Ein weiteres unnützes Großprojekt

Rede von Harry Stürmer, Bürgerbewegung Satorralaia aus Donostia-San Sebastian, auf der 461. Montagsdemo am 15.4.2019

Hallo,

ich komme aus dem Baskenland, konkret aus der kleinen Stadt Donostia-San Sebastián, 180.000 Einwohner, an einer schönen Bucht am Atlantischen Ozean gelegen. Ich freue mich sehr, heute endlich mal in Stuttgart zu sein, um an einer eurer berühmten Montagsdemos teilnehmen zu können.

Vor drei Jahren haben uns Maggie, Elsbeth und Pierre schwer beeindruckt, als sie auf einer Veranstaltung bei uns in Donostia in der Zentralbibliothek Koldo Mitxelena über Stuttgart 21 und den langjährigen Widerstand dagegen berichtet haben. Ich soll euch allen übrigens viele liebe und solidarische Grüße von den Mitgliedern unserer Gruppe Satorralaia ausrichten.

Der Name Satorralaia ist baskisch und bedeutet soviel wie fröhlicher oder munterer Maulwurf.

Der Name bezieht sich auf unser Nahverkehrssystem, das eigentlich momentan (noch) ziemlich gut funktioniert – eine Verbesserung könnte leicht durch eine bessere Bus-Bahn Koordination erreicht werden, sowie durch den Ausbau der Zweigleisigkeit auf den eingleisigen Streckenabschnitten bei der Bahn.

Das öffentliche Verkehrssystem besteht aus zwei Teilen: regionale sowie innerstädtische Busse, deren Flotte in den letzten Jahren kontinuierlich erneuert wurde – mit Hybrid-Fahrzeugen und seit zwei Jahren auch mit mehreren 100 % elektrischen Bussen, die in der baskischen Firma Irizar hergestellt werden. Der andere Bestandteil ist ein Regionalzug, eine Art S-Bahn der baskischen Gesellschaft Euskotren. Diese S-Bahn hat zwei Linien: einmal den Küstenzug von Donostia nach Bilbao, und zum zweiten eine Verbindung vom französischen Grenzort Hendaye über Donostia bis zu dem industriellen Ort Lasarte im Westen von Donostia.

Aufgrund der natürlichen Beschaffenheit durchfährt dieser Zug viele Tunnel und wird deshalb im spanischen Volksmund Topo (Maulwurf) genannt. Beide Linien treffen sich im Kopfbahnhof Amara, der ca. 400 Meter vom Einkaufszentrum und 500 Meter vom Strand entfernt ist. Der Topo (aus Richtung Hendaye) hat im Bahnhof einen Aufenthalt von 7 Minuten. Der Fahrer wechselt in der Zeit in den hinteren Teil des Zuges, wo sich ein zweiter Steuerstand befindet, und fährt 1,5 km weiter zur nächsten Station Lugaritz in Richtung Lasarte.

Die Idee, eine U-Bahn, eine unterirdische Metro durch das Stadtzentrum von Donostia zu bauen, wurde zuerst von der sozialistischen Partei PSE propagiert, als sie von 2009 – 2012 mit Unterstützung der rechten PP die baskische Regierung stellte. Im Rathaus von Donostia und in der Provinz Gipuzkoa regierte zu der Zeit allerdings ein – nach vielen Jahren der Illegalisierung durch den spanischen Sondergerichtshof Audiencia Nacional erstmals wieder zu den Wahlen zugelassenes – linksbaskisches Wahlbündnis (EH Bildu), das sich strikt gegen das Metroprojekt aussprach. Wie übrigens auch die konservativ-baskische Partei PNV, die von einem „pharaonischen Projekt“ sprach, das man nicht ohne Beteiligung der Bürger durchsetzen könne.

Die PSE ließ dann von einer Realisierung ab, machte aber im letzten Amtsjahr noch schnell 1,5 Millionen Euro locker, um an allen Bahnhöfen die Beschilderung von Euskotren in Metro Donostialdea (Metro im Gebiet von Donostia) zu wechseln. Außer den Parteimitgliedern der PSE konnte man zu dem Zeitpunkt in ganz Donostia allerdings niemanden finden, der ernsthaft an eine Realisierung des Projekts geglaubt hätte.

2015 änderte sich dann die Situation, als bei den Kommunal- und Provinzwahlen die PNV als Sieger hervorging und in Koalition mit der PSE sowohl im Rathaus von Donostia als auch in der Provinz die Regierung stellte. (Im baskischen Parlament waren beide Parteien vorher schon eine Regierungskoalition eingegangen.) Zwei Wochen nach der Kommunalwahl wurde dann im offiziellen Baskischen Regierungsbulletin das Projekt einer „pasante de metro de Donostia“ (Metro-Erweiterung durch Donostia) mit einer Einspruchsfrist von 30 Tagen veröffentlicht. Im Juni 2015 war die Geburtsstunde von Satorralaia. Trotz Sommerpause konnten wir bewirken, dass weit über 400 Einsprüche bei der Regierung eingingen, die – oh Wunder! – allesamt abgelehnt wurden.

Das Metroprojekt besteht im Wesentlichen darin, dass der zentrale Kopfbahnhof unter die Erde und 100 Meter zurückverlegt werden soll (wobei – nebenbei gesagt – 20.000 m2 Bauland auf dem jetzigen Gleisgelände frei werden). Die Linie des Topo soll dann unterirdisch auf 30 Meter Tiefe abtauchen und vom Tiefbahnhof heraus bis zu einer neuen Station, dem Schmuckstück Centro-Concha (Zentrum-Strand) weiterfahren. Dieser Bahnhof bekommt einen direkten Zugang zum Strand, einen zweiten Ausgang genau bis vor das fünfstöckige neue Kaufhaus von Zara und dem von la FNAC, sowie einen dritten zu einer gerade radikalsanierten Straße, wo gleichzeitig ein neues unterirdisches Einkaufszentrum entstehen soll. In einer Linkskurve geht’s dann weiter nach unten unter dem Strand entlang (300 m lang in einer Tiefe von 30 – 40 Meter). Nach zwei Kilometer kommt dann ein neuer Bahnhof – angeblich für die Studenten und Studentinnen gedacht, obwohl sie dann je nach Fakultät noch 400 – 700 m zu Fuß zurücklegen müssen. Danach geht’s weiter wie bisher zur Station Lugaritz (die im übrigen auch rund 500 – 800 m von der Uni entfernt ist). Statt der 1,5 km zwischen dem Kopfbahnhof Amara – Lugaritz erreicht die Metro diesen Bahnhof jetzt nach 4,2 km tief unter der Erde.

Für diese 4,2 km Metro-Tunnel sind im baskischen Haushalt ca. 200 Millionen Euro veranschlagt – eine Summe, die sich nach den Berechnungen und Schätzungen von Hans Heydemann aus eurer Ingenieursgruppe sicherlich verdrei- oder sogar vervierfachen wird. (An dieser Stelle nochmals vielen Dank an Hans von uns allen aus Donostia!)

Nach einer Viabilitätsstudie der baskischen Regierung, die im Zusammenhang mit dem Metroprojekt durchgeführt wurde, schätzt man bei Inbetriebnahme der Metro einen Rückgang der Fahrgäste innerhalb der Stadt um 21 % – mittel- bis langfristig wird die städtische Busgesellschaft deshalb einige Buslinien zu Gunsten der Metro einstellen müssen, z.B. die Linien, die die Studenten und Studentinnen heute direkt vor der Tür ihrer Fakultät absetzen. Im regionalen Busverkehr wird mit einem Rückgang um 29 % gerechnet und beim privaten Autoverkehr mit einer Reduzierung um 1,5 %.

Kurzum ein völlig absurdes Projekt, das außer dem Profit für die Bauunternehmer niemandem Nutzen bringt! Das war auch die mehrheitliche Meinung der Bevölkerung, die wir bei unseren Aktionen und unserer Öffentlichkeitsarbeit angetroffen haben. Ein absurdes und unnützes Projektvorhaben, wobei die Mehrheit davon überzeugt war, dass es schon allein aus Finanzgründen niemals realisiert werden würde.

2017 hat das Rathaus eine Umfrage über die verschiedenen „strategischen Projekte“ in unserer Region durchgeführt: Die Metro ist dabei mit 3,5 Punkten auf einer Werteskala bis 10 glatt durchgefallen.

Trotzdem – und trotz allen unseren Anstrengungen (Demos, Veranstaltungen, Straßentheater und
‑feste, Infostände, Flugblätter noch und nöcher, Sammlung von 9.000 Unterschriften für ein Referendum, Pressekonferenzen – wobei wir Widerhall in der Regel nur in kleinen baskischsprachigen Medien finden, Verwaltungsklage – die wir verloren haben, Stadtteilversammlungen etc.) haben dann Ende 2017 an zwei Stellen gleichzeitig die Bauarbeiten begonnen.

Die Teilnehmerzahl an unseren Demos ist seitdem stetig zurückgegangen, obwohl die Mehrzahl der Bevölkerung trotz aller Propaganda der Regierungsmedien und massiven kostspieligen Werbekampagnen in Radio und auf Plakaten nach wie vor von der Unsinnigkeit einer Metro in Donostia überzeugt ist.

Daran hat auch der letzte Versuch der Manipulierung von Seiten der baskischen Regierung nichts geändert. Im Bewusstsein, dass die Metro in Donostia allgemein als negativ gesehen wird, sind die Regierungsvertreter im letzten Jahr plötzlich dazu übergegangen, den Begriff Metro nicht mehr zu verwenden (auch wenn den regierungstreuen Journalisten da noch häufig Fehler unterlaufen) und stattdessen von der „pasante del Topo durch Donostia“ zu sprechen. Gleichzeitig haben sie begonnen, die Beschilderung „Metro Donostialdea“ erneut auszuwechseln und nur noch den Namen des Bahnhofs auf die Schilder zu schreiben.

Wie viele Millionen diese Aktion gekostet hat, wissen wir nicht. Und auch nicht, wie sich später die Fahrgäste im Falle eines Notfalls, eines Brandes z.B., retten sollen. Wir haben zwei Jahre gebraucht, um – mit Hilfe von Oppositionsparteien – an die Baupläne zu gelangen. Uns selbst kam das dort vorgefundene Material zum Thema Notausgänge spanisch vor, sodass wir eine ausführliche Eingabe bei der baskischen Regierung gemacht haben. Als Antwort bekamen wir einen lapidaren Satz zurück: Es gäbe keinerlei Unkorrektheiten, und die Arbeiten würden sich nach der US-Norm NFPA 130 richten, die zu 100 % erfüllt würde.

Wir haben eurem Experten Hans Heydemann, der ein wahres Beispiel von internationaler Solidarität ist, dann die Pläne zur Begutachtung zugeschickt. Ihm werden dabei die Haare zu Berge gestanden haben. Die Fahrgäste sollen nämlich über eine 400-stufige Treppe 500 Meter und einen Höhenunterschied von 68 Meter überwinden, um zum Notausgang zu gelangen. Wir werden versuchen, die Informationen von Hans zu diesem Thema möglichst breit an die baskische Öffentlichkeit zu bringen und evtl. eine Verwaltungsklage anzustrengen.

Ansonsten sind wir derweil vor allem mit der Beratung von Anwohnern und Anwohnerinnen beschäftigt, die aufgrund der nächtlichen Tunnelarbeiten monatelang keinen Schlaf finden, oder in deren Wohnungen, die sich im Zentrum in über hundert Jahre alten Häusern befinden, erste Risse an den Wänden entstanden sind.

Und wir nehmen uns ein Beispiel an euch und werden nicht aufgeben:

Metroari stop! Oben bleiben!

Rede von Harry Stürmer als pdf-Datei

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