10 Jahre Widerstand gegen Stuttgart 21

Rede von Edith Müller, Parkschützerin, auf der 487. Montagsdemo am 28.10.2019

Mein Widerstand gegen Willkür in Wirtschafts- und Staatsmacht begann im Juli 2001, als in Genua eine friedliche Demonstration gegen den G8-Gipfel brutal niedergeschlagen wurde. Ich informierte mich über attac und erfuhr so auch sehr schnell von den Vorbereitungen zum Umbau unseres Kopfbahnhofes. Als dann das Bürgerbegehren mit 67.000 Unterschriften gegen das Projekt S2l von unserer Stadtverwaltung mit dem Hinweis – es sei schon alles vereinbart – abgewiesen wurde, entschloss ich mich, für unseren Kopfbahnhof zu kämpfen.

An meinem 3. Demotag gegen das Projekt S21 vor dem Nordeingang des noch intakten Bahnhofs hatte die Polizei wohl genug von unserem demokratischen Recht des Demonstrierens und wollte auch unbedingt meine Personalien erfahren, die ich – meinungsstabil wie ein Esel – nicht herausgeben wollte. Daraufhin schleppten mich zwei Beamte – da ich nicht sehr groß bin – die Treppe zur Wache hinunter. Mein kurz vorher gebrochener Arm schmerzte bei der Aktion so sehr und meine Einwände halfen nichts und so versuchte ich, dem Beamten in die Hand zu beißen – als ich bemerkte, das dieser einen dicken Lederhandschuh trug.

In der Wache schlotterten mir die Knie bei der Erkenntnis meiner Ohnmacht und meiner Wut und nur die Rufe meiner Demo-Freunde vor der Wache gaben mir Sicherheit.

Tage nach meiner Inhaftierung erhielt ich ein Schreiben der Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren eingestellt würde, sollte ich versprechen, solche Straftat nicht mehr zu begehen, was ich natürlich nicht versprechen konnte.

Genau so naiv wie am ersten Demotag verliefen für mich die nun folgenden 10 Jahre. Ich stellte fest, das alle belegbaren Argumente gegen den unzulänglichen Brandschutz, das sicher auftretende Quellen des Anhydritgesteins in den Tunneln, des erhöhten Energieverbrauchs durch Ein- und Ausfahrt der Züge in den Tiefbahnhof, das Fehlen der Frischluftschneise für die Stadt durch die zu erwartende Bebauung usw. usw. – wir kennen ja alle die Unzulänglichkeiten des Immobilienprojekts – nichts brachten. Ich musste feststellen, dass gegen eine mächtige Wirtschaftsmacht und die von dort gut bezahlten Lobbyisten mit Unterstützung durch die Berliner Regierung selbst unsere Architekten, Rechtsanwälte und unsere jahrelangen Demos nichts ausrichten konnten. Und doch bleibe ich dabei.

Der Bahnhof könnte kostengünstig und mit all unseren Ideen zu ,,Umstieg jetzt“ wieder aufgebaut werden. Er würde seinen Energieverbrauch selbst erwirtschaften, die bereits fertiggestellten Tunnel könnten als Busbahnhof und Parkplätze mitten in der Stadt genutzt werden und unsere Gruppe – die Parkschützer – würden sicher dafür Sorge tragen, dass der Park – wenn auch mit kleinen Bäumen – wieder den Anwohnern zur Verfügung steht.

Und warum sollte die DB diesen Bahnhof wirklich fertig stellen können, wo doch alle anderen Projekte dieses Unternehmens, z.B. der Bahntunnel bei Rastatt, die Bahnuntertunnelung in Hessen und auch hier in Stuttgart schon jetzt das Eindringen von viel Wasser in einen Tunnel das Gegenteil beweisen.

Ich bin gerne bei den Parkschützern und möchte einmal erwähnen, dass unser toller Haufen immer ohne eine sogenannte Führung ausgekommen ist. Jeder konnte mehr oder weniger mitarbeiten und seine Ideen einbringen. Wenn es zu Schwierigkeiten bei der Organisation, mit der Stadt oder der Polizei kam, war Carola immer für uns da, Sabine hat jahrelang für die Strukturierung der noch immer bestehenden Mahnwache gesorgt und Frau Welz hat über all die Jahre durch das stetige Sammeln mit ihren zwei Sammelbüchsen auf den Montagsdemos für unsere finanzielle Absicherung gesorgt.

Ich wünsche mir, dass ich in 5 Jahren – vielleicht mit Gehhilfe – behindertengerecht im wieder neu aufgebauten Kopfbahnhof meinen Zug erreiche, mein Rollköfferchen nicht ins Gleisbett verschwindet und ich nicht von den Menschenmassen auf dem Bahnsteig erdrückt werde. Wenn dann der Zug den Bahnhof verlässt, möchte ich die Weinberge auf den Hängen um Stuttgart bewundern, kurz – ich möchte oben bleiben!

Rede von Edith Müller als pdf-Datei

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