Rede von Dr.Norbert Bongartz, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, auf der 367. Montagsdemo am 24.4.2017

10 Jahre Aktionsbündnis, wo stehen wir?

Liebe ebenso treue und zugleich ungeduldig auf neue Zeichen um S21 hoffende Freunde einer überzeugenden Politik bei der Bahn, bei der Landesregierung und bei den anderen für dieses unterirdische Mega-Projekt Verantwortlichen!

Letzte Woche ist – ganz leise – der 10. Jahrestag der Gründung des Aktionsbündnisses an uns vorbei und nicht „über die Bühne“ gegangen. Wir hatten zu diesem Anlaß anfänglich an eine gemeinsame Hocketse am Gründonnerstag auf dem Marktplatz gedacht. Den Plan hatten wir aber aus verschiedenen Gründen wieder fallen gelassen. Wir denken jetzt darüber nach, wo und wie wir mit diesem Jahrestag umgehen werden. Das wird einer der Punkte sein, die wir mit Euch, die heute abend mit ins Forum 3 kommen können, besprechen wollen.

Sicher ist bisher nur: Wir wollen keine Jubelfeier, eher eine kurze Rast auf unserem bisherigen und weiteren Wege.

Im April 2007 hatte Werner Wölfle zusammen mit Gangolf Stocker und Hannes Rockenbauch zur Gründung eines Aktionsbündnisses aufgerufen, um die kritischen Kräfte gegen S21 zusammen-zubringen. Der BUND, Grünen-Politiker und die von Gangolf Stocker seit 1994 bereits initiierte Initiative ‚Leben in Stuttgart‘ vereinten sich mit den Initiativen ‚Pro Bahn‘ und dem ‚Verkehrsclub Deutschland‘ und mit später hinzu stoßenden Gruppierungen, wie z. B. ‚Das Architektur-Forum Stuttgart‘, um dem aufs Gleis gesetzten Großprojekt mit zunehmend guten Argumenten gegenüber zu treten.

Es kam bald zu der ersten großen Aktion, in der über 60.000 Unterschriften gegen S21 gesammelt wurden. Sie wurden vom damaligen OB Schuster dadurch unschädlich gemacht, indem er von Seiten der Stadt den Finanzierungsvertrag von S21 eilig unterschrieb und dann verkündete, die Unterschriften seien leider zu spät abgegeben worden...

Was 2007 begonnen hatte, wäre eine Erfolgsgeschichte für den engagierten und friedlichen Bürgerprotest geworden, wenn, ja wenn die gegen S21 gesammelten und vorgetragenen Argumente ernst genommen und in die politischen Entscheidungen einbezogen worden wären. Wir haben aber erleben müssen, dass die beachtliche Kritik ignoriert, weggelächelt, verhöhnt, oder mit falschen, ja dreisten Gegenbehauptungen konterkariert wurde.

Schlimmer noch: Wir mussten erleben, dass drei der Gründungsmitglieder das Aktionsbündnis verließen, als sich ihre Chefetagen entschlossen hatten, ihre Gegnerschaft gegen das S21-Projekt aufzugeben und der Spagat der Kritiker im Aktionsbündnis und der Befürworter auf der Leitungsebene nicht mehr auszuhalten war.

Das daraufhin prophezeite Ende des AB trat aber nicht ein. Wir haben unseren Weg mit neuen Kräften und neuen Leuten fortgesetzt – und mit neuen Aktivitäten, so z.B. mit dem konstruktiven Konzept UMSTIEG, das die Chancen sinnvoll umnutzbarer Teile der S21-Baustellen aufzeigt. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die juristischen Vorstöße gegen die Bahn durch unseren Sprecher Eisenhart von Loeper, bei denen noch ein Durchbruch möglich ist. Hier blicken wir noch klar nach vorn, die Flinte liegt noch nicht im Korn!

Wo stehen wir heute?

Klar, wir stehen auf dem Schloßpatz – immer noch – trotz des Frustes darüber, dass alle unsere guten Argumente und Warnungen auf zugeklebte Ohren der für S21 Verantwortlichen stoßen, dass sich die Verantwortlichen nach und nach vom Acker gemacht haben und ihre Nachfolger nicht den Mut haben zu einer Korrektur, geschweige denn zu einer Neubewertung, einer Revision ihrer Pläne.

Nachdem die Bahn eine seit vielen Monaten angesetzte Debatte über S21 schon zwei mal verschoben hatte, sollte diese am 22. März auf der Tagesordnung stehen. Gebannt wartete ich, warteten wir auf das Ergebnis dieser Sitzung, warteten auf einen Beschluß der Vorstände plus Aufsichtsräte angesichts der vom Bundesrechnungshof auf ca. 10 Milliarden veranschlagten Baukosten und der vielen Schwächen und Risiken.

Und – was ist passiert? Nichts! Die geplante und erwartete Debatte über S21 fand nicht statt. Das war eine fundamentale Absage oder Kapitulation der Bahn gegenüber der Rationalität. Offenbar haben die Aufsichtsräte und Vorstände Angst, dass ihr sonst die Fetzen um die Ohren geflogen wären.

Das AB ist empört über dieses Sich-nicht-Befassen, über diese Verweigerung und über die Aussage des neu bestallten Bahnchefs Lutz, er sei „finster entschlossen, S21 zu Ende zu bringen“. Da können wir uns nur ironisch fragen: Welche Art eines Endes hatte er wohl gemeint?

Wir sind und bleiben im Aktionsbündnis weiter aktiv und sehen in den letzten Tagen und Wochen auch mehrere Anzeichen dafür, dass unsere Ausarbeitungen und Vorstöße fruchten.

Hier eine kleine Auswahl:

  • Das von mehreren Kommunen auf den Fildern in Auftrag gegebene Gutachten, das die Chancen und Vorteile einer bis ins Neckartal nach Wendlingen verlängerten S-Bahn (S-Bahn-Ringschluß) zusammenfassen sollte, entspricht weitgehend dem Vorschlag von UMSTIEG 21. Wir meinen nur: mit dem Ringschluß sollte nicht bis zum Abschluß von S21 gewartet werden, sondern nur bis zu dessen vorzeitigem Ende.
  • Es gibt einen Beschluß des Kreisverbands der SPD, „die neuen Fakten in Sachen S21 angemessen zu berücksichtigen und durch die Projektpartner bewerten zu lassen“. Und danach hagelt es mehr als ein Dutzend kritische Fragen an den Parteivorstand, an die Landtags-, die Gemeinderats- und die Bundestagsfraktion. Wir sehen: es tut sich was, sogar in der SPD.
  • Zu den Zeichen der Zeit gehört auch das Ergebnis der repräsentativen Infratest-dimap-Befragung, derzufolge 63% der Menschen in Baden-Württemberg meinen, dass „die Bundesregierung, das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart und die Bahn die Alternative UMSTIEG 21 ernsthaft prüfen sollen“.
  • Das jüngste interessante Zeichen: Der ehemalige Regierungspräsident Schmalzl, Mitglied des von uns mit dem Vorwurf der Untreue belasteten Aufsichtsrats der DB, hat es schwer, zum Vorsitzenden der IHK Stuttgart gewählt zu werden...

Was bedeutet das für unser Aktionsbündnis: Wir bleiben dran, lassen nicht locker und sorgen weiter dafür, dass auch in Zukunft unbequeme Nachrichten und Argumente gegen S21 nicht unter den Teppich gekehrt werden. Denn diese sollen: OBEN BLEIBEN!

Auf Wiedersehen gleich im Anschluß an diese Demo ab 19:30 im Forum 3. Der Abend steht unter dem Titel: „Strategien gegen finstere Entschlossenheit und alternative Fakten“.

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