Siegfried Bassler auf der 416. Montagsdemo

Rede von Siegfried Bassler, Pfarrer i. R., ehemaliger SPD-Stadtrat und Fraktionsvorsitzender, auf der 416. Montagsdemo am 14.5.2018

Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter!

Vorgestern, am 12.Mai, bin ich 85 Jahre alt geworden. Und damit vielleicht ein bisschen altersweise, kann sein, auch ein bisschen altersmild, aber keineswegs so altersschwach, dass ich mir nicht eine Alternative zu S21 vorstellen könnte.

Das meist gebrauchte Wort unserer ewigen Kanzlerin lautet ja „alternativlos“. Damit will sie sagen, wer etwas anderes denkt als sie und das auch noch laut und deutlich sagt, der ist nicht ernst zu nehmen, der ist einfach blöd. An diese Alternativlosigkeit, die sie ja auch für S21 fordert, glaube ich trotz meines biblischen Alters noch immer nicht.

Sie hat ja schon vor 8 Jahren, als Zehntausende gegen das Wahnsinnsprojekt auf die Straße gingen, behauptet, wenn S21 nicht mit allen Mitteln durchgeboxt werde, könne man in Deutschland nie wieder ein Großprojekt durchsetzen. Jetzt ist es soweit, dass sogar der neue Bahnchef zugeben muss, dass es sich nicht mehr lohnt, dass die vielbeschworene Rentabilität nicht mehr erreichbar, sondern bereits um mehr als zwei Milliarden Euro überschritten ist, und was noch dazu kommt, weiß kein Mensch, am wenigsten offenbar die Verantwortlichen, die uns dieses Kuckucksei ins Nest gelegt haben.

Die Haupttäter haben ja schon längst das Heil in der Flucht gesucht. Der Geldvergraber Grube, der sich seine Flucht vor der Verantwortung noch mit einer millionenschweren Abfindung versüßen ließ. Der ewig grinsende Kefer, an den uns die Natur in dieser Jahreszeit des Mistkäfers täglich erinnert. Und die Politiker, die sich ein Denkmal dauernder als Erz, nämlich aus Beton, errichten wollten. Mappus, Schuster, Nils Schmid: Wo sind sie geblieben? Heute sagen sie, die Hände in Unschuld waschend: Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir das heiße Eisen gar nicht erst angefasst.

Wie kann man denn die zahllosen Risiken und Gefahren übersehen, wenn man zuvor behauptet hat, das bestgeplante und solidest finanzierte Großprojekt aller Zeiten auf die Beine gestellt zu haben? Und dann ist man plötzlich total überrascht, dass das Bad in Untertürkheim auf Pfeilern und damit dem Tunnel im Wege steht.

Mit dieser Lüge sind sie dann in die Volksabstimmung gezogen; haben die tumben Wähler getäuscht und prompt gewonnen. Das ist der Käs, den Kretschmann gegessen hat, ohne zu merken, dass er gewaltig stinkt und voller Maden ist.

Ich rede heute hier zum fünften Mal – angefangen hat es im August 2010 – und stelle fest, dass wir Gegner dieses Unsinnsprojekts schon vor über 400 Montagen vorausgesagt haben, was dann auch immer pünktlich eingetroffen ist und jeden Tag aufs Neue bestätigt wird. Wir haben die ganze Serie von Pleiten, Pech und Pannen vorausgesehen und vorausgesagt. Unser Widerstand hat durchaus eine prophetische Note.

Es ist ein bisschen so wie bei den Propheten des Alten Testaments, die damals den jeweiligen Machthabern warnend zugerufen haben: Wenn ihr das tut, was ihr vorhabt, um groß rauszukommen, wenn ihr Koalitionen schmiedet, um euch zu bereichern, wenn ihr keine Rücksicht auf die Armen und Schwachen nehmt, wird es schlimm ausgehen mit euch, und es ist so gekommen wie wir bei Amos, Jesaia und Jeremia lesen können.

  1. Wir haben gesagt, es wird teurer, viel teurer als ihr uns weis zu machen versucht habt, und es ist teurer geworden, bis jetzt viermal so teuer wie diese Rechenkünstler es veranschlagt haben und das bittere Ende ist noch gar nicht abzusehen.
  2. Wir haben gesagt, es wird später fertig, viel später als ihr uns versprochen habt und das Unding ist jetzt schon vier Jahre im Verzug, wahrscheinlich wird Pofalla es seiner Förderin Merkel zum 80. Geburtstag dedizieren.
    Auch ich persönlich bin enttäuscht worden, habe ich doch dem Tag der Einweihung seit Jahren entgegengefiebert und nun soll dieser große Tag in frühestens sieben Jahren kommen. Nach menschlichem Ermessen werde ich diesen größten Tag unserer Stadt gar nicht mehr erleben. Deshalb müsste ich diese Kerle eigentlich verklagen, weil sie mich um den schönsten Tag meines Lebens so schmählich betrogen haben.
  3. Wir haben gesagt, das Milliardenmonster bringt keine Beschleunigung im Verkehrsablauf. Es wird nicht schneller und nicht bequemer werden als es heute geht. Auch dies werden uns die Großmäuler noch beweisen.

Was wir vorausgesagt haben, ist alles eingetroffen, nicht weil wir besondere Fähigkeiten hätten, in die Zukunft zu blicken, nicht weil wir mittels Glaskugeln, Pendel oder Kaffeesatzlesen sehen könnten, was morgen sein wird. Nein, der Prophet ist nicht ein Zukunftsspicker, sondern ein Mensch, der die Vergangenheit kennt, der sich mit der Geschichte auseinandergesetzt hat und deshalb weiß, was aus falschen Entscheidungen folgen kann, ja folgen muss.

Ich will Euch ein Beispiel eines solchen prophetisch begabten Mannes nennen, der das Unheil kommen sah und es aufgrund seiner Geschichtskenntnis vorausgesagt hat: Kurt Schumacher war in den zwanziger und anfangs der dreißiger Jahre Kreisvorsitzender der Stuttgarter SPD, als die noch eine Macht war in der Stadt, Im Wahlkampf 1932 ließ er seine Genossen plakatieren: Hitler wählen bedeutet Krieg! Die Mehrheit der Deutschen hat den Verbrecher trotzdem gewählt und sechs Jahre später war der Krieg vom Zaun gebrochen, der Stuttgart in Schutt und Asche gelegt und Millionen Menschen das Leben gekostet hat.

Was wir daraus lernen können: wer etwas über die Zukunft sagen will, der muss die Vergangenheit kennen. In diesen Tagen wird oft behauptet, Karl Marx sei ein Prophet gewesen, da ist ja auch etwas daran. Er kannte die deutsche Geschichte, nicht nur die der Generäle und ihrer Schlachten, sondern vor allem die Geschichte der Arbeiter und ihres Elends und er hat gesehen, was kommen wird.

Was tun wir nun damit, dass wir in allem recht gehabt haben, was S21 betrifft? Sollen wir mit stolzgeschwellter Brust durch die Stadt laufen und verkündigen: wir haben´s ja immer schon gesagt? Nein, es macht uns nicht zu besseren Menschen und wir haben fürwahr auch keine materiellen Vorteile davon. Im Gegenteil, wir werden nach wie vor als die eigentlichen Schuldigen an der Misere bezeichnet und behandelt. Denn in unserer Gesellschaft wird nicht der Schurke angeklagt und bestraft, sondern der, der die Schurkereien aufdeckt. Wir sind und bleiben wohl auch eine Minderheit, die von den staatstragenden und auch von den Gerichten als unerwünschte Spielverderber betrachtet werden.

Ich selbst habe das so erfahren: Vor der letzten Gemeinderatswahl habe ich meinen Genossen gesagt, ihr habt wegen eurer unkritischen Einstellung zu S21 so viele Wähler verloren, so viele Sitze eingebüßt. Es wäre, glaube ich, gut, wenn ihr auch ein paar zu S21 kritisch eingestellte Leute auf die Liste der SPD setzen würdet. So könntet ihr vielleicht einen Teil der Verluste wieder wettmachen. Ich wäre bereit, auf dem 60. – dem letzten Platz – zu kandidieren. Von da aus bin ich nämlich schon einmal in den Gemeinderat gewählt worden.

Da hat die Vorsitzende meines Ortsvereins Süd sich aber gewaltig aufgeregt und gegiftet: „Das kommt überhaupt nicht in Frage, wenn du gewählt werden solltest, würdest du im Gemeinderat Tag und Nacht nur von S21 reden“. Ich sagte, das wäre zwar keine Schande, aber ich würde auch darüber reden, dass Schmid und Schmiedel, die Obergenossen im Verwaltungsrat der LBBW für den Verkauf von Tausenden von Sozialwohnungen an die Heuschrecke Patrizia gestimmt haben, um anschließend laut aufzuheulen, dass es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gäbe. Eine größere Dummheit und Heuchelei hat es wohl noch selten gegeben. Das war ein infamer Verrat an allen Grundsätzen der Arbeiterbewegung.

Um ein Zeichen zu setzen, dass es auch SPD-Mitglieder gibt, die gegen S21 sind, habe ich dann auf der Liste der Linken kandidiert, die tapfer bei ihrem Nein zu S21 geblieben sind, auch auf Platz 60 und bin immerhin auf den 10. Platz vorgewählt worden.

Daraufhin haben mich die Genossen von der SPD nach 55 Jahren Mitgliedschaft aus der Partei ausgeschlossen. Ich wollte ein förmliches Ausschlussverfahren, damit ich meine Gründe öffentlich darlegen kann, das haben sie aber nicht gewagt, um alles Aufsehen zu vermeiden, und behauptet, ich habe mich selbst ausgeschlossen. Die Strafe folgte auf den Fuß: jetzt hat die SPD noch 9 Sitze im Gemeinderat, als ich Fraktionsvorsitzender war, sind es 27 gewesen.

Ich komme zum Schluss: Die Politiker, die sich besonders stark für S21 eingesetzt haben, sind alle besonders stark geehrt worden. Nach Rommel wurde der Flughafen in Echterdingen benannt, Schuster wurde zum Professor ernannt – in den drei Jahren, die ich unter seiner Ägide im Gemeinderat war, sind mir seine besonderen intellektuellen Fähigkeiten eigentlich nicht aufgefallen. Kretschmanns Ehrung steht noch aus. Ich schlage vor, nach dem Airport Manfred Rommel nun den künftigen Bahnhof „Main Station Winfried Kretschman“ zu nennen, damit sein bedeutender Beitrag zu diesem Jahrhundertwerk nicht in Vergessenheit gerate. Sein Verhalten hat ja gezeigt, dass man auch durch Schweigen einer schlechten Sache zustimmen kann.

Lasst mich schließen mit einem prophetischen Gedicht von Sebastian Blau, dem knitzen schwäbischen Dichter:

Des muetwillig Rössle em Stuegerter Wappa
des brengt de vo ganz alloi uf da Trappe
Morom mr sich z´Stuagert so ogeniert
ond so oft em Rothaus vrgalloppiert.

Mir Propheta bleibet oba!

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