Was der Feudalismus mit der IHK Region Stuttgart zu tun hat und mit Stuttgart 21

Rede von Jürgen Klaffke, Kaktus-Gruppe der IHK Stuttgart, auf der 425. Montagsdemo am 23.7.2018

Danke, dass ich heute wiederum zu Euch sprechen darf!

(Wem das „Euch“ zu persönlich ist, ersetze es bitte durch Sie oder Entsprechendes, bei dieser Regelung redet es sich dann leichter. Und noch ein Hinweis: Es gilt das geschriebene Wort – falls wiederum mal jemand glaubt, etwas missverstehen zu müssen!)

Nun zum Thema: Feudalismus! Ihr werdet fragen: Ist das nicht etwas, was ins Mittelalter gehört? Da war doch was mit Lehen und Vasallen und hörigen Bauern? Genau! Und jetzt mag manch einer oder eine von Euch denken: Soll das ein Geschichtsseminar werden? Nein, denn das kurze Verweilen bei diesem Thema bringt interessante Erkenntnisse über die, die meinen, ihnen gehöre die Welt.

Denn in der Vergangenheit war genau das das Gebaren im Feudalismus: Ein Landesherr verleiht bzw. überlässt seinen Gefolgsleuten Teile seines Landes zur Bewirtschaftung, damit sie gut versorgt sind, wenn es denn in den Krieg geht. Dass zur Überlassung des Landes auch die dort ansässige Bevölkerung gehörte, störte weder die Landesherren samt Gefolgsleuten noch die Kirche.

Und es klingt in diesem Zusammenhang vollkommen logisch, dass diese Menschen (nämlich die Bauern) das Land, das sie bestellten, nicht verlassen durften – sie waren Bestandteil des Eigentums der Herren und mussten zudem Frondienste und Abgaben leisten.

Eine Ordnung, die als gottgegeben angesehen wurde, schließlich ging diese Besitzkette bis zum König, und der war letztendlich auch nur Vasall – der Vasall Gottes. Irgendwie ganz praktisch für die Herren, denn damit war festgezurrt: einmal Herr – immer Herr, und einmal Bauer – immer Bauer, ein undurchlässiges System mit Gottes Segen.

Glücklicherweise hat sich dann die Sache anders weiterentwickelt, ob allerdings zur Zufriedenheit aller, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Da ist doch der Kapitalismus wesentlich angenehmer, schließlich gehört doch auch die soziale Marktwirtschaft mit vielen sozialen Errungenschaften dazu – aber ist das denn noch die Realität? Erleben wir nicht schon in den letzten Jahren eine vollkommen andere Entwicklung?

Spätestens seit der Finanzkrise Anfang unseres Jahrhunderts wird deutlich, was gerade passiert: nichts von sozialer Marktwirtschaft, stattdessen Finanzgeschäfte, die, wenn sie schieflaufen, von den Steuerzahlern übernommen werden müssen.

Finanzgeschäfte, die sich wie folgt gestalten: 1970 wurden an den Finanzmärkten täglich 100 Milliarden Dollar gehandelt, 1980 waren es schon 590 Milliarden Dollar, und in der Gegenwart mehr als 4.000 Milliarden an jedem Tag (vgl. Thomas Fricke, zitiert in Harald Welzer „Die Smarte Diktatur“,
S. 179). Und bei den Finanzderivaten wird es geradezu absurd: Pro Sekunde (!) wird fast 1 Milliarde Dollar hin- und hergeschoben, das macht am Tag 56mal so viel wie die Wirtschaftsleistung aller Industrieländer in einem Jahr (ebd. S. 180)!

Hier entstehen (Handels-)Mächte, die sich alles erlauben können: sich Ressourcen auf Kosten ganzer Länder aneignen, Steuern umgehen, Umweltauflagen missachten, Arbeitsschutzgesetze ignorieren.

Ich gebe Euch ein paar Beispiele: Die Griechenlandkrise, hervorragend von Wolfgang Schorlau in seinem letzten Roman „Der große Plan“ beschrieben, Mark Zuckerberg vor dem europäischen Parlament, Amazon und seine Beschäftigten und die Arbeitsbedingungen in vielen Ländern dieser Welt. Von den vom Zaun gebrochenen Kriegen ganz zu schweigen.

Und da wird es deutlich: es gibt ein Unten und ein Oben, eine herrschende Klasse und die da unten ohne jede Chance, nach oben zu kommen. So wie im Feudalismus: quasi gottgegebene Verhältnisse, deren Chancen abhängig sind von der Klasse, in die man hineingeboren wird. Und die immer weiter auseinanderdriften.

Und zu erwähnen sind die Medien, die willfährig vom sogenannten Fortschritt berichten, die Politiker, die einknicken, aus welchen Gründen auch immer.

Also alles verloren, alles hoffnungslos? Nein! Denn noch können wir sie stören, noch können wir um und für unsere Rechte und Vorstellungen kämpfen. Nehmen wir als Beispiel die IHK Stuttgart. Da passiert ständig etwas und die Kaktus-Initiative ist mittendrin. Das nervt die alte Garde der Wirtschaft so, dass sie im Frühjahr dieses Jahres eine Initiative gestartet haben, die „Initiative pro Wirtschaft Stuttgart“. Ich zitiere verkürzt aus der Pressemeldung der Initiative vom 18. April 2018: „Bislang konnten die IHK und die rund 6.000... ehrenamtlich Engagierten die Aufgaben der Kammer mit Leben füllen. Doch seit 2012, und insbesondere seit der vergangenen IHK-Wahl im Juli 2016, wird das zunehmend schwierig. 2012 zog eine mehr als 20- und 2016 mehr als 30- köpfige Gruppe von IHK-Kritikern in die Vollversammlung ein... Tatsächlich führen ihre Aktionen... zur Blockade sowohl des täglichen Geschäfts, als auch der Vollversammlung... Diese Haltung führt dazu, dass bisher... ein Dialog nicht möglich ist...“ und so weiter und so fort.

Die Damen und Herren fühlen sich also gestört. Denn unter Dialog verstehen sie ja nur die Gespräche unter Gleichgesinnten. Und diese Kaktus-Initiative gehört ja nicht dazu – wobei sie in diesem Punkt recht haben: ich möchte nicht zu dieser Clique gehören, würde aber mich gerne mit ihnen austauschen, was aber, wie gesagt, nicht möglich erscheint. Und deshalb muss die Auseinandersetzung aus der IHK rausgetragen werden. So tritt jetzt die „Initiative pro Wirtschaft“ auf den Plan, eine Art Förderverein der IHK. Doch wer sind die Leute dieser Initiative?

Als c/o fungieren Heinrich Baumann und Nicole Porsch. Beide sind Mitglied des Präsidiums der IHK Stuttgart. Richtig: die Familie Baumann fand schon einmal Erwähnung auf einer Montagsdemo, als nämlich am 23.10.2017 der Schwabenstreich vor der IHK aus Anlass der Merkur- Verleihung stattfand. Und neben anderen weitere Gründungsmitglieder sind dabei: Michael Glowatzki, Fima Mahle – Thomas Keller, Deutsche Bank – Christoph Kübel, Bosch – Wolf Martin, Bankhaus Gebr. Martin – Claus Paal, MdL – Dr. Susanne Pauser, Wüstenrot – Wilfried Porth, Daimler – Thomas Schäberle, LSU Schäberle Logistik – Ullrich Villinger, Zeitungsverlag Waiblingen.

Die eben Genannten haben mindestens eins gemeinsam: sie sind alle ordentliche oder stellvertretende Mitglieder des Präsidiums der IHK Region Stuttgart! Was müssen diese Damen und Herren verzweifelt sein! Hilflos im Präsidium sitzend dem Treiben der Kaktus-Initiative zusehen zu müssen! Das kann doch nicht wahr sein!

Aber: sie hätten ja alle Möglichkeiten, mit uns in den Dialog zu treten! Ich sage noch einmal: das wollen sie nicht. Wer nicht ihres Geistes, gehört nicht dazu. Da fühlen sie sich ganz unter ihresgleichen, kleine Unternehmen mit demokratischen Ansprüchen stören da nur. Da ist er wieder, der feudale Gedanke: eine festgefügte Ordnung, die erhalten bleiben muss!

Das wurde uns auch schon gesagt – in kleinen Gesprächen am Rande von Veranstaltungen: bei Ihnen sind ja viele, die sind ja gar keine richtigen Unternehmer – zu kleine Betriebe, nicht genügend Umsatz. Man merkt diesen IHK-Vertretern schon von weitem an, dass sie sich von uns gestört fühlen.

Und was nervt diese Damen und Herren so? Zum Beispiel das Verlangen nach Transparenz in Haushaltsdingen, Diskussionen über die Höhe von Rücklagen und dass da auch noch geklagt wird! (Sind das nicht Nestbeschmutzer?) Aber was sie richtig nervt, das sind die Minderheitenmeinungen. Das Bundesverfassungsgericht hatte zwar mit Beschluss vom 12. Juli 2017 die Zwangsmitgliedschaft bestätigt, gleichzeitig aber festgestellt, dass abweichende Meinungen (Minderheitenvotum) von der IHK dargestellt werden müssen.

Und das macht den Altvorderen keinen Spaß: den Ausbau des Straßennetzes, den Bau von mehr Autobahnzubringern – das können sie fordern, müssen aber mitteilen, dass es Unternehmer gibt, die das anders sehen. Kann die IHK Fahrverbote wegen Feinstaub ablehnen? Nur wenn sie mitteilen, dass das nicht alle Unternehmer so sehen. Das ist schon bitter, nicht mehr unter sich zu sein. Unter Beobachtung zu stehen und dann noch von Leuten, denen man eigentlich ihrer Firmengröße wegen abspricht, mitreden zu dürfen. Da hilft nur eins: mit allen Mitteln (und hinter der Initiative steckt viel Geld) die Kaktus-Initiative aus der IHK zu drängen, spätestens bei der nächsten Wahl. Wir sehen das natürlich anders, vollkommen anders. Und so agieren wir weiter.

Und damit sind wir bei Stuttgart 21. Es ist schon mehrfach festgestellt worden: Die Befürworter machen noch nicht einmal den Ansatz von Bemühung, Argumente für S21 zu liefern, sie reden einfach so dahin, versuchen schön zu reden, was nicht schön ist, stellen Gefahren als nicht gegeben dar, leugnen alles, am besten auch noch sich selbst.

Da ist er wieder, der feudale Dünkel: Uns kann keiner. Gesetze einhalten? Dann schaffen wir eben neue. Kostenexplosion? Zahlen wir ja nicht selber! Gegenargumente: bitteschön, aber von wem denn! Wir haben die Wahrheit gepachtet, das popelige Volk soll schön stillhalten. Wir definieren, was gut und schön ist und das ist in der Regel das, was Profit bringt. Und zwar den Profit für uns.

Es ist diese Arroganz der Macht, dieses feudale Selbstverständnis, das sie an den Tag legen, und das längst den Rahmen kapitalistischer Verhältnisse gesprengt hat. Aber anders als die, die meinen, irgendwie sei das auch heute noch gottgegeben, bleiben wir aufrecht und streben nach Transparenz und Gerechtigkeit.

Denn ein Bahnhof wie S 21 kann nicht gerecht sein, denn er beeinträchtigt, ja gefährdet die Nutzer, wenn S21 denn – wann auch immer – in Betrieb gehen würde. Er nützt nur dem Profit einiger weniger – und die meisten von ihnen sind uns bestens bekannt. Und dieser Profit verhindert, das was dringend notwendig ist: mehr Bildung, kostenfreie Kitas, bezahlbare Gesundheitsfürsorge, menschliche Flüchtlingspolitik – die Reihe ist noch viel, viel länger. Und das zeigt, welchen Schaden die Profitgier anrichtet. Deswegen ist sie nicht gerecht und nicht zu rechtfertigen.

Und ich bin mir sicher: wenn diese Damen und Herren könnten, würden sie jeden Kritiker ihres Handels aus dem Verkehr ziehen und dies würde ihnen keine Probleme bereiten. So wie die Lehnsherren im Feudalismus selbstverständlich die Bauern als Teil ihres Besitzes sahen, mit denen sie verfahren konnten, wie es ihnen gefiel.

Wenn wir also oben bleiben, wenn wir unermüdlich weitermachen, dann verteidigen wir nicht nur den vernünftigen Kopfbahnhof, sondern auch demokratische Gesellschaftsstrukturen und letztendlich unser und unserer Kinder Wohlergehen.

Bleiben wir also oben!

Vielen Dank!

Rede von Jürgen Klaffke als pdf-Datei

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