 hätte Dr. Grube gut erkennen können, wie das Projekt alle Terminplanungen sprengt. Die Firma Züblin und die DB hatten im August 2014 einen detaillierten Plan vorgestellt, dass nach knapp 2 Jahren dieses Baufeld 16 komplett mit Bahnsteigen und 2 Kelchstützen fertiggestellt ist. Aber diese Zeit ist vorbei und jetzt wird noch an der Bodenplatte gebaut, die eigentlich schon nach einem 3/4 Jahr betoniert sein sollte. Man hat also ‚bestgeplant‘ fast die 3-fache Zeit gebraucht. Einen neuen Plan, wann denn nun 40 Meter der vier Bahnsteige mit zwei Kelchstützen fertig werden, bekommt man trotz hartnäckiger Nachfrage seit vielen Monaten nicht. Es wäre wirklich an der Zeit, dass der Aufsichtsrat, Land und Stadt belastbare Planungsunterlagen einfordern und ihre Einhaltung überwachen. Wie lange noch wollen sie ihrer Kontrollfunktion nicht nachkommen?

Als ‚ehrbarer Kaufmann‘ hätte Dr. Grube ja auch mal überlegen können, dass Baufeld 16 nur eines von 25 Feldern des gesamten Bahnhofs ist und insgesamt 28 Kelchstützen gebaut werden müssen, von denen keine zwei genau gleich sind – Höhe und Deckenneigung machen sie verschieden. Nur grenzenlose Ignoranz ermöglicht es, an erste Züge im Jahr 2021 zu glauben und das dann auch noch öffentlich zu vertreten.

Neben dem Märchen von der Fertigstellung hat Dr. Grube auch wieder die Geschichte von einem Geschenk erzählt, das S21 angeblich für Millionen von Bahnfahrern und die Stadt Stuttgart sei. Aber wir sagen es immer wieder: Wir wollen Ihr Geschenk nicht. Wir wollen eine leistungsfähige Bahninfrastruktur mit sicheren, pünktlichen und sauberen Zügen – das wäre Ihre Aufgabe als Vorstand der Deutschen Bahn!

Bei diesem Geschenk fällt mir sofort ein Sprichwort ein: „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“. Aber wir schauen sehr genau hin und erkennen die Pferdefüße. Über den kleinen, schiefen und halbtiefen Bahnhof, der ja auch aus Sicht des EBA mehr eine Haltestelle ist, wurde schon oft gesprochen. Ich möchte noch ein nicht unwichtiges Detail ergänzen, das so schlecht geplant ist, dass man es Studenten des Verkehrswesens um die Ohren hauen würde.

Es werden 4 zweigleisige Zulaufstrecken gebaut. Im Regelbetrieb wird auf dem rechten Gleis gefahren, aber bei Wartungsarbeiten und Störungen ist es üblich, im (linken) Gegengleis zu fahren. So wird der Betrieb zwar reduziert, aber aufrechterhalten. Für das Fahren im Gegengleis sind Weichenverbindungen, sogenannte Überleitungen erforderlich. Diese werden normalerweise außerhalb der Bahnhöfe angeordnet, damit trotzdem ein Halt an den planmäßigen Bahnsteigen erfolgen kann. Bei S21 weicht man halt auch da von der Normalität ab. Die Überleitverbindungen sollen sowohl im Nord-, als auch im Südkopf nicht außerhalb des Bahnhofs, sondern mittendrin zwischen den Gleisen 4 und 5 gebaut werden. So was macht man sonst nur bei Modelleisenbahnanlagen, wo es immer zu wenig Platz gibt.

Ein Zug, der im (linken) Gegengleis in den Bahnhof einfährt, kann nur über diese Gleise 4 und 5 bei der Ausfahrt wieder das rechte Gleis nutzen. Sind diese nicht frei, muss er auch hinter dem Bahnhof weiter im Gegengleis fahren und die Kapazität wird weiter reduziert. Solche Szenarien mit Wartungsarbeiten und Störungen, die wir täglich erleben, wurden im sogenannten „Stresstest“ ausgeblendet.

Es wurde nur der Schönwetterbetrieb simuliert, wenn alle Weichen, Signale, Stellwerke und Züge einwandfrei funktionieren. Der ganze „Stress“ waren ein paar Minuten Verspätung, also eigentlich nur lächerlich.

Den gut bekannten Prof. Martin, der bei der Schlichtung als Zauberer erklärt hat, wie mit halbierter Anzahl der Bahnsteiggleise die doppelte Zuganzahl abgefertigt werden kann, konnte ich bei einer Veranstaltung auf die schlecht geplanten Überleitungen ansprechen. Er stimmte zu, dass damit betriebliche Nachteile verbunden sind. Aber man müsse halt zwischen Kosten und optimaler Funktion abwägen. Als ich entgegnete, dass bei den riesigen Projektkosten doch auch eine optimale Infrastruktur erwartet werden kann, da hat mich seine Antwort sprachlos gemacht. Sagt er mir doch, dass weder ich noch er die Gleisplanung zu verantworten hätten und wir uns damit doch entspannt zurücklehnen könnten.

So eine Gleichgültigkeit gegenüber ganz offensichtlichen Problemen bei vielen Projektbetreibern, das schockiert mich immer wieder. Und die Politiker in Stadt und Land schauen verantwortungslos zu und glauben an alle Märchen, die ihnen aufgetischt werden – egal ob von Dr. Grube, von Prof. Martin oder anderen. Man könnte meinen, dass sie belogen werden wollen.

Als „Geschenk“ soll ja auch die S-Bahn eine Verlängerung der hoch belasteten Stammstrecke mit der neuen Station Mittnachtstraße erhalten. Dort am UFA-Palast und am Kolping-Bildungswerk war durch den Abbau alter Gütergleise viel Platz. So konnte „fast auf der grünen Wiese“ der Trog für diese neue S-Bahn-Station bereits fertiggestellt werden. Beim zweiten Blick auf diesen Trog stellt man verwundert fest, dass dieser in einem schwungvollen Bogen liegt – mit einem Radius von 1.000 Meter zwar lange nicht so eng wie in Feuerbach, aber eben doch in der Mitte um 5 Meter durchgebogen.
Der Lokführer kann dann halt nicht mehr mit einem Blick am Zug entlang überblicken, ob Abfahrbereitschaft besteht.

Für einen optimalen Überblick am Bahnsteig gibt es sowohl bei der DB eine Planungsrichtlinie, als auch eine europäische Verordnung, dass neue Bahnsteige möglichst am geraden Gleis liegen sollen. Eine Nachfrage bei der DB ergab, dass der Bogen ja kein Regelverstoß sei. Warum trotz vorhandenem Platz kein optimal gerader Bahnsteig geplant wurde, das könne man nicht sagen, da die damaligen Planer nicht mehr im Projekt tätig seien.

Wir sollen also für viele Milliarden irgendwann mal als Geschenk bekommen:
· eine kleine, schräge, halbtiefe Haupthaltestelle
· einen extrem tiefen ICE-Halt am Flughafen
· eine krumme S-Bahn-Station Mittnachtstraße
· eine Station Terminal am Flughafen mit einem dritten Gleis, die noch geplant wird,
· einen Abstellbahnhof in Untertürkheim, der auch noch geplant wird.

Das alles ist Murks und deshalb sagen wir es Herrn Dr. Grube noch einmal ganz deutlich: Wir wollen solche Geschenke nicht! Wir wollen oben bleiben! Raus aus der Grube! Umstieg 21 jetzt!

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Eine Antwort zu Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Ingenieure22, auf der 341. Montagsdemo am 10.10.2016: „Stuttgart 21: Grubenmärchen und Geschenke“

  1. H.Ruch sagt:

    ….daß das 4. und 5. Gleis – einer Modellbahn ähnlich – für einen „Spur“Wechsel mitten im Hauptbahnhof bei 16 ‰ Gefälle im 2-Minutentakt ausgeführt werden soll, zeigt den Modellcharakter der stumpfsinnig politisch motivierten Anlage.
    Eine Schande für die Uni Stuttgart, der BahnAG solche Verkehrswissenschaftler zur Beratung freizugeben.
    Danke an Herrn Dr.Jäkel für die klare Sprache.
    Schummeltechnik, wir werden das auch noch schaffen.

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