Abgas-Skandal, Fahrverbote, Autokartell, Prozess in Stuttgart

Rede von Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e.V.,  auf der 378. Montagsdemo am 24.7.2017

Abgas-Skandal, Fahrverbote, Autokartell, Prozess in Stuttgart

Schönen guten Abend,

danke, dass ich wieder hier sein darf; ich denke viel an Stuttgart 21, z. B. wenn ich am Bodensee bei der Bodensee-Gürtelbahn die 40 Jahre alten Dieseltriebwagen sehe, die beim Anfahren richtig schöne schwarze Wolken erzeugen, wie man es eigentlich aus Indianerfilmen kennt, und wenn Sie die Wolke abkriegen, da haben Sie so ein bisschen den Flair der Großstadt, das bringt uns zusammen.

Das Geld, was hier verbuddelt wird, im dümmsten Großprojekt Deutschlands, fehlt an anderer Stelle, um einen sauberen und modernen Fernverkehr auf der Schiene bzw. einen öffentlichen Personennahverkehr zu finanzieren, so dass weniger Menschen in Individualautos unterwegs sind. Und deswegen hängt natürlich die schlechte Luft am Bodensee und die schlechte Luft in Stuttgart auch zusammen mit dieser Fehlentwicklung, mit diesen Fehlentscheidungen, die wir erleben.

Ich wollte eigentlich mit der Verhandlung beginnen, aber die aktuellen Ereignisse haben mir doch einen gewissen Einschub notwendig erscheinen lassen. Deswegen rege ich an, dass Stuttgart nachdenkt, in eine Städtepartnerschaft mit Palermo oder Neapel einzutreten. Warum? Naja, wir wissen von Palermo und Neapel, dass sie die italienischen Hauptstädte für den Müll sind, genauso wie Stuttgart die schmutzigste Stadt Deutschlands ist, was die Luftreinhaltung angeht. Es gibt aber noch einen anderen Zusammenhang. Neapel und Palermo gelten als die Hauptstädte der Cosa Nostra, der italienischen Mafia. Stuttgart ist seit letztem Freitag – das kann man jetzt mittlerweile ungestraft sagen – die heimliche deutsche Hauptstadt der organisierten Kriminalität. Die hat hier allerdings einen etwas anderen Namen, die heißt nämlich Daimler, Porsche und Audi. Also immerhin drei der fünf Firmen, die  sich durch Selbstanzeige der organisierten Kriminalität bezichtigt haben, haben ihren Sitz hier. Und so braucht uns auch nicht zu wundern, dass wir einen Zusammenhang haben zwischen Sitz der Automobilindustrie und besonders schmutziger Luft. Hier wird von Stuttgart aus mitorganisiert, dass wir seit mindestens 20 Jahren nicht die Luftqualität bekommen, die Stuttgart und die andere Städte verdient haben. Stuttgart ist mitverantwortlich, und die hier sitzenden Unternehmen wie Politiker durch alle Parteien hinweg, die an der Regierung waren oder sind, dass Luftqualitätsstandards nicht eingehalten werden.

Ich habe keine Zahlen für einzelne Städte, aber Sie können sich selber ein bisschen ausrechnen, mit der hohen Belastung speziell hier, wenn jedes Jahr aktuell 10.600 Menschen alleine an Stickstoffdioxid in Deutschland sterben, was das über 20 Jahre hinweg an Zahlen mitbringt. Und dies, um wenige hundert Euro pro Auto mehr Profit zu machen. Das ist unanständig Herr Zetsche, das ist unanständig Herr Kretschmann!

Diese Politik kann so nicht weitergehen. Doch sie geht aktuell weiter. Sie haben vielleicht mitbekommen, dass am 2. August ein Nationales Forum Diesel tagen wird; dort kommt alles zusammen, was Rang und Namen hat –, ich hätte jetzt fast gesagt, in der organisierten Kriminalität – nein es sind auch ein paar Politiker mit dabei, die vor allen Dingen mit diesen Firmen im Moment in Geheimgesprächen, in geheimen Verhandlungen unter Heraushaltung der Zivilgesellschaft, der Medien, der Umweltverbände, der Verbraucherverbände, das vorbesprechen, was während eines zweistündigen Dieselgipfels dann nur noch vorgestellt wird. Und ich will mal sagen, was für ein fauler Kompromiss im Moment gerade vorbereitet wird.

Im Februar noch berichtete die Deutsche Presse-Agentur, dass die Automobilindustrie unisono gesagt hatte, diese furchtbar schlechten Abgase – wir überschreiten die Grenzwerte ja im Durchschnitt um 500 bis 800 Prozent, also um das fünf- bis achtfache – die könne man mit Softwareupdates nicht regeln. Nachdem jetzt klar ist, dass irgendwas geschehen muss, sagt die Autoindustrie das Gegenteil. Wir machen das alles mit Softwareupdates, und wie die aussehen, wird gerade der Politik diktiert. Ganze 25 Prozent Verbesserung verspricht man für manche Fahrzeuge. Im Winter, wenn es kalt ist und die Menschen unter Stickstoffdioxid ganz besonders leiden, soll es gar nicht besser werden, weil das ja Hardware-Lösungen erfordern würde. Die Automobilindustrie ist nach wie vor der Überzeugung, dass sie großes Vertrauen in der Bevölkerung und vor allen Dingen in der Politik verdient, deswegen hat sie vorgeschlagen – und die Politik möchte ihr das zugestehen – dass sie zukünftig nicht mehr diese Software-Manipulationen vorher genehmigen lassen muss, wie es jetzt gerade bei VW passiert, sondern dass man ihnen vertraut und ihnen ohne Genehmigung die Möglichkeit gibt, zukünftig beliebig zu manipulieren.

Wir haben das heute an die Öffentlichkeit gebracht, auch verbunden mit der Information, dass im Wesentlichen diese fünf Firmen: BMW, Audi, Volkswagen, Daimler und Porsche die Gespräche führen. Opel und Ford sind gar nicht richtig eingebunden und auch die ganzen Ausländer nicht, sie dürfen zwar teilnehmen, sie spielen aber wie immer eine andere Rolle. Es wird dabei nichts herauskommen, und wir versuchen durch diese Vorveröffentlichung die Politik zu zwingen, sich endlich gegen das Durchregieren der Autokonzerne durchzusetzen.

Ich kann nur sagen, ich bin froh und stolz, dass in Stuttgart die Bewegung gegen Stuttgart 21 nicht irgendwann wieder untergegangen ist, dass man nicht aufgehört hat, sondern dass Sie als Bevölkerung oben bleiben und sich dafür einsetzen, dass insgesamt auch andere Missstände, die damit zusammenhängen, entsprechend gelöst und beseitigt werden. Und so komme ich jetzt zur Verhandlung, die wir am vergangenen Mittwoch in Stuttgart hatten.

Insgesamt klagt die Deutsche Umwelthilfe seit 2005 oder unterstützt seit 2005 Privatkläger. Seit 2011 haben wir uns das Klagerecht als Verband erstritten, so dass wir zusätzlich zur Unterstützung privat Betroffener auch selber in 16 Städten auf saubere Luft klagen. Auf etwas ganz Einfaches: Dass die Luftqualitätswerte des Jahres 2010, die doppelt so hoch sind wie die Weltgesundheitsorganisation eigentlich will, die doppelt so hoch sind wie in der Schweiz, die doppelt so hoch sind wie in den USA, dass wenigstens diese Werte eingehalten werden.

Und Stuttgart hat den traurigen Rekord, viermal so schmutzig zu sein wie die Weltgesundheitsorganisation allen Staaten empfiehlt. Aus diesem Grund spielt auch der Stuttgarter Prozess eine besondere Rolle in der bundesweiten Aufmerksamkeit. Die schmutzigste Stadt, die Stadt, wo Daimler, Porsche ihre Konzernzentralen haben und die sich auch für Audi mitverantwortlich fühlt und solche Fahrzeuge von der Landesregierung fahren lässt, vor allen Dingen mit Dieselmotor. In Stuttgart hat Richter Kern für letzten Mittwoch terminiert und uns hat man gefragt, mit wie vielen Leuten kommt die Deutsche Umwelthilfe. Ich habe dann geantwortet, ich bringe einen Experten mit und meinen Anwalt. Der Hintergrund war, die Stadt und das Land hatten 35 Verfahrensbeteiligte, die mit zur Verhandlung erschienen. Ich habe es jetzt nicht durchgezählt, aber größenordnungsmäßig kam das hin und wir haben auf unserer Seite dann auch ziemlich viel Platz gemacht, damit sie sich hinsetzen konnten. Und ich muss sagen, ich war sehr zufrieden mit dem Verlauf der Verhandlung. Der Senat, das war nicht nur Richter Kern, sondern die gesamten Richter hatten sich offensichtlich sehr gründlich vorbereitet und haben minutiös den Luftreinhalteplan der Landesregierung seziert und zerrissen.

Wenige Tage vor der Verhandlung, auf die wir uns vorbereitet hatten zu argumentieren, warum die angekündigten Fahrverbote intensiviert werden müssten, warum es nicht ausreichen würde, an Feinstaub­alarmtagen auch was gegen Stickstoffdioxid zu tun in den Straßen, kommt plötzlich die Landesregierung und exekutiert die Wünsche oder besser die Anweisungen aus Möhringen von Herrn Zetsche: es darf keine Fahrverbote geben. Und so wurde ganz plötzlich mit Ausweichverkehr und mit ganz komischen Argumenten gegen den eigenen Plan argumentiert, warum man ganz plötzlich festgestellt hat, dass die Fahrverbote sowieso nicht funktionieren würden und dass es viel besser wäre, der Industrie zu vertrauen, denn die habe in Gesprächen gesagt, dass sie Softwarelösungen machen möchte.

Jetzt hat Herr Kern nachgefragt, er hätte dazu ja einiges in der Zeitung gelesen, was denn die Vertreter der Landesregierung über diese Gespräche sagen könnten, welche Minderung bei welchen Fahrzeugen bis wann erreicht würden. Da stellt sich heraus, dass das Land – basierend allein auf der Tatsache, dass es Gespräche und diesen Wunsch, ich sag mal Anweisung gab – sich auf den Rücken fallen lässt und sagt, reicht uns aus, die sind bereit, mit uns Gespräche zu führen und irgendwas wird ja wohl gemacht werden. Aber nichts Konkretes. Vor dem Stuttgarter Landgericht hieß es dann nach fünf Stunden Dauer und nach Behandlung verschiedener Maßnahmen: was bleibt übrig? Und da hat der Richter gesagt, es bleibt nichts übrig!

Natürlich hat die Landesregierung das Recht, verschiedene Maßnahmen abzuwägen, und wenn es eine Maßnahme gibt, die wirkt, wie Fahrverbote, dann kann man die durchaus abwägen gegen andere Maßnahmen, die wirken, und sich dann überlegen, welche Vor- und Nachteile haben sie. Was aber nicht möglich wäre, so Richter Kern, ist, dass man gegen nichts abwägt. Also eine wirksame Maßnahme gegen Nichts.

Wir haben an vielen Stellen gar nicht mehr argumentieren können, weil besser hätten wir es nicht zusammenfassen können. Ein solches Debakel für die Landesregierung, ein größeres hätte ich mir nicht vorstellen können! Aber meinen Sie, dass das in der Folge dazu geführt hätte, dass man bereit wäre, mit uns als Klägern zu sprechen, dass man versucht hätte, Lösungen zu finden? Nein, diese Landesregierung, genauso wie die früheren, exekutieren weiterhin – so lange Sie es akzeptieren als Bürger – so lange exekutieren sie die Positionen von wenigen großen Konzernen. Es ist im Übrigen nicht nur die Automobilindustrie in Deutschland. Es sind die Autokonzerne, es ist die chemische Industrie, es sind die Banken und früher hätte ich noch die Energiewirtschaft hinzugezählt. Die ist schwächer geworden. Aber diese drei verbliebenen Komplexe regieren in der Politik durch. Sie zerstören damit die Demokratie und wir haben vielleicht jetzt eine kleine Chance, nachdem bekannt wurde, das diese Cosa Nostra in Deutschland sich in den letzten 20 Jahren in 60 Arbeitsgruppen der Mafia tausendmal getroffen hat, um darüber zu diskutieren, wie der Fortschritt verhindert und Geld eingespart werden kann. Gegen Innovation, gegen Wettbewerb. Wenn jetzt nicht durchgegriffen wird, habe ich wirklich wenig Hoffnung, dass es zu einem späteren Zeitpunkt gelingen kann.

Deswegen meine Bitte an Sie: Kommen Sie am Freitag zur Urteilsverkündung um 10:30 Uhr. Ich bin relativ zuversichtlich, dass wir sehr kluge Sätze des Verwaltungsgerichts Stuttgart auch zu der Art, wie sich die Landesregierung von der Automobilindustrie den Füller oder die Tastatur führen lässt, hören werden, aber wir werden vor allen Dingen auch Rezepte hören oder vielleicht nur ein Rezept zum Abschluss, das der Richter an die Landesregierung als Frage formulierte: Warum machen Sie es nicht so – und hier mit aufgreifendem Vorschlag der Deutschen Umwelthilfe: Fahrverbote, und nur die Fahrzeuge, die eine ehrliche Abgasnachbehandlung haben, die wirklich sauber sind, die bekommen dann eine Ausnahme. Ich verspreche Ihnen, in dem Moment, in dem Fahrverbote hier unabweisbar kommen, in diesem Moment oder am nächsten Tag wird die Automobilindustrie versprechen, alle Neufahrzeuge halten diese Exportqualität ein, die ja von BMW beispielsweise auch in die USA exportiert wird, und die Fahrzeuge, die eben früher verkauft wurden, werden nachbehandelt. Nicht freiwillig, sondern um die ganzen Klagen abzuwenden, und deswegen brauchen wir endlich einmal eine mutige Politik, die die Kraft hat, sich durchzusetzen.

Deswegen an Sie: oben bleiben!

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